Kapitel 49

 

Während Jérémie sich auf dem Laufband die Lunge aus der Kehle rannte, versuchte er sich zu überlegen, was er als Nächstes tun sollte. Würde er Larissa Depruit darüber befragen, woher sie die Pillen hatte, damit er ihre Zeugenaussage gegen Beths Eltern ins Feld führen konnte oder wollte er zuerst Beth aufsuchen und sie irgendwie dazu zwingen, sich auch noch den Rest der Geschichte anzuhören? Nachdem er das Für und Wider gründlich abgewogen hatte, entschloss er sich dafür, dass er auch Beth besser mit Zeugenaussagen von seiner Geschichte überzeugen konnte. Obwohl er sich dessen bewusst war, dass Larissa möglicherweise aufgrund des Verwandtschaftsgrades mit Dina nicht gut auf Beths Eltern zu sprechen war und dadurch die Gefahr einer Falschaussage bestand, sah er in der gegebenen Situation keine andere Möglichkeit, als dieses Risiko auf sich zu nehmen. Mit dem Gefühl mit dem neuen Plan vielleicht ein bisschen weiterzukommen, liessen sich die vergangenen Geschehnisse doch gleich viel besser ertragen. Deshalb stellte Jérémie das Laufband langsam wieder auf Null, wischte sich die verschwitzte Stirn an seinem weissen Handtuch ab und ging unter die Dusche. Eine knappe Viertelstunde später baute er sich hoch motiviert in seiner vollen Grösse vor Larissa Depruit auf. Damit verfehlte Jérémie sein Ziel nur knapp. Larissa gab sich durchaus beeindruckt, aber sie fühlte sich nicht eingeschüchtert, sondern eher sexuell angezogen. Sofort registrierte Jérémie die Anzeichen und passte seine Vorgehensweise an.

„Madame Depruit, wie geht es Ihnen? Amüsieren Sie sich gut in unseren Zellen?“

„Könnte angenehmer sein. Es fehlt an fähigen Spielgefährten.“

Wie gehofft, ging Larissa auf die Anspielung ein. „Tatsächlich? Mal sehen, vielleicht lässt sich dagegen etwas unternehmen. Aber vorher hätte ich gerne noch einige Informationen.“

„Dachte ich mir, dass Sie mich nicht aus Sehnsucht hierherbrachten. Was natürlich äusserst schade ist.“ Sie zwinkerte ihm zu. Angewidert davon, wie ihm Larissa schamlos Avancen machte, während ihr eigener Ehemann aufgrund eines Selbstmordversuches im Koma lag, bemühte sich Jérémie die Fassade aufrecht zu erhalten. „Nett, danke. Sagen Sie, angenommen wir hätten einige Ihrer weissen Helferchen in grösserer Menge mit einem englischen Logo entdeckt, was könnten Sie mir darüber erzählen?“

„Ich verstehe kein Wort.“ Larissa schien ehrlich erstaunt.

„Ich will es einmal anders ausdrücken. In Henrys Wagen habe ich ein Päckchen gefunden. Darin enthalten sind Tabletten mit densleben Wirkstoffen, wie diejenigen, die Sie sich vom Schwarzmarkt hier in Nizza besorgt haben. Nur kommen die gefundenen Tabletten nicht aus Nizza, sondern aus England. Und sagen Sie mir jetzt nicht, davon wüssten Sie nichts.“

„Aber davon weiss ich wirklich nichts!“

„Glaub ich nicht. Kennen Sie den Namen Jake Clement?“

Plötzlich wurde Larissa kreideweiss. Ihr ganzer erotischer Charme schien auf einmal komplett verschwunden zu sein.

Nein. Die eisige Kälte in ihrer Stimme schien sich im ganzen Raum zu verbreiten.

„Warum lügen Sie mich an? Ich weiss, dass Sie ihn kennen. Warum besorgt er Ihnen jetzt Ihre Tabletten? Es gäbe einfachere Wege.“

„Was? Wovon sprechen Sie? Ich nehme nicht einmal mehr seinen Namen in den Mund, warum sollte ich mich also ausgerechnet von ihm abhängig machen? Er hat mein Leben zerstört!“

„Das ist Ansichtssache.“ Aber ihre Aussage bezüglich der Abhängigkeit war einleuchtend. „Sie haben also keine Ahnung, warum in dem Auto Ihres Mannes Tabletten aus England lagen?“

„Vielleicht, weil einer der Dealer neu in England einkauft?“ Jérémie entging nicht, dass Larissas Stimmung innerhalb von Sekundenbruchteilen von Erstaunen zu Trotz umgeschlagen hatte.

„Sie lügen schon wieder. Madame Depruit, denken Sie nach. Sie stecken bereits so tief drin. Ab jetzt können Sie sich nur noch helfen, wenn Sie mir helfen.“

Das leuchtete selbst Larissa ein. Sie richtete sich kerzengerade auf. Also gut. Henry und ich hatten uns vor einiger Zeit wieder einmal über meinen Tablettenkonsum gestritten. Da warf er mir an den Kopf, dass wenn ich das Zeug schon nehmen müsse, ich es wenigsten woanders beziehen solle. Er sagte, es wäre nur eine Frage der Zeit, bis meine Shoppingtouren auf dem Schwarzmarkt auffliegen würden.“ Der Ansatz eines Lächelns spiegelte sich auf Larissas Gesicht. „Offensichtlich hatte er Recht.“

„Und dann wechselten Sie auf den englischen Markt. Warum wählten Sie nicht einfach einen anderen Ort in Frankreich?“

„Henry hat mir das vorgeschlagen. Er sagte, er kenne jemanden, der einfach an diese Tabletten herankommen würde und da dieser jemand in England sei, könne man den Deal vorerst einfach per Postpaket abwickeln. Meinen Einwand, dass das viel schneller entdeckt werden könnte, hat er damit abgetan, dass sein Bekannter das nicht zum ersten Mal machen würde und seine Tricks hätte.“

„Wer dieser Bekannte ist, hat er nicht rein zufällig auch erwähnt?“

„Nein.“ Auf einmal klang Larissa erschöpft.

„Gut. Danke Madame.“

Inspecteur?“

„Ja?“

„Wie geht es meinem Mann?“

Erstaunt registrierte Jérémie das feuchte Glitzern in Larissas Augen. „Immer noch unverändert. Aber er ist stabil. Machen Sie sich keine Sorgen, er wird schon wieder.“ Das hoffte er zumindest, denn er brauchte ihn, um an den Namen des englischen Kontaktmannes zu kommen.

 

 

Wenn nichts mehr ist, wie es war
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