Kapitel 55
In Höhlen war es kalt. Es war um so kälter, wenn man bis auf die Haut durchnäßt war. Delacroix fror.
Durch den Felsspalt über ihnen drang ein dünner Streifen schwachen Lichts wie ein spöttischer Gruß aus unerreichbarer Freiheit. So nah und doch so fern. Sie saßen fest.
Die Höhle war geneigt. Am unteren Ende öffnete sich ein Abgrund, schwarz und zugig. Er gaukelte einen Fluchtweg vor. Sie hatten diesen Weg nicht genommen, da sie nicht auskundschaften konnten, wie tief der Schacht war und ob man sich beim Abstieg nicht alle Knochen brechen würde.
Delacroix mißfielen die Aussichten. Er mochte die Situation nicht, und bis auf die Knochen durchgefroren zu sein half auch nicht.
„Jetzt ziehen Sie schon die nassen Sachen aus! Sie werden noch eine Lungenentzündung bekommen, wenn Sie weiter darin rumlaufen, und apropos laufen. Hören Sie auf, hier auf und ab zu rennen. Ich habe Angst, Sie fallen mir in das Loch.“
„McMullen, mir wird nicht wärmer sein, wenn ich mich … entblöße, und ich will verdammt sein, wenn ich zulasse, daß mich unsere Feinde mit heruntergelassenen Hosen erwischen. Dem Tod kann ich ins Auge sehen, aber an meiner Ehre hänge ich.“
„Dann setzen Sie sich wenigstens hin. Sie machen mich ganz nervös, und ich muß mich konzentrieren.“
„Ich bin schon nervös, McMullen. Sie haben sie nicht schreien gehört, sonst wären Sie es auch. Meine Ehefrau ist in Gefahr, und ich bin nicht für sie da.“
„Genau. Sie können nichts tun, Delacroix, und Sie können auch nichts für gegeben hinnehmen, nicht einmal den Eindruck, daß sie in Gefahr ist. Sie laufen hier schon ich weiß nicht wie lange auf und ab und knurren die Schatten an. Ich habe Ihnen mehr als einmal gesagt, Sie sollen sich hinsetzen und ausruhen. Es ist mir ernst. Ich versuche, mir eine Lösung zu überlegen, etwas, das uns besser vor unseren Feinden verbirgt, und Sie stören meine Konzentration. Ihr Motto war immer zu tun, was getan werden muß, und was jetzt getan werden muß, ist, daß Sie sich hinsetzen und ruhig sind. Entkleidet oder naß, setzen Sie sich!“
Delacroix zwang sich, sich auf dem Höhlengrund niederzulassen. Kaum hatte er aufgehört, sich zu bewegen, wurde ihm noch kälter.
„Ich mache mir Sorgen“, brummelte er, „und lasse mich von diesen Sorgen beherrschen. Tatsache ist“, er hielt inne und kniff ärgerlich die Augen zusammen, „daß man viel draufgängerischer ist, wenn man nichts zu verlieren hat. Nicht, daß mir früher je aufgefallen wäre, daß ich nichts zu verlieren hatte. Nur jetzt habe ich so unendlich viel zu verlieren …“ Er sprach nicht weiter.
„Ich weiß. Aber vertrauen Sie auf Ihre Gemahlin. Ich kenne sie. Sie ist die kleine Person, die freiwillig den Köder für eine der abscheulichsten Kreaturen im Universum gespielt hat. Sie ist das Mädchen, das den Mann erstochen hat, der versuchte, Sie zu töten, und sie ist die Frau, die in einem Unterwassertunnel ohne Luft überlebt hat, weil sie ganz einfach Wasser geatmet hat. Ihre zierliche kleine Frau, Delacroix, ist zäh wie Leder und sehr selbständig. Ich würde sie gerne mal genauer untersuchen, um mehr über ihr seltsames Erbe zu erfahren.“
Delacroix entgegnete hölzern: „Seien Sie versichert, eine Untersuchung meiner Gattin ist unnötig. Sie ist nicht krank.“
„Aber äußerst ungewöhnlich. Vielleicht ist Wasseratmen ja nicht ihr einziges Talent. Unter der vorsichtigen Führung eines Meisters des Arkanen mag sie vielleicht weitere schlummernde Talente entdecken.“
Der Ex-Soldat blickte seinen Freund in den Schatten drohend an und unterdrückte ein erneutes Knurren.
„Meine Gemahlin ist glücklich damit, Mensch zu sein, vielen Dank. Die Aspekte in ihrem Leben, die darüber hinausgehen, irritieren sie. Sie ignoriert sie.“
McMullen nickte.
„Genau wie Sie. Sie ignorieren auch am liebsten Ihre Andersartigkeit.“
„Was für eine Andersartigkeit? Meine Augenfarbe verleiht mir keine besonderen Fähigkeiten. Ich gebe zu, meine Nachtsicht ist gut, doch sie geht auch nicht wesentlich über das normale Maß hinaus.“
„Ihre gelben Augen sind nicht das einzige an Ihnen, das Sie von anderen Menschen unterscheidet. Das wissen Sie genau. Sie haben mir erzählt, was mit Ihnen geschehen ist. Ich würde an diesem Erbe – oder was immer es ist – gewiß nicht zum Spaß herumpfuschen, und keinesfalls ohne die Unterstützung einer ganzen Gruppe versierter Kollegen. Doch ich habe seit langem den Verdacht, Ihr unheimliches Kindheitserlebnis sei mehr als nur eine schlechte Erinnerung. Auch Sie wären ein anregendes Studienobjekt. Ich fürchte nur, wir würden – sollten wir zum Kern Ihres Erlebnisses vorstoßen –mehr finden, als uns lieb ist. Haben Sie immer noch Alpträume?“
Delacroix blickte ihn verdrießlich an. Dann verzog sich sein Mund zu einem bitteren Lächeln.
„Ab und zu. Ehe wir losgeritten sind, hatte ich einen, in dem Corrisande starb. Es war gewalttätig, blutig und grausam.“
„Erzählen Sie mir davon?“
„Ganz sicher nicht.“
„Haben Sie ihr davon berichtet?“
„Ganz sicher nicht.“
„Ihr Kopf ist wie dieser Fels hier.“
„Nicht ganz so naß.“
„Gut. Lassen Sie mich das umformulieren. Ihr Schädel ist wie Granit. Dieses Gebirge ist aus Kalkstein. Er kann nicht mit Ihnen konkurrieren. Ich könnte Ihnen eventuell helfen!“
„Danke. Ich bin in der Lage, meine Probleme selbst zu bewältigen, und ich weigere mich kategorisch, mich von Träumen erschrecken zu lassen.“
„Ihre Weigerung ehrt Sie, ist aber ganz nutzlos. Wenn die Träume Sie nicht erschrecken würden, wären sie keine Alpträume. Doch ich werde Sie nicht zwingen. Noch nicht. Vielleicht wird der Tag kommen, an dem Sie sich mit dem Erbe befassen müssen, das die Kreatur in Ihnen hinterlassen hat. Manchmal kann spüre ich es, wissen Sie. Wenn Sie sehr wütend sind oder sehr angespannt.“
Delacroix schwieg. Er wußte, daß die Wahrnehmung McMullens auf mehr Sinnen beruhte als den üblichen fünf. Er sah und fühlte mehr als ein Durchschnittsmensch. Doch was immer McMullen in Delacroix zu empfinden meinte, der Ex-Offizier hatte nicht die Absicht, sich damit auseinanderzusetzen.
So schwieg er, konzentrierte sich lediglich darauf, nicht mit den Zähnen zu klappern. Es war verteufelt kalt. Beinahe wäre er aufgesprungen, um wieder in der Höhle auf und ab zu laufen. Er erinnerte sich gerade noch rechtzeitig an den Wunsch McMullens nach etwas Ruhe und Frieden. Der ließ immerhin vermuten, daß McMullen schon mehr als eine vage Ahnung hatte, was er zu tun gedachte. Er arbeitete an einer Lösung, die sie hier herausbringen würde – zu Corrisande. Im Kopf hörte er ihre Stimme. Ich liebe dich, sagte sie und klang unglücklich und zerschlagen dabei. Mein Nixchen, dachte er, doch schon war sie wieder verschwunden, der Eindruck ihrer jähen Präsenz verklungen.
Die Zeit verrann, und die beiden schwiegen. Delacroix sah die Intensität in McMullens Antlitz. Der Magier hielt die Augen geschlossen, seine Lippen bewegten sich wie in stillem Gebet. Nach einer Weile stand er auf und drehte sich um sich selbst. Dabei hielt er die Hände seitlich ausgestreckt.
„Kommen Sie her. Bringen Sie all unsere Sachen“, brummte er schließlich. Delacroix rappelte sich auf, nahm die Laterne und die Mäntel und trat auf den Gefährten zu.
„Viel näher. Ich beiße nicht. Sie müssen innerhalb des Radius meiner Arme stehen.“
Delacroix wünschte sich, wie schon so oft, sein Freund würde etwas ausführlicher Auskunft geben, was er vorhatte. Doch es war immer das gleiche. McMullen erklärte so wenig wie möglich, und Delacroix mußte ihm völlig vertrauen. Leicht fiel ihm das nicht. Er war ein Mann, der seine Lage gern selbst einschätzte, um seine Chancen und Risiken kalkulieren zu können. Meister des Arkanen aber erwarteten blindes Vertrauen.
Er trat so nah heran, daß ihre Jacketts sich berührten.
„Nicht bewegen“, befahl McMullen. „Ich weiß nicht, ob das funktionieren wird und was genau geschehen kann. Doch Sie müssen unbedingt innerhalb des Radius meiner Arme bleiben.“
Delacroix rührte sich nicht. Er stand da wie angefroren, was in Anbetracht der Kälte und seiner feuchten Sachen mehr war als eine leere Phrase. Über sich sah er den dünnen Lichtstrahl, der durch die schwarze Höhle schnitt, und mit einem Mal änderte sich das Licht. Es wurde zum langgestreckten Regenbogen, in seiner Geradheit ein Widerspruch in sich, ein bunter Strahl. Die Farben wanderten langsam die Gerade entlang. Was eben noch eine Säule frühmorgendlichen Lichts gewesen war, schien nun die Konsistenz feinen Grieses anzunehmen. Es surrte, doch Delacroix konnte das Geräusch nicht vernehmen.
Er konzentrierte sich darauf, sich nicht zu bewegen. Aus den Fingerspitzen McMullens floß ein zartes, goldenes Licht, das sie wie eine transparente Eierschale umgab. Delacroix duckte sich automatisch, als ihm bewußt wurde, wie viel größer er war als der Meister.
Er war zu langsam. Die goldene Hülle schloß sich über seinem Kopf, berührte sein schwarzes, nasses Haar, und als Nächstes spürte er einen Blitz durch sich hindurch fahren, der in einer Zickzacklinie unerträglichen Schmerzes von Kopf bis Fuß durch seinen Körper schoß. Ihm wurde schwarz vor Augen, und seine Wahrnehmung stülpte sich nach innen. Er sah sein Herz rasen, hörte sein Blut durch seine Adern kochen, konnte seiner Lunge dabei zuschauen, wie sie gegen den Impuls ankämpfte, sich gegen die brennende Luft zu verschließen. Dann sah er den lebenden Mittelpunkt seines Jähzornes. Wie eine zusätzliche Seele, ein fauler Kern aus Haß, reckte ein nur vermeintlich fremdes Geschöpf Ranken von Zerstörungswut durch seinen Körper und betrachtete ihn mit seinen eigenen gelblichen Augen.
Er zwang sich, den Blick abzuwenden wie von einer Szene, die zu brutal ist, um sie ertragen zu können. McMullen hatte einen Fehler gemacht. Das war alles, was er denken konnte. Dann spürte er, daß er fiel, rasend schnell immer tiefer stürzte, und fragte sich, ob der unausweichliche Aufschlag ihn gleich töten würde, oder ob er noch lange zerschlagen auf den Tod würde warten müssen.
Er fiel und fiel und konnte gar nichts tun. Es gab nichts zu bekämpfen, obgleich alles in ihm danach drängte, gegen das Unheil zu wüten. Seine Hände zuckten nach einer Waffe.
Ein Schrei hallte von den Wänden wider. Sein Schrei. Zwei Schreie. Er fragte sich, warum er mit zwei Stimmern schrie, und sein Gedächtnis ließ ihn wie einen dummen Lehrling wissen, daß der andere Schrei McMullen gehörte. Aengus, verflucht, tu was, wollte er brüllen, doch seine Stimme war mit wortlosem Schreien beschäftigt, und sein Leib gehorchte den Kommandos aus seinem streitbaren Inneren nicht. Gottverdammte arkane Mächte, dachte er, und ein Kichern erschallte direkt neben ihm.
Sie waren nie für euch gedacht, sagte eine Stimme in seinem Kopf. Es war eine gutmütige, junge Mädchenstimme. Ein Paar Hände berührte für den Bruchteil eines Augenblicks die seinen.
„Corrisande?“ rief er. Er landete auf dem Boden, langsam und weich.
Seine Sinne schwammen, seine Sicht kam nur langsam zurück. Mit einer bewußten Inspektion seiner selbst stellte er fest, daß er sich nichts gebrochen hatte, daß er lebte. Kaum zu glauben, doch nicht zu leugnen. Seine Kleidung war unerträglich heiß. Sein Haar roch angesengt. Eine Waffe. Er brauchte eine Waffe.
Er lag auf hartem Grund, und doch war er darauf gelandet wie auf einem Federbett, als hätte etwas seinen Sturz gebremst. Neben sich fühlte er die Präsenz weiteren Lebens. Er öffnete die Augen.
McMullen blickte ihn an, kreideweiß wie eine Wand. Sein Mund hing offen vor Erstaunen. Seine weisen Augen waren weit vor Schock. Die Stille war absolut.
„Daß Sie in einem solchen Moment an Ihre Gattin denken können, ist außerhalb meines Begriffsvermögens, Delacroix“, stieß McMullen schließlich hervor und setzte sich auf.
„Ich liebe sie so sehr“, hörte Delacroix sich sagen und knallte seine Zähne ob der unerhörten Indiskretion knirschend aufeinander. Das plötzliche Geständnis machte ihn ärgerlich. Er war nicht die Art Mann, der seine Gefühle vor anderen ausbreitete, und er mißtraute der Emotion, die ihm so unverhofft aus dem Herzen gesprochen hatte, ohne den Umweg über den Kopf zu nehmen, heftig. So etwas tat er nicht.
McMullen bemerkte den seltsamen Wandel und starrte ihn an, sagte jedoch nichts. Höchstwahrscheinlich war er genauso erschüttert von der plötzlichen Gefühlsregung seines langjährigen Kampfgefährten wie der selbst.
Delacroix schüttelte heftig den Kopf, als müsse er einen Schleier darum vertreiben. Seine Sinne wurden etwas durchlässiger. Er setzte sich vorsichtig auf, räusperte sich.
„Was ist passiert?“ fragte er und sah sich um, versuchte, sich zu orientieren. Eine Art heller Nebelschleier blockierte seinen Blick, doch langsam verging das Grau. Er stellte fest, daß seine Bekleidung und McMullens Ärmel dampften und beinahe trocken waren. Auch war es nicht mehr dunkel. Irgendwo jenseits des Dunsts schien Licht zu sein.
„Ich habe nicht die leiseste Ahnung“, gab McMullen zur Antwort und klang dabei bestürzt, aber auch verärgert.
„Dann sagen Sie mir, was hätte passieren sollen!“
„Ich hatte die Kraftlinien untersucht, die der Kollege benutzt, um seinen Bann zu spinnen und die Berge zu durchsuchen. Er ist ein Experte und hält es nicht für nötig, seine Aktionen zu verbergen. Er beeinflußt die Elemente, kann seine Weisungen durch Fels und Luft senden. Ob er Wasser und Feuer durchdringen kann, weiß ich nicht. Doch eines hat er außer acht gelassen, die Zeit.“ Er hielt inne und sah ein wenig unsicher aus. „Also habe ich versucht, uns aus der Zeitlinie zu bewegen. Dazu gab es bislang keinen Präzedenzfall, und ich war nicht sicher, ob es überhaupt möglich wäre. Einer unserer Logen-Theorien nach leben die Sí auf anderen Zeitebenen. Nur eine Theorie, aber es würde eine Menge erklären. Wenn unterschiedliche Zeitebenen existieren, dachte ich, würde es eventuell möglich sein, sie zu erreichen und dort Zuflucht zu suchen. Ein Schritt zur Seite in der Zeit sollte uns vor der Macht des anderen Magiers schützen. Wenn wir nicht zu der Zeit wären, wenn er uns sucht, würde es keinen Unterschied mehr machen, wo wir geographisch wären. Wir wären für ihn nicht erreichbar. Verstehen Sie mich richtig. Dafür gibt es keine erprobten Sprüche. Ich mußte mich an der Macht des Ortes entlanghangeln. Der Pegel arkaner Energie ist in dieser Gegend jedoch so hoch, daß mir dies zusätzliche Macht verlieh. Diese Berge summen geradezu vor Kraft. Man hat sie gut gewählt für ein Experiment, für das man Fey braucht. Ich kann kaum glauben, daß die Leute keine finden konnten. Die Gegend müßte voll davon sein. Ich kann sie fast spüren. Beinahe, doch nicht ganz. Langer Rede kurzer Sinn: Ich habe versucht, uns aus unserer Zeitlinie zu nehmen.“
Delacroix blickte ihn an und verstand nicht, was McMullen da erläuterte.
„Ist es Ihnen gelungen?“ fragte er. „Ist es das, wo wir jetzt sind? Auf einer anderen Ebene der Zeit?“
„Ich weiß nicht“, brummte McMullen. „Irgendwas lief schief, und wir sind durch den Boden gefallen. Der Berg war einfach nicht da. Großer Gott, Sie waren doch dabei. Wie soll ich das erklären?“
„Kann es sein, daß wir in eine Zeit geraten sind, in der der Berg nicht mehr existiert?“
„Oder noch nicht existiert. Ich weiß es nicht. Ehrlich. Jetzt sind wir jedenfalls wieder im Berg. Dessen bin ich mir sicher, und der Nebel lichtet sich. Wir sind wieder in einer Höhle.“
Die Wände waren karminrot vor Salz und leuchteten in einem unerklärlichen Licht, das aus dem Nichts kam. Die Höhle war rund und klein. Auf einer Seite war ein Ausgang, der in einen schmalen Tunnel führte.
„Wenn ich Sie richtig verstanden habe, McMullen, dann wissen wir weder, wo noch wann wir sind, und wir wissen auch nicht, warum wir eigentlich noch leben. Ich erinnere mich, daß unser Sturz ziemlich lange gedauert hat. Ich kann nicht begreifen, daß wir nicht in blutige Klumpen zerschlagen hier verteilt liegen. Ich habe eine Stimme gehört, als ich fiel.“
McMullen nickte.
„Ich auch. Die einer Greisin. Sie nannte mich einen dreisten Dilettanten.“
Delacroix schmunzelte.
„Da hatte ich mehr Glück. Ich hörte eine junge, süße Stimme, die sagte, das Arkane sei nie für uns bestimmt gewesen.“
„Sie dachten, es sei Corrisande?“
„Nicht wirklich. Sie weckte in mir nur die Erinnerung an … die Liebe, die ich ... wer kann das gewesen sein?“
„Weiß ich nicht. Ich habe nicht die leiseste Ahnung. Doch immerhin kann ich die Macht des Kollegen nicht mehr spüren. Seine Präsenz ist verschwunden. Wir haben also etwas erreicht, und übrigens – unsere Sachen sind trocken.“
Tatsächlich war die Nässe aus Delacroix‘ Kleidung verschwunden, in der warmen Luft verdampft.
„Ausgezeichnet“, bemerkte Delacroix trocken. „Also sind wir warm, trocken, am Leben und vor unseren Feinden verborgen. Das ist gut. Allerdings sind wir auch hunderte Meter unter dem Berg, in einer von selbst leuchtenden Kaverne wer weiß wo. Wir könnten in der Vergangenheit sein. Wir könnten im Vorratsraum des hiesigen frühgeschichtlichen Drachen sein, und wie wir hier herauskommen, wissen wir immer noch nicht.“
McMullen lächelte dünn.
„Es ist angenehm zu sehen, wie verläßlich Ihre Gabe ist, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Allerdings ist Ihr Pessimismus ein wenig beleidigend.“
„Ich bin untröstlich, alter Freund.“
„Schon gut. Ich habe befunden, daß Sie das nicht ernst gemeint haben. Doch ich wüßte allzu gern, woher diese Stimmen kamen und warum ich eine alte, unfreundliche und Sie ein junge, süße gehört haben.“
„Nun, jedem, was ihm gebührt, kann ich da nur sagen. Wer immer sie waren, ich bin ihnen dankbar für ihre Unterstützung.“ Er sah um sich und feixte. „Sie haben unseren Dank, meine Damen. Wir wissen Ihre Hilfe zu schätzen.“
Eine Antwort blieb aus.
„Vielleicht haben wir sie uns eingebildet“, sagte er, als es still blieb.
„Das glaube ich kaum“, erwiderte McMullen trocken. „Meister des Arkanen gebrauchen ihre Phantasie, um das Mögliche zu untersuchen, nicht, um das Unmögliche zu glauben. Dennoch wüßte ich gerne, warum wir durch den Boden gefallen sind. Ich hatte den Eindruck, ganz gut mit dem voranzukommen, was ich versuchte, und dann muß etwas geschehen sein.“
„Was immer Sie gezaubert haben, es hat mein Haar berührt. Fühlte sich an, als schlüge ein Blitz durch mich hindurch. Ich spüre es noch in den Knochen.“
„Die Energie hat Sie berührt? Daran mag es gelegen haben. Trotzdem eigenartig. Bei der ungeheuren Menge an arkaner Kraft hätte ein solcher Blitz – um bei Ihrer Definition zu bleiben – Sie eigentlich braten müssen, anstatt uns durch den Fels zu katapultieren.“
„McMullen, ich bin dankbar, daß ich es überlebt habe. Es war auch so recht schmerzhaft.“
Delacroix untersuchte seine Stiefel und fand ein rundes Brandloch in der linken Sohle. Vorsichtig faßte er sich ins Haar, und eine ganze Strähne fiel herunter und zerbröselte zu Asche.
„Verflucht. Ich hatte gehofft, nicht so bald kahl zu werden.“
„Ja, und keinesfalls so plötzlich“, erwiderte sein Gefährte. „Doch keine Sorge, Sie haben noch genug Haar auf dem Haupt, um das verlustig gegangene zu verstecken. Beugen Sie sich mal zu mir herunter!“
Delacroix tat wie ihm geheißen und fühlte, wie die Hand des Magiers seinen Kopf berührte und suchend durch die kurzen, schwarzen Locken fuhr.
„Sie haben eine Verbrennung und eine winzig kleine kahle Stelle. Wo hat es noch wehgetan?“
„Es ging durch mich hindurch, brannte seinen Weg durch meinen ganzen Körper. Ich hatte den Eindruck, mich selbst von innen zu betrachten. Ich kann nicht sagen, daß mir mein Innerstes gefallen hat.“
„Möchten Sie nicht etwas deutlicher werden?“
„Mit Sicherheit nicht.“
McMullen starrte ihn an und begann ihn dann anzubrüllen, wobei er unwillkürlich in seinen schottischen Akzent zurückfiel.
„Seien Sie nicht so stur, verflixt! Wir brauchen jedes bißchen Information, das wir bekommen können. Es ist mir egal, wie privat es ist. Wenn es uns hier herausholen würde, würde ich Sie die Details Ihrer eigenen Hochzeitsnacht aufsagen lassen. Jetzt reden Sie, oder ich zwinge Sie dazu! Ich kann das. Sie wissen es.“
Delacroix sprang zornig auf – und stellte fest, daß er sich direkt wieder setzte. Er fauchte wie ein Raubtier.
„Lassen Sie das, verdammt!“
„Seien Sie vernünftig. Ich respektiere Ihre Willenskraft und Ihr Bedürfnis nach Privatsphäre. Doch hier ist nicht der Ort oder die Zeit dafür. Manchmal, nur manchmal braucht es mehr Mut, nicht zu kämpfen – und jetzt legen Sie los!“
Delacroix fuhr sich mit der Hand durchs Haar und erwartete halb, daß noch mehr seiner drahtigen Locken zu Boden flattern würden. Doch der Schaden war kleiner, als er befürchtet hatte.
„In Ordnung“, brummte er. „Dieses eine Mal. Aber das bleibt verflucht noch mal unter uns. Ich habe nicht vor, als Versuchskaninchen in Ihrer verdammten Loge zu enden.“
„Versprochen. Also bitte!“