EINS

Sie mochte es, wie ihr Haar aussah… ihre Augen. Sie ging durch das Zimmer zum hohen Spiegel an der Schranktür und posierte. Sie verlagerte ihr Gewicht und drehte sich um. Das Nachthemd hatte die Farbe von fallendem Schnee und war beinahe vollkommen transparent. Ihr gefiel der warme Ton ihrer Haut darunter, wie ihre Brüste bei der leisesten Bewegung auf und ab zu wippen schienen. Es war genau die richtige Wahl. Darlene hatte das Babydoll und den passenden Stringtanga über die Website von Victoria’s Secret mit der Kreditkarte ihrer Mutter bestellt. Sie wusste, dass ihre Mutter es nie bemerken würde. Weihnachten war in weniger als zehn Tagen – es würden noch viele Geschenke mit dieser Kreditkarte gekauft werden, einige sogar im selben Geschäft.

Sie warf einen Blick auf die Uhr. Mittagszeit wäre erst in zwei Stunden, aber sie war jetzt schon hungrig. Sie hob ihre Arme in die Luft und gähnte, als sie sich streckte. Dann ging sie aus dem Schlafzimmer und ließ die Kleider auf dem Stuhl zurück. Sie hatte das Haus für sich, ihre Eltern waren bis Neujahr mit ihrem jüngeren Bruder und der jüngeren Schwester auf Urlaub an ihrem Zweitwohnsitz in den Poconos-Bergen in Pennsylvania. Darlene würde ihnen morgen Nachmittag nachfahren. Ihre Skier waren bereits gewachst und einsatzbereit. Aber davor gab es noch viel zu tun. Sie gab heute Abend eine Party und musste das Haus dafür vorbereiten.

Ihr Freund Russ hatte mithilfe seines älteren Bruders, der bereits volljährig war, ein Fässchen Bier gekauft. Sie hatten es schon früh an diesem Morgen auf der hinteren Terrasse vor der Küche und dem Esszimmer aufgestellt und in Schnee eingepackt, damit das Gebräu eiskalt sein würde. Russ hatte gesagt, dass er nach der Party helfen würde sauber zu machen, damit ihre Eltern nichts bemerkten, und vielleicht würde er sogar die ganze Nacht bleiben.

Genau hier kam das Babydoll ins Spiel. Sie hatten schon seit letztem Sommer Sex, aber noch nie eine ganze Nacht gemeinsam verbracht. Sie wollte mit Russ schlafen und mit ihm zusammen aufwachen. Sie wollte ihn am Morgen.

Darlene ging die Treppe hinunter, drehte das Licht im Foyer an und trat in die Küche. Sie goss sich ein Glas kaltes Quellwasser aus einem Zwanzig-Liter-Spender in der Vorratskammer ein und durchquerte das Zimmer, um es am Fenster zu trinken. Die Sonne war bereits untergegangen; draußen war es grau, die unruhigen Bewegungen der schwarzen Wolken am Himmel waren sofort erkennbar. Wenn es wieder anfing zu schneien, könnte die Nacht eine Pleite werden.

Sie schaltete das Radio ein, suchte auf Mittelwelle, fand den Sender KYW und hoffte auf einen Wetterbericht. Während sie wartete, ging sie zum Fenster zurück und sah auf die Terrasse hinaus. Auf dem Fässchen saß ein Eichhörnchen und knabberte Nüsse. Russ hatte offenbar eine Tüte Erdnüsse auf dem Fass liegen lassen. Angesichts der zahlreichen offenen Schalen, die überall verstreut lagen, war das Eichhörnchen wohl schon eine ganze Weile damit beschäftigt. Darlene klopfte an das Fenster. Das Eichhörnchen drehte sich um, aber ohne großes Interesse. Sie klopfte wieder an die Fensterscheibe und zog eine Grimasse, aber das dumme Eichhörnchen rührte sich nicht vom Fleck. Als sie ihre Faust schüttelte, begann das Eichhörnchen, sich noch schneller durch die verbleibenden Nüsse zu knabbern, und machte eine noch größere Schweinerei.

Sie wandte sich ab und schüttelte den Kopf. Im Radio gab es eine Geschichte, eine Liveübertragung von der Staatsanwaltschaft in Philadelphia und der Rechtsfakultät der Universität von Pennsylvania. Es klang nicht gerade so, als ob der Wetterbericht bald kommen würde. Der Staatsanwalt stand unter dem Druck der Medien für etwas, das er in der Vergangenheit getan hatte. Darlene fand die Geschichte so langweilig, dass sie sie nicht mehr ertragen konnte, und schaltete das Radio aus.

Dann hörte sie etwas. Der Lärm kam von der Haustür. Sie sah auf die Uhr und vermutete, dass es der Postbote war – dieser unheimliche Computerfreak, der seine Augen nicht von ihr lassen konnte. Sie hatte ihn geneckt. Obwohl sie den Mann mehr als ekelhaft fand, machte es ihr aus irgendeinem Grund, den Darlene sich nicht erklären konnte, Spaß ihn aufzuziehen. Das Gefühl, das sie überkam, wenn er ihren Körper mit den Augen verschlang, erregte sie. Letzten Sommer hatte er ein Paket zur Rückseite des Hauses geliefert, während sie sich am Pool sonnte. Als er sie entdeckte, wurde er nervös. Er hatte sich dagegen gewehrt, aber seine verstohlenen Blicke aus den Augenwinkeln hatten bewiesen, dass er den Krieg verloren hatte. Da erkannte sie ihre Macht über ihn. Seitdem, hatte sie bemerkt, sortierte er die Post ihrer Familie nicht mehr vor. Stattdessen lief er von seinem Jeep zu den Eingangsstufen und spähte beiläufig durch die Spitzenvorhänge an der Tür, während er die Briefe und Zeitschriften in seiner Tasche durchforstete und sie sorgfältig in den Briefkasten legte.

Darlene registrierte, was sie gerade trug und lächelte, als sie ihren Körper durch das durchsichtige Nachthemd musterte. Ihr Grinsen wurde breiter, als sich eine Idee herauskristallisierte. Warum sollte er sich anstrengen müssen, die Post in den Briefkasten zu legen, wenn er sie ihr auch einfach überreichen konnte. Unerhört? Vielleicht. Spannend? Auf jeden Fall! Außerdem kamen ja viele Kataloge und dann waren da all diese Weihnachtskarten. Sie würde diesem schmierigen Ferkel einen großen Gefallen erweisen. Sie stellte das Glas in die Spüle und ging von der Küche zur Eingangshalle um die Ecke, bis sie die vordere Haustür sehen konnte. Sie war aus massiver Eiche. Die Vorhänge, die ihre Großmutter genäht hatte, waren lose über den Scheiben angebracht. Bei einem Blick durch den fast undurchsichtigen Stoff konnte Darlene seine Gestalt ausmachen. Er schien den Inhalt seiner Tasche zu sortieren und sich dabei Zeit zu nehmen. Sein Blick war jedoch nicht auf den Briefkasten gerichtet, sondern auf die Tür.

Sie lächelte und kam näher. Ihre nackten Füße nahmen das Gefühl der Kühle des Parkettfußbodens auf, bis sie den orientalischen Teppich direkt vor der Tür erreichte. Als sie ihre Finger um den Griff schloss, fing sie einen Blick auf sich selbst im Foyerspiegel auf. Sie spürte ihr Herzklopfen und versuchte, das ungezogene Lächeln loszuwerden. Sie sah perfekt aus, befand sie. Sie war bereit, diesem Kerl einen Nervenkitzel zu bieten, den er mit zum Postamt nehmen konnte. Dann löste sie die Verriegelung und die Tür schwang auf…