NEUNUNDZWANZIG
Jackie, Barnetts Assistentin, machte mit der Maus ein Fenster auf und zeigte mit zittrigem Finger auf den Monitor. Teddy beugte sich vor, um es besser zu sehen. Es war eine Pressemitteilung, die verkündete, dass Nash dem Anwaltsteam beigetreten war, das Holmes verteidigen sollte. »Ich habe ihm gesagt, er soll es nicht an den Staatsanwalt schicken«, sagte sie mit nervöser Stimme. »Ich habe ihm gesagt, er soll es nicht tun, aber er tat es trotzdem. Und schau, was passiert ist. Sally hat angerufen und mir gesagt, dass er vielleicht nie mehr gehen kann.« Sie druckte eine Kopie aus und gab sie Teddy. Sie war bestürzt, ja verängstigt. Was sie da andeutete – dass Alan Andrews etwas mit Barnetts Unfall zu tun haben könnte – überraschte ihn.
Er setzte sich in den Stuhl neben ihren Schreibtisch und studierte die Kopie. Es war eine Pressemitteilung, aber es las sich mehr wie ein negativer Schlagabtausch in einer politischen Kampagne. Nashs Name wurde genannt, zusammen mit seiner Biografie. Aber auch die Ergebnisse seines Rechts-Workshops waren genau ausgeführt. Ein Unschuldiger war aufgrund von Andrews’ Fehler hingerichtet worden. Noch schlimmer: Andrews hatte Beweise unterschlagen, um die Verurteilung zu erreichen. Vor seiner Wahl zum Staatsanwalt war er von mehr als nur einem Richter als übereifriger Strafverfolger gebrandmarkt worden. Nash glaubte, dass es noch andere Fälle gab, in denen der Staatsanwalt nicht so offen und ehrlich vorgegangen war und wollte seine Untersuchung nach den Ferien in seinem Workshop fortsetzen. Sicherzustellen, dass es Andrews im Fall Holmes richtig machte, sei nur der Anfang.
Für Teddy war klar, dass beide, Barnett und Nash, Andrews Name durch den Schmutz ziehen wollten. Es war eine Botschaft. Ein erster Schuss vor den Bug: Geh auf den Deal ein oder dein Name könnte zum Thema werden und nicht Holmes. Nimm die Todesstrafe vom Tisch, sonst… Teddy bewunderte es eigentlich. Besonders jetzt, da er wusste, dass Holmes Barnetts Schwager war. Es war hässlich, ja brutal, ein kleines Beispiel dessen, was Barnett mit Andrews Namen und Ruf anstellen würde, um Holmes Leben zu retten.
»Glauben Sie, es hat etwas mit dem zu tun, was passiert ist?«, fragte Jackie.
Teddy sah hoch und bemerkte, dass die Angst sie immer noch quälte.
»Nein«, sagte er, obwohl er sich nicht sicher war. »Was mit Jim passiert ist, war ein Unfall.« Er wollte sie nicht verängstigen. Er wollte ihr nicht sagen, was er wirklich dachte.
Seit vier Uhr morgens hatte er darüber nachgedacht. Als er endlich nach Hause gekommen war, konnte er nicht schlafen. Stattdessen hatte er sich auf dem Bett ausgestreckt, den Schnee betrachtet, wie er vor seinem Fenster im Wind herumwirbelte, und seine Gedanken wandern lassen. Er konnte natürlich nicht sicher sein, aber er glaubte nicht, dass der Mann, der gestern Abend Barnett überfahren hatte, dieselbe Person war, die Darlene Lewis und Valerie Kramp ermordete. Wer immer es war, wollte nur sein silbernes Schnapsglas zurück und hatte Teddy deswegen niedergeschlagen. Aber der Mann hatte, bevor er verschwand, noch etwas getan, wodurch er als Killer nicht infrage zu kommen schien: Er hatte Teddys bewusstlosen Körper aus der Dunkelheit des freien Grundstückes gezogen und ihn vor dem Eingang von Barnetts Haus liegen lassen. Die Entfernung zur Eingangstür betrug über dreißig Meter – das war mit einer beträchtlichen Anstrengung verbunden gewesen. Mit den brennenden Lichtern im Haus war es sogar riskant. Warum? Die einzige Antwort, die Sinn zu ergeben schien war, dass der Mann wollte, dass man Teddy fand. Er hatte Teddy fest genug auf den Kopf geschlagen, um ihn bewusstlos zu machen, wollte ihn aber nicht töten.
Angesichts dessen, was Jackie ihm gerade gezeigt hatte, schien es in gewissem Maße Sinn zu ergeben. Wenn nicht, war es eine Verdrehung, die in Betracht zu ziehen war. Barnetts Unfall bedeutete, dass Teddy bei der Verteidigung von Oscar Holmes im Wesentlichen alleine dastand. Obwohl er immer noch Nash hatte, war der Druck auf den Staatsanwalt von Barnett ausgegangen. Andrews musste wütend gewesen sein, als er das Fax las – sah seine Zukunft in der Politik gefährdet und hatte um sich geschlagen.
Teddy dachte an Michael Jackson. Nicht den Tänzer, sondern den Bullen, der von Anfang an mit Andrews gearbeitet hatte und ihm wie Frankensteins Monster vorkam. Jener Mann, der Teddy durch Holmes Apartment geführt hatte, ihm von Zimmer zu Zimmer gefolgt war, während er sich eine Zigarette nach der anderen anzündete und am Rauch fast erstickte. Teddy war nicht sicher, warum ihm dieser Mann in den Sinn kam, aber er erinnerte sich an diese alte Waffe, die er im Gürtel des Beamten stecken sah. Das unheilvolle Gefühl, das ihn in dem Augenblick überkam, als sie sich trafen. Jackson war ein weiteres Nachttier und sah wie ein echter Trinker aus. Jener Typ, der in eine Bar ging, sich einen Platz weit weg vom Licht suchte und sicherstellte, dass er die Tür im Blick hatte. Wenn er derjenige war, hätte er wahrscheinlich einen Flachmann dabeigehabt. Nicht, um sich Mut anzutrinken, sondern um sich warmzuhalten.
Teddy sah auf die Uhr. Es war halb acht, seine Frühstücksverabredung mit Carolyn Powell war aber schon fünfzehn Minuten früher. Er steckte die Pressemitteilung in seine Aktentasche, ließ Jackie an ihrem Schreibtisch zurück und sagte ihr, er wäre bald wieder zurück.