30
Die Türklappe öffnete sich, und Nom Anor trat in die Bruthitze des Ruhmesraums. Den Kriegsmeister, der an seinen Kontrollthron in dreißig Metern Entfernung gebunden war, konnte er angesichts der vielen Flammkäfer, welche den Raum mit ihren roten Leibern erwärmten, kaum sehen. Manche der Wesen bewegten sich langsam durch die Luft, und einige blinkten, doch die meisten schwebten an Ort und Stelle, und jedes stellte die Position eines großen Sternenschiffs oder die Ansammlung mehrerer kleiner Schiffe dar. Für das Auge war die Darstellung verwirrend, aber ein geübter Zuhörer konnte die Verbindung eines Flammkäfers am Klang der Flügel erkennen − leises Summen für Yuuzhan Vong, scharfes Surren für Neue Republik, gleichmäßiges Brummen für die Imperialen Restwelten und schrilles Wimmern für die übrigen Ungläubigen.
Angesichts der Tatsache, dass das Summen des Invasionskerns auf allen Seiten vom hohen Sirren der Ungläubigen umzingelt war, klang die Situation im besten Fall riskant. Wäre Nom Anor nicht ein säuerlicher Geruch in die Nase gestiegen, als er durch die feindlichen Flammkäfer am Eingang des Raums ging, hätte er sich vielleicht Sorgen gemacht. So versprach ihm jedoch der Geruch von mangelnder Organisation und schlechter Vorbereitung auf die Schlacht einen raschen Sieg der Yuuzhan Vong, und für die Stärke des Geruchs war sicherlich vor allem der Erfolg des Exekutors verantwortlich, den Senat der Neuen Republik gespalten zu haben. Gewiss hatte der Kriegsmeister aus diesem Grund den Befehl übermitteln lassen, er möge bei seiner Rückkehr sofort zum Bericht antreten − jedenfalls hoffte Nom Anor das. Die Alternative wäre nicht auszudenken.
Er trat durch die Bereiche der Ungläubigen in die Invasionsflotte der Yuuzhan Vong, wo der säuerliche Geruch der Verwirrung durch einen clyriz-ähnlichen ersetzt wurde, der Organisation und Zielstrebigkeit verriet. Anstatt verwirrt umherzufliegen wie die Flammkäfer der Neuen Republik, als er durch sie hindurchgegangen war, flatterten diese hier einfach vor ihm zur Seite und kehrten sofort an ihre Plätze zurück.
Während sich Nom Anor der Mitte des Saales näherte, wurde der Thron des Kriegsmeisters deutlicher. Er war ein wenig kleiner als ein Landgleiter der Ungläubigen, stand auf sechs stämmigen Beinen und übermittelte ständig Anweisungen an die Flammkäfer über die Leuchtspitzen an den Enden der hunderte von Fühlern.
Der Kriegsmeister selbst saß auf dem Thron in einem Nervenhocker, sein Kopf war von wurmartigen Sensoren eingehüllt, seine Hände steckten in den Steuersäcken an den Armlehnen. Obwohl Nom Anor selbst noch nie auf einen Kontrollthron gestiegen war, wusste er, dass ein begabter Reiter sich vollständig mit dem Wesen verbinden und die strategische Lage sofort erfassen konnte. Die kodierten Flügelschläge der Flammkäfer identifizierten nicht nur Klasse und Name der Schiffe, die sie repräsentierten, sondern auch Zustand und geschätzte Kampffähigkeit. Die subtilen Noten im Geruch ließen auf die Moral von Kapitän und Mannschaft schließen − Schätzungen, die auf komplizierten Formeln beruhten, die Erfahrung, Effektivität in früheren Schlachten und die allgemeine taktische Situation mit einbezogen. Zwar hätte Nom Anor es niemals laut ausgesprochen, doch hatte er den Verdacht, die Beurteilungen der Yuuzhan-Vong-Schiffe fielen unangemessen positiv und die der Ungläubigen übertrieben negativ aus.
Die Gruppe von Lehrlingen, Subalternen und Lesern teilte sich, um Nom Anor durchzulassen, doch nur die Lehrlinge und Subalternen kreuzten die Arme vor der Brust. Die Leser, eine Mischung aus Geistlichen und Militäranalytikern, waren verantwortlich für die Informationen über die feindlichen Fähigkeiten und die Übertragung ihres Wissens in den Schwarm der Flammkäfer. Jeder war außerdem ein Priester einer der vielen verschiedenen Götter, welche die Yuuzhan Vong verehrten, und damit technisch betrachtet ein Untergebener von Vaecta, der Priesterin von Sunulok, und weniger von Tsavong Lah − eine Tatsache, die sie bei jeder Gelegenheit betonten. Nom Anor wusste, diese Konstellation stellte für Tsavong Lah einen ständigen Biss in der Ferse dar, allerdings war diese Vorkehrung zumindest für diejenigen, die daran glaubten, notwendig, damit kein anderer Gott symbolisch in die Knechtschaft von Yun-Yammka dem Mörder geriet.
Nom Anor versuchte, den Mangel an Neid in den Blicken der Umstehenden zu ignorieren, blieb vor dem Kontrollthron stehen und salutierte, indem er sich vor die Brust schlug. »Ich komme direkt von der Andockkammer, mein Meister.«
Tsavong Lah spähte ihn vom Thron herab an, wobei von seinem Gesicht durch die Sensoranschlüsse kaum mehr als Augen und Mund zu sehen waren. »Wie befohlen − gut.«
Nom Anors Mund wurde trocken. Kein Willkommensgruß, kein Hinweis auf Lob. »Es tut mir Leid, dass ich so lange brauchte, um zur Flotte zurückzukehren. Meine Abreise wurde durch Schwierigkeiten verzögert, Coruscant zu verlassen.«
»Was vermutlich nicht so einfach war, wenn die Sicherheitskräfte des Planeten Sie gejagt haben, da bin ich sicher«, sagte Vergere mit ihrer dünnen Stimme. Sie schob sich durch die Versammelten und blickte zwischen zwei Lesern zu ihm hoch. »Zu Ihrer Flucht darf man Ihnen gratulieren. Sie war raffiniert.«
»Ja, Planung ist alles.« Nom Anor hatte Mühe, die Wut aus seiner Stimme herauszuhalten, denn er war überzeugt davon, dass Vergere für das Attentat auf Fey’la verantwortlich war. Er hatte die Angelegenheit aus allen Blickwinkeln betrachtet, und sie würde den größten Gewinn daraus ziehen. »Tut mir Leid, dass es notwendig war, Sie zu enttäuschen.«
»Warum sollte ich über Ihre Flucht enttäuscht sein?« Vergere breitete die Arme aus. »Ihr Wert für unsere Sache ist allseits bekannt.«
Für Nom Anor war dieser unterschwellige Spott aus dem Mund dieser halben Heidin zu viel. Sie hatte sich nicht nur in seine Mission eingemischt und es beinahe geschafft, dass er verhaftet wurde, sondern sie machte sich jetzt auch noch vor seinem Meister und seinesgleichen über ihn lustig.
»Es ist nicht notwendig, den scheuen Bunish zu spielen, Vergere.« Nom Anor musste sich alle Mühe geben, damit seine Stimme eiskalt klang, und trotzdem war sein Zorn spürbar und rief leises Gemurmel bei den Umstehenden hervor. »Ihnen sollte man zu Ihrem Einfallsreichtum applaudieren. Ich hätte nicht gedacht, dass Sie zu solcher Verschlagenheit − oder Kühnheit − fähig sind.«
Wäre Vergere eine Yuuzhan Vong gewesen, hätten Nom Anors Worte genügt, um eine blutige Herausforderung nach sich zu ziehen. Doch so zuckte das kleine Wesen nur mit den Fühlern. »Wollen Sie mir die Schuld an dem zuschieben, was im Senat passiert ist?«
»Ein verwegener Versuch, sich eines Rivalen zu entledigen«, bestätigte Nom Anor. »Ob das Attentat nun geglückt ist oder nicht, die Ungläubigen geben mir und dem Kriegsmeister die Schuld.« Er wandte seine Aufmerksamkeit Tsavong Lah zu. »Die Tatsache meiner Rückkehr stellt gleichermaßen meinen Wert für die Große Doktrin und meinen Glauben in die Fähigkeiten des Kriegsmeisters unter Beweis, solch primitive Ränke zu durchschauen.«
Vergere öffnete den schnabelartigen Mund, als wolle sie zischen, dann beherrschte sie sich und beruhigte sich anscheinend. »Geben Sie mir nicht die Schuld für Ihre Fehler auf Coruscant. Dadurch sehen Sie nur noch…«
»Genug.«
Obwohl der Kriegsmeister leise sprach, genügte der Klang seiner Stimme, Vergere verstummen zu lassen − und rettete ihr dadurch das Leben. Hätte sie das verhängnisvolle Wort dumm ausgesprochen, hätte Nom Anor nicht nur das Recht gehabt, sondern man hätte es regelrecht von ihm erwartet, sie zu töten.
»Das Attentat auf Borsk Fey’la − oder der Versuch − ist für mich von wenig Interesse.« Die Andeutung eines Lächelns erschien auf Tsavong Lahs Lippen. Er stellte in einem der Armsäcke etwas ein, woraufhin die Beine des Throns einklappten und den Kriegsmeister auf eine für das Gespräch bequemere Höhe herunterließen. »Vor Ihrer Ankunft haben wir über General Bei Iblis’ bemitleidenswerten Plan geredet, die Moral unserer Krieger mit diesem Unfug über Jeedai-Zwillinge zu unterminieren. Wie ist er auf diese Idee gekommen?«
Nom Anor wusste, was Tsavong Lah hören wollte, doch war er nicht dumm genug, seinem Kriegsmeister ins Gesicht zu lügen − nicht in Gegenwart von Vergere, die nur darauf lauerte, sich auf jedes seiner Worte zu stürzen. »Ich weiß nicht, wie Bei Iblis seine Pläne entwickelt.«
»Dann äußert eine Vermutung«, sagte Tsavong Lah. »Ich befehle es.«
Nom Anor kratzte es im Hals. Die Flammkäfer, die nun vorübergehend von ihrem Posten entlassen wurden, ließen sich auf der Gruppe nieder. Die Berührung ihrer heißen Bäuche schmerzte noch mehr als der Stich ihrer Rüssel, aber das war eben der Preis des Dienstes. Im besten Falle durfte man die gierigen Wesen vorsichtig verscheuchen, und die Leser taten nicht einmal das.
»Mein Meister, Menschen sind nicht wie die Yuuzhan Vong. Zwillinge sind keine seltene Erscheinung«, sagte Nom Anor. In der gesamten Geschichte der Yuuzhan Vong hatte es nur wenige Zwillingsgeburten gegeben − und zwar auch nur, wenn die Götter es wollten. Jedes Mal hatte der eine Zwilling den anderen schon in der Kindheit ermordet und war dann herangewachsen, um das Reich durch eine schwere Krise zu führen. Lord Shimrra selbst hatte seinen Zwillingsbruder ermordet, ehe er herangewachsen war und den Traum gehabt hatte, diese neue Galaxis zu finden. »Ihre Geburt bedeutete keine spezielle Gunst der Götter.«
»Damit räumen Sie also ein, dass die Solo-Kinder Zwillinge sind?« Der Leser, der die Frage stellte, war Kol Yabu von der Unsterblichen Flamme, ein »Halb-und-halb«, dessen Körper sorgfältig so gestaltet worden war, dass er von einer Seite wie der eines Mannes und von der anderen wie der einer Frau erschien. Als ein Apostel der Unsterblichen Flamme verehrte Kol Yabu die Zwillinge Yun-Txiin und Yun-Q’aah, Götter, die Bruder und Schwester waren und Liebe und Hass sowie alle gegensätzlichen Dinge verkörperten. »Ihr gebt zu, Jacen und Jaina sind Jeedai-Zwillinge, Bruder und Schwester?«
Nom Anor versuchte, seine Kehle zu befeuchten, doch war sein Mund trocken wie Knochenstaub. »Ich gebe nichts zu, Leser.« Er blickte zu Tsavong Lah und dachte, es sei vermutlich gut, dass das Gesicht des Kriegsmeisters hinter einer leuchtenden Maske aus Flammkäfern verborgen war. »Unsere Spionin, Viqi Shesh, behauptet, die zwei Solos seien Zwillinge, und ihre Mutter und ihr Onkel ebenfalls. Vielleicht sollten wir sie über Bei Iblis’ Pläne ausfragen.«
Tsavong Lah mied den Blick des Halb-und-halb, indem er Nom Anor anstarrte. »Viqi Shesh ist entweder eine Verräterin an ihrem eigenen Volk oder eine ungläubige Doppelagentin. Ich vertraue ihr nicht.«
»In dieser Angelegenheit dürften wir nur der Meinung eines Yuuzhan Vong vertrauen«, stimmte Vergere zu. Anders als die Übrigen hatten sich die leuchtenden Flammkäfer auf ihr nicht niedergelassen − vielleicht, weil sie die Federn sträubte, um die hungrigen Wesen auf Abstand zu halten. »Und Nom Anor war auf Coruscant. Gewiss hatte er sich vor seiner Flucht die Zeit genommen, diese wichtige Angelegenheit zu erforschen.«
Nom hätte zu gern einfach behauptet, er habe keine Zeit gehabt, doch wusste er, so leicht würde er Vergeres Falle nicht entgehen. Seine einzige Hoffnung, so entschied er, lag im Unerwarteten, und so holte er tief Luft, blickte dem Kriegsmeister ins Auge und sagte die Wahrheit.
»Es gab viele Aufzeichnungen, die Sheshs Behauptung bestätigten, mein Meister, und ich bezweifle, dass sie fingiert waren. Sogar in geheimen Quellen fand ich nichts, das ihr widersprochen hätte.« Als die Flammkäfer flatternd das wütende Gesicht des Kriegsmeisters verließen, entschied Nom Anor, seine einzige Hoffnung auf Rettung bestehe in einer riskanten Strategie. »Sicherlich hat uns das Glück zugelacht, als der mit dem Namen Jacen Ihnen auf Duro entkommen ist.«
Der Kontrollthron bebte und hüpfte vorwärts − ohne Zweifel aufgrund der geballten Fäuste in den Armsäcken.
»Erklären Sie mir, wie«, sagte der Kriegsmeister leise und scharf, denn er wurde nicht gern daran erinnert, wie Jacen vor einem Jahr mithilfe von Jedi-Zauberei ihm einen Fuß geraubt und das Opfer von Leia Organa Solo verhindert hatte.
Nom Anor holte erneut tief Luft, dann wandte er sich an Kol Yabu. »Wie würden Yun-Txiin und Yun-Q’aah das Opfer eines Zwillings bewerten?«
Der Halb-und-halb dachte kurz nach und antwortete schließlich: »Die Zwillinge verlangen keine Opfer, sondern die Balance ist das Entscheidende.«
»Danach hat der Exekutor nicht gefragt«, hakte Tsavong Lah nach und warf dem Priester einen finsteren Blick zu. »Antworten Sie offen, oder ich bitte einen anderen Leser darum.«
Kol Yabus Augensäcke wurden bleich; er − oder sie, Nom Anor hatte das nie überprüft − war ein Untergebener von Vaecta, aber eine solche Frage des Kriegsmeisters durfte er nicht ignorieren. »Gekränkt wäre wohl nicht das richtige Wort, Kriegsmeister. Der Große Tanz würde erschüttert.«
Tsavong Lah dachte darüber nach und nickte. »Das habe ich mir schon gedacht.«
»Wenn ich einen Vorschlag machen dürfte«, wagte sich Nom Anor vor und war entschlossen, die Situation zu seinem Vorteil zu nutzen. »Vielleicht würde Lord Shimrra durch ein Opfer von Zwillings-Jedi günstig gestimmt? Man könnte sie gegeneinander kämpfen lassen, wie Lord Shimrra gegen seinen Bruder kämpfte, so wie es die Götter Zwillingen bestimmt haben, seit die Geschichte der Yuuzhan Vong ihren Anfang nahm.«
Tsavong Lah lehnte sich in seinem Thron zurück und überlegte. »Das wäre ein großes Geschenk an Yun-Yuuzhan, nicht wahr?«
Keiner der Leser antwortete, denn allein Lord Shimrra selbst sprach mit Yun-Yuuzhan, dem Herrn des Kosmos.
»Sie würden niemals gegeneinander antreten«, sagte Vergere, die stets darauf bedacht war, Nom Anors Stellung zu untergraben. »Diese beiden stehen einander so nah wie ein Pilot und sein Korallenskipper.«
»Wir werden sie zunächst brechen müssen, das ist alles«, sagte Tsavong Lah. »Und Nom Anor sollte dafür sorgen, dass der Kampf in die Neue Republik übertragen wird, finde ich.«
»Wie Sie wünschen, Großer Kriegsmeister.« Nom Anor gestattete sich ein kurzes Grinsen in Vergeres Richtung und fügte hinzu: »Nichts könnte die Jedi mehr entmutigen, dessen bin ich sicher.«