Kapitel 24

 

„Madame Depruit, wir kennen uns ja bereits. Aber für das Protokoll stelle ich mich nochmals vor. Mein Name ist Inspecteur Jérémie Russeau und ich leite diese Befragung.“

„Ich sage kein Wort, bevor nicht mein Anwalt hier ist.“

Nun, Sie werden mir aber wenigstens die Frage beantworten, ob Sie vollständig über Ihre Rechte aufgeklärt worden sind?“

„Ja.“

„Gut. Das ist doch schon etwas. Sie wissen auch, warum Sie hier sind?“

„Oh ja. Aber ich habe nichts getan.“

„Tja, Sie werden trotzdem angeklagt werden. Es besteht nämlich ein dringender Verdachtsmoment gegen Sie.“

„Ach ja? Nur weil ich demjenigen, der diese Schlampe um die Ecke gebracht hat, gerne gratulieren würde?“

Wie Jérémie gehofft hatte, war sie so wütend, dass sie ihren Vorsatz ohne Anwalt nichts zu sagen, vergessen hatte.

„Schlampe? Aha. Können Sie mir spontan die Vorwahl in ein englisches Mobilnetz sagen?“

„Was?“

„Schon gut. Nehmen Sie eigentlich Medikamente?“ Bevor Jérémie nicht den Durchsuchungsbeschluss hatte, durfte er noch nicht sagen, dass er bereits Tabletten aus dem Haus mitgenommen hatte. Also musste er hoffen, dass das Druckmittel des bereits vorhandenen Wissens nicht nötig wurde.

„Geht Sie nichts an, solange mein Anwalt nicht hier ist.“

„Natürlich.“ Den Ärger über sein Scheitern liess er sich nicht anmerken und stellte in einen frustrierten Tonfall um.

„Ich glaube, ich bräuchte Medikamente, wenn mein Ehepartner mich wegen einer wesentlich jüngeren Spielgefährtin abservieren würde. Womöglich wären Schlafmittel das richtige. Man darf ja nicht noch älter und abgekämpft aussehen, nur weil man wegen dieser beschissenen Affäre kein Auge mehr zumacht. Vielleicht müsste auch noch etwas her, um den Schmerz zu betäuben, der einen innerlich aufzufressen beginnt. Antidepressiva würden sich da anbieten. Nur schade, dass das alles rezeptpflichtig ist und welcher Arzt würde schon ohne genaue Abklärungen einen solchen Medikamentencocktail verschreiben?“

„Na so was, der Herr Polizist scheint trotz seines guten Aussehens Erfahrung in solchen Dingen zu haben. Welche Schlampe hat Ihnen das Herz gebrochen?“

„Nein, glauben Sie mir, so etwas würde mir nie passieren!“ Überheblich winkte Jérémie ab.

Verachtung spielte um Larissa Depruits Mund. „Das dachte ich auch einmal, und jetzt? Sehen Sie mich an! Um überhaupt einschlafen zu können, schlucke ich Valium, weil mir eine dahergelaufene Engländerin meinen Mann ausspannen wollte. Jetzt hat dieses Flittchen ihre gerechte Strafe erhalten und als Strafe für meine rachsüchtigen Gedanken sitze ich nun als Verdächtige hier in diesem Verhörraum. Jeder, der sagt, das Leben sei fair, hat keine Ahnung.“

„Sie haben nicht nur damit recht, auch mit Ihrer Aussage in Bezug auf mich, haben Sie voll ins Schwarze getroffen. Jetzt einmal ganz unter uns.“ Vertrauensvoll beugte sich Jérémie zu Madame Depruit vor und schaute sie aus traurigen Augen an. „Wo besorgen Sie diese Tabletten?“

Madame Larissa Depruit war nicht nur leicht zu durchschauen sondern auch gut manipulierbar. Ihr Gesicht gewann eine lebendige Farbe zurück, die ihr einen sexy und verführerischen Eindruck verlieh. „Herzchen, Sie brauchen keine Tabletten, was Sie brauchen, ist eine richtige Frau.“

Die erotische Wandlung, die dieses Verhör durchgemacht hatte, wurde jäh vom Eintreten des Anwaltes unterbrochen. Dieser würdigte Jérémie nur eines kurzen Blickes. Dann legte er seine Hand auf die Schulter seiner Mandantin und teilte ihr mit, dass sie ab sofort überhaupt nichts mehr sagen würde. Ein bisschen ärgerlich war das Auftauchen des Rechtsvertreters, aber Jérémie gab sich vorerst zufrieden, mit den Informationen, die er sich erschlichen hatte und versuchte damit, dem Puzzle einige neue Teile hinzuzufügen.

„Wie Sie meinen.“ Mit diesen Worten verschwand Jérémie kurzerhand aus dem Verhörraum.

Irene passte ihn im Korridor ab. „Der Durchsuchungsbefehl ist da“, flüsterte sie ihm zu.

„Das sind doch hervorragende Neuigkeiten. Das Team steht?“

„Jawohl, alles erledigt. Wir warten nur noch auf Sie.“

„Sehr gut. Dann mal los!“ Mit schnellen Schritten steuerte er auf der Suche nach Beth durch die Polizeistation. „Beth?“, rief er durch den Raum.

„Ja? Ich bin hier!“ Schuldbewusst äugte sie hinter der kleinen Küchenzeile hervor.

„Oh wunderbar, du hast auch hier die Küche gefunden! Sie ist zwar nicht ganz so elegant ausgestattet wie die bei mir, aber ich hoffe, du kannst dir die Zeit trotzdem ein bisschen vertreiben. Wir haben nämlich den Durchsuchungsbefehl bekommen und werden jetzt das Haus der Depruits auf den Kopf stellen.“

Mit den Filtertüten in der einen Hand und dem Kaffeepulver in der anderen stand Beth einfach nur da und schaute verblüfft aus der Wäsche. Eigentlich hatte sie damit gerechnet angeblufft zu werden, weil sie sich ohne zu Fragen an der Kaffeemaschine des Polizeireviers vergriffen hatte. Diese beinahe beschwingte Variante der Kommunikation war ihr natürlich wesentlich lieber, aber in Bezug auf Jérémie auch fremd.

„Schön, dann warte ich hier gespannt, bis ihr mit eurer Beute wieder heimkehrt.“ Auf einmal beschlich sie das Gefühl, dass eine Hausdurchsuchung in Jérémie den kleinen Jungen weckte, der voller Vorfreude einer Schatzsuche entgegen fieberte. Ihre Fantasie brannte wieder einmal mit ihr durch und beinahe hätte sie bei der Vorstellung, wie Jérémie wohl mit Kopftuch, Augenklappe und Säbel aussehen würde, laut herausgelacht. Als ihre Vorstellungskraft dann aber das Tuch durch sein dunkles wild zerzaustes Haar ersetzte, noch das schmuddlige weisse, halboffene Hemd, und die schwarzen Hosen mit den typischen Stiefeln dazu dichtete, wurde ihr plötzlich etwas wärmer in der Magengegend und ein aufregendes Prickeln schoss durch ihren Körper. Sie musste einmal leer schlucken, um sich wieder unter Kontrolle zu bringen. Warum musste er auch so verdammt attraktiv sein?

Natürlich bemerkte Jérémie ihren ‚ich zieh dich gerade mit den Augen aus’ Blick, mit dem er vor nicht allzu langer Zeit bereits das Vergnügen gehabt hatte. Als Gentlemen, der er sein konnte, liess er sich aber nichts anmerken, sondern schmunzelte nur in sich hinein. Diese Frau machte ihn noch verrückt. Es wurde Zeit, dass er sich auf den Weg machte, damit sich der Fall bald aufklärte und sie aus seiner Nähe verschwinden würde, um zu Tee und Pfefferminz zurückzukehren.

 

Einige Stunden später trat Jérémie frustriert aus dem Haus der Depruits. Er stemmte seine Hände in die Hüften und blinzelte in die Sonne.

„Verdammt noch mal. Nichts! Nicht das Geringste! Das gibt’s doch nicht!“

Paul stellte sich neben ihn, er konnte seinem Vorgesetzten in diesem Moment ziemlich genau nachfühlen. „Wie stecken in einer Sackgasse.“

Nicht ganz.“ Ein kleiner Schimmer der Hoffnung zeichnete sich auf Jérémies Gesichtszügen ab. Ohne Paul auch nur ein Wort zu verraten, ging er auf das Auto zu. Neugierig folgte Paul seinem Vorgesetzten und konnte gerade noch verstehen, wie Jérémie ‚ich bin gleich da’ in sein Telefon sprach und dann auflegte.

„Was haben Sie vor?“

„Ich werde meine kleine Freundin unter den Arm klemmen und einen kleinen Ausflug machen. Paul, Sie bleiben hier und sehen zu, dass alles seine Ordnung behält, auch wenn ich weg bin.“

„Mach ich.“ Etwas enttäuscht war Paul schon, er hätte gerne gewusst, was Jérémie vorhatte, aber er war auch stolz, dass auf ihn und seine Fähigkeiten gebaut wurde.

Wenn nichts mehr ist, wie es war
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