EINUNDFÜNFZIG
In dem Moment, als er die Eingangshalle betrat, wusste er, dass die Neuigkeiten sich bereits herumgesprochen hatten. Er wusste auch, dass das nicht gut war. Jill informierte ihn, sobald er sein Büro erreicht hatte: Teddys Mitarbeit in der Firma war beendet.
Man würde ihn noch behalten, um Holmes durch den Prozess zu begleiten, genau wie er vermutet hatte, weil niemand sonst mit einem Serienmörder in Verbindung gebracht werden wollte. Niemand in der Firma wollte auf dem Bild neben einem Veggie-Metzger abgebildet sein. Wenn sich Holmes erst einmal schuldig bekannt hatte und zu lebenslänglich ohne die Möglichkeit der bedingten Haftentlassung verurteilt wurde, würde Teddy seine Kündigung erhalten. Jill hatte die Information von Barnetts Assistentin Jackie, die Larry Stokes am Telefon davon reden hörte. Stokes hatte die Kündigung bereits geschrieben und bewahrte sie in seinem Schreibtisch auf, bis Holmes in eine psychiatrische Einrichtung für geisteskranke Kriminelle eingewiesen wurde.
Laut Jackie hatte Stokes Barnett gesagt, dass er Teddy nie mochte und insgeheim froh sei, dass er gehen müsse. Sie hatte nicht die ganze Unterhaltung hören können, dachte aber, es hätte etwas mit Teddys Vater und dem Ruf seiner Familie zu tun.
Teddy setzte sich an seinen Schreibtisch. Brooke Jones ging an der Tür vorbei, ohne hereinzuschauen, aber er sah das leichte Lächeln, das sich in ihre Gesichtszüge eingegraben hatte.
Er öffnete seine Aktentasche, fand das Aspirin und schluckte zwei Pillen mit Wasser aus der Flasche. Als er sich zurücklehnte, ging er die Ereignisse des Tages in seinem Kopf durch. Er erinnerte sich, wie es heute Morgen mit Andrews, der ihm in den Rücken gefallen war, im Kunstmuseum geendet hatte. Er war zu bestürzt, um zu diesem Zeitpunkt wirklich zu merken, was vor sich ging. Andrews hatte Teddy gerade festgenagelt gehabt, dennoch konnte der Mann dem Blickkontakt nicht standhalten. Andrews hatte weggesehen, als ob er nervös sei. Als ob ihm etwas anderes durch den Kopf ging. Warum ging er auf den Deal ein? Es ergab keinen Sinn. Andrews hätte auf einer Gerichtsverhandlung bestehen müssen, hätte bis zum bitteren Ende dafür kämpfen müssen. Stattdessen hatte Barnett gesagt, es sei leicht gewesen. Der Staatsanwalt habe fast unmittelbar zugestimmt. Die ganze Unterhaltung habe nur fünf Minuten gedauert.
Warum?
Barnett hatte das Profil gelesen und den Anruf getätigt. Andrews hatte zuerst gesprochen und Barnett von den Aktbildern erzählt, die Holmes übermalt hatte, darunter auch eines von Darlene Lewis. Dann hatte Barnett das Profil erwähnt, das Teddy und Nash erstellt hatten, und gesagt, sie würden nach einem Künstler suchen. Ein Maler oder Bildhauer. Teddy fragte sich, ob es nicht das Profil war. Aber was? Es musste einen Grund geben, warum Andrews wegen des Deals das öffentliche Interesse aufs Spiel setzte.
Er sah Jill an, die ihn vom Computer aus anstarrte. »Glaubst du, du könntest mir einen Gefallen tun?«, fragte er.
»Sicher.«
»Such die vergangenen Fälle von Andrews der letzten zehn Jahre heraus. Sortiere sie nach dem Urteilsspruch und drucke sie aus. Ich brauche nur die Liste und eine Zusammenfassung. Aber mach einen zweiten Ausdruck und sortiere sie nach der Straftat. Ist das machbar?«
»Das ist leicht«, sagte sie.
Ihr Blick ging in Richtung Tür. Larry Stokes betrat das Zimmer, ohne sie zu bemerken. Sein Gesicht war verschlossen, seine Erscheinung so lebendig wie eine Leiche in einem offenen Sarg.
»Ich will ein Wort mit Ihnen reden«, sagte er ruhig. »In meinem Büro.«
Teddy warf Jill einen Blick zu und folgte dem Mann aus dem Zimmer hinaus. Sie gingen den Gang hinunter zur anderen Seite des Stockwerkes, ohne ein einziges Wort zu wechseln. Als sie beim Büro ankamen, trat Stokes einen Schritt zur Seite und ließ Teddy den Vortritt. Teddy bemerkte den älteren Mann auf der Couch erst, als die Tür geschlossen wurde.
»Nehmen Sie Platz«, sagte Stokes und zeigte auf den Stuhl vor seinem Schreibtisch.
Stokes hatte sich nicht die Mühe gemacht, Teddy dem alten Mann auf der Couch vorzustellen. Teddy tat, wie ihm geheißen, und nahm den Stuhl. Hinter dem Schreibtisch gab es einen Spiegel. Er konnte sehen, dass der Mann ihm auf den Rücken starrte. Der Mann wusste, wer Teddy war. Davon war er überzeugt. Dennoch hatte Stokes nicht die Absicht, sie bekannt zu machen.
Stokes beugte sich über seinen Schreibtisch und faltete die Hände. »Ihre Zukunft bei Barnett und Stokes steht auf dem Spiel«, sagte er. »Ihr Verhalten in den nächsten paar Wochen wird Ihr Schicksal bestimmen. Ist das klar, junger Mann?«
Teddy wusste, dass seine Zukunft bereits bestimmt war, sein Schicksal besiegelt. Es befand sich in einem Umschlag in Stokes Schreibtisch und wartete darauf, ausgeliefert zu werden. Er prüfte den Spiegel und sah, wie der seltsame Mann ihn von hinten anstarrte. Sein Haar war fast weiß, das Gesicht schmal, die Augen arktisch blau. Teddy fragte sich, ob er einer von Stokes’ Kumpels aus dem Klub sei. Ein reicher Idiot aus gutem Hause, der hier etwas zum Lachen haben wollte.
»Ist das klar?«, wiederholte Stokes.
»Gewiss«, sagte Teddy.
»Als Gegenleistung für Ihr Wohlverhalten wird es keine Anklage gegen Sie geben, wegen des Versuchs Jim Barnett anzugreifen. Sie haben mein Wort.«
Stokes war dumm. Teddy konnte es in seinen Augen sehen. Seine überkronten Zähne und sein goldener Ring … das Siegel eines Jachtklubs auf seinem blauen Blazer. Seine Drohung hatte keine Wirkung, denn Teddy wusste bereits, dass es eine Lüge war. Er war immun.
»Ich glaube, Jim erwähnte Ihnen gegenüber etwas in Bezug auf spuren«, sagte Stokes nach einer Weile. »Genau das tun wir hier. Wir tun, was uns gesagt wird. Wir tun es mit Ernsthaftigkeit und in gutem Gewissen. Wir tun, was wir für richtig halten. Wir halten einen bestimmten Standard in dieser Firma und…«
Teddy hörte diesem Quatsch nicht mehr zu. Es war die Standardrede des Mannes. Diejenige, die er neuen Klienten gegenüber hielt. Als er dachte, dass Stokes fertig wäre, stand er auf und verließ das Zimmer.