61
Die Solos hatten mit ihrem Gefolge gerade die letzte Fußgängerbrücke vor der Eastport-Andockanlage zur Hälfte überquert, als ein ohrenbetäubendes Krachen am Himmel ertönte und die umstehenden Himmelstürme schwanken ließ. Aufgrund von Reflexen, die durch häufige Begegnungen mit dem Tod geschult waren, ging Han sofort in die Hocke und suchte nach der Quelle. Er fand sie in Gestalt einer Million orangefarbener Feuerbälle, die sich auf den Transparistahlscheiben einer Million Sichtfenster spiegelten und vor denen sich seine Frau mit Ben auf dem Arm als Silhouette abzeichnete.
Wie fast alle anderen auf der Brücke stand Leia noch und reckte den Hals, um herauszufinden, was den Lärm verursachte. Han packte sie am Ellbogen und zog sie neben sich nach unten.
»Duck dich, Liebling.«
Der Geruch von Ozon und Asche wurde von einem heißen Wind herangeweht. Ein korvettengroßer Feuerball schoss über sie hinweg, schlug einen Kilometer weiter in den Durastahlcanon und brachte die Wände dreier Gebäude zum Einsturz. Die Druckwelle fegte den Verkehr vom Schwebeweg und traf dann die Brücke mit heißer Luft wie ein tatooinischer Wind. Adarakh und Meewalh ließen das Gepäck fallen und schützten Han und Leia mit ihren Körpern, C-3PO schlitterte drei Schritte über die Brücke, ehe er und der Ladalum-Topf, den er trug, von dem YVH-Kriegsdroiden abgefangen wurden, den Lando ihnen überlassen hatte. Bens TDL-Kindermädchendroide wurde mit hundert schreienden Fußgängern von der Brücke gerissen.
»Wie schrecklich!« C-3PO spähte über das Geländer. »Der Aufprall wird sie in ihre Einzelteile zerlegen.«
»Und das wird uns auch passieren, wenn wir nicht von dieser Brücke verschwinden«, sagte Han und erhob sich.
Er hielt Leias Arm, als er losging und sich durch die Menge drängte. Da die Schlacht um Coruscant nun so tief im Orbit angekommen war, dass die Waffenentladungen aussahen wie eine riesige Himmelslichtshow, ging ein steter Hagel von brennenden Raumschiffen auf den Planeten nieder. Auf dem etwa einen Kilometer langen Weg waren sie fast ständig von Rauch umgeben, zweimal mussten sie Einschlagkratern ausweichen, wo die Brücke über dem Stumpf eines halb eingestürzten Gebäudes abrupt endete.
Je näher sie der Andockanlage kamen, desto langsamer bewegte sich die Menge. Als sie das Gebäude fast erreicht hatten, sah Han schließlich den Grund dafür. Zwei stämmige Soldaten der Verteidigungsstreitkräfte standen in Bioanzügen und Kopfbedeckung an den Flanken des halb geschlossenen Zugangs, kontrollierten sorgfältig Identichips und ließen die Fußgänger nur einen nach dem anderen durch. Angesichts der Umstände wirkte diese Maßnahme grotesk.
Eine der Wachen wandte Han den Blick durch das dunkel getönte Visier zu und hielt ihm den Scanner entgegen. »Identichip.«
»Sie haben keine Ahnung?«, fragte Han und reichte ihm die Chips der Gruppe. Da sie nicht inkognito unterwegs waren, hörte er von allen Seiten Getuschel und sah, wie man auf sie zeigte; manchmal hatte nur die bedrohliche Anwesenheit von Landos YVH verhindert, dass die verängstigten Bürger sie mit Fragen überhäuften, die sie selbst nicht beantworten konnten. »Wo haben die Sie denn aufgegabelt, auf Pzob?«
»Standardverfahren…« Der Soldat betrachtete das Datendisplay seines Scanners. »Solo. Ich habe nur vier Chips. Es sind fünf Personen.«
»Augenblick mal«, sagte Han. Er spürte, wie sich der YVH-Kriegsdroide von hinten heranschob, doch signalisierte er ihm, er möge zurückbleiben. »Das Baby ist erst vier Monate alt.«
Der Soldat starrte ihn weiter durch das Visier an.
»Den Chip bekommt man erst mit sechs Monaten«, bluffte Han. Wenn der Kerl ihn und Leia nicht erkannte, standen die Chancen gut, dass er sich auch nicht besonders gut in den Passgesetzen von Coruscant auskannte. »Bis dahin reisen die Kinder mit dem Chip ihrer Eltern.«
»Natürlich.« Der Soldat zeigte auf einen äußeren Gang zu einem großen Balkon, der mit Droiden voll gestopft war. »Sie dürfen eintreten, doch die Maschinen müssen bleiben. Es gibt keinen Platz, um sie zu evakuieren.«
»Bleiben?«, wiederholte C-3PO. »Aber mein Platz ist bei…«
Han brachte den Protokolldroiden mit einem Wink zum Schweigen. »Sie werden niemandem den Platz wegnehmen. Wir haben unser eigenes Schiff.«
»Was Sie nutzen sollten, um lebende Wesen zu evakuieren«, sagte der zweite Wachmann und gesellte sich zu ihnen. »Nicht diese leblosen…«
»Bitte Ruhe bewahren«, sagte der YVH-Kriegsdroide und schob einen Arm zwischen Han und Leia. »Dies ist ein militärischer Notfall.«
Han wollte sich umdrehen. »Was…«
Zwei Blasterblitze schossen an seinem Gesicht vorbei und brannten den beiden Soldaten je ein Loch in die Brust. Leia schrie auf, Ben weinte, und durch die Menge ging ein erstauntes Murmeln. C-3PO, der immer noch den Topf mit Leias vom Wind entlaubten Ladalum trug, rückte von dem größeren Droiden ab.
»Also wirklich, Eins-Strich-Fünf-Null-Sieben, das war nicht nötig! Du hast wohl einen Fehler im Hauptprogramm.«
Der Kriegsdroide quiekte etwas in Maschinensprache, woraufhin C-3PO zurücktrat und sich an Han wandte. »Ich möchte mich für die Identifikationsverzögerung entschuldigen. Die Bioanzüge haben die Merkmale verschleiert.«
»Merkmale?« Han öffnete einen der Helme und entdeckte eine Ooglith-Maske, die sich gerade von dem Gesicht ihres Gastgebers löste. »Und ich dachte, du wolltest einfach nicht hier bleiben.«
Es handelte sich um Bürokraten, Geschäftsleute und Banker, die durch Gate 3700 der Eastport-Andockanlage strömten, und nicht um die gewöhnliche Sorte von Bürgern der Neuen Republik. Begleitet von Droiden, empfindungsfähigen Gehilfen und Hover-Schlitten voller Kunstschätze und transportabler Vermögenswerte eilten sie durch den Terminal-Bereich. Die meisten wurden von Dienern beschützt, die sich in aller Eile bewaffnet hatten, von Leibwächtern unterschiedlicher Spezies und sogar von Ulban-Arms-S-EPl-Sicherheitsdroiden. Doch nur eine Familie befand sich in Gesellschaft von Noghri-Gepäckträgern, einem Protokolldroiden mit einem Ladalum-Topf auf dem Arm und einem YVH-1-Kriegsdroiden, der auch über Ordnerqualitäten verfügte. Wie stets waren die Solos unter den Auffälligsten die Auffälligsten.
Ihre Poren wehrten sich noch immer gegen die Ooglith-Maske, die sie seit dem gescheiterten Entführungsversuch trug. Viqi drehte sich zu dem Kind um, das bei ihr am Geländer des Aussichtsdecks stand. Mit dem widerspenstigen braunen Haar und den großen blauen Augen, die so rund waren wie eine Tapferkeitsmedaille der Alten Republik, hätte der Junge ein Zwillingsbruder des zwölfjährigen Anakin Solo sein können. Das sollte auch so sein; es hatte Viqi ein kleines Vermögen gekostet, ihm mithilfe von Kosmichirurgie und Bacta-Tanks dieses Aussehen zu geben.
»Hast du sie gesehen, Dab? Die mit dem großen Kriegsdroiden?«
»Natürlich«, antwortete der Junge. »Die Solos kennt doch jeder in der Galaxis. Du hast nicht gesagt, dass es um sie geht.«
»Ich habe dir vieles nicht gesagt«, erwiderte Viqi Shesh. Dank eines daumengroßen Yuuzhan-Vong-Egelgeschöpfes, das Viqi in ihrer Kehle untergebracht hatte, klang ihre sonst seidenweiche Stimme nun dünn und zittrig. »Aber wenn du und deine Familie mit mir Coruscant verlassen wollt, ist das auch nicht nötig.«
Der Junge blickte zur Seite. »Ich verstehe.«
Seine Mutter und seine beiden Schwestern befanden sich bereits an Bord von Viqis Yacht, die unter falschem Namen direkt neben dem Falken lag, hinter einer öffentlichen Sternfähre namens Byrt. Sie studierte den Jungen und fragte sich, ob sie möglicherweise den Charakter des Bengels falsch eingeschätzt hatte, als sie ihn auf den unteren Ebenen entdeckt hatte, wo er gerade die Taschen eines Arcona nach Salz durchwühlt hatte. Wenn das Kind plötzlich einen Sinn für Ehre entwickelte − oder auch nur den Hauch eines Gewissens −, war sie so verloren wie Coruscant selbst. Nachdem das HoloNet von ihrem Scheitern in der Wohnung der Solos berichtet hatte, hatte sich Tsavong Lahs Villip nur einmal umgestülpt, und auch nur gerade lange genug, um ihr dies zu sagen.
»Ich hoffe, du verstehst, Dab«, sagte Viqi. »Ich werde mich nicht nur schwer mit einem Scheitern abfinden, sondern überhaupt nicht.«
Sollte doch der Andockmeister von Eastport es übernehmen, einen Ronto in ein Rabac-Loch zu quetschen. Shev Watsn, der diesen Job auf bemerkenswerte Weise erledigte, ließ einfach die Kuppel offen und stellte die Byrt senkrecht in die Magnoklammern für den Rumpf, sodass die Zweihundert-Meter-Sternfähre in eine Bucht passte, die eigentlich für Yachten und leichte Transporter gedacht war.
Leia hätte ihm am liebsten einen Schlag mit dem Lichtschwert verpasst.
Zehntausend verschreckte Flüchtlinge warteten darauf, an Bord eines Schiffes zu gehen, das im besten Fall fünftausend aufnehmen konnte, und die meisten standen vor Andockbucht 3733, wo der Falke unter einem Decknamen lag. So gern Leia an Bord gehen und Coruscant verlassen wollte, wusste sie, dass sie sich nicht durch die Menge drängen konnten, ohne den Zorn von verzweifelten Flüchtlingen auf sich zu ziehen. Im Augenblick mussten sie daher warten, bis die Passagiere der Byrt an Bord gelassen wurden; dann konnten sie sich zu ihrer Bucht durcharbeiten, während sich die Masse vorwärts schob.
Leia hoffte, es würde ihnen genug Zeit bleiben. Durch die schmale Sichel der Kuppel, die oberhalb der Nase der Byrt sichtbar war, sah sie einen steten Strom von Regierungsyachten, die von Imperial City aus starteten − die treuen Senatoren und loyalen Regierungsangestellten verließen ihre Posten. Bisher waren die Yuuzhan Vong noch zu sehr mit dem Militär der Neuen Republik beschäftigt, um die fliehenden Zivilisten zu schikanieren, doch würde sich das bald ändern. Leia hatte sogar von Senatoren gehört, die Admiräle aus ihrem eigenen Sektor gebeten hatten, sie nach Hause zu eskortieren, und in weitaus zu vielen Fällen waren solche Anfragen positiv entschieden worden. Es fiel ihr schwer zu glauben, dass sie selbst bei der Gründung der gleichen Neuen Republik mitgewirkt hatte − für die Anakin sein Leben gegeben hatte.
»General?« Die Stimme, die da fragte, war schwach und zittrig. »General, sind Sie das?«
Leia drehte sich mit Han, den Noghri und den Droiden um und sah eine mit Gepäck beladene Frau mit großer Nase und müden Augen, die sich durch die Menge drängte. An ihrer Seite befand sich ein vielleicht zwölfjähriger Junge mit rotblondem Haar, der sich ebenfalls mit einem Berg Gepäckstücke abmühte.
»General!« Während die Frau dies sagte, wurde ihr plötzlich der Weg von Adarakh und Meewalh versperrt. »Sie sind es doch!«
»Ich bin schon lange nicht mehr General.« Han sprach leise, weil er nicht auffallen wollte, und schaute sich um, wer von den Umstehenden möglicherweise zuhörte. »Kennen wir uns?«
»Erinnern Sie sich nicht?«
Die Frau schob ihren Sohn mit einer Tasche voran, und Leia fiel die Ähnlichkeit des Jungen mit Anakin auf. Es waren nicht nur die nach oben zeigende Nase und die eisblauen Augen; sein ganzes Gesicht hatte die gleiche Form, sogar das runde kleine Kinn. Sie verspürte großes Mitleid mit dem Jungen und seiner Mutter.
Han betrachtete die Frau und ihren Sohn. »Nein, ich kann mich nicht erinnern.«
Die Frau wirkte keineswegs beleidigt. »Natürlich nicht. Sicherlich war die Sache für mich wichtiger als für Sie. Schließlich waren Sie der General, und Ran war nur ein Stabsfeldwebel im Renegatengeschwader.«
»Ran?«, fragte Han. »Ran Kether?«
»Ja«, antwortete die Frau. »Ich war damals nur seine Freundin, aber wir sind uns zweimal auf Chandrilla begegnet…«
»Okay«, sagte Han und wurde sofort freundlicher. Er winkte die Noghri zur Seite. »Tut mir Leid, dass ich mich nicht an Sie erinnere. Wie geht es Ran?«
Die Frau zog ein langes Gesicht. »Haben Sie es nicht gehört?«
Han schüttelte den Kopf. »Ich, äh, bin nicht mehr ganz auf dem Laufenden.«
»Er hat Flüchtlingstransporte für SELCORE geflogen. Wir haben ihn auf Kalarba verloren.« Zum ersten Mal sah die Frau Leia an. »Ihre Tochter wurde dort auch verwundet, habe ich gehört.«
»Sie hat sich schnell erholt.« Leia balancierte Ben auf der Hüfte und schüttelte der Frau die Hand. Zum ersten Mal seit Anakins Tod fühlte sie Mitleid für jemand anderen als sich selbst, und in einer egoistischen Weise war das fast eine Erleichterung. »Mein tiefempfundenes Beileid. Leider geschehen solche Dinge in diesen Zeiten allzu oft.«
»Ich danke Ihnen, Prinzessin.«
»Bitte, sagen Sie Leia.« Leia legte dem Jungen, der Anakin so sehr ähnelte, die Hand auf die Schulter. »Mein Beileid, dass du deinen Vater verloren hast, junger Mann.«
Der Junge nickte und sah aus, als wäre ihm unbehaglich zumute. »Danke.«
»Er heißt Tarc, und ich bin Welda.« Die Frau lächelte das Kind in Leias Arm an. »In den Klatschkanälen habe ich nichts über eine Schwangerschaft von Ihnen gehört, daher nehme ich an, der hübsche Junge ist Ben Skywalker?«
»Eigentlich wollten wir das für uns behalten«, antwortete Leia. Sie bedachte die Flüchtlingsmenge mit einem vielsagenden Blick. »Sicherlich verstehen Sie das.«
»Entschuldigung.« Welda klang zwar verlegen, errötete jedoch nicht. »Wie dumm von mir.«
Ein lautes Scheppern kam von der Byrt herüber, und eine Wolke Dampf schoss in die Luft, als die Passagierluke endlich geöffnet wurde. Obwohl die Rampe noch nicht heruntergelassen worden war, drängte die Menge sofort vorwärts.
»Anscheinend haben sie die Probleme mit der Schwerkraftanpassung gelöst.« Welda betrachtete das wachsende Gewühl, das jetzt eher aus zwölftausend als aus zehntausend Personen bestand. »Hoffentlich haben sie Platz für uns alle.«
Han sah Leia an und runzelte die Stirn. Sie nickte. Sie würden sowieso so viele Flüchtlinge mitnehmen, wie der Falke fassen konnte, und Leia beabsichtigte nicht, diese beiden hier stehen zu lassen.
Han lächelte schief und beugte sich zu Welda vor. »Das wird für Sie kein Problem sein«, flüsterte er ihr ins Ohr.
Die Gangway-Rampe senkte sich. Die Menge stieg rasch hinauf, doch bei jedem wurde an der Luke ein Epidermalscan durchgeführt, damit man nicht versehentlich Yuuzhan-Vong-Infiltratoren an Bord nahm.
Die Noghri nutzten die Bewegung der Menge aus, um ihre Gruppe zum Liegeplatz des Falken zu manövrieren. Es gab einige wütende Blicke und gemurmelte Bemerkungen über drängelnde Solos, aber die Gegenwart des Kriegsdroiden und die Tatsache, dass sie sich nicht in Richtung Byrt bewegten, vermieden Tätlichkeiten. Leia passte auf, dass sie Tarc und Welda nicht verloren, und bald erreichten sie den Eingang zu Bucht 3733. Jetzt kam der heikle Teil − sie mussten an Bord gelangen, ohne von verzweifelten Flüchtlingen niedergetrampelt zu werden. Han postierte YVH1-507A vor der Durastahltür und langte nach dem Sicherheitspad.
»Wenn Sie versuchen, die Sicherheitstür aufzubrechen, sparen Sie sich die Mühe«, sagte eine raue Stimme. Leia drehte sich um und sah einen gehörnten Gotal in einem bunten Scinta-Hemd, der in der Menge stand. »Wem auch immer der Schrotthaufen gehört, er konnte sich wohl die Liegegebühren nicht leisten. Die Versorgungsleitungen sind alle gekappt.«
»Wie bitte?« Han legte die Hände an die Sichtscheibe und spähte hinein. »Sie machen Scherze! Da ist doch überall auf dem Boden Dämmflüssigkeit.«
Selbst nachdem der Falke tagelang herumgestanden hatte, würde er binnen weniger Minuten startbereit sein − doch nicht ohne eine gefüllte Einheit mit Fusionsdämpfungsflüssigkeit. Zu erschüttert, um den hilfreichen Gotal zu fragen, warum er sich den Falken so genau angeschaut hatte − vermutlich hatte er mit dem Gedanken gespielt, die Sicherheitstür selbst aufzubrechen −, wandte sich Leia zu Welda um und wollte sich entschuldigen.
Die Frau war verschwunden.
Etwas Metallisches fiel ein paar Meter entfernt zu Boden, und Leia erhaschte einen Blick auf Tarc, der sich durch die Menge drängte. Sie setzte Ben auf ihre andere Hüfte, damit sie die Hand frei hatte, dann polterte YVH 1-507A an ihr vorbei, ging auf das Geräusch zu und drängte die Umstehenden so sanft wie möglich zur Seite.
»Ruhe bewahren und Deckung suchen«, verkündete er. »In diesem Bereich befindet sich eine aktivierte Thermogranate.«
Natürlich tat die Menge alles andere als die Ruhe zu bewahren. Entschlossen, um jeden Preis an Bord der Byrt zu gelangen, stieß jemand mit dem Fuß gegen die Granate und kickte sie zur Seite. Das Gedränge in Richtung Rampe wurde stärker.
»Nicht gegen die Granate treten«, befahl YVH 1-507A. »Ruhe bewahren und zur Seite gehen.«
Jemand stieß die Granate wieder zurück, und der Droide schlitterte in eine aqualishanische Familie, als er die Richtung ändern wollte. Unglaublicherweise schob sich die Menge weiter vor, zwischen den Solos hindurch und an den Seiten vorbei. Da sie auf keinen Fall von Han getrennt werden wollte, ließ Leia ihr Lichtschwert aufflammen und wandte sich wieder dem Liegeplatz zu. Dort stand Welda, versperrte ihr den Weg, hob einen kleinen Blaster und zielte damit auf Leias Brust.
Die Waffe blieb ungefähr eine halbe Sekunde so, dann versenkte Adarakh, der noch immer das Gepäck hielt, seine Zähne im Arm der Frau. Es gab ein grässliches Knirschen, und Welda öffnete die Hand und ließ den Blaster fallen. Der Noghri stieß die Frau mit einer der Taschen um, und als sie vor ihm lag, setzte er sich rittlings auf sie und zerrte mit beiden Händen an ihrem Kopf. Sogar jetzt, während des Kampfes, drängte sich der verzweifelte Flüchtlingspulk unaufhörlich vorbei.
Da Leia viel zu sehr an Attentäter und Entführer gewöhnt war, um sich lange mit der Frage aufzuhalten, wer sie geschickt hatte und warum, drehte sie sich so, dass sich ihr Körper zwischen Ben und Welda befand, und ging langsam um die Angreiferin herum. Han war zwei Schritt von ihnen entfernt, hielt seinen Blaster in der einen Hand und gab mit der anderen den Zugangskode am Sicherheitsschloss ein.
»C-3PO, wo ist Meewalh?«, fragte Leia.
»Sie ist Tarc gefolgt, Mistress.« Noch immer hielt der Droide das vom Wind entlaubte Ladalum im Arm und folgte Leia. »Ich hoffe, der Junge hat den Zeitzünder der Thermogranate nicht zu kurz eingestellt. Eins-Strich-Fünf-Null-Sieben ist so schrecklich unbeholfen.«
Hinter sich hörte Leia das leise Summen eines Vibromessers. Überrascht, dass Adarakh den Kampf noch nicht beendet hatte, fuhr sie herum und sah ein Messer in Weldas unverletzter Hand. Der Noghri wehrte den Angriff leicht ab und bedankte sich mit einem Hieb, der die Frau hinter dem Ohr traf und ihr das gesamte Gesicht abriss. Der Schrei, den sie ausstieß, war lange nicht so entsetzt, wie er hätte sein sollen. Ihr Gesicht bewegte sich in Adarakhs Hand wie ein Lebewesen, und einen Augenblick lang begriffen weder Leia noch der Noghri, womit sie es zu tun hatten.
Mehr Zeit brauchte Welda nicht, um dem Adarakh das Messer in die Rippen zu rammen. Der Noghri riss schockiert die Augen auf, sein Mund öffnete sich, und dann spürte Leia, wie ihn das Leben verließ. Die Enttäuschung und die Traurigkeit, die sie seit Anakins Tod empfand, verwandelten sich im gleichen Moment in Wut. Sie aktivierte ihr Lichtschwert und trat, Ben auf dem Arm, zum Angriff vor.
Welda stieß Leia Adarakhs Leiche vor die Knie und wälzte sich zur Seite. Leia gelang es gerade noch, ihren Sturz mit der Macht abzubremsen, bevor sie auf Ben landete. Zwei Blasterblitze aus Hans Richtung zischten über ihren Kopf hinweg, drängten die Angreiferin zurück und lösten lautes Geschrei in der panischen Menge aus. Leia ging in eine geduckte Kampfstellung, und die Attentäterin nahm in zwei Metern Entfernung fast die gleiche Haltung ein.
Weil die Ooglith-Maske mit Gewalt entfernt worden war, blutete das Gesicht aus allen Poren, und dennoch war es unverkennbar.
»Viqi Shesh«, sagte Leia. Ben fing zu schreien an, aber in ihrer Wut beachtete Leia ihn gar nicht. »Ich hätte gedacht, Sie wären irgendwo auf den Grottenebenen und warten dort zusammen mit den anderen Granitkäfern auf Ihren Chef.«
»Leia − immer haben Sie für jede Gelegenheit das passende Wort parat.«
Shesh ließ das Handgelenk vorschnellen und warf das Messer auf Ben. Leia wehrte es ohne Schwierigkeiten mit dem Lichtschwert ab, dann fluchte sie innerlich, als Han die Verräterin mit zwei weiteren Blasterblitzen vertrieb.
»Du kannst doch wohl besser schießen, Han!«, fauchte Leia, obwohl sie wusste, dass er lediglich keinen der umstehenden Unbeteiligten hatte treffen wollen. Sie hielt C-3PO Ben entgegen. »Stell die Pflanze ab und nimm das Kind.«
»Ich?« Der Droide ließ den Topf fallen und schloss das Kind in die metallischen Arme. »Aber, Mistress Leia, Sie haben meine Kinderpflegemodule gelöscht, nachdem ich…«
»Warte im Falken«, befahl Leia.
»Gewiss, Prinzessin, doch muss ich Sie erinnern…«
Der Widerspruch des Droiden ging in dem allgemeinen Tumult unter, als Leia ihre Erzfeindin durch die Menge verfolgte.
Sie hörte, wie Han ihren Namen rief, aber sie drehte sich nicht zu ihm um. Diese Überläuferin würde nicht entkommen, nicht nachdem sie die Neue Republik verraten, SELCORE unterwandert und ohne Zweifel den Tod vieler Jedi zu verantworten hatte. Vielleicht war sie sogar an Anakins Tod schuld.
Das Heulen eines repulsorverstärkten Beinpaares hallte durch die Andockanlage, und YVH 1-507A machte über die Menge hinweg einen Satz auf Gate 3700 zu.
»Platz machen! Hier kommt eine Thermogranate!« Der Droide krachte auf einen Hoverschlitten, der mit unbezahlbaren Skulpturen beladen war, und sprang sofort wieder in die Luft. »Ruhe bewahren und…«
Der Befehl endete in einem ohrenbetäubenden Krachen, als die Granate detonierte und dadurch fünfhundert Kubikmeter der Andockanlage sowie Dutzende empfindungsfähiger Wesen zerstört wurden. Während die zischende Explosionskugel in sich zusammenfiel, ging ein lang gezogenes metallisches Ächzen durch die Andockanlage, dann sackte ein Teil des Bodens plötzlich in Richtung des nicht mehr existierenden Gate 3700 ab.
Die Flüchtlinge schrien und drängten eilig auf die Byrt zu, wobei sie diejenigen vor sich halb schoben und halb trugen. Leia wurde vom Menschenstrom mitgerissen und musste die Macht zu Hilfe nehmen, um ihre Stellung zu halten. Die Verfolgte war nirgendwo zu sehen, doch entdeckte Leia einen blutverschmierten Rodianer, der in ihre Richtung kam. Sie kämpfte sich durch die Menge, stellte sich ihm in den Weg und zwang ihn mit dem nicht aktivierten Lichtschwert zum Halt.
Er brummte ihr eine Entgegnung in Huttisch entgegen.
»Alle wollen an Bord dieses Schiffes.« Während sie sprach, hob Leia die offene Hand. »Und ich bin sicher, Sie werden es schneller schaffen, wenn Sie sich die Zeit nehmen und mir sagen, wo die Frau ist, die Sie mit Blut verschmiert hat.«
Der Rodianer wiederholte, was er gesagt hatte, dann zeigte er zur Andockbucht 3732 − der nächsten hinter dem Falken. Leia ließ ihn los, quetschte sich fünfzig Meter den Gang entlang, und ihre Wut stieg mit jedem Schritt. Der Schaden, den Viqi Shesh der Neuen Republik zugefügt hatte, war kaum zu beziffern, der Schmerz, den sie den Solos bereitet hatte, unverzeihlich. Leia war es Anakin schuldig − und den Millionen anderen, die ihr Leben für die Verteidigung eines Ideals gegeben hatten −, es dieser Frau heimzuzahlen.
Leia erreichte die Bucht, die bereits verschlossen war. Sie gab sich nicht die Mühe, den Kontrollschalter auszuprobieren, sondern zündete ihr Lichtschwert, rammte die Klinge ins Schloss und durchschnitt den Riegel. Der Sicherheitsalarm ging los, fiel aber in dem allgemeinen Chaos kaum auf. Leia benutzte die Macht, um die Tür aufzuschieben, und blieb dicht dahinter, um im Fall eines Angriffs Deckung zu haben − zu ihrer Überraschung zischten bereits Blasterblitze in der Startbucht hin und her.
In der Mitte stand eine schlanke KDY-Sternyacht, deren Pilot durch das Cockpit-Sichtfenster nach draußen schaute, während er die Repulsortriebwerke hochfuhr. Viqi Shesh hielt ihren zerfleischten Arm mit der anderen Hand und duckte sich in Richtung der Rampe, während Han durch ein Loch feuerte, das jemand erst kürzlich in die Durastahlwand zwischen den Andockbuchten 3732 und 3733 geschnitten haben musste. Auch auf ihn wurde geschossen, und zwar von zwei Mitgliedern der Mannschaft, die ihrer Chefin vom Fuß der Rampe her Deckung gaben.
Leia rannte los und hörte plötzlich das Unheil verkündende Schnurren der Waffentürme auf dem Dach der Yacht, die sich in ihre Richtung drehten. Ihr blieb gerade noch genug Zeit, um sich zu Boden zu werfen, ehe die Waffe feuerte und ein Fünfzig-Zentimeter-Loch in den Durastahl neben ihrem Kopf brannte.
Leia rollte ab und kam mit gezündetem Schwert wieder nach oben.
»Leia, bist du verrückt?«, schrie Han, vergaß alles um sich herum und erhob sich vor dem Loch. »So gut kannst du mit dem Ding auch nicht umgehen!«
Die Mitglieder der Mannschaft schossen eine Salve Blasterblitze auf das Loch ab und zwangen Han, sich zu Boden zu werfen, wodurch Shesh freien Weg zur Rampe hatte. Der Laser im Turm feuerte erneut, aber Leia hatte sich bereits geduckt − vielleicht ein wenig unbeholfen, aber immerhin war sie schnell genug, um nicht getroffen zu werden. Sie taumelte und wäre beinahe gefallen, dann hörte sie neben sich ein Blastergewehr. Sie wandte sich zu dem Geräusch um und sah Viqi Shesh, die unter der Yacht hindurch zur Rampe rannte.
Leia ignorierte die Blasterblitze, die vom Durastahl reflektiert wurden, stellte ihr Lichtschwert auf »permanent« und schleuderte die Waffe der Verräterin hinterher. Mithilfe der Macht bewegte sie das Schwert auf ihr Ziel zu. Der Laser im Turm feuerte erneut, und auch die Mannschaftsmitglieder oben an der Rampe schossen. Leia überließ ihren Körper den Instinkten, vertraute der Macht, dass sie ihre Arme und Beine richtig bewegte, und konzentrierte sich weiter auf den Angriff.
Shesh warf sich auf die Rampe. Anstatt sie in zwei Teile zu spalten, glitt die Klinge über ihren Rücken und verbrannte Kleidung, Haut und Knochen. Die ehemalige Senatorin schrie auf und brach zusammen, streckte dann die Arme aus und zog sich langsam auf das Innere des Schiffes zu. Die Rampe ging hoch, und das Letzte, was Leia von der Verräterin sah, war ein paar männliche Hände, die sie an Bord zogen.
Leia bemerkte überhaupt nicht, wie sie aus der Gefahrenzone gezerrt wurde, bis Meewalh sagte: »Lady Vader, Sie müssen in Deckung gehen.«
Leia erlaubte der Noghri, sie zu Boden zu ziehen, als ein weiterer Kanonenblitz durch die Wand über ihr brach. Nachdem die Repulsortriebwerke surrend zum Leben erwachten und kein zweiter Blitz folgte, hob sie widerwillig den Kopf, und ihr wurde schon das Herz schwer angesichts der Nachricht, die sie Meewalh mitzuteilen hatte.
Doch anstelle der Noghri blickte sie in Anakins zwölfjähriges Gesicht.
»Sie können mit mir machen, was Sie wollen«, sagte Tarc. Er saß mit dem Rücken an der Wand, seine Hände waren mit Meewalhs Plastahlschellen gefesselt. »Zumindest sind meine Mutter und meine Schwestern in Sicherheit.«
»In Sicherheit?« Leia konnte nur den Kopf schütteln. »Glaubst du das?«
»Ich weiß es.« Der Junge legte den Kopf in den Nacken und schaute zur Decke, wo Sheshs Yacht zum Warten gezwungen war, bis der Andockmeister den Start genehmigte, indem er die Kuppel öffnete. »Sie sind auf der Wicked Pleasure.«
Leia griff bereits nach ihrem Komlink, als sie sah, wie Han auf sie zurannte.
»Vergiss es«, sagte er und zeigte auf sein Komlink. »Hab’s schon versucht. Shev hält keine Schiffe zurück, für niemanden.«
Leia nickte. Es spielte kaum eine Rolle, was Shev tat; mit ihrer großen Laserkanone konnte sich die Yacht den Weg durch die Kuppel freischießen.
Han hielt ihr das deaktivierte Lichtschwert hin. »Fühlst du dich besser?«
»Nicht viel«, räumte Leia ein. Sie erhob sich, nahm das Lichtschwert und steckte es wieder in ihre Jacke. »Und du?«
»Schlimmer«, sagte Han. Er zeigte auf Tarc. »Was sollen wir mit dem machen?«
Diesen Jungen wollte Leia ganz und gar nicht auf dem Falken haben, aber sie würde sicherlich nicht einen zwölfjährigen Jungen allein auf Coruscant zurücklassen. Sie packte ihn an den Handschellen und zog ihn auf die Beine.
»Ja, das habe ich mir schon gedacht.« Han runzelte die Stirn, dann blickte er erwartungsvoll zur Tür. »Wo stecken eigentlich C-3PO und Ben?«
»Die sollten an Bord des Falken sein.«
Hans Gesicht wurde düster. »Unwahrscheinlich. Als du davongerannt bis, habe ich wegen der Leute draußen die Tür verschlossen.«
Ein tiefes Grollen erschütterte die Bucht, als sich die Kuppel aufschob, und sie sahen zur Byrt empor, die sich auf einem Ionenstrahl in den Himmel erhob. Die Wicked Pleasure glitt aus der Bucht und folgte der Sternfähre himmelwärts, und dann ertönte C-3POs Stimme über das Komlink.
»Meister Han? Mistress Leia?«
Leia und Han aktivierten gleichzeitig ihre Komlinks. »Wo bist du?«
»Ich kann nichts dafür!«, beteuerte der Droide. »Die Bucht war abgeschlossen, und ich konnte uns nicht verteidigen.«
»C-3PO!«, entfuhr es Leia. »Willst du mir sagen, ihr seid an Bord der Byrt?«
»Ich fürchte ja, Mistress Leia«, sagte er. »Und sie drohen, mir einen Sperrbolzen einzusetzen!«