SIEBENUNDVIERZIG

Es war ein sonderbarer Wunsch…

Da Teddy über Barnetts Zustand besorgt war, hatte er ihn gestern Abend im Krankenhaus angerufen, um zu sehen, wie es ihm ging. Barnett hatte ihm für den Anruf gedankt, sich aber kurzgefasst und gesagt, dass er wieder Schmerzen hätte und sich immer noch Scheiße fühle.

Nachdem er bei ein paar Bier noch einige weitere Anrufe gemacht hatte, nahm sich Teddy eine dritte Flasche, ging nach oben und hörte seinen Anrufbeantworter ab, bevor er sich schlafen legte. Unter den Nachrichten war eine von Alan Andrews persönlich. Der Staatsanwalt hatte früh am Morgen ein Treffen anberaumt, genau wie Jill gesagt hatte. Teddys erster Gedanke war, dass das FBI sich gleich an die Arbeit gemacht hatte. Anstatt bis morgen zu warten, hatten Agenten Andrews unmittelbar in dem Moment kontaktiert, als Dr. Westbrook sie angerufen und über den Fall informiert hatte. Andrews wollte ihn jedoch nicht in seinem Büro treffen. Stattdessen hatte er Teddy eine andere Adresse angegeben. Das Kunstmuseum, hatte er gesagt. Genau um neun Uhr.

Teddy betrat die Konservierungsabteilung, entdeckte Andrews und Powell bei einer Gruppe von Männern und Frauen vom Museum. Der Raum hatte das Aussehen eines modernen Labors und fühlte sich auch so an. Als er sich ihnen näherte, bemerkte er mehrere Leinwände, die an der Wand lehnten, und erkannte diese. Es waren die Werke Oscar Holmes’. Die Gemälde, die Teddy im Apartment seines Klienten gesehen hatte, als Detective Jackson ihm über die Schulter sah. Offensichtlich hatte Jackson Teddys Interesse an den Gemälden seinem Boss gemeldet, nachdem er seine Lieblingskneipe erreicht hatte.

Andrews lächelte wie eine Schlange und schüttelte Teddy die Hand. Er hatte ein Funkeln in den Augen. Powell stand neben ihm und schien ungewöhnlich zurückhaltend. Etwas war passiert und Teddy konnte das verräterische Klappern hören. Andrews war bereit zuzuschnappen.

»Danke, dass Sie trotz des vollen Terminplans Zeit für uns gefunden haben«, sagte Andrews. »Sie sind fünf Minuten zu spät.«

Teddy ignorierte den Seitenhieb. Dann stellte ihn Andrews der Kuratorin der Abteilung für moderne Gegenwartskunst, zwei Konservatoren und dem Fotografen der Abteilung vor. Nach dem Gesichtsausdruck der Anwesenden war es für Teddy klar, dass er der Außenseiter war. Alle hier wussten etwas, was er nicht wusste.

Er sah sich um und bemerkte eines von Holmes’ Gemälden auf einer Staffelei, die vor einer hochauflösenden Videokamera stand. Hinter Andrews sah er eine lange Reihe von Lichttischen, die mit Platten von Röntgenfilmen bedeckt waren.

»Warum fangen wir nicht an«, sagte Andrews zum Kurator.

Sie standen neben einem Computer. Einer der Konservatoren setzte sich an die Tastatur und öffnete ein Fenster. Während alle näher kamen, um besser auf den Monitor sehen zu können, informierte die Kuratorin sie über das, was sie in den letzten zwei Tagen gemacht hatten:

»Von jedem Gemälde wurde eine Röntgenaufnahme gemacht und eingescannt«, sagte sie. »Was Sie hier sehen, ist ein Negativbild der Oberfläche der Leinwand.«

Teddy studierte das Schwarz-Weiß-Bild auf dem Monitor und sah, dass es dasselbe Gemälde war, das er auf der Staffelei gesehen hatte. Eine friedvolle Landschaft. Die Ansicht einer Hügellandschaft mit den Schatten eines Mannes und einer Frau, die sich über ein Feld erstreckten.

»Aber es gibt ein Bild darunter«, sagte die Kuratorin.

Der Konservator klickte einen Menüpunkt an. Teddy beobachtete, wie die friedvolle Landschaft verschwand und allmählich ein zweites Bild erschien. Trotz der freundlichen Stimme und der leichten Art der Kuratorin, spürte Teddy die Angst gegen sein Rückgrat, genau zwischen die Schulterblätter peitschen. Es war ein Akt. Eine junge Frau mit blondem Haar, die aussah, als ob ihre Emotionen sie verzehrten. Da war eine Traurigkeit im Werk. Eine bedrückende Stille.

Teddy erkannte das Gesicht des Models nicht. Als er an die Vermisstenanzeigen dachte, die in Nashs Büro an der Wand hingen, bemerkte er eine Ähnlichkeit, tat es aber als Zufall ab, eine Sache des Malstils.

»Schauen wir uns noch ein anderes an«, sagte Andrews.

Teddy warf einen Blick auf den Staatsanwalt, sah dann aber wieder zum Monitor zurück. Die Schlange klapperte immer noch mit dem Schwanz. Sie hatte noch nicht zugeschnappt.

Ein zweites Schwarz-Weiß-Bild erschien auf dem Bildschirm. Nach ein paar Augenblicken erschien unter einem anderen idyllischen Rahmen ein zweiter Akt. Teddy bemerkte das blonde Haar, die übliche Knochenstruktur und erkannte, dass es dasselbe Model war. Wie verwelkt lag sie am Boden, die Melancholie so überwältigend wie beim ersten Gemälde, das sie gesehen hatten. Aber das Werk war auch schön, wie die Wärme eines Feuers, das im Kamin an regnerischen Nachmittagen brannte.

»Ich glaube, es gibt ein drittes«, sagte Andrews. »Das hat meine Aufmerksamkeit besonders angezogen.«

Teddy zuckte bei der ruhigen Präsentationsweise des Staatsanwalts zusammen. Andrews genoss den Augenblick, seine Gewieftheit quoll wie Schmieröl aus ihm heraus. Teddy versuchte, seine Fassung zu bewahren, es funktionierte aber nicht. Als das Bild eines langsam dahinfließenden Flusses im Mondschein zu verschwinden begann, erkannte er das Gesicht, den Körper, sogar die Tattoos, die an die Oberfläche traten. Es war noch ein Akt. Aber dieses Mal kannte er das Model: Es war Darlene Lewis.

Teddy stolperte zurück, als ob er geschlagen worden wäre, und alle drehten sich nach ihm um. Er schaute weg, ging zu den Lichttischen und nahm die Platten mit den Röntgenfilmen, während er versuchte, zu Atem zu kommen. Er versuchte sich zu erinnern, was Holmes am ersten Abend sagte, als sie sich trafen. Darlene Lewis hatte sich ihm gezeigt. Aber es ging nicht um Sex. Holmes hatte ihren Körper für seine Gemälde studiert.

»Ich möchte Ihnen danken«, sagte Andrews mit ruhiger Stimme.

Teddy konnte spüren, wie der Staatsanwalt jetzt direkt hinter ihm stand. Er hielt eine Akte in der Hand. Er öffnete sie und warf sie auf den Lichttisch.

»Ich habe letzten Abend mit Ihrem Klienten gesprochen«, sagte Andrews. »Er hat die Morde an Darlene Lewis, Valerie Kramp und zehn weiteren Frauen gestanden. Das ist eine Kopie seiner Aussage. Auf Seite zehn werden Sie seine Unterschrift finden.«

Teddy spürte den Biss der Schlange in seiner Haut, wie das Gift ungehindert in seinen Blutkreislauf eintrat. »Sie können nicht ohne die Erlaubnis seines Anwalts mit Holmes reden«, sagte er. »Sie haben das Gesetz gebrochen, Andrews. Dieses Papier ist nichts wert.«

»Aber ich hatte die Erlaubnis seines Anwalts«, sagte Andrews. »Nicht von Ihnen, Teddy Mack. Von Holmes Hauptanwalt. Barnett bot seinen Rat und seine Zustimmung an. Er hörte das Geständnis am Telefon mit.«

Es fühlte sich wie ein K.-o.-Schlag an. Als ob er aus einem fahrenden Auto herausgeschleudert worden wäre und mit hoher Geschwindigkeit über den Asphalt geschleift würde. Teddy blätterte durch Holmes’ Aussage, unfähig, sie zu lesen. Als er die Aussage umdrehte, erstarrte er. Hinten in der Akte war eine Kopie ihres Profils. Das Profil, das er zu Barnett ins Krankenhaus geschickt hatte. Teddys Notiz an den Mann war immer noch daran.

»Offensichtlich dachten Sie, der Mörder sei ein Künstler«, sagte Andrews. »Danke, dass sie meinen Fall aufgeklärt haben.«

»Er ist ein Künstler, Andrews. Nur nicht dieser hier. Sie haben den nächsten Fall verpfuscht. Sie haben den Falschen.«

Der Staatsanwalt lachte in sich hinein. »Sie sind jung, Teddy Mack. Sie müssen noch viel lernen. Hoffentlich haben Sie das nächste Mal mehr Glück. Barnett braucht eine Bestätigung der Röntgenaufnahmen. Wenn Sie das nächste Mal mit ihm sprechen, sagen Sie ihm, was Sie gesehen haben.«

Teddy fühlte, wie das Gift sein Herz erreichte und durch den Körper schoss. Er warf Andrews einen wütenden Blick zu und hoffte, er hätte genug innere Stärke, um den Mann nicht zu schlagen.

Der Staatsanwalt konnte dem Blick nicht standhalten und machte einen Schritt zurück. Teddy schüttelte den Kopf, immer noch fassungslos. Er dachte an Holmes sensiblen Geisteszustand und wusste, dass sein Klient allem zugestimmt hätte, wenn ihm gesagt worden wäre, es würde seine Albträume beenden. Er dachte an Barnett, dass er sie verkauft und betrogen hatte, um den Deal zu machen. Als er Powell ansah bemerkte er, wie sie etwas unter ihrem Auge wegwischte und sich abwandte.