ACHTUNDDREISSIG

Teddy sah auf die Uhr. Als er Nashs Büronummer in sein Mobiltelefon tippte und dessen Assistentin, Gail Emerson erreichte, sagte er ihr, dass er zwei Erledigungen zu machen habe, aber zur verabredeten Zeit nach dem Mittagessen da sein werde.

Es würde ein Vormittag werden, an dem Feuer gelöscht werden mussten, wobei es auch galt, seine Wut zu unterdrücken. Sollte er die Flammen nicht ersticken können, würde er sich ihnen zumindest entgegenstellen.

Teddy erzwang die Auseinandersetzung mit dem Gefängnisdirektor des Curran-Fromhold. Holmes war in der Daily News zitiert worden. Jemand war also zu ihm ins Gefängnis gelangt, deshalb verlangte Teddy eine Erklärung und wollte die Zelle seines Klienten sehen. Der Gefängnisdirektor protestierte. Teddy schlug mit der Faust auf die Besucherliste. Niemand von der Zeitung hatte einen Besuch im Gefängnis gemacht. Teddy war der Einzige, der sich eingetragen hatte. Der Gefängnisdirektor willigte schließlich ein, nannte den Wunsch ungewöhnlich und begleitete Teddy selbst zum Quarantänetrakt in Gebäude B.

Teddy hatte erwartet, die Insassen in Zellen hinter Stahlgittern eingesperrt zu finden. Als er den Trakt betrat, war er überrascht zu sehen, dass dies nicht der Fall war. Es war ein großer und offener Raum, der ihn an eine Cafeteria in einer Highschool erinnerte. Zwanzig oder mehr moderne Tische mit Hockern waren am Boden befestigt. Ein paar Stufen führten zu einem Sitzbereich hinab, wo ein Fernseher von der Decke hing. Hinter den Stühlen gab es eine Reihe von zehn Stahltüren. Jede Zellentür war in einem hellen Gelb gestrichen und mit einem kleinen Fenster ausgestattet. Teddy bemerkte an der Seite eine Treppe, die zu einer offenen Ebene hoch führte und noch eine Reihe von zehn gelben Türen.

Zwei Wärter saßen an einem Tisch innerhalb des Trakts beim Eingang. Als Teddy dem Gefängnisdirektor dorthin folgte und eincheckte, suchte er unter den fünfzehn Insassen, die umherliefen, nach Holmes. Sein Klient schien nicht im Trakt zu sein. Als er das Geräusch eines Basketballs hörte, drehte er sich nach rechts und sah auf der anderen Seite einer Glaswand zwei Insassen damit spielen. Dort war Holmes war auch nicht.

Ihm war klar, dass die Insassen ihn im Auge behielten, trotzdem folgte Teddy einem der Wärter die Treppe hinunter zu einer Zelle in einer Ecke ganz hinten bei einer offenen Duschkabine. Der Wärter zeigte auf die gelbe Tür, sagte, sie sei nicht verschlossen, und dass Holmes selten aus seiner Zelle kam oder sich unter die anderen mischte.

Teddy warf einen Blick auf die Insassen und sah deren angespannte Gesichter, als er nach dem Türgriff langte. Die undichte Stelle aus der Staatsanwaltschaft war bis hierher durchgedrungen. Holmes war kein gewöhnlicher Mörder mehr. Er war jetzt der Veggie-Metzger.

Teddy schwang die Tür auf und fand Holmes auf dem Boden sitzend mit einem Stück Kohle und einem Skizzenblock. Holmes schien mehr als nur ein wenig gereizt durch die Unterbrechung.

»Wenn ich Hilfe brauche«, sagte Teddy zum Wärter, »werde ich schreien.« Dann blickte er den Mann streng an und schlug die Tür zu.

Holmes ließ das Stück Kohle auf den Boden fallen. Die Zelle hatte die Größe eines Abstellraumes, ohne Gitter, und fühlte sich besonders einengend an. Zwei Betten waren an der Wand übereinander befestigt. Es war gerade genug Platz in der Zelle übrig für eine rostfreie Stahlbank und ein WC. Obwohl es ein schmales Fenster über den Betten gab, war das Glas mattiert und bot keine Aussicht.

Teddy bemerkte die Zeitungen, die auf dem oberen Bett ausgebreitet waren – jede Zeitung war auf der Seite mit dem Kreuzworträtsel aufgeschlagen. Holmes hatte die Worte mit einem Buntstift eingetragen. Obendrauf lag eine Ausgabe der heutigen Daily News.

»Mögen Sie Kreuzworträtsel, Holmes?«

Holmes nickte, sagte aber nichts. Seine Augen waren blutunterlaufen, sein Gesicht sah verbraucht aus, als ob er die ganze Nacht ohne Halt oder Tankstopp durchgefahren wäre.

»Zumindest haben Sie keinen Mitinsassen«, sagte Teddy, einen Blick auf das WC werfend. Er setzte sich auf die Bank.

»Ich habe die Zeitung gelesen«, sagte Holmes. »Die sagen, dass ich Dinge getan hätte.«

»Deshalb bin ich hier. Mit wem haben Sie gesprochen?«

Holmes blickte durch das Fenster zum Wärter, der sie von der anderen Seite der Tür anstarrte.

»Nicht er«, sagte Holmes mit einer Stimme, die kaum zu hören war. »Es gibt andere, die nachts kommen und mich hänseln.«

»Womit?«

»Steaks«, sagte Holmes. »Und echtem Kaffee.«

Teddy verstand nicht und sah ihn fragend an.

»Das Gefängnis serviert nur Truthahn«, sagte Holmes. »Wissen Sie, wie man sich nach dem Thanksgiving-Mahl fühlt?«

»Schläfrig«, sagte Teddy.

»Das ist das Tryptophan im Fleisch. Truthahn ist billig und enthält viel Tryptophan. Es wirkt wie ein natürliches Beruhigungsmittel. Das ist alles, was sie hier anbieten. Drei Malzeiten am Tag. Und nichts mit Koffein.«

»Nachts also«, sagte Teddy, »da bringen sie Steaks und echten Kaffee.«

Holmes nickte. »Als ich ihnen sagte, dass ich Vegetarier bin, lachten sie und beschimpften mich.«

»Das wird nicht mehr vorkommen, das verspreche ich Ihnen. Aber sie müssen mir einen Gefallen tun, Holmes. Sprechen Sie nicht mit den Wärtern. Sagen Sie überhaupt nichts, egal was, okay? Und passen Sie auf, mit wem Sie zusammen sind. Sie wissen nicht, wer hier wer ist.«

Holmes nickte wie ein Kind.

»Darf ich Ihr Skizzenbuch sehen?«, fragte Teddy.

»Warum?«

»Weil ich muss.«

Holmes schien zu zögern, gab es ihm aber schließlich. Teddy blätterte durch die Seiten, bis er zum Anfang kam, und betrachtete jede Zeichnung genau. Nach einer Weile wurde ihm bewusst, dass Holmes die Aussicht der Sonnenveranda in seinem Apartment neu kreierte. Sein Atelier. Er konnte den Park draußen sehen, Gestalten, die den Gehsteig wie Schatten entlanggingen.

»Haben Sie je Porträts gemalt?«, fragte Teddy.

»Ich hab’s versucht, aber sie sind nichts geworden.«

»Haben Sie immer noch Albträume?«

»Nur wenn ich schlafe«, sagte Holmes.

Teddy entdeckte ein schwaches Lächeln auf dem Gesicht seines Klienten. Das erste, das er je sah. Der Sinn für Humor bei Holmes war subtil, aber vorhanden.

Teddy gab ihm das Skizzenbuch zurück. »Was ist mir Ihrer Erinnerung an den Tag, als Darlene Lewis starb?«

Holmes Gesicht wurde wieder ausdruckslos. »Das ist der Albtraum. Der Tag, an dem sie starb.«

»Was ist mit der Zeit davor, Holmes, bevor Darlene ermordet wurde. Was haben Sie da für eine Erinnerung? Gibt es noch andere Erinnerungslücken?«

Holmes dachte darüber nach, als ob er das zuvor nicht bereits in Erwägung gezogen hätte. Nach einer Weile schüttelte er den Kopf über das, was er entdeckte.

»Erzählen Sie mir über diesen Tag«, sagte Teddy.

»Nein«, meinte Holmes.

»Wie schlimm kann es sein, wenn Sie sich nicht erinnern, was passiert ist?«

»Ich erinnere mich daran, sie berührt zu haben«, sagte Holmes. »Mit meinen Händen Dinge mit ihr gemacht zu haben.«

»Wie sieht ihr Gesicht im Traum aus?«

Holmes senkte den Blick und schüttelte den Kopf.

»Ihre Augen quellen hervor«, flüsterte er nach einer Weile. »Sie ist tot.«