FÜNFZIG

Die Folgen. Der vollzogene Deal. Es war so hässlich.

Teddy saß am Geschworenentisch und starrte auf die Bilder der Vermissten, die an der Wand hingen und sich alle ähnlich sahen. Sie schienen so weit weg zu sein. Das Geständnis veränderte die Dinge. Ob es stimmte oder nicht: Holmes Aussage und Unterschrift auf dem Dokument hatte ein gewisses Gewicht in der Sache.

»Möchten Sie eine Tasse Kaffee?«, fragte Nash von seinem Schreibtisch.

»Es geht schon.«

»Wie wär’s mit etwas Stärkerem?«

Teddy schüttelte den Kopf und drehte sich dann zur Tür, als Gail Emerson, Nashs Assistentin, das Zimmer mit einer Tasse Kaffee betrat. Ihre Augen waren geschwollen und sie schien genauso betroffen zu sein wie die beiden. Sie stellte die Tasse vor Teddy auf den Tisch, akzeptierte kein Nein als Antwort und warf Nash einen besorgten Blick zu, als sie das Zimmer verließ. Teddy mochte Gail und nippte am Kaffee. Er schmeckte frisch und heiß, außerdem schätzte er die nette Geste.

Nash räusperte sich. »Barnett hätte diese Dinge nicht zu Ihnen sagen sollen, Teddy. Es tut mir Leid. Hat er Sie gefeuert?«

»Ich weiß es noch nicht. Er ist immer noch bettlägerig. Sie werden jemanden für den Papierkram brauchen und jemand, der mit Holmes am Tisch sitzt. Ich bin nicht sicher, ob jemand in der Firma wirklich auf dem Bild neben einem Serienmörder sein will.«

Nash gab ihm ein warmes Lächeln. »Ich würde sagen, dass Sie damit Recht haben.«

»Was ist mit Rosemary?«, fragte Teddy.

»Soweit es mich betrifft, hat sich nichts geändert. Wir wussten bereits, dass zwischen Holmes und Darlene Lewis irgendetwas im Gange war. Jetzt wissen wir, was es war. Das Geständnis, das der Mann in seinem Geisteszustand gemacht hat, ist es nicht einmal wert, gelesen zu werden. Aber wir sind alleine. Westbrook hat angerufen, als das FBI die Neuigkeiten von der Staatsanwaltschaft erfahren hatte. Er ist bestürzt. Er sagte, er würde alles ihm Mögliche tun, um zu helfen, aber es müsste jetzt inoffiziell bleiben.«

»Wir wissen, dass das Profil akkurat ist«, sagte Teddy. »Nach dem, was der Manager des Cafés uns gesagt hat, ist dieser Typ mit den schlechten Zähnen Rosemary an jenem Abend, als sie verschwand, zur Tür hinaus gefolgt. Ihre Sporttasche wurde in ihrem Apartment nicht gefunden. Wir wissen, dass sie es nie bis nach Hause geschafft hat.«

Nash erhob sich hinter seinem Schreibtisch und setzte sich zu Teddy an den Geschworenentisch. Er hatte Zeitungsausschnitte von Alan Andrews gesammelt, seit er angefangen hatte, die Vergangenheit des Staatsanwaltes zu untersuchen. Er legte einige davon auf den Tisch, einen neben den anderen, dann schnorrte er sich eine Zigarette aus Teddys Packung. Das hatte er zuvor noch nie getan.

»Was halten Sie davon?«, fragte Nash. »Was ist Ihre Meinung?«

Teddy zählte sechs Ausschnitte. Er überflog die Artikel lange genug, bis er den Sinn begriffen hatte. »Andrews war ein übereifriger Strafverfolger«, sagte er. »Die Richter beklagten sich, aber er führte einen harten Kampf und wurde Staatsanwalt. Er war nicht sehr beliebt, aber seine Behörde setzte eine Menge Strafverfolgungen in Gang und die Kriminalitätsrate sank.«

»Was noch?«

Teddy dachte nach. »Es sieht so aus, als ob ihn die Presse tolerierte. Die Richter waren erleichtert, dass er nicht so oft vor Gericht erschien, wenn überhaupt, solange er im Amt war.«

»Und dann?«

»Sie haben Andrews angegriffen, weil er den falschen Mann in den Tod geschickt hat«, sagte Teddy. »All seine Fehler standen wieder in der Zeitung. Aber es hat nicht lange gedauert, weil Holmes genau an jenem Tag verhaftet wurde. Die Leute bekamen Angst. Die Stadt wurde von einem Irren terrorisiert. Soweit es sie betraf, hat Alan Andrews sie gerettet und alle Fehler, die er in seiner Vergangenheit gemacht hatte, waren vergeben. Was soll’s, wenn der Falsche die Todesspritze bekommen hat. So denken die Leute. Der Typ war wahrscheinlich Abschaum und verdiente es trotzdem zu sterben, bestimmt hatte er irgendetwas anderes auf dem Kerbholz.«

Nash starrte auf die Zeitungsausschnitte über Andrews. Seine Augen waren weiter als sonst, trauriger. »Sie müssen zugeben, dass das doch bemerkenswert ist. Ich meine seine Wiederauferstehung. Ich dachte, es würde ihn aus dem Amt katapultieren, als mein Workshop die Ergebnisse publik machte. Jetzt sieht es so aus, als ob er belohnt würde. Er wird der nächste Bürgermeister der Stadt werden, und dann, wer weiß, vielleicht sogar Gouverneur. Ob man ihn mag oder nicht: Er ist ein Überlebenskünstler. Das muss man ihm zugestehen.«

»Was ist mit Ihrem Workshop im nächsten Semester? Was ist mit den anderen Fällen, an denen Sie arbeiten?«

»Sie sind alt«, sagte Nash und wurde leiser. »Die Beweise sind rar, in manchen Fällen kontaminiert oder sogar zerstört. Geld ist auch ein Thema.« Er blies den Rauch gegen das Fenster und beobachtete, wie das Sonnenlicht der Wolke eine Form gab. »Es ist ein harter Kampf«, sagte er. »Es wird Zeit brauchen.«

Nash wurde still. Teddy beobachtete ihn eine Weile, wie er seine Zigarette rauchte, griff dann nach seiner Aktentasche und stand auf. »Da ist nur eine Sache, die ich nicht verstehe«, sagte er, bevor er ging.

Nash sah ihn an, ohne etwas zu sagen. Er schien müde zu sein. Ebenso wie Teddy brauchte er eine Pause.

»Ich dachte darüber nach, als ich vom Krankenhaus hier herfuhr«, sagte Teddy. »Ich weiß, warum mein Boss den Deal wollte. Er macht sich nur Sorgen um seine eigenen Presseausschnitte und was seine Nachbarn denken. Ich verstehe sogar, warum der Staatsanwalt glaubt, dass Holmes schuldig ist. Wenn ich Andrews wäre, könnte ich das auch glauben. Sehen wir den Tatsachen ins Gesicht: Die Beweise sind immer noch auf Andrews Seite. Der Fall ist so heftig, dass ich das, was wir jeden Tag tun, bezweifle. Aber schauen Sie sich die Zeitungsausschnitte an. Nur diese paar Ausschnitte erzählen eine andere Geschichte, und das verstehe ich nicht.«

»Welchen Teil der Geschichte verstehen Sie nicht?«

»Warum Andrews auf den Deal eingegangen ist«, sagte Teddy.

Eine Weile verging. Nash starrte geistesabwesend in die Luft, als ob Teddy eine weitere Bruchlinie in den Felsen gefunden hätte. Ein Riss im Berg, den niemand gesehen hatte.

»Warum sollten die Schlagzeilen aufhören?«, sagte Teddy und zeigte auf jene am Tisch. »Warum sollte er einen Deal machen, der das beenden würde, besonders wenn jeder auf der Straße Holmes tot sehen will? Wenn er die Verfahrensabsprache abgelehnt hätte, wären der Fall, die Verhandlung und die Schlagzeilen bis zu seiner Wahl weitergegangen. Jetzt werden sie verschwinden. Jeder verdammte Idiot der Stadt wird stinksauer auf ihn sein. Es ist nicht in Andrews Interesse, den Deal zu machen. Es ergibt keinen Sinn.«

Nash nahm sich eine zweite Zigarette und gab ihm die Packung zurück. Er schien sprachlos. »Nein, das tut es nicht«, war alles, was er sagen konnte.