DREIUNDZWANZIG
Es hatte angefangen zu schneien. Das Restaurant war direkt am Campus und fast leer. Sie wurden zu einem hinteren Tisch an einem Fenster geführt. Powell bestellte einen trockenen Bombay-Martini mit drei Oliven. Unter normalen Umständen hätte Teddy ein Bier verlangt. Aber unter der Belastung dessen, was er an diesem Tag gesehen hatte und immer noch mit sich trug, beauftragte er die Bedienung, zwei Martinis zu bringen.
Während sie auf ihre Drinks warteten, starrte Powell schweigend aus dem Fenster und beobachtete, wie die Schneeflocken zu Boden schwebten. Teddy wurde klar, dass das, was Detective Vega ihm vor den Autopsien gesagte hatte, nicht unbedingt stimmte. Ein Gerichtsmediziner gewöhnte sich vielleicht daran, aber für den Rest der Welt würde es mehr brauchen als Zeit. Selbst Powell, eine erfahrene Anklägerin, die wahrscheinlich schon bei Hunderten von Autopsien dabei war, sah aus, als ob der Nachmittag immer noch an ihr nagen würde.
Die Kellnerin kam mit ihren Drinks. Als sie sie auf dem Tisch ablud, stellte Teddy unwillkürlich fest, dass etwas nicht stimmte. Sie entfernte sich ganz schnell wieder, ihr scherzhaftes Gerede wirkte gezwungen.
»Es ist der Geruch«, sagte Powell, als sie alleine waren. »Deshalb haben wir den Fensterplatz ganz hinten bekommen.«
Teddy war nicht sicher, wovon sie sprach, bis Powell an ihrer Bluse schnüffelte. Ihrem Beispiel folgend, zog er sein Hemd zur Nase und roch daran. Es war der Geruch des Todes. Er dachte, der Duft wäre nur in seinem Kopf, aber er hing in ihrer Kleidung.
»Sie werden ihren Anzug in die Reinigung bringen müssen«, sagte sie. »Es ist die einzige Möglichkeit, die ich kenne, um den Gestank loszuwerden.«
Sie nippten an ihren Drinks. Der Gin war weich, durchdrang ihn und erzeugte ein sofortiges Glühen. Er konnte spüren, wie seine Schultern und sein Hals sich entspannten, und war froh, dass er Martini statt Bier bestellt hatte.
»Es gibt ein Problem mit Ihrer Story«, sagte Powell nach einer Weile.
»Welche Story meinen Sie?«
»Wie Sie Valerie Kramps Leiche beim Bootshaus gefunden haben. Der Grund, warum Sie dort waren.« Sie nahm ihn nicht in die Mangel, sondern schien entspannt, und er dachte, er hätte ein schwaches Lächeln entdeckt.
»Was für ein Problem?«, wollte er wissen.
»Der stellvertretende Gefängnisdirektor hat angerufen und gesagt, dass Sie Holmes heute besucht haben. Als er Sie hinausbegleitete, hat er bemerkt, dass Sie ein Bild von Valerie Kramp dabeihatten. Offensichtlich haben Sie dieses Bild Ihrem Klienten gezeigt. Das hätten Sie nicht getan, wenn er Ihnen gesagt hätte, wo sie war.«
Nash hatte in Bezug auf sie Recht. Sie war klug. Obwohl die physischen Beweise sie stark beschäftigten, tat sie immer noch ihren Job. Sie forschte immer noch nach und versuchte zu verstehen. Und sie war auch umwerfend. Teddy versuchte, ihr Aussehen zu ignorieren, aber der Martini hatte ihn inzwischen fest im Griff. Seine Augen wanderten ständig über ihr Gesicht.
»Aber das war nie meine Story«, sagte er. »Als ich sie sah, wusste ich nicht, wer sie war. Andrews hat angenommen, dass Holmes mir gesagt hatte, wo sie zu finden war. Ich bin froh, dass Sie einsehen, dass es nicht wahr sein kann.«
Ihr verstecktes Lächeln blühte auf und sie beugte sich näher heran. »Kommen Sie, Teddy. Für meinen Seelenfrieden muss ich wissen, warum Sie dort waren. Irgendwie ist es unangenehm, dass Sie die Leiche gefunden haben. Vielleicht hat jeder auf meiner Seite einen Fehler gemacht.«
»Alles, was ich Ihnen gestern gesagt habe, ist wahr. Ich ging zum Bootshaus, weil ich dort jemanden treffen wollte.«
»Eine Verabredung mit Dawn Bingle.«
Er bemerkte den Sarkasmus in ihrer Stimme, das Funkeln in ihren Augen. Sie schien zu denken, der Name wäre komisch und dass er ihn sich spontan ausgedacht hätte. Sie führte ihn, stöberte die Geschichte auf, hatte Spaß, während sie ihn ärgerte. Es war eher ein Necken und das Spielerische war genauso eine Erleichterung wie der Gin.
Die Kellnerin erschien und unterbrach den Moment. Sie stand drei Meter entfernt, als sie nach ihnen schaute. Sie wandten sich dem Fenster zu und schätzten den Schneefall ein. Er wurde mehr, aber die Straßen blieben frei. Sie beschlossen, noch eine Runde zu bestellen, und die Kellnerin eilte irgendwie betroffen davon.
»Ich habe heute Abend Ihr Gesicht gesehen«, sagte Powell. »Sie wussten von den zehn anderen.«
»Erst seit heute Morgen.«
»Sie untersuchen den Fall. Sie sind zum Bootshaus gegangen und haben nach Valerie Kramp gesucht. Sie sind dort hingegangen, weil Sie irgendwie wussten, dass sie dort sein würde.«
»Ich hatte eine Verabredung mit Dawn, schon vergessen?«
Sie schlürfte an ihrem Drink. »Es ist also doch Dawn. Ich dachte, Sie sagten, dass Sie sie nie getroffen haben. Wie sieht sie aus?«
»Dünn und blass«, sagte er. »Fast durchsichtig, als ob sie nicht wirklich da wäre.«
Powell lachte. Aber für seinen eigenen Seelenfrieden wünschte er, er hätte die Antworten und könnte ihr sagen, was sie wissen wollte. Er erinnerte sich an den Brief in seiner Aktentasche. Die Todesdrohung. Er sah Powells Lächeln im trüben Licht und wollte nicht, dass es wegging. Das war nicht die Zeit oder der Ort, um ihr zu zeigen, was er mit der Post bekommen hatte.
Als die Kellnerin mit der zweiten Runde kam, beobachtet er, wie Powell den Rest ihres Glases austrank und die Oliven in ihr neues schüttete. Teddy tat dasselbe und die Kellnerin ging.
»Es macht jetzt keinen großen Unterschied mehr«, sagte er. »Es ist zur einer Angelegenheit öffentlichen Interesses geworden. Ihr Boss hat die Leiche gefunden. Die Stadt wird terrorisiert, aber alles ist in Ordnung, weil Alan Andrews sich darum kümmert.«
Sie schob sich eine Olive in den Mund. »Sie haben einen Einbruch begangen, wissen Sie das?«
Teddy zuckte die Achseln. »Beim Bootshaus?«
»Ich könnte wahrscheinlich die Anklage auf Übertretung beschränken, aber Sie müssten sich schuldig bekennen.«
»Sie glauben, der Richter wäre nachsichtig mit mir?«
Sie dachte darüber nach, schüttelte den Kopf und beide lachten. Als sie ihren zweiten Martini ausgetrunken hatten, schien die Frage vergessen und er merkte, dass sie ihn wieder musterte. Er wandte sich ab und besah sich die Leute, die an den Tischen saßen und Abendessen bestellten. Irgendwie hatte sich das Restaurant unbemerkt gefüllt. Zwei Gruppen, die in der Nähe Platz genommen hatten, beäugten sie vorsichtig. Teddy verstand den Grund, als er sein Hemd nochmals prüfte. Er hatte fast vergessen, wie er und Powell den Nachmittag verbrachten. Fast hätte er loslassen können.
»Ich kenne einen Ort, der nicht so überfüllt ist«, sagte Powell. »Gehen wir. Wir werden uns noch einen genehmigen, bevor der Sturm anfängt und wir für heute Abend Schluss machen.«
Teddy stimmte zu und zur Freude der Kellnerin bezahlten sie ihre Rechnung und gingen.
Als sie zu ihren Autos liefen und herum kicherten, wie man es nach zwei Drinks erwarten konnte, stieg Powell in ein neues BMW-Modell und wies ihn an, ihr zu folgen. Sie fuhren nach Osten zum Delaware River Die Straßen waren nass, aber schneefrei. Als sie das Gebiet am Hafen erreichten, bog Powell nach rechts ab und fuhr Richtung Norden. Teddy war überrascht und dachte, dass sie ihn zu einem Ort an der South Street führen würde. Ein paar Blocks weiter fuhr sie neben einen Parkplatz auf der Straße und drückte auf die Hupe. Dann fuhr sie langsam weiter, überließ Teddy den Parkplatz und bog in eine private Garage ein.
Teddys Neugierde war groß. Als Powell aus der Garage kam und ihn am Gehsteig traf, zeigte sie auf das Gebäude. Der Ort würde nicht überfüllt sein, weil er nicht öffentlich war. Powell hatte ihn mit zu sich nach Hause genommen.
Es war eine große Eigentumswohnung im fünften Stock. Die offene Bauart nutzte von jedem Fenster die Aussicht auf den Delaware. Die Bauweise war luxuriös und Teddy bemerkte auf einen Blick die Qualität der Handwerkskunst. Powells Möbel waren eher leger. Er fühlte die Wärme, als sie eine Reihe von schwachen Glühlampen einschaltete. Sie entschuldigte sich, nicht aufgeräumt zu haben. Teddy bemerkte die weite Treppe, die nach oben führte. Er hatte keine zweite Etage erwartet und wandte sich dem Kamin zu, als Powell in die Küche ging. Über dem Kaminsims sah er ein Gemälde von einem hiesigen Künstler, den er kannte und von dem er wusste, dass er den großen Durchbruch geschafft hatte. Es war eine einfache Landschaft von Feldern und Wäldern, die an den Schuylkill grenzten – weit flussaufwärts vor der Stadt – mit zwei Gestalten, die im Vordergrund standen. Aber das Werk hatte eine traumähnliche Qualität, fast surreal in der Farbgebung. Teddy dachte an ein Gemälde von Diana Ong, Land der Mitternachtssonne. Es war fast so, als ob der Künstler wollte, dass der Betrachter einen letzten Blick auf das Tal warf, bevor die Ausbreitung überhandnahm und das Bild für immer verschwand. Noch faszinierender war, dass es sich anfühlte, als ob die Leute in Bewegung wären, als ob sie auch am Verschwinden wären.
»Mögen Sie das Bild?«, fragte Powell.
Teddy nickte und drehte sich zu ihr, um zu sehen, wie sie auf der anderen Seite der Theke die Martinis mixte. Dieses Lächeln war wieder da und er bemerkte, dass sie aus ihren Schuhen geschlüpft war. »Ich mag den ganzen Ort hier«, sagte er.
Er versuchte, nicht auf ihre langen Beine zu schauen, auf ihr zerzaustes Haar… wie ihre Lippen halb geöffnet waren. Er versuchte daran zu denken, dass ihre Beziehung nur beruflicher Natur war.
Sie reichte einen Martini über die Theke und hob ihren eigenen hoch. Sie nahmen schnelle Schlucke, damit nichts vom Gin verschüttet wurde. Der Drink schmeckte stärker als die beiden, die er im Restaurant bestellt hatte, und er sah, dass das Glas größer war. Er musste vorsichtig sein, cool bleiben.
»Kommen Sie mit«, sagte sie und ging entspannt zur Küche hinaus.
Sie gingen durch das Wohnzimmer zu einer Tür. Powell trat zuerst ein und setzte sich auf die Couch an der Wand, ohne das Licht anzudrehen. Teddy bemerkte den Sessel, der gegen die Couch gedrückt war und stellte seinen Drink auf dem Couchtisch ab, als er sich in der Dunkelheit niederließ. Es war ein kleiner, schmaler Raum. Die Wand zum Fluss erhob sich einen Meter über den Boden, und ging dann in ein durchgehendes Flachglas über. Er schaute hinaus und sah zwei Schlepper, die ein Containerschiff den Fluss stromaufwärts zogen, während der Schnee vom Himmel fiel. Die Aussicht war unglaublich und reichte von der Benjamin Franklin Bridge bis ganz hinunter zur Walt Whitman Bridge.
»Ich habe die Wohnung wegen dieses Zimmers gekauft«, sagte sie mit ruhiger Stimme. »Es ist friedlich. Ich sitze hier gerne eine Weile, bevor ich schlafen gehe.«
»Wer würde das nicht«, sagte Teddy.
Sie nippten an ihren Drinks und machten es sich auf ihren Sitzen bequem.
»Wann haben Sie bei Barnett und Stokes angefangen?«, wollte sie nach einer Weile wissen.
»Vor drei Monaten.«
»Das ist also alles neu.«
Er nickte. »Ich ging zu der Firma, wegen ihrer Immobilienabteilung. Dann ist das hier passiert. Wer hätte das ahnen können?«
Sie lächelte. »Wie hoch sind Ihre Schulden vom Studium?«
»Hoch und beängstigend. Was ist mit Ihren?«
»Ich habe sie vor zwei Jahren endlich abbezahlt.«
Zwischen der Couch und dem Sessel stand ein antiker Schrank. Powell öffnete die Tür, schaltete ein Radio ein und suchte, bis sie einen Sender mit sanftem Jazz fand. Sie legte ihre Beine auf den Couchtisch. »Gehen Sie mit jemandem aus?«, fragte sie.
Es war die Art von Frage, die arglos genug schien. Trotzdem fühlte sich die sexuelle Spannung im Raum an, als ob sie gleich explodieren würde. Teddy fühlte die Woge, das Brennen; seine Augen wanderten an ihren Beinen hoch und über ihren Körper bis zu ihrem Gesicht. Sie hatte ihn beobachtet. Selbst in der Dunkelheit hatten ihre Augen eine gewisse Reichweite. »Ich hatte noch nicht wirklich Zeit dazu«, sagte er. »Zwischen der Zulassungsprüfung als Anwalt und dem neuen Job bin ich nicht viel ausgegangen.«
»Ich auch nicht«, sagte sie. »Und die Leute, mit denen ich arbeite, sind so verdammt deprimierend.«
Sie lachten. Es war ein nervöses Lachen. Jene Art von Lachen, das man ausstößt, wenn der ganze Körper auf angenehme Erinnerungen reagiert.
»Glauben Sie, Sie könnten ein Geheimnis bewahren?«, fragte sie nach einer Weile. »Die Regeln für eine Nacht brechen und es dann nie wieder tun?«
Er dachte darüber nach. »Sie meinen, vergessen, dass es je passierte?«
»Etwas in der Art.« Er beugte sich vor und küsste sie.
Es war ein sanfter Kuss, ihre Lippen öffneten sich gerade, ihre Zungen stießen vor und zurück und bahnten sich ihren Weg zur Mitte. Sie küssten sich immer wieder und wieder, weicher und fester. Als Teddy sich neben ihr auf der Couch niederließ, umschlang sie seine Schultern und zog ihn zu sich heran. Der Geruch des Todes hing in ihrer Kleidung, aber der Duft ihrer Haut, als er ihren Hals küsste, war doch stärker.
Teddy sah zu, wie sie ihre Bluse aufknöpfte und ihren BH öffnete. Als ihre Brüste heraussprangen, berührte er sie sanft mit seinen Fingerspitzen. Sie waren weich und glatt und fühlten sich an wie etwas, das man im Paradies finden konnte. Als er seine Lippen zu ihnen absenkte, sah er ihr Lächeln und vernahm ein leichtes Stöhnen. Er konnte spüren, wie sie ihren Rock abstreifte, den Reißverschluss seiner Hose aufzog und hineingriff.
Sie sank zwischen seinen Beinen zu Boden, zog seine Hose aus, drückte und streichelte ihn. Die Aura des Todes hatte sich gänzlich aufgelöst, war vom Duft ihrer Weiblichkeit, der nun in der Luft lag, verdrängt worden. Er fand es berauschend, besser als jeden Traum. Als er ihr blondes Haar betrachtete, das von ihren Schultern fiel, ihre geschwollenen Brüste und das wunderschöne Gesicht, trafen sich ihre Augen für einen Augenblick. Dann lächelte sie wieder und glitt über ihn.