Kapitel 45

 

Jérémie erwachte aus einem unruhigen Schlaf. Im ersten Augenblick wusste er nicht, wo er sich befand. Langsam hob er den Kopf und versuchte sich zu orientieren. Nach und nach erkannte er Details, die er einem bekannten Ort zuteilen konnte. Der Computer, das Papier, die Stifte, das Foto. Erstaunt stellte er fest, dass er über seiner Arbeit eingeschlafen war. Bisher hatte es dies nur ein einziges Mal gegeben und damals war die Suche nach seiner Frau, die sich klammheimlich aus dem Staub gemacht hatte, Schuld gewesen. Das Sortieren der langsam zurückkehrenden Erinnerungsbruchstücke an den Vorabend oder besser an die erneute Nachtschicht, war schon beinahe abgeschlossen, als das Klingeln des Telefons den Vorgang unterbrach. Verärgert hob Jérémie den Hörer ab. „Was?“ Unverhohlen machte er seinem Unmut über die Unterbrechung Luft.

Jérémie?“

Die zu vernehmende Stimme liess Jérémie auffahren. Schlagartig war er hellwach. „Ja?“

„Es tut mir leid dir das sagen zu müssen, aber Elisabeth ist weg.“

„Was heisst, sie ist weg?“

„Sie scheint in der Nacht geflohen zu sein. Das alte Fahrrad aus dem Schuppen fehlt und ihr Bett war leer. Ich gehe nicht davon aus, dass sie einfach nur eine kleine Spazierfahrt unternehmen wollte.“

„Verda….“

Jérémie!“ Schwester Johannas Stimme schallte bedrohlich mahnend an Jérémies Ohr.

„Entschuldigung.“ Um Beherrschung ringend schluckte er alle Schimpfwörter hinunter und entschied sich schliesslich für das harmloseste, was ihm einfiel. „So ein Ärger!“

„Schon besser. Obwohl ich ausnahmsweise bei ‚Scheisse’ beide Ohren zugedrückt hätte.

„Danke. Habt ihr noch andere Anhaltspunkte? Seid ihr sie suchen gegangen?“

„Ich habe ins Dorf angerufen. Tatsächlich hat man dort in aller Herrgottsfrühe ein Mädchen mit einem demolierten Fahrrad gesehen.“

Erleichtert seufzte Jérémie auf. Wenigstens war sie nicht entführt worden und es schien ihr nichts Schlimmes geschehen zu sein. Dies würde sich wahrscheinlich ändern, wenn er sie in die Finger bekäme. Diesen Gedanken behielt er aber für sich. „Gibt es sonst noch Informationen?“

„Nein, das ist leider alles.“

„Sagt ihr mir Bescheid, wenn ihr noch etwas hört?“

In diesem Augenblick flog Jérémies Bürotüre auf und knallte ungebremst gegen die Wand. Er konnte sehen, wie im Raum dahinter seine Leute neugierig die Köpfe verdrehten, um nichts zu verpassen. Den Blick unverwandt auf den Eindringling gerichtet, nahm Jérémie den Hörer, der ihm beinahe heruntergefallen wäre, wieder fest in die Hand. „Schwester Johanna? Ich glaube, das hat sich soeben erledigt.“ Dann legte er auf.

 

 

Wenn nichts mehr ist, wie es war
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