SECHZEHN

Eddie Trisco stand mitten im Raum von Bennys Café Blue und nippte an diesem Abend schon an seinem zweiten Milchkaffee. Er wusste, dass er wie ein Idiot aussah. Er konnte das Gekicher im Hintergrund hören, als er einfach nur dastand. Die Leute lachten ihn aus, wenn er versuchte sich anzupassen. Noch schlimmer: Die hohe Dosis Koffein hatte die Stimmen wieder zurückgebracht und er konnte sie über all den anderen hören, wie sie in seinen Kopf krochen.

Es kümmerte ihn nicht. Nicht heute Nacht. Außerdem: Jeder beobachtete ihn ständig und er bereitete sich auf diese schmerzliche Zerreißprobe vor, ehe er überhaupt aus dem Haus ging. In der Öffentlichkeit aufzutreten war Bestandteil des Jobs, des Lebens, des Extremen. Er musste sich daran gewöhnen. Jeder, der im Begriff war berühmt zu werden, musste das.

Er hatte zwei Studenten im Auge, die am Ecktisch beim Fenster saßen. College-Studenten, die Händchen hielten und wie Jugendliche sprachen, die ein sorgenfreies Leben führten. Er fand ihre Naivität bemerkenswert. Sie hatten ihre Drinks schon vor fünfzehn Minuten ausgetrunken, dennoch blieben sie am Tisch sitzen, ohne an ihn oder sonst jemanden zu denken, der einen Platz wollte. Sie waren verweichlicht und rund, die Opfer des Informationszeitalters. Er interessierte sich nicht besonders für sie. Er wollte nur ihren Tisch.

Eddie sah auf seine Uhr. Es war fast halb zehn. Der Sportklub über der Straße würde in einer halben Stunde schließen. Er brauchte einen Platz an diesem Tisch, und zwar jetzt.

Er schaute wieder auf die Studenten und konnte erkennen, dass sie merkten, dass er sie anstarrte. Er durchquerte den Raum und sah, wie sie ihren Blick abwandten, als er sich ihnen näherte. Dann blieb er vor dem Tisch stehen und sah direkt auf sie hinunter. Erst lachten sie, als ob er verrückt wäre, aber nach einer Weile hörten sie mit dem Gekicher auf und entschlossen sich endlich, zu gehen. Er hörte, wie der Junge etwas von unheimlich murmelte, während sie ihre Rucksäcke einsammelten und im Zeitlupentempo in Richtung Tür gingen.

Eddie kümmerte sich nicht darum. Er hatte endlich den Tisch für sich und setzte sich mit Blick zum Fenster. Der Platz war noch warm und das störte ihn ein wenig. Es fühlte sich wie eine Berührung an, aber er versuchte es zu ignorieren. Als er auf den Tisch blickte, sah er die leeren Tassen, die zurückgelassen worden waren, Zucker, der über das Resopal verstreut war, hier und da verschütteten Cappuccino. Auch das würde er ignorieren, beschloss er. Er würde den Tisch nicht berühren. Er würde nur davorsitzen, damit er aus dem Fenster sehen konnte.

Sie trainierte am Stepper. Von seinem Fensterplatz aus konnte er sie im Sportklub über der Straße sehen. Sie schritt auf und ab, auf und ab. Stolz, vielleicht mit starkem Willen, in jedem Detail perfekt. Er hatte sie vor zwei Monaten zum ersten Mal bemerkt, sie sich aber für einen Abend genau wie diesen aufgehoben. Sie trainierte an drei Abenden in der Woche und sah sehr gepflegt aus. Ihr blondes Haar war jetzt zurückgebunden, aber er hatte es schon offen gesehen und wusste, dass es die richtige Länge hatte. Ihre Brüste waren etwas groß, aber sie war erst zwanzig und er nahm an, dass es noch ein paar Jahre dauern würde, bis sie sich aus ihrer Verankerung lockern würden und Richtung Boden schwangen. Es war jedoch ihr Gesicht, das sie klar von den anderen unterschied. Ihr Mund und ihre Wangenknochen. Die Art, wie ihre Augen neben der Nase lagen – nicht zu eng und nicht zu weit weg. Perfekt in jedem Detail, wiederholte er in seinem Kopf. Er kannte ihren Namen noch nicht, aber bald…

Sie stieg vom Stepper und schien zu keuchen. Er beobachtete, wie sie mit einem Handtuch den Schweiß von ihrer Haut wischte. Dann entfernte sie sich vom Gerät und ging zu den Umkleideräumen.

Eddie schlürfte seinen Milchkaffee und wartete. Er hatte sie schon lange genug im Auge, um zu wissen, dass sie normalerweise zwanzig Minuten brauchte, um zu duschen und sich umzuziehen. Nach ihrem Training überquerte sie neun von zehn Malen die Straße und bestellte in Bennys Café Blue einen Mokka mit Eiswürfeln.

Er wechselte den Platz, damit er den Eingang im Blick hatte. Dann sah er auf die Uhr und begann zu zählen. Zwanzig Minuten konnten ewig dauern, wenn man so viel Spaß hatte. Um sich die Zeit zu vertreiben, spielte er das Szenario dieser Nacht in seinem Kopf durch, jedes Detail, jeden Schritt. Er hatte es schon zuvor durchexerziert und musste es nicht mehr üben, aber er tat es trotzdem, immer wieder und wieder, bis er aufblickte und sah, wie sie zur Tür hereinkam.

Er sah sich im Raum um und bemerkte, wie die Männer sie anschauten. Alle, selbst der hinter der Theke mit dem dummen Grinsen auf seinem Gesicht. Sie lächelte dem Mann ebenfalls zu und bestellte ihren Drink, während sie versuchte, mit ihrer Geldbörse und ihrer Sporttasche zurechtzukommen. Sie hatte die Hände voll. Auch das war Teil des Plans. Eines der Details. Einer der Schritte.

Eddie spürte, wie sein Herz flatterte, als er sie beobachtete. Es schien, als ob es ewig dauern würde, um ihren Mokka zu machen. Er dachte, der Typ hinter der Theke ließ sich absichtlich Zeit, damit er mit ihr flirten konnte. Es schien ihr nichts auszumachen. Tatsächlich war es recht offensichtlich, dass sie zurückflirtete.

Eddie trank seinen Kaffee aus und war für seine Rolle im beginnenden Ablauf bereit. Als sie ihr Getränk in die Hand nahm und sich von der Theke abwandte, hörte er, wie die Stimme in seinem Kopf ihm das Stichwort gab und erhob sich. Er traf sie an der Tür und öffnete sie für sie, sein Timing war perfekt. Dann folgte er ihr nach draußen und ließ die Zeile aus, die er geplant hatte, weil er sich plötzlich nervös fühlte. Stattdessen improvisierte er nur ein einfaches Nicken. Sie sah ihn auf eine Weise an, die er nicht verstand. Sie war zwar erst zwanzig, aber er war auch nur dreißig. Als er den Moment analysierte, fand er, dass er einfach nur höflich war und sie Freunde werden könnten.

Sie eilte davon, ohne etwas zu sagen. Eddie konzentrierte sich auf den süßen Duft ihrer Bodylotion, den sie hinter sich herzog, als er ihr folgte. Er schob sich einen Schokokeks in den Mund und genoss den Schokoladegeschmack auf seiner Zunge. Als sie um die Ecke und die Gasse hochging, dachte sie immer noch, sie wäre allein. Eddie sah sich um und versuchte nicht zu lachen. Obwohl der Schnee von gestern Nacht von den Straßen weggeräumt war, war es wieder kalt geworden und es wagten sich nicht viele Leute hinaus.

Er drehte sich um, als sie zu ihrem Auto ging. Ihre Schritte wurden etwas schneller und dann noch schneller. Er bemerkte, wie sie ihren Kopf zur Seite drehte und ihn aus dem Augenwinkel beobachtet. Sie wühlte in ihrer Tasche nach dem Schlüssel. Sie wühlte tief und schnell. Sie erreichte ihr Auto gleichzeitig mit ihm. Dann ließ sie ihren Mokka in den Schnee fallen, drehte sich um und besprühte Eddie mit Tränengas aus einem Behälter, den sie an ihrem Schlüsselbund befestigt hatte.

Eddie bekam es ins Gesicht, das Tränengas strömte wie Regen an seinen Wangen hinunter. Er konnte hören, wie sie ächzte und stöhnte und stellte sich vor, wie sie dieselben animalischen Geräusche immer am Ende ihres Trainings machte. Tränengas hatte Eddie nie besonders gestört. Er wusste nicht, warum. »Sag mal«, sagte er durch den Sprühnebel, »du hast nicht irgendwelche Tattoos, oder?«

Sie schien über die Frage entsetzt zu sein, zu ängstlich, um zu schreien. Das verwirrte ihn, denn die Frage schien vernünftig. Sie war Teil des Skripts, Teil des Spiels. Als sie nicht antwortete, schlug er sie mit der Faust auf die Seite ihres Kopfes. Der Sprühnebel hörte auf und ihr Schlüssel fiel auf die Straße. Er konnte nicht sagen, ob er sie k. o. geschlagen hatte oder ob sie vielleicht nur ohnmächtig wurde. Er presste ihren schlaffen Körper gegen den Wagen, damit sie nicht fiel und sich vielleicht blauen Flecken auf ihrer makellosen Haut holte. Dann schaute er nach dem Schlüssel und hob ihn auf. Er schob sie auf den Rücksitz, warf die Sporttasche hinein und schlug die Tür zu.

Er prüfte die Gasse nochmals, die Straße – niemand hatte ihn gesehen. Er rutschte hinter das Steuer, fühlte nach dem Hebel am Boden und schob den Sitz zurück. Das Skript war gut geschrieben, entschied er, das Szenario mit Bedacht durchgeführt.

Eddie machte es sich im Fahrersitz bequem, wischte sich das Gesicht mit einem Taschentuch ab, stellte die Spiegel richtig ein und ging das Armaturenbrett durch. Der Wagen sprang beim ersten Versuch an. Dann drehte er die Heizung auf, rollte langsam die Gasse hinunter und drehte an der Ecke um. Als er an Bennys Café Blue vorbeifuhr, schaute er in das Fenster und sah, wie alle wieder lachten. Er wusste, dass sie über ihn lachten, ignorierte es aber wie immer. Sie konnten lachen, soviel sie wollten, denn er hatte die Ware.

Zur Belohnung schob er sich noch ein Stück Schokolade in den Mund. An der Ampel bog er ab. Als er in den Rückspiegel blickte, sah er, wie das Mädchen mit geschlossenen Augen auf dem Rücksitz lag. Es sah aus, als ob sie schliefe. Wenn sie aufwachte, würden sie schon zu Hause sein.