Kapitel 40

 

Das Fach ist leer!

Eine verschlafene Stimme meldete sich am anderen Ende Leitung. Inspecteur?“

„Das Schliessfach! Es war tatsächlich eines aus der Poststelle.“

Obwohl es Paul interessierte, konnte er ein ausgedehntes Gähnen nicht unterdrücken. „Das sind doch gute Neuigkeiten! Oder… Nein, wie war das?“

„Das Fach war leer!“ brüllte Jérémie indirekt in Pauls Ohr. Dieser hielt den Hörer weit von sich weg und wartete ab, bis nichts mehr zu hören war. Dann wagte er es, das Telefon wieder näher an sein Ohr heranzunehmen.

„Seit der letzten Durchsuchung ist wieder einige Zeit vergangen. Wir sollten uns sein Auto noch einmal vornehmen. Das wurde nämlich am Waldrand gefunden, deswegen kamen wir überhaupt darauf, in diesem Waldstück zu suchen, wo wir ihn am Ende fanden.“

„Gute Idee. Wo ist das Auto jetzt?“

„Voraussichtlich auf dem Hof des Abschleppdienstes. Genau sagen kann ich es aber nicht, weil ich die letzten paar Stunden schlafend verbracht habe und deshalb nur lückenhaft informiert bin.“

Jérémie überging diese Anspielung ungerührt. „Paul, anziehen! Wir treffen uns auf dem Hof.“

„Ja, Inspecteur.“ Dies war wieder eine der Situationen, in denen sich Paul fragte, weshalb er ausgerechnet diesen Beruf erlernen musste.

 

Als Paul auf dem Autohof ankam, traf er Jérémie halb im Freien, halb unter dem Lenkrad des Autos liegend, an. „Und, schon etwas gefunden?“

Etwas zu schnell setzte sich Jérémie auf und erwischte mit dem Kopf prompt das Armaturenbrett. „Au, verdammt!“ Mit schmerzverzerrtem Gesicht rieb er sich über die angeschlagene Stelle. „Nein, bisher noch nicht.“

Dann wollen wir mal.“ Paul fügte sich in sein Schicksal und öffnete die Beifahrertür des Renault. Seine geringe Begeisterung sank noch ein Stück tiefer, als ihm der Abfall entgegenkam. Jetzt verstand er, weshalb Jérémie auf der Fahrerseite begonnen hatte.

Strategisch von vorne nach hinten nahm sich Paul jedes Stück vor und drehte es zweimal in der Hand, bevor er sich jeweils dafür entschied, ob es nützlich war oder nicht. So arbeitete er sich mit Jérémie durch den ganzen Wagen, bis sie schliesslich im Kofferraum ankamen.

Mit gemischten Gefühlen betätigte Jérémie die Heckklappe.

„Und wenn wir hier auch nichts finden?“ Über die Ladefläche gebeugt sah Paul zu Jérémie auf, der dabei war, die Verkleidung des Deckels nach einer Unregelmässigkeit abzutasten.

„Das wird nicht geschehen.“ Jérémie gab sich Mühe, sich seine eigenen Zweifel nicht anmerken zu lassen, was ihm ziemlich gut gelungen war, denn Paul schien ihm zu glauben oder zumindest, ihm glauben zu wollen.

„Was macht Sie so sicher?“

„Egal was es ist, diese Familie hat eine Leiche im Keller und ich will sie finden.“

„Das scheint klar zu sein. Aber wenn sie nicht dieselbe Leiche im Keller haben, wie wir sie kennen? Was ist dann?“ Paul hatte seine Suche kurzfristig unterbrochen und stand nun mit in die Seiten gestemmten Armen neben Jérémie. Dieser hatte seine Aufmerksamkeit zwischenzeitlich dem Innenraum zugewandt.

„Sollten Sie widererwarten nichts mit Dinas Tod zu tun haben, stecken wir ziemlich tief in der Scheisse. Dennoch sind die beiden nicht sauber. Oder ist es etwa normal, sich auf dem Schwarzmarkt Drogen besorgen zu müssen?“

„Nein, das ist es nicht. Aber es kann sich hierbei auch lediglich um ein zerrüttetes Familienleben und eine Ehe am Ende handeln.“

Nein. Da steckt mehr dahinter.“ Jérémie starrte ins Innere des Autos. „Es muss mehr dahinter stecken.“ Nachdem der gesamte Kofferraum abgetastet war und keine Hohlräume, die nicht hätten sein sollen und auch keine, die verdächtiges Material enthielten gefunden wurden, brachten sich die beiden Männer wieder in eine aufrechte Position.

„Jetzt bleibt nur noch etwas.“ Jérémie schaute Paul an und als wäre ein Startschuss gefallen, griffen beide gleichzeitig nach dem Verdeck, unter dem das Ersatzrad verborgen lag. Während sie das Ersatzrad freilegten, hielten sie gespannt die Luft an. Dann präsentierte sich die Öffnung vor ihnen. Jérémie traute seinen Augen nicht. Da lag es. Direkt vor ihm.

Inspecteur?“

Mit Handschuhen machte sich Jérémie vorsichtig daran, das kleine ndel aus dem Auto zu holen. Als wäre es zerbrechlich öffnete er das braune Papier und wickelte den Inhalt mit Bedacht aus.

„Das darf doch nicht wahr sein!“

„Wow! Mit diesem Vorrat hätte sich die Madame einige Zeit eine ziemliche Dröhnung verpassen können.“ Beinahe ehrfürchtig begutachtete Paul das Päckchen mit den weissen Tabletten. „Und was jetzt?“

„Jetzt werden wir diesen kleinen, aber feinen Fund überprüfen lassen. Wenn es das ist, was wir denken, und ich glaube fest, dass es das ist, dann haben wir wenigstens schon etwas. Und auch wenn damit der Mord noch nicht eindeutig bewiesen ist, gewichtet dieser Fund doch schwer. Ausserdem haben Herr und Frau Depruit auf jeden Fall ein Problem am Hals. Denn das hier“, Jérémie deutete mit dem Finger auf das Säckchen, „überschreitet definitiv die erlaubte Menge, die man besitzen darf und weckt den dringenden Verdacht des illegalen Handels. Die sind eindeutig geliefert.“

Durch diesen Fund etwas milder gestimmt, steckte Jérémie das Päckchen ein. Er war sich allerdings dessen bewusst, dass Dinas Mörder nach wie vor nicht mit lückenloser Beweiskraft überführt war, sondern lediglich auf starken Indizien beruhend verdächtigt wurde. Aber er hatte endlich etwas Brauchbares in der Hand, womit sein schlechtes Gewissen darüber, der Familie Depruit möglicherweise Unrecht getan und damit jemanden beinahe in den Selbstmord getrieben zu haben, ein wenig Linderung fand.

Wenn nichts mehr ist, wie es war
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