DREI

Der Aufzug sauste vom siebzehnten Stock hinunter ins Erdgeschoss und Teddy fühlte, wie sein Magen hochkam und oben gegen seine Kehle stieß. Als sich die Türen schließlich öffneten, trat er in die Garage, wobei ihn die Angst bis zu seinem Auto verfolgte. Sein ramponierter Corolla stand zwischen einem restaurierten Jaguar und einem BMW 740i mit Sportpaket. Sein Corolla hatte über zweihunderttausend Kilometer auf dem Tacho. Etwas am Anblick seines alten Freundes in dieser Umgebung zauberte ein Lächeln auf Teddys Gesicht und die Spannung ließ nach.

Er fuhr mit dem Corolla aus dem Parkhaus und die Ausfahrtrampe hoch ins Tageslicht, notierte die Zeit und überlegte sich schnell seine Fahrtroute. Es gab keinen leichten Weg nach Chestnut Hill hinein oder von dort hinaus, aber es war noch fast eine Stunde vor der Hauptverkehrszeit. Sicherheitshalber mied er die Schnellstraße, nahm den Benjamin Franklin Parkway, kam zum Kreisverkehr beim Kunstmuseum und jagte den Kelly Drive hinunter.

Die Straße folgte den Windungen des Schuylkill River, und es sah so aus, als ob sich dicker Nebel einstellen würde. Er prüfte die Bäume und bemerkte, dass der Wind nachgelassen hatte. Als er an der Boathouse Row,, vorbeifuhr, sah er die Gebäude, die in den niedrighängenden Wolken begraben waren und musste an die helleren Tage im warmen Sonnenlicht denken. Teddy liebte als Student das Skullen und gehörte an der Uni zum Ruderteam. Jetzt war er auf dem Weg zu einem Tatort. Ein junges Mädchen war getötet worden und er vertrat den Mann, der es ermordet hatte. Er konnte fühlen, wie das Herz in seiner Brust heftig schlug und wusste, dass er die Dinge in den Griff bekommen musste. Er musste einen Schritt zurücktreten, sich die Details vom Leib halten und den Rest des Tages einfach hinter sich lassen.

Er lenkte den Wagen behutsam auf den Lincoln Drive, kam durch den Wald und folgte drei Kilometer den schmalen S-Kurven den Hügel hoch. Er fuhr rechts ab, jagte die West Allens Lane hinunter und bog an der Ampel links in die Germantown Avenue ein. Die Straße war gepflastert und der Corolla vibrierte über die holprige Oberfläche, als er an der Straßenbahnhaltestelle vorbeizog und mit dreißig Kilometern pro Stunde über dem Tempolimit in die idyllische Altstadt einfuhr. Viele der Gebäude entlang der Straße waren über zweihundert Jahre alt.

Antiquitätengeschäfte und Kunstgalerien flogen vorbei, Restaurants und schicken Boutiquen, die sich die hohe Miete leisten konnten. Er konnte Leute auf den Gehsteigen sehen, die Pakete in ihre Autos trugen. Wahrscheinlich waren es Geschenke für die Feiertage – jene Sorte, die man nicht in einer Ladenkette im Einkaufszentrum kaufen konnte.

Teddy warf einen Blick auf die Adresse, die Jill aufgeschrieben hatte: 931 Scottsboro Road. Er bog nochmals links ab, ließ das Einkaufsviertel hinter sich und kam in eine Wohngegend, die mit jedem weiteren Häuserblock an Format zunahm. Als er an einem Stoppschild anhielt, schaute er rechts die Straße hinunter und sah die Blaulichter oberhalb einer langen Reihe von Polizeiautos. Da ist es, dachte er, bog in die Scottsboro Road ein und fand fünf Häuser weiter einen Parkplatz hinter dem Van eines Nachrichtensenders.

Eine kleine Menschenmenge hatte sich vor dem Todeshaus versammelt. Als Teddy die bewaldete Straße hochging, konnte er sehen, dass die Leute von Polizeiabsperrbändern zurückgehalten wurden. Es sah aus, als ob diese weit in den Grundbesitz hineinreichen würden. Polizisten in Uniform standen hinter dem Absperrband, einer hatte ein Klemmbrett, auf dem er Namen überprüfte, während verschiedene Leute durchgelassen wurden. Ein anderer Polizist, der einen Anzug trug, stand abseits und sprach mit der Presse. Teddys Augen wanderten zum Zaun im Garten der Nachbarn. Als seine Sicht klarer wurde, konnte er seinen ersten Blick auf das Haus der Lewis’ werfen. Es war ein dreistöckiges Haus im Tudorstil, wahrscheinlich in den 1890ern erbaut, das auf einem gut bepflanzten Grundstück von achttausend Quadratmetern stand. An jedem anderen Tag hätte er es als majestätisch beschrieben, aber nicht heute. Nicht mit dem Van des Gerichtsmediziners, der auf dem schneebedeckten Rasen stand, die Hecktür zur Haustüre hin weit offen.

Teddy verzog das Gesicht, ging aber weiter, bis er den Polizisten mit dem Klemmbrett erreichte. Er nannte dem Mann seinen Namen und sagte ihm, für wen er arbeitete. Nach einem langen, eisigen Blick griff der Polizist zum Mikrofon seines Funkgerätes, das an seinem Parka klemmte und sprach mit jemandem im Haus.

Die dunklen Schwingungen ignorierend, wandte sich Teddy wieder dem Todeshaus zu. Wenn der Gerichtsmediziner immer noch da war, dann war die Leiche auch noch da. Das hieß es gab eine Chance, dass Teddy einen Blick darauf werfen könnte. Sein Blick ging vom Van weg. Er bemerkte eine attraktive Frau mit blondem Haar, die mit einem Funksprechgerät in der Hand im Türeingang stand. Sie starrte ihn an. Einen Augenblick später nickte sie dem Polizisten mit dem Klemmbrett zu. Der Polizist nickte zurück und zuckte mit den Achseln. Er notierte Teddys vollständigen Namen und ließ ihn ohne ein weiteres Wort passieren.

Teddy ging die Auffahrt hoch und dann den Schieferplattenweg entlang, der vom Schnee des letzten Sturmes freigeräumt war. Sonderbarerweise stand jedes Fenster im ersten Stock des Hauses offen und er fragte sich natürlich, warum. Als er gerade die Stufen hochging, traf er an der Tür auf Staatsanwalt Alan Andrews.

»Wo ist das Paket, Junge?«

Teddy blieb vom Blick des Mannes getroffen stehen. Er bemerkte, dass Andrews ihn musterte und ihn für einen Boten oder Gerichtsangestellten hielt.

»Sie sind von der Kanzlei Barnett, stimmt’s?«

Teddy nickte und beobachtete, wie der Staatsanwalt ihn taxierte. Dann erschien hinter Andrews wieder die Frau mit den blonden Haaren. Teddy war nervös und wusste, dass man es ihm ansah. Nach einer Weile ließen ihre Blicke nach und Andrews trat näher, mit einem Lächeln kämpfend. Es war leicht zu erraten, was der Staatsanwalt dachte. Teddy war kein Bote. Er war ein junger Mann, der gerade von der Universität kam und keine Erfahrung hatte. Wenn der Fall vor Gericht kam, würde Andrews ihn zum Frühstück verspeisen.

Andrews halbes Lächeln verschwand, als er Teddys Hand schüttelte. Er stellte die Frau als stellvertretende Staatsanwältin Carolyn Powell vor. Teddy schüttelte ihr die Hand, aber Andrews fuhr dazwischen, bevor er noch etwas zu ihr sagen konnte.

»Hier ist also der Deal, Teddy Mack. Ihr Klient ist der freundliche Briefträger aus der Nachbarschaft. Vor sechs Stunden sah eine Nachbarin, wie er mit Blut an seiner Kleidung vom Haus wegrannte. Sie konnte ihn gut erkennen. Sein ganzes verdammtes Gesicht und Haar war blutverschmiert, als ob er darin geschwommen wäre. Sie war es, die den leblosen Körper fand und 911 anrief. Sie kannte den Briefträger mit Namen: Oscar Holmes. Die Kriminalbeamten suchten ihn an seiner Arbeitsstelle, aber er fehlte unentschuldigt. Holmes hat eine kleine Mietwohnung an der Ecke Dreiundzwanzigste Straße und Pine. Sie fanden sein Postauto vor dem Haus und trafen ihn dort an. Als Holmes an die Tür kam, war er ganz aufgedreht. Die Beamten sahen das Blut auf seinem Gesicht und nahmen ihn fest. Als die Durchsuchungsbefehle eintrafen, gingen die Leute hinein und fanden die Kleidung im Abfall versteckt.«

Teddy räusperte sich. »Was ist mit der Tatwaffe?«

Andrews hielt einen Moment inne und sah ihm dann in die Augen. »Es war ein Messer. Ein großes, mit so viel Blut darauf, dass die im Labor ihre Freude damit haben werden. Wir fanden es in seinem Postsack vergraben, unter den Weihnachtskarten von diesem Jahr.«

Andrews blickte auf die Straße, seine Kiefermuskeln zuckten wie bei einem Raubtier, das seine Beute auskostete. Er war zehn Zentimeter kleiner als Teddy, aber schlank und fest gebaut wie ein Vorschlaghammer. Der Mann war eindeutig nervös und offensichtlich stinksauer. Er hatte das Recht dazu, fand Teddy.

»Hier sind also die Regeln«, sagte Andrews. »Das Haus wurde freigegeben. Jeder Raum, außer dem Esszimmer. Wenn Sie sich umsehen wollen, seien Sie mein Gast, aber in den nächsten ein bis zwei Stunden wird nichts passieren. Falls Sie Fragen haben, wenden Sie sich an die stellvertretende Staatsanwältin Powell. Wo ist Barnett?«

»In den Kerkertürmen«, sagte Teddy.

»Wird er den Fall abgeben?«

»Ich bin nicht sicher.«

»Wieso sind Sie nicht sicher, Teddy Mack?«

Teddy sagte nichts, aber hielt dem Blick des Mannes stand. Nach einer ganzen Weile kehrte ihm Staatsanwalt Alan Andrews den Rücken zu und verschwand im Haus. Als die stellvertretende Staatsanwältin Powell in Richtung Tür ging, nahm Teddy einen tiefen Atemzug frischer Luft und folgte ihr hinein.

Der Gestank warf ihn fast um, als er über die Türschwelle ging. Es war ein chemischer Geruch, fast wie Säure, die in seiner Nase brannte und die Augen reizte.

»Sie behandeln den Körper mit Gas«, sagte Powell. »Sekundenkleber. Es wird noch eine Weile dauern, bis er fertig ist.« Er nickte, obwohl er nicht wusste, wovon sie sprach. Dennoch, die intensiven Abgase reichten als Erklärung aus, warum die Fenster offen standen und es sich anfühlte, als ob die Heizung abgedreht wäre.

Powell wickelte sich wegen der kalten Dezemberluft fester in ihre Jacke ein. Eine schöne Frau in dieser Umgebung zu sehen, das passte nicht ganz zusammen. Ihre Augen waren blaugrau und sanft, ihr feines Gesicht wirkte durch das schulterlange Haar noch weicher. Teddy nahm an, dass sie Ende dreißig war und Dinge gesehen hatte, die die meisten Leute, einschließlich er selbst, nie sehen oder sogar hören würden, weil das die Details waren, die nicht in den Zeitungen standen.

»Wer ist der leitende Ermittler?«, fragte er.

»Dennis Vega«, antwortete sie. »Ich werde Ihnen zeigen, wo sie die einzelnen Leute finden. Dann können Sie sich den Rest des Hauses selbst ansehen. Der Ort wurde freigegeben, aber ich wäre trotzdem noch vorsichtig damit, Dinge anzufassen. Es liegt viel Fingerabdruckpulver herum und man kann es nur schwer abwaschen.«

»Wo ist die Familie?«

»Sie haben eine Wohnung in den Bergen. Sie sind auf dem Weg hierher.« Powell drehte sich um und führte ihn durch das Foyer und um die Treppe herum. Dann fügte sie mit leiserer Stimme hinzu: »Aufgrund der ungewöhnlichen Umstände glaube ich, es ist gut, dass Sie hier sind.«

Da waren sie wieder, diese Worte: ungewöhnliche Umstände.

Teddy blickte auf den Boden und bemerkte die Abdeckplanen. Als sie das Wohnzimmer erreichten, drehten sich fünfzehn Leute in ihren Sitzen um. Sie schauten ihn einen Augenblick lang an, dann richteten sie ihre Augen wieder auf den Boden, als ob sie tief in Gedanken oder im Gebet versunken wären. Teddy erkannte an ihren Jacken, dass die drei Leute, die auf der Couch warteten, von der Gerichtsmedizin waren. Die Männer in den Anzügen sahen wie Detectives oder städtische Beamte aus und hatten auf den Stühlen Platz genommen. Die anderen schienen Tatort-Techniker zu sein, die auf langen Kisten saßen, die entriegelt, aber noch geschlossen waren. Niemand sprach, doch Teddy konnte Stimmen vom Raum nebenan hören.

Er folgte Powell weiter ins Wohnzimmer hinein und sah im Türeingang einen Mann, der rittlings auf einem Esszimmerstuhl saß und sein Gewicht auf den beiden rückwärtigen Stuhlbeinen ausbalancierte.

»So wird es funktionieren«, sagte der Mann zu jemandem. »Die Bedingungen sind perfekt. Du wirst sehen.« Teddy vermutete, dass der Mann Dennis Vega, der leitende Kriminalbeamte war. Trotz der kühlen Luft schwitzte Vega und nach dem Klang seiner Stimme schien er mehr als besorgt zu sein.

Teddy trat näher, schreckte aber zurück, als er den toten Körper auf dem Esszimmertisch ausgestreckt liegen sah. Er war unter einer milchigen Plastikabdeckung, die wie ein Zelt über den ganzen Tisch gespannt war. Teddy konnte den Körper des Mädchens nicht genau sehen, nur die vagen Umrisse. Ein Mann, der eine Gasmaske trug, war am Kopfende des Tisches und hob das Plastik hoch. Es sah so aus, als ob eine Lampe innerhalb des Zeltes aufgestellt worden sei, an deren Glühbirne ein Alu-Geschirr angebracht war. Teddy beobachtete, wie der Mann etwas aus einer kleinen Tube in das heiße Geschirr drückte, den Körper in Augenschein nahm und den Prozess wiederholte. Ein paar weggeworfene Tuben lagen auf einem Zeitungsblatt auf dem Boden. Als er die Etiketten las, wurde Teddy klar, dass Powell es ernst gemeint hatte: Der Mann spritzte Sekundenkleber in die Schale und beobachtete, wie er in der Hitze der Glühbirne verdampfte. Das Plastik war in Wirklichkeit klar – der Körper des jungen Mädchens war von einer dichten Wolke giftiger Dämpfe umhüllt.

Der Mann sah sich den Körper nochmals an. Dann senkte er das Plastik und versiegelte es am Tisch mit ein paar Federklammern. »Noch nicht«, sagte er mit einer Stimme, die durch die Gasmaske gedämpft war. Er ließ die leere Tube auf die Zeitung fallen und öffnete eine neue. Als er die Abdeckplane mit seinem Fuß zurechtrückte, sah Teddy die Blutlache auf dem Boden darunter. Er blickte hoch und sah noch mehr Blut, überall auf den Wänden verspritzt. Was immer mit Darlene Lewis geschehen war, es war brutal. Er trat einen Schritt zurück, da ihm plötzlich übel wurde.

»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte Powell.

»Es sind die Dämpfe«, log er. »Ich glaube, ich werde mich mal umschauen.«

Teddy ging wieder aus dem Wohnzimmer hinaus und durch das Foyer in die Küche. Er hoffte, sich ein Glas Wasser nehmen zu können, aber jemand hatte das Spülbecken auseinandergenommen, die Rohre und den Müllschlucker entfernt. Als er die Vorratskammer sah, drückte er die Tür auf und fand einen Trinkwasserbehälter. Der Automat war ein Industriemodell mit einem Hahn für heiß und kalt und einem Pappbecherhalter.

Teddy goss sich einen Becher ein und kippte ihn hinunter. Dann goss er sich noch einen nach, ging zum offenen Fenster und sog zwischen kleinen Schlucken kalten Wassers frische Luft in seine Lungen. Er konnte sehen, wie der Staatsanwalt auf der rückwärtigen Terrasse mit einer brennenden Zigarette und seinem Mobiltelefon auf und ab schritt. Bei der hinteren Mauer bemerkte er das Bierfässchen, das in den Schnee gepackt war.

Teddy drehte sich weg, sein Blick blieb an dem zerlegten Müllschlucker hängen. Die Verzögerung bei der Freigabe des Hauses hatte mit dem Körper des Mädchens zu tun und was immer sie mit diesen Tuben von Sekundenklebern machten, so viel war offensichtlich. Aber dass sie das Spülbecken zerlegt hatten, war auf jeden Fall seltsam.

Er warf den Pappbecher in den Müll, ging ins Foyer zurück und versuchte sich an das Haus zu erinnern, wie er es von der Straße aus gesehen hatte, um ein Gefühl für die Raumaufteilung zu bekommen. Das Wohn- und Esszimmer war auf der anderen Seite der Treppe zu seiner Linken. Hinter einer doppelten Tür zu seiner Rechten fand er ein Arbeitszimmer und ging hinein. Er überflog den Raum. Es sah so aus, also ob die Familie Lewis ihn als zwangloses Wohnzimmer benutzte. Die Sessel waren üppig gepolstert und um einen luxuriösen Orientteppich vor dem offenen Kamin gruppiert. Die meisten Möbel waren antik und der Raum strahlte Wärme und Gemütlichkeit aus. Er sah ein Gemälde über dem Kaminsims und ging hin, um es näher zu betrachten. Es war ein N. C. Wyeth. Keine Kopie, sondern ein Original.

Teddy wusste, dass das Gemälde ein Vermögen wert war. Er drehte sich um und nahm den Raum mit dem Rücken zum Kamin in sich auf. Auf der gegenüberliegenden Wand sah er drei weitere Gemälde, die er erkannte: Seurat, Gauguin und Cezanne. Er wandte sich wieder den Sesseln zu und bemerkte, dass einer so gedreht war, dass man von ihm aus diese großartigen Meisterwerke betrachten konnte. Ohne Zweifel verbrachte der Besitzer dieser Gemälde eine Menge Zeit damit, in diesem Sessel zu sitzen und sie anzustarren. Ein Raubüberfall war ganz sicher nicht das Motiv von Darlene Lewis schrecklichem Tod.

Draußen fing es schon an dunkel, zu werden. Teddy prüfte die nächste Tür und erwartete eine Damentoilette, fand aber nur Schränke. Links vom offenen Kamin war ein Eingang zur Bibliothek – ein langer, schmaler Raum mit Büchern, die alle vier Wände vom Boden bis zur Decke füllten. Hinter der Bibliothek befand sich ein weiteres Wohnzimmer, kleiner als das erste, mit einem Schreibtisch und einem Computer. Dann kamen der Waschraum, ein Frühstücksraum und dann wieder die Küche.

Teddy ging ins Foyer zurück und betrachtete es ganz genau. Eine Tür in der Wand unter der Treppe war aufgebrochen, was er bei seinem ersten Rundgang übersehen hatte. Er schob sie beiseite und fand genau das, was er erwartet hatte: Die Toilette war aus dem Boden gehoben worden. Als er die Schränke unter dem Waschbecken öffnete, fehlten auch hier die Rohre.

Er ging wieder in den Flur und warf einen Blick in das Wohnzimmer, als er die Treppe hochging. Niemand saß mehr wartend herum. Die Tatort-Techniker hatten ihre Kisten geöffnet, bauten Neonlichtlampen auf Stativen zusammen und trugen sie in das Esszimmer. Ein Mann mit einer Videokamera holte eine neue Kassette aus der Verpackung.

Teddy ging weiter die Stufen hoch und den Gang hinunter am Elternschlafzimmer vorbei, bis er ein einfaches Badezimmer fand. Er schlüpfte hinein und machte das Licht an. Auch hier war die Installation zerlegt worden. Die Cops hatten ihren Job gründlich erledigt, denn sie dachten offenbar, Oscar Holmes, der freundliche Briefträger aus der Nachbarschaft, wollte etwas loswerden. Was immer dieses Etwas war, es schien die Umstände ebenfalls ungewöhnlich zu machen.

Teddy trat in den Flur und suchte das Schlafzimmer des Mädchens. Es war die dritte Tür hinten. Er hielt an, um sie sich zu vergegenwärtigen, bevor er eintrat. Es war das Zimmer eines Teenagers. Ein Raum in der Übergangsphase, eingerichtet mit Hoffnungen und Träumen und den bleibenden Andenken an eine Kindheit, die sie gerade hinter sich gelassen hatte. Die Traurigkeit war überwältigend, denn die Entwicklung vom Mädchen zu einer jungen Frau war vernichtet worden.

Sein Blick blieb an einer alten Eichentruhe an der Wand beim Fenster hängen. Er entdeckte eine Reihe von Fotos, deshalb schaltete er das Licht ein und ging durch den Raum. Die Bilder waren zusammen mit den Messinggriffen an den Schubladen nach Fingerabdrücken untersucht worden. Ein Foto stach heraus und Teddy nahm den Rahmen an den Rändern hoch, wobei er versuchte, das dunkelgraue Pulver, vor dem Powell ihn gewarnt hatte, zu meiden. Es war ein Familienfoto, das wahrscheinlich erst kürzlich in einem Urlaub aufgenommen worden war. Es hätte in Rom sein können, aber Teddy tippte auf Paris. Er sah sich die Gesichter an, das Lächeln. Er vermutete, dass die älteste Tochter Darlene gewesen sein musste. Sie war hübsch, sehr sogar. Ihr Vater fand das wohl auch, wie Teddy erkennen konnte, denn er hielt sie fest. Teddys Blick wanderten wieder zu Darlene und er studierte ihr Gesicht. Sie war wesentlich reifer, als er erwartet hatte, fast schon zu erwachsen, um in diesem Zimmer zu wohnen.

Er stellte das Bild wieder zurück und sah sich um. Er bemerkte die Kleider auf dem Stuhl, Jeans und ein T-Shirt. Dann ging er durch das Zimmer zum Schrank und überprüfte ihre Kleidung. Er fand einen Slip, der in einem Knäuel auf dem Boden lag und hob ihn auf. Als er ihn auseinanderzog und im Licht untersuchte, klopfte jemand an die Zimmertür.

Es war die Staatsanwältin Powell, die ihn mit einem müßigen Lächeln und ihren blaugrauen Augen anstarrte.

»Genießen Sie es?«, fragte sie.

Teddy war peinlich berührt. »Sie war sexuell aktiv«, sagte er.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Da ist Scheidenausfluss. Sie hatte Sex mit jemandem, dann hat sie den Slip wieder angezogen.«

Powells Blick wanderte zum Slip und dann wieder zu seinem Gesicht zurück. »Sie war achtzehn und lebte in einer modernen Welt. Wir können noch näher darauf eingehen, wenn Sie möchten, aber ich glaube, die sind unten fertig.«

Teddy nickte und legte den Slip in den Schrank. Er warf noch einen letzten Blick in den Raum, dann drehte er das Licht aus und folgte Powell zur Tür hinaus.