Kapitel 58
Frau Treynstern versuchte, sich so leise wie möglich zu bewegen. Der Morgen war längst angebrochen, aber ihre Reisegefährtinnen schliefen noch, die eine aus Erschöpfung, die andere aus Gewohnheit. Sie selbst hatte nur ein Schläfchen gehalten, nachdem sie mit den Wirtsleuten gesprochen hatte, während der Leutnant und die Zofe sich nach Grundlsee aufmachten.
Sie hatte für das geliehene Boot bezahlt und unterließ es, eine Erklärung abzugeben, von wem oder warum es geliehen wurde. Niemand fragte. Die Leute wollten es nicht wissen. Sie sahen sie nur ein wenig mißtrauisch an und rieten ihr dann aufs Neue, mit den Damen zusammen abzureisen und das Ausseer Land zu verlassen. Im Gegenzug wollte auch Frau Treynstern nicht wissen, weshalb man annahm, sie wären in Gefahr oder wer hinter dieser Gefahr stecken mochte. Sie hatte die Wirtsleute nur informiert, daß sie am Nachmittag ein Boot mit Ruderer brauchen würde, da man vorhatte, einen Ausflug in die Berge zu machen.
Danach war sie in ihr Zimmer gegangen und hatte ein wenig geruht.
Ein wenig sorgte sie sich um das feingliedrige Mädchen, das am Vorabend ein solches Abenteuer erlebt hatte. Das zarte Aussehen der jungen Frau rührte ihre mütterlichen Gefühle. Gern hätte sie sie zurück nach Ischl geschickt.
Doch sie würde sie nicht dazu überreden. Ihr war klar, daß ein Teil der Informationen, die sie hatten, aus Quellen stammte, die nur Corrisande offenstanden. Ohne sie konnten sie nichts ausrichten. Zudem würde sie nicht heimreisen wollen. Dennoch hatte Frau Treynstern kein gutes Gefühl dabei.
Vielleicht sollte sie sich keine Sorgen machen. Sí waren um einiges widerstandfähiger als Menschen. Arpads Antlitz erschien vor ihrem geistigen Auge, seine schmale, junge Gestalt, seine ungeheure Zähigkeit. Nur wenige Dinge konnten ihm etwas anhaben. Es war möglich, ihn zu töten, das wußte sie, doch man brauchte Kalteisen dafür, und das war schwer zu bekommen. Er war nie krank. Kleine Verletzungen heilten in Sekunden. Sie wußte nicht, wie lange er gebraucht hatte, um sein Herz zu heilen, vermutlich nicht länger als eine Stunde.
Fey zeugten nur selten Kinder, hatten generell wenig Nachwuchs. Das war erstaunlich, wenn man bedachte, was für körperlich orientierte, leidenschaftliche Kreaturen sie waren. Doch Liebe war für sie nicht nur Mittel zum Zweck. Genaueres wußte sie nicht, denn Torlyn hatte nie viel darüber erzählt.
Sie hoffte, das Fey-Element in Corrisande würde ihre Schwangerschaft schützen, denn die war etwas Außergewöhnliches. Das Schwimmen bei eiskalten Temperaturen schien sie gut überstanden zu haben. Vielleicht war ihr geheimnisvoller Vorfahr ein Wasserwesen? Dafür sprach die Fähigkeit, unter Wasser zu atmen. Arpad konnte es nicht. Er mochte keine großen Wasserläufe und haßte Bergquellen. Zu lebendig, hatte er ihr einmal erklärt. Wasser war voller Leben, das in seiner Gesamtheit stärker war als er.
Sie hatte damals kaum glauben können, daß es etwas geben sollte, das ihn an Stärke übertraf. Er war in vielerlei Hinsicht ein so starker Mann. Sie fürchtete sich davor, ihn wiederzusehen. Ihre Empfindungen für ihn hatten sich nie geändert. Ihre Entscheidung, ihn zu verlassen, war von der Vernunft bestimmt gewesen, nicht vom Gefühl. Sie wußte nicht, wie sie damit umgehen würde, daß er sie alt sah, über Fünfzig, mit grauem Haar und Falten um den Augen.
Sie verdrängte den Gedanken. Sie hatten ihre Zeit gehabt. Sie war damals jung und hübsch gewesen, wie heute die Sängerin. Nun waren andere Dinge wichtiger, das Wohlergehen ihres Sohnes, das der jungen Frau, die sie unter ihre Fittiche genommen hatte, und natürlich das Torlyns.
Während sie versuchte, sich ohne die Hilfe einer Zofe anzukleiden, beobachtete sie die anderen beiden Frauen im Schlaf. Die Diva sah selbst schlafend exquisit aus. Ihre Lippen waren leicht geöffnet, ihr Haar war der Nachthaube entkommen und hing wie ein goldener Seidenvorhang vom Kissen. Sie verstand Torlyn. Die Frau war ein Traum.
Corrisande konnte mit Cérises Aussehen nicht konkurrieren. Sie war süß und liebenswert, doch nicht schön. Die zielbewußte Sachlichkeit, die sie bisweilen an den Tag legte, war das einzige Indiz, daß sie älter war als achtzehn. Doch das Talent zu tun, was nötig war, hatte sie in dieser Nacht verraten. Sie zuckte unruhig. Ihre Fingernägel krallten sich ins Deckbett. Was immer sie träumte, es schien unangenehm zu sein.
Vielleicht träumte sie von dem Wassermann, der sie verführt hatte – wenn man es denn Verführung nennen konnte. Notzucht war ein passenderes Wort, denn eine Wahl hatte sie nicht gehabt. Dennoch hatte die heftige Reaktion der jungen Frau ihren Grund eher in Schuld als in Abscheu und Ekel.
Er war Torlyn ähnlich, hatte sie gesagt, und Torlyn wußte, wie man Frauen gefügig und willfährig machte, wie man sie mit wilder Leidenschaft und Lust erfüllte. Er wußte diese Leidenschaft auch zu befriedigen. Das Talent war Teil von ihm, und die von ihm Erwählten genossen es. Sie erinnerten sich nicht daran, wenn er nicht ausdrücklich entschied, daß sie das sollten, doch sie erwiderten seine Lust und sein Vergnügen und gaben ihm, was er zum Überleben brauchte, Leidenschaft und Blut.
Der Unterschied zwischen ihm und – wie hatte sie ihn noch genannt? – Iascyn war vermutlich nicht sehr groß. Corrisande fühlte sich schuldig, nicht weil dieser sie überwältigt hatte, sondern weil sie es genossen hatte.
Frau Treynstern schmunzelte. Sie war ehrlich genug, sich einzugestehen, daß ihr eine solche Begegnung ganz recht gewesen wäre. Im Leben der über jeden Zweifel erhabenen Witwe fehlten manche Dinge nun schon sehr lange. Ein kleines, geheimes Fey-Abenteuer wäre angenehm. Nur sollte man vermutlich für diesen Herrn des Sees unter Wasser atmen können. Wenn das so war, bekam er wohl nicht oft die Gelegenheit zur Liebe. Doch vielleicht konnte er aus dem Wasser heraus? Sie wußte es nicht.
Sie gab es auf, sich anzukleiden, denn sie konnte ihr Korsett nicht schließen. Marie-Jeannette fehlte.
„Philip!“ Corrisande erwachte mit dem Namen ihres Gemahls auf den Lippen. Ihre Liebe zu ihm war rührend. Frau Treynstern hoffte inständig, der enigmatische Gentleman würde nie die Wahrheit über diese Nacht erfahren, doch sie machte sich keine allzu großen Hoffnungen.
Himmelblaue Augen starrten in ihre Richtung und nahmen sie schließlich wahr.
„Oh“, flüsterte Corrisande enttäuscht. „Guten Morgen, Frau Treynstern.“
„Sophie“, berichtigte die Ältere leise. „Guten Morgen. Ich habe Sie jetzt schon so oft beim Vornamen genannt. Wenn es Ihnen recht ist, wollen wir nicht wieder förmlich werden. Das Schicksal hat uns zusammengeführt.“
„Ich stehe nach gestern Nacht nicht auf so gutem Fuße mit dem Schicksal“, brummte Corrisande.
Sophie nickte lächelnd.
„Gewiß. Aber Grollen nützt nichts. Es ist sinnlos, über das zu klagen, was bereits geschehen ist. Sie müssen nach vorn blicken.“
Corrisande seufzte.
„Ich weiß“, flüsterte sie. „Ich weiß es. Ich sollte aufstehen. Schläft Cérise noch?“
„Wie ein Murmeltier.“
„Sie ist Sängerin. Ihre Aktivitäten finden vermutlich meist abends oder nachts statt. Kein Wunder, daß sie kein Morgenmensch ist“, sinnierte Corrisande. „Durchtanzte Nächte, erlauchte Gesellschaft und eine Flut von Verehrern. Das muß sehr anstrengend sein.“
Frau Treynstern schmunzelte.
„Wir müssen sie nicht allzu sehr bemitleiden. Corrisande, meine Liebe, ich inkommodiere Sie nur ungern, aber könnten Sie mir mit meiner Schnürung helfen? Marie-Jeannette ist ja nicht da. Ich hoffe, es geht ihr gut. Ich habe das Mädchen nicht gern mit diesem jungen Mann fortgeschickt.“
Corrisande schwang die Beine aus dem Bett und griff nach ihrem Morgenmantel.
„Solange von Görenczy ihre einzige Sorge ist, ist sie in keiner großen Gefahr. Ich bin sicher, daß er sie nicht gegen ihren Willen belästigen wird, und sie ist viel zu gewitzt, um irgendwelchen falschen Eheversprechen Glauben zu schenken. Sie kennt die schicklichen Grenzen. Sie ist viel vernünftiger, als man glauben möchte. Vermutlich schützt sie den Leutnant vor seinem eigenen Draufgängertum. Er ist ein guter Kämpfer, aber ich halte ihn nicht für einen gewieften Pläneschmied.“
Sie stand behende auf und stellte sich hinter Sophie, um ihr das Korsett stramm zu ziehen.
Während die ältere Frau eine graue Wollbluse und einen grünlichen Rock anlegte, suchte sie selbst im Schrank nach ihren Sachen und breitete sie auf dem Bett aus.
„Ziehen Sie sich warm an“, empfahl Sophie. „Ich weiß nicht, was heute Nachmittag geschehen wird, doch sollten wir in diesem Höhlensystem landen, sollten wir entsprechend gekleidet sein. Ich werde Sie jetzt allein lassen, damit Sie Ihre Morgentoilette halten können. Ich werde einen Picknickkorb bestellen. Vielleicht sollten wir zur Sicherheit auch eine Laterne und Kerzen mitnehmen.“
Sie nahm ihren Mantel und verließ das Zimmer.
Die Luft war frisch, und obgleich die Sonne schien, war es eher kühl und windig. Der Herbst hatte Einzug gehalten. Sie wußte, daß der Winter hier droben nicht mehr weit war.
Der See glänzte im Sonnenschein wie Silber. Fast wirkte er glücklich. Kleine Wellen schlugen ans Ufer wie die Begleitung zu einem Lied. Das Laub der Bäume trudelte fröhlich im Wind, der an den Ästen zerrte. Blätter schwammen auf dem Wasser und zierten es wie ein farbenprächtiger Blütenteppich. Wie Hochzeitsschmuck wirkte es und bekümmerte Frau Treynstern außerordentlich.
Sie trat auf den Anlegesteg, der sich hinaus aufs Wasser erstreckte. Eine Reihe Boote war dort angebunden und hob und senkte sich rhythmisch mit der Bewegung der Wellen.
Sie ging ans Ende des Stegs, blieb am Rand stehen und blickte über den See. Sie konzentrierte sich, faltete die Hände, damit sie nicht nervös zappelten.
Sie kannte seinen Namen und konzentrierte sich auf das, was sie von ihm wußte. Iascyn. Corrisande hatte nicht gewußt, welche Ehre ihr zuteil geworden war, als er ihr seinen Namen offenbarte. Wahrscheinlich rechnete er nicht damit, daß sie ihn weitergab. Vielleicht hatte er aber auch nicht angenommen, daß sie ihn wieder verlassen würde. Iascyn, der ein prächtiges Wesen war und ein Reich von berauschender Pracht regierte. So viel wußte Sophie von ihm.
Viel war es nicht, doch vielleicht würde es reichen.
„Fürst Iascyn“, sagte sie und sandte ihre Stimme weit über das Wasser, ohne allzu laut zu werden. „Fürst Iascyn, bitte gewähren Sie mir ein Gespräch. Ich bin Sophie. Ich stehe hier für die Mutter des Mädchens.“ Sie nannte Corrisandes Namen nicht. Vielleicht wußte er ihn nicht. Vielleicht hatte er nicht gefragt.
„Fürst Iascyn!“ rief sie ein drittes Mal.
Eine Welle traf sie, hob sich aus der eben noch ruhigen Seeoberfläche und spülte über den Steg hinweg. Der Saum ihres Kleides wurde naß. Sie zwang sich, nicht zurückzuweichen, sondern weiter auf die Fluten zu blicken. Aus dem hellen Spiegel formte sich ein Gesicht.
Himmel, war er schön! Seine großen, ausdrucksvollen Augen wechselten andauernd die Farbe, glitzerten wie der See selbst – weiß, grünlich, blau und manchmal sonnengold. Lange, moosgrüne dunkle Wimpern rahmten diesen Blick. Sein Haar hatte die gleiche Farbe. Es trieb im Wasser um seinen Kopf wie ein Glorienschein. Sein Mund war sinnlich und erinnerte sie so sehr an Torlyn, daß sich ihr Herz zusammenkrampfte.
Er erhob sich bis zur Körpermitte aus dem Wasser, sein Torso war nackt und muskulös.
„Was willst du, Menschin?“ Er klang entspannt und gelangweilt, vielleicht sogar ein wenig entnervt. Er hatte keine Lust, sich von ihr stören zu lassen.
Sie knickste höflich und ignorierte die spitzen Zähne in seinem Mund.
„Ich bitte darum, mit Ihnen sprechen zu dürfen. Ich bin Sophie. Ich bitte um eine Gunst.“
Er lachte überheblich.
„Was läßt dich glauben, ich hätte Gunst zu verschenken? Was läßt dich glauben, ich hätte überhaupt etwas zu verschenken?“
„Die Dinge müssen im Gleichgewicht sein. So hat es mich mein Liebster gelehrt“, entgegnete sie behutsam. „Wer nimmt, muß auch geben, oder er ist ein Zerstörer. Sie haben heute Nacht viel genommen.“
„Was geht dich das an? Das Leben und die Entscheidungen der na Daoine-maithe sind jenseits deines Verstandes.“
„Das weiß ich“, erwiderte sie und kämpfte gegen das ängstliche Unbehagen an, das langsam von ihr Besitz ergriff, versuchte, nichts zu zeigen als perfekte Fassung. Dabei wußte sie allzu genau, daß er ihren Gemütszustand auch durch die Fassade äußerlicher Ruhe lesen konnte. „Mein Liebster war … ist einer von euch. Er hat mich manches gelehrt.“ Sie holte tief Luft. „Sie können die Frau nicht behalten. Sie kann Ihnen nicht gehören.“
„Menschin, versuchst du mir zu sagen, was ich tun darf und was nicht?“ Seine Stimme war leise, doch schien sie direkt in ihren Ohren zu tönen, hallte wider in ihrem Herzen und ließ ihren Mut bröckeln. „Du bist dreist. Weißt du nicht, daß ich dich mit einem Gedanken töten kann?“
Sie versuchte, die Angst nicht zu zeigen, die seine Worte, sein ganzes Wesen in ihr auslösten. Sie hielt die Füße eisern still, obgleich sie danach drängten, auf festen Boden zurückzulaufen. Sie neigte den Kopf und rang sich ein höfliches Lächeln ab.
„Ich weiß. Ich weiß, daß Sie mich töten können und ich nichts gegen Ihre Macht ausrichten kann. Doch die Menschen in diesem Tal leben friedlich und lieben den See, vertrauen ihm. Deshalb weigere ich mich zu glauben, daß Sie ein Zerstörer sind und hoffe, Sie vergeben mir meine Offenheit. Das Mädchen, das Sie gestern Nacht … getroffen haben, ist nicht frei, und Sie haben ihr keine freie Wahl gelassen. Sie haben sie sehr unglücklich gemacht.“
Er lächelte. Ihr Herz raste ob der durchdringenden Pracht dieses Lächelns.
„Ganz im Gegenteil. Ich habe sie sehr glücklich gemacht. Ihre Seele ist so großzügig wie ihr Körper, und beide genoß ich. Sie ist mein. Sie wird glücklich sein.“
„Bei allem nötigen Respekt – Sie können sie nicht haben. Sie liebt ehrlich und aufrichtig einen anderen. Sie trägt sein Kind. Außerdem brauchen wir sie dringend, damit sie uns hilft, die Menschen zu befreien, die im Berg eingeschlossen sind. Sie wissen von diesen Menschen? Wissen Sie auch von den anderen, die in den Bergen Vernichtung planen, die Vernichtung Ihrer Rasse wie der meinen? Wir brauchen die Frau.“
Er sah sie aufmerksam an, ohne zu antworten, und so fuhr sie fort: „Einer der im Berg Gefangenen ist von Ihrer Art. Mein Herz wird zerspringen, wenn wir ihn nicht retten können.“
Sein Lächeln wurde spöttisch.
„Der Mann, der dich manches lehrte?“ fragte er, und sie nickte. „Da haben wir ihn also wieder, und ich dachte, du wärst tatsächlich an dem Wohlergehen meiner kleinen Nereide interessiert. Einen Moment lang habe ich dir fast geglaubt, Menschin.“
„Sie können mir glauben, Hoheit. Ich mache mir Sorgen um sie und um ihr Kind. Sie wiederum macht sich Sorgen um ihren Ehemann. Ihre Mutter ist tot, so hat sie nur mich, die für sie spricht.“
„Sie scheint unter einem Übermaß an Müttern zu leiden“, seufzte der Sí mit einem unfreundlichen Lächeln. „Mehr Mütter, als sie jemals braucht – und auch mehr Männer. Sie braucht nur mich. Doch ich werde sie euch lassen. Sie darf mit euch gehen und ihre Aufgabe erfüllen. Davon will ich sie nicht abhalten.“
Sophie verbeugte sich erneut.
„Danke. Sie werden Sie also in Frieden lassen?“
Er grinste sie boshaft an.
„Das habe ich nicht gesagt, Menschin. Ich werde sie rächen, wenn sie in Ausübung ihrer Pflicht fällt. Ich werde sie holen, wenn sie siegt und überlebt.“
„Bitte, Hoheit …“
„Geh zurück aufs trockene Land, Menschin. Sag ihr, ich warte darauf, daß sie ihren Kampf gewinnt. Dann ist sie mein, und sie wird glücklich sein. Ich werde sie weit mehr erfreuen, als es ihr menschlicher Liebster je könnte.“
„Ich bitte Sie inständig, Hoheit – Sie werden ihr und ihm das Herz brechen …“
„Menschenherzen heilen schnell, Frau. Ein Augenzwinkern, und der Schmerz ist fort. Ein weiteres Augenzwinkern, und ihr seid vergangen. Kannst du dir nicht vorstellen, wie es ist, einsam zu sein? Ich entstand zusammen mit diesem See. Gefährten, mit denen ich mein Reich teilen kann, sind selten. Du kannst nicht ermessen, wie lange ich schon allein bin, und da besitzt du die Unverfrorenheit, mir die Liebe verweigern zu wollen, weil sie einen Sterblichen unglücklich macht, der in ein, zwei Atemzügen zu Staub zerfällt und zu Asche wird?“
„Fürst Iascyn!“ sprach Sophie, obgleich sie fühlte, daß seine Ungeduld stetig wuchs. „Auch sie ist ein Menschenwesen und wird sterben, noch bevor Sie mit Ihrem Augenzwinkern fertig sind. Was wird aus ihrem Kind?“
Er lächelte sie mit geschlossenen Lippen an, und in der nächsten Sekunde war er verschwunden. Nichts blieb zurück außer einer funkelnden Welle.
„Ich werde es ihr nicht sagen, Hoheit“, murmelte sie dem Wasser zu. „Gar nichts werde ich sagen. Sie sind nicht das einzige Wesen auf der Welt, das weiß, was Alleinsein bedeutet. Ich kenne das Alleinsein zur Genüge. Doch das gibt mir und Ihnen nicht das Recht zu zerstören.“
Sie wandte sich um. Ihre Knie waren weich und bebten. Viel wußte sie nicht über andere Fey. Nur Torlyn hatte sie gut gekannt, und er hatte ihr nicht viel erzählt. Nur daß sie Leben bewahrten oder es zerstörten – ein Konzept, das sich von dem der Menschen unterschied und doch ähnlich war. Zerstört hatte diese Kreatur sie nicht. Doch sie hatte ihre Macht und ihren Willen gespürt, und auch seine Verachtung Menschen gegenüber. Torlyn verachtete die Menschen nicht. Er benutzte sie, entflammte sie, manipulierte sie und manchmal, manchmal mordete er sie. Doch er sah sie nie als nichtig an.
Vielleicht würde er eingreifen, wenn sie ihn befreiten. Oder vielleicht würde der Ehemann seine junge Frau retten können, sofern sie ihn fanden und man ihn über die Gefahr informierte. Das hieße freilich, ihm die Angelegenheit in ihrer Gesamtheit zu schildern. Nichts, was sie vorhatte.
Vor der Gaststätte stand eine Holzbank, und sie ließ sich schwerfällig darauf nieder und blickte zu Boden. Nach einer Weile bemerkte sie, daß sie nicht allein war. Die Wirtin stand neben ihr und musterte sie.
„Er hat mit Ihnen geredet“, sagte sie. „Er hat schon lange mit keinem mehr geredet. Das letzte Mal ist Generationen her.“
Sophie nickte.
„Kein Wunder, daß er einsam ist“, sagte sie.
Die Wirtin setzte sich neben sie und sah über den See.
„Sind Sie eine weise Frau, daß Sie ihn dazu bringen können, mit Ihnen zu reden?“ fragte sie nach einer Weile, und Sophie sah, daß sie mit der Hand eine versteckte Geste gegen den bösen Blick machte.
Sophie schüttelte den Kopf.
„Leider nicht. Er hat sich einfach entschlossen, mit mir zu sprechen.“
Sie blickte über den sonnenbeschienenen See. Ein herrliches, einsames Gewässer mit verborgenen Untiefen.
„Die Männer letzte Nacht“, fuhr die Wirtin fort, „würden ihn gerne finden. Haben Sie ihm das erzählt?“
„Er weiß es“, antwortete Sophie. „Er weiß so vieles und will von anderem gar nichts wissen.“
Die Wirtin nickte.
„So sind sie. Ich werde den Proviantkorb für Sie fertig machen. Mein Sohn wird Sie am Nachmittag selbst nach Gössl rudern. Seien Sie vorsichtig. Wir können Ihnen nicht helfen. Der Baron ist ein mächtiger Mann. Wir leben hier.“
„Das verstehe ich“, sagte Sophie.