Kapitel 41

 

Die Untersuchungsergebnisse der im Auto gefunden Tabletten lagen in Rekordgeschwindigkeit vor. Tatsächlich beinhaltete sie dieselbe Wirkstoffzusammensetzung, die Dina verabreicht bekam und die auch bereits bei Larissa Depruit im Badezimmer gefunden wurden. Obwohl man dies durchaus als Erfolg verbuchen konnte, wollte die Anspannung in Jérémie nicht im Geringsten weichen. Unschlüssig wanderte er wie ein Tiger im Käfig vor seinem Bürotisch auf und ab. Einerseits wollte er zum Telefon greifen, um grünes Licht für Beths Rückkehr zu geben, andererseits fühlte er sich nicht wohl bei dem Gedanken, dass sie wieder in die Stadt zurückkommen könnte. Da er sich niemals erlaubte, Berufliches mit Privatem zu vermischen, versuchte er auszublenden, dass er mit ihr geschlafen hatte und redete sich selbst ein, dass seine Vorsicht lediglich auf seiner polizeilichen Spürnase beruhte und keinerlei private Aspekte aufwies. Leider reichte seine eigene Überzeugungskraft diesmal nicht aus, um sich dies selbst glaubhaft zu verkaufen. Und dann fiel es ihm auf einmal wieder ein. Mit Schrecken stellte er fest, dass er Beth versprochen hatte, ihre Eltern anzurufen und mit einem Minimum an Informationen zu füttern. Die letzten Stunden war er allerdings so in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er diese Zusicherung vollkommen vergessen hatte. Energisch durchwühlte er die Akten auf der Suche nach der Telefonnummer. Als er sie endlich in Händen hielt, wählte er rasch die Nummer. Bloss keine Zeit verlieren, dachte er sich, denn er brauchte jede Minute um nachdenken zu können. Es läutete einige Male, bevor unverkennbar die Stimme von Beths Vater sich meldete.

„Hallo?“

„Spreche ich mit Monsieur Clement?“ Obwohl Jérémie die Antwort kannte, wollte er das Gespräch vorerst auf Plauderniveau halten.

„Ja. Wer ist dran?“

Im Hintergrund konnte Jérémie hören wie eine Frauenstimme ebenfalls fragte, wer denn am Apparat sei. Er ging davon aus, dass es sich dabei um Beths Mutter handelte.

„Hier spricht Inspecteur Russeau. Ich betreue den Todesfall von Frau Dina Clement, ihrer Schwester.“

„Ach so! Guten Tag, Inspecteur. Haben Sie Neuigkeiten?“

„Es gibt tatsächlich die eine oder andere Spur, die wir verfolgen. Darüber darf ich aber noch nicht sprechen. Ich rufe wegen ihrer Tochter an.“

„Beth? Was ist mit ihr?“

Jérémie konnte wieder hören, wie die Frauenstimme wie ein Echo Jakes Worte wiederholte. Angst schwang in ihrer Stimme mit.

„Soweit ist mit ihr alles in Ordnung. Ich rufe nur an, um Ihnen mitzuteilen, dass ich es für besser hielt, sie für einige Tage aus Nizza wegzubringen.“

„Was? Aber ich dachte, sie darf die Stadt nicht verlassen?“

„Nun, ich denke, das kann ich verantworten, schliesslich geschah diese Massnahme auf mein Geheiss.“

„Und wo ist sie?“

„In einem Kloster. Sie ist in guten Händen.“

„Und Sie haben das bestimmt nicht angeordnet, weil ihr etwas zugestossen ist?“

Jérémie hatte gehofft, nicht so offen lügen zu müssen, sondern einfach die Wahrheit ein wenig unterschlagen zu können. Schnell musste er entscheiden, ob er die Möglichkeit, die sich ihm bot, nutzen sollte. Dann fielen ihm wieder Beths Gesicht und der Ausdruck in ihren Augen ein. Wie besorgt sie ausgesehen hatte, als er ihr versprach, alles zu regeln. „Es geht ihr wirklich gut.“ Das war wenigstens nicht ganz gelogen.

„Nun gut. Warum konnte Beth uns das nicht selbst sagen?“

„Die Schwestern in diesem Kloster legen Wert darauf, dass Besucher, die sie in ihren Reihen aufnehmen, die elektronischen Geräte abgeben, damit die besten Voraussetzungen gegeben sind, sich in Ruhe auf sich selbst besinnen können.“

„Aha. Sie verstehen aber schon, dass sich bei mir ein gewisses Misstrauen regt, wenn ich so etwas höre. Das geschieht schliesslich nicht jeden Tag.“

„Natürlich.“ Jérémie blieb völlig ruhig, denn er konnte es wirklich gut nachvollziehen. „Da ich hoffe, dass der hiesige Zustand nicht mehr lange anhalten wird, werde ich Ihre Tochter bald wieder zurückholen. Wenn es Sie beruhigt, werde ich dem Kloster eine Nachricht hinterlassen, dass Ihre Tochter kurz mit Ihnen in Verbindung treten soll.“

„Das wäre nett. Vielen Dank. War das alles?“

„Ja.“

„Gut. Ich hätte noch eine grosse Bitte. Finden Sie den Mörder meiner Schwester und zwar so schnell Sie können.“

„Wir tun alles, was in unserer Macht steht. Sie hören von mir.“

„Vielen Dank.“ Dann legte Jake auf.

Ungläubig sah Susanna zu Jake. Als sie begriffen hatte, wer am Telefon gewesen war, hatte sie den Lautsprecher eingesellt und alles mit angehört. „Mein Mädchen ist in einem Kloster?“

„Erstaunlich, nicht wahr? Da stimmt doch etwas nicht.“ Jakes Misstrauen hatte sich nicht vermindert sondern war nur noch mehr gewachsen.

Susanna konnte den Eindruck ihres Mannes bestätigen. „Ich glaube, du hast Recht. Irgendetwas ist hier oberfaul. Ich glaube dem Polizisten, wenn er sagt, es ginge ihr gut, aber er hat deine Frage, ob etwas vorgefallen sei und sie deshalb in das Kloster gebracht wurde, nicht beantwortet.“

„Ganz genau. Aber du verstehst, weswegen ich nicht weiter nachgebohrt habe, oder?“

„Er hätte nichts gesagt. Ich hoffe nur, dass er sein Versprechen einhält und Beth sich wirklich bald melden wird.“

Mit düsterer Miene sah Jake zu Susanne hoch. „Etwas anderes wird uns kaum übrig bleiben.“

 

 

Wenn nichts mehr ist, wie es war
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