SECHZIG

Eddie stach die Injektionsnadel in seinen Oberschenkel, stöhnte und drückte dann das Morphium in sein Bein. Die rechte Seite seines Körpers pochte vom Kopf bis zu den Zehen. Er sah auf die Uhr und rechnete, dass es zehn bis zwanzig Minuten dauern würde, bis der Schmerz nachließ.

Als er sich von der Kloschüssel erhob, neigte sich sein Abbild vom Badezimmerspiegel herüber und er legte die Nadel ab. Sein Gesicht sah mit den Schnitten und Kratzern wie ein Kupferstich aus. Als der schwungvolle junge Mann die Schrotflinte in das Auto abgefeuert hatte, flogen Glassplitter nach vorne, prallten an der Windschutzscheibe ab und trafen sein Gesicht. Er hatte genügend Verstand, seine Augen zu bedecken. Er wurde nicht blind. Dennoch waren das Erlebnis und der Schmerz, die damit einhergingen, qualvoll genug, um eine ganze Reihe von Albträumen auszulösen. Letzte Nacht hatte er geträumt, er wäre ein Bienenzüchter ohne Maske. Als er auf Anordnung seiner Mutter Honig aus dem Stock sammelte, fielen die Bienen über sein Gesicht her und begannen, ihn zu stechen. Es gab Hunderte davon. Tausende hingen an seinem Gesicht wie eine acht Zentimeter dicke Maske. Er wachte in kaltem Schweiß gebadet auf, schnappte nach Luft und schlug nach den Insekten, bis er sich an das zersplitterte Glas erinnerte. Es waren die Glasscherben, die ihn entstellt hatten. Der schwungvolle junge Mann hatte ihn gezeichnet.

Eddie ging ins Schlafzimmer und öffnete die Schranktür. Als er sich anzog, konnte er hören, wie Rosemary im Keller wieder aufschreckte. Er dachte, sie könnte hungrig sein. Aber vielleicht war es mehr als das. Seit er den Engel in der Scheune malen gesehen hatte, konnte er Rosemary nicht mehr anschauen oder an seinem Werk arbeiten. Es bestand die Möglichkeit, dass er einen schrecklichen Fehler gemacht, dass er ein ganzes verdammtes Jahr mit dem falschen verdammten Gesicht verschwendet hatte. Wie konnte er den Durchbruch schaffen und berühmt werden, wenn er den falschen Typ von Frau malte? Rosemary war kein Engel. Keine von ihnen war es. Eddie schüttelte den Gedanken ab. Er würde sich damit befassen, wenn die Schmerzen weg waren. Dann würde er versuchen, sein Gemälde von einem neuen Gesichtspunkt aus zu betrachten und entscheiden, ob sein Leben ruiniert war oder nicht.

Er ging in die Küche hinunter, öffnete die Tür zur Vorratskammer und nahm sich noch eine Dose Chef Boyardee Ravioli. Dann ging er die Treppe in den Keller hinunter, betrat das Arbeitszimmer und hörte, wie sein Modell tobte und raste. Er schloss die Badezimmertür auf und schaltete das Licht ein. Sie lag ausgestreckt auf dem Betonboden und starrte ihn mit wilden Augen an. Das Hauskleid, das er ihr gegeben hatte, war teilweise offen. Dadurch sah sie wie eine Hure aus. Sie fing schon an zu stinken und brauchte eine Dusche.

»Hier«, sagte er und bot ihr die Ravioli an.

»Ich habe es satt, aus Dosen zu essen«, sagte sie. »Ich hasse Ravioli.«

Eddie sah die zwei Dosen auf dem Boden und merkte, dass sie keine davon aufgegessen hatte. »Leute verhungern, weißt du. Wenn dir jemand etwas zu essen anbietet, solltest du dankbarer sein und es nicht verschwenden.«

»Scheiß auf dich«, sagte sie. »Und scheiß auf dein blödes Gemälde.«

Sie erhob sich auf ihre nackten Füße, knirschte mit den Zähnen und trat näher, die Hände hinter dem Rücken. Eddie hatte nicht mehr mitgezählt und es nicht kommen sehen – eine dritte Dose Chef Boyardee Beef Ravioli … Rosemary knallte sie ihm an die Stirn. Der Schlag warf ihn gegen den Türpfosten.

Er spürte, wie sie ihn zur Seite schob, sah, wie sie vorbeiflitzte und zur Tür hinausschoss. Sie war kein Engel. Sie war ein undankbares Luder. Er versuchte das Schwindelgefühl abzuschütteln, sprintete los und holte sie auf der Treppe ein. Er war direkt hinter ihr, griff mit seinen Fingern nach dem Kleid, streifte ihre Beine. Rosemary stürzte in die Küche, schwang die Tür vor und zurück und schlug ihm auch noch gegen den Kopf. Dann schrie sie und floh weiter. Eddie jagte sie in das Wohnzimmer und zog sie von der Eingangstür weg, als sie am Schloss herumhantierte. Sie wand sich in seinen Armen, drehte sich aus seinen Händen, stieß ihren Ellbogen in seine Magengrube und suchte seine Eier. Als sie sich ihm entzog und die Stufen zum zweiten Stockwerk hinaufrannte, beschloss Eddie, dass er die Nase voll hatte. Er stieg die Stufen hoch; diesmal langsamer wegen der Schmerzen in seinem Bein. Die Wunde war wieder aufgegangen. Er konnte sehen, wie sich der Blutfleck über seine frische Hose ausbreitete.

Und dann hörte er sie kreischen.

Er folgte dem Geräusch bis zum Dachboden und spürte die kalte Luft, die ihm entgegenkam, als er die schmale Treppe nach oben humpelte. Rosemary hatte Mrs Yap gefunden.

Seltsamerweise war der gefrorene Körper seiner Vermieterin nicht mehr im Schrankkoffer. Der Deckel war offen und sie hatte es geschafft, halb herauszukriechen. Eddie hatte sie, zwei Stunden bevor er sie nach oben gezogen hatte, für tot gehalten.

Die Fenster waren offen und hielten den Raum so kühl wie einen begehbaren Kühlschrank. Rosemary hatte aufgehört zu schreien. Sie starrte die Leiche ungläubig an und rang nach Atem. Mrs Yap schien mehr als kalt zu sein. Eiskristalle hatten sich um Mund und Augen gebildet. Es sah nicht so aus, als ob sie auf ihrer Reise ins Jenseits Frieden gefunden hätte.

Eddie half Rosemary auf die Beine und führte sie nach unten. Als er die Tür hinter ihnen geschlossen hatte, dachte er darüber nach, was er tun sollte. Sie wich nicht zurück. Nicht ein einziges Mal. Stattdessen hielt sie die Arme um sich geschlungen und weinte leise. Er hatte die Idee, dass dies der richtige Zeitpunkt für einen weiteren Trip auf dem Liebeszug wäre. Rosemary sah so aus, als ob sie es brauchen könnte und Eddie fand, dass ihm die Pause wahrscheinlich auch ganz gut täte.

Als sie in die Küche gingen, setzte er sie an den Tisch und öffnete die Schublade zu seinem geheimen Lager. Er schüttelte zwei Pillen heraus und warf sie in den Mörser, überlegte es sich dann noch einmal anders und gab zwei weitere dazu. Mit dem Stößel pulverisierte er die Pillen in der Marmorschale zu feinem Staub. Immer wieder drehte er sich um, um nach Rosemary zu sehen. Sie sah ihm nicht einmal zu. Ihre Augen waren auf den Fußboden gerichtete und sahen dumpf aus.

Er öffnete den Kühlschrank und nahm den Orangensaft. Als er aber zwei Gläser aus dem Schrank holen wollte, verlor er das Gleichgewicht und hielt sich an der Theke fest. Tief in seinem Innern passierte etwas. Es fühlte sich an, also ob eine langsame Welle durch seinen Kopf rollte, vielleicht sogar ein Erdbeben. Dann wurde Eddie klar, dass es das Morphium war. Die Welle schien mit dem Schmerz zusammen zu vergehen. Er starrte auf die Liebesdroge in seinem Mörser. Medikamente zu vermischen war keine gute Idee, entschied er. Rosemary müsste alleine auf den Trip gehen.

Er kippte die zerriebenen Pillen in ein einzelnes Glas, füllte es mit Orangensaft und rührte die Mischung gut um. Dann reichte er sie ihr.

Rosemarys Blick kam vom Boden hoch.

»Trink das!«, sagte er. »Du wirst dich danach besser fühlen. Dann mach ich dir etwas zu essen.«

»Du bist wirklich mies, weißt du das?«

Eddie lächelte, spürte die Wunden in seinem Gesicht und stellte sich vor, er wäre ein Phantom.

Dann nahm sie das Glas und trank es mit drei schnellen Schlucken leer. Rosemary musste durstig gewesen sein. Zwanzig Minuten später lächelte sie. Es war das erste Lächeln, das er seit zwei Tagen bei ihr gesehen hatte.