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Mit seinen spärlichen Tätowierungen unter den hängenden Tränensäcken und dem Fehlen größerer Verstümmelungen außer einem Loch neben den Lippen, das aussah wie ein zweiter Mund, war der Yuuzhan Vong eindeutig noch ein Rekrut, der vermutlich nur aus einem einzigen Grund auf diesem Posten war, nämlich um das Feuer auf sich zu ziehen. Jaina betete, dass der Schatten im Tunnel tief genug war, um sie zu verbergen, und drückte mithilfe der Macht ihren Rücken fester an die Decke. Sie hielt den Atem an, während der Krieger einen weiteren Meter in die Höhle hineinkroch. Er hielt einen aktivierten Schimmerer auf Armeslänge vor sich und stocherte mit dem Amphistab unter Jaina herum. Sie konnte die schlangenartige Form der Waffe erkennen und wusste, ihre eigene silbrige Silhouette musste ebenso sichtbar sein, aber der Yuuzhan Vong blickte nicht nach oben. Er würgte nur wegen des Gestanks und zog sich zurück. Als er den Eingang erreichte, stand er auf und brüllte: »Fast«, dann lief er im Hauptgang weiter.
Jaina blieb, wo sie war, und beobachtete, wie die von Vonduun-Krabbenpanzern geschützten Beine vorbeimarschierten, während sie hoffte, als Nächstes möge nicht etwa ein Voxyn hereinschauen. Obwohl sie bereits vier dieser Bestien getötet hatten − das letzte hatte Lowbacca im Hauptgang mit dem Blaster erledigt −, bestand die Möglichkeit, dass Nom Anor mehr als die gewohnte Anzahl mitgebracht hatte, und dies stellte den einzigen Schwachpunkt im Plan des Kommandoteams dar. Die Yuuzhan Vong würden den Umweg der Jedi vielleicht nicht bemerken, aber von einem Voxyn durfte man das nicht erwarten. Ein Voxyn würde die Änderung der Richtung fühlen.
Ein zweiter Yuuzhan Vong, diesmal einer mit den ausgefransten Ohrläppchen und dem stark gezeichneten Gesicht eines alten Haudegens, hielt seinen Schimmererkristall in den ungleichmäßigen Tunnel. Wie die meisten Jedi des Kommandoteams hatte Jaina mit dem Gedanken gespielt, sich einen dieser Kristalle zu verschaffen, aber sicherlich war es das Risiko nicht wert. Anakins Verbindung zu seinem war einzigartig, ohne Zweifel deswegen, weil er ihn selbst geerntet hatte, und sogar er bezweifelte, dass er dieses Kunststück wiederholen könnte. Bestimmt hatte niemand im Eclipse-Programm bisher herausgefunden, wie sich die Dinger fortpflanzten. Auch dieser Krieger suchte den Boden ab, erhob sich und ging weiter, ohne hereinzukriechen.
Schließlich gestattete sich Jaina einen Atemzug und nahm die Flechette-Mine aus ihrem Ausrüstungsgurt. Sie stellte die Frequenz auf ihr Komlink ein und befestigte die Mine an der Decke vor ihr, aktivierte sie jedoch nicht. Nachdem sie den Detonationswahlschalter auf »Bewegung« eingestellt hätte, würden ihr nur drei Sekunden bleiben, um die Sensorreichweite zu verlassen, und sie durfte es nicht riskieren, sich zu rühren, ehe alle Yuuzhan Vong vorbeimarschiert waren.
Die Kompanie brauchte ewig. Ohne ihre Schoßtierchen, die Voxyn, die sie vor der Nähe der Jedi warnten, schlichen sie vorsichtig voran, hielten einen Fünf-Meter-Abstand zueinander und suchten nach Fallen. Trotz allem war das Kommandoteam noch mobil und − mit ein wenig Hilfe der Macht − durchaus in der Lage, die Königin zu vernichten.
Sie sorgte sich um ihren Bruder und war gleichzeitig wütend auf ihn. Eigentlich konnte sie ihm nicht vorwerfen, dass er zu ihrer Rettung gekommen war − sie hätte das Gleiche für ihn oder Jacen getan −, und trotzdem schob sie ihm die Schuld zu. Es war waghalsig und typisch für Anakin gewesen, spektakulär, überstürzt, effektiv − und dumm zu handeln. Tekli hatte ihr klar gemacht, was passieren würde, wenn sie nicht die Zeit fanden, damit er sich heilen konnte, und Anakin hatte genauso klar ausgedrückt, dass sie die Mission über sein Leben stellen mussten. Jaina wollte beides erreichen, aber falls man eine Entscheidung von ihr verlangte… also, sie hatte nur zwei Brüder, und beabsichtigte nicht, einen von beiden hier zurückzulassen.
Jaina spürte, wie Jacen sie in der Macht berührte, und wusste nun, dass die anderen tiefer im Tunnel dem ersten wilden Voxyn begegnet waren. Sie öffnete sich für das Kampfgeflecht und stellte erleichtert fest, wie sehr Anakins Verwundung die Gruppe wieder zusammengeschweißt hatte, obwohl Zekk immer noch wegen der Dunklen Jedi grollte und die anderen von der Sorge um Anakin abgelenkt waren. Weil sie fürchtete, der Lärm des Kampfes hinter ihr könne bis in den Hauptgang vordringen, rief sie sich die Stille eines Massassi-Tempels in Erinnerung und benutzte die Macht, um diese Stille auch außerhalb ihrer selbst zu verbreiten, wodurch sie − so hoffte sie jedenfalls − eine Sphäre der Ruhe zwischen ihren Gefährten und den Yuuzhan Vong schuf.
Wieder passierten zwei Beine in Vonduun-Krabbenrüstung den Tunnel. Als Nächstes sah sie zwei dünne Beine mit umgekehrt gestellten Kniegelenken. Diese blieben stehen, klappten zusammen, und dann kam ein gefiederter Torso in Sicht. Jaina musste sich beruhigen, denn sie fürchtete, ihr klopfendes Herz könne die Sphäre der Ruhe durchbrechen. Ein affenartiges Gesicht erschien, und zarte Barthaare zeigten sich, während das Wesen in den Tunnel spähte.
Vergere − oder ein Geschöpf, das ihr glich.
Eine fremde Präsenz berührte Jainas Gedanken und erschreckte sie so heftig, dass ihre Konzentration nachließ und sie eine Handbreit nach unten fiel, ehe sie die Fassung wiedererlangt hatte und sich zurück an die Decke hob. Sie zielte mit der Blasterpistole auf Vergeres Gesicht.
Ein schiefes Lächeln huschte über die Lippen dieses eigenartigen Wesens, und Jaina wusste, dass Vergere sie absichtlich berührt hatte. Aber wie? Durch die Macht? Das war unmöglich. Wenn Vergere macht-sensitiv wäre, würden die Voxyn doch auch sie jagen. Oder nicht?
Vor dem Tunnel versammelte sich ein Dickicht aus Beinen in Vonduun-Krabbenrüstung. Wegen der Stillebarriere konnte Jaina nicht hören, ob sich die Yuuzhan Vong unterhielten, aber sie zweifelte nicht daran, dass Vergere über ihre Nähe Bescheid wusste − selbst wenn sie Jaina überhaupt nicht gesehen hatte. Die fremdartige Präsenz berührte sie immer noch, verhöhnte sie, forderte sie fast zum Angriff heraus.
Jaina aktivierte die Flechette-Mine und schob sich aus der Sensorreichweite. Vergeres Lächeln wurde spöttisch, und die fremdartige Berührung schwand so rasch aus ihren Gedanken, dass Jaina zu zweifeln begann, ob sie sich nicht getäuscht hatte.
Vergere sprach mit jemandem hinter ihr. Jaina entsicherte mit dem Daumen ihren Blaster, doch ihr Ziel drehte sich um und hüpfte in den Gang, ehe sie feuern konnte. Die Yuuzhan Vong folgten, und dann löste sich selbst die Erinnerung an die fremdartige Berührung auf.
Jaina senkte den Blaster und musste, weil sie so stark zitterte, beide Hände benutzen, um die Waffe zu sichern. Sie verstand gar nicht, weshalb sie solche Angst hatte. Das Wesen hatte sie nicht einmal bemerkt.
Am anderen Ende mündete der Voxyn-Tunnel in einen großen Korridor, der sechs oder sieben Meter hoch war und breit genug für einen Schwebewagen, aber an der Feuchtigkeit und dem Gestank änderte sich nichts. Der kleine Bereich, der von Jacens Glühstab beleuchtet wurde, verlor sich zu beiden Seiten in Dunkelheit. In der Wand gegenüber dem Versteck des Kommandoteams befanden sich zwei Torbögen, die etwa zwanzig Meter auseinander lagen und genug Platz für einen Rancor boten. Zwischen diesen beiden Bögen sahen sie wookiee-große Nischen, in denen Skulpturen von dem Kriegsgott der Yuuzhan Vong standen, Yun Yammka mit dem knollenförmigen Kopf und den vielen Tentakeln. Über jeder Nische befand sich eine weitere, die leer war und auf dem Kopf stand − die Spitze zeigte zum Boden. Einst, so hatte Lomi erklärt, hatte sich das Weltschiff um seine Achse gedreht und eine künstliche Schwerkraft erzeugt, wie es die kleineren Versionen taten. Irgendwann während der Reise hatte das Zentralhirn die Fähigkeit verloren, diese Rotation zu kontrollieren, und dabei waren die Spiralarme abgebrochen und das gesamte System hatte sich destabilisiert. Die Gestalter hatten auf von einem Dovin Basal erzeugte Gravitation umgestellt und das Weltschiff gezwungen, sich neu auszurichten. An einigen wenigen Stellen zeugten noch Spuren von dieser Veränderung.
Aus den Torbögen hörte man das endlose Rascheln von Schuppen und − gelegentlich − das Rülpsen eines wütenden Voxyn. Jacen spürte mehr als ein Dutzend dieser Wesen in der Dunkelheit hinter dem Licht des Glühstabs, die so geduldig wie Spinnen lauerten, nur weitaus tödlicher.
»Sieht aus wie das Äußere einer Arena«, flüsterte Anakin. Er lag auf dem Boden des Tunnels neben Jacen. »Wie eine sehr große Arena.«
»Oder ein Tempel«, sagte Lomi. Sie und Ganner hockten auf den Fersen zu Füßen der Brüder, hinter ihnen bückten sich Tesar und Krasov, und die anderen warteten weiter hinten in dem beengten Tunnel. »Wenn Jacen seine Kraft einsetzen kann, um den großen Korridor freizuhalten, können wir uns vielleicht hindurchschleichen…«
»Können wir nicht«, unterbrach Anakin sie. »So oder so, wir müssen kämpfen. Wie viele sind es, Jacen?«
»Zu viele.«
Jacen konnte die Bestien nicht einzeln wahrnehmen und deshalb nicht genau zählen, aber er spürte, wie sie in den dunklen Höhlen jenseits der Torbögen versteckt waren und sich an den Wänden einer schüsselförmigen Vertiefung verteilt hatten, die bestimmt einen Kilometer Durchmesser aufwies. Er erkannte bei den meisten die gleiche Entschlossenheit, das Territorium zu verteidigen, wie er es von vielen Spezies kannte, doch diese Wesen hatten etwas Fanatisches an sich, das auf eine durchaus vertraute Art von selbstloser Aufopferung hindeutete.
»Nester!« In Jacens Kopf formten sich die Grundzüge eines Plans. »Sie verteidigen ihre Nester.«
»Nester?«, hakte Lomi nach. »Wozu brauchen Klone Nester…«
Anakin brachte sie mit einer erhobenen Hand zum Schweigen. »Er muss sich konzentrieren.«
»Nicht zu lange«, drängte Ganner von hinten. »Früher oder später wird Nom Anor bemerken, dass wir ihm entwischt sind.«
Jacen konzentrierte sich auf das Voxyn auf der anderen Seite des Wegs und spürte keinen richtigen Hunger, sondern eher etwas wie Sehnsucht. Er tastete sich von einem Voxyn zum anderen vor, nahm ein ähnliches Verlangen wahr und wusste, er hatte Recht. Daraufhin kehrte er in den Tunnel zurück und ging zu Tesar und Krasov.
»Ich habe eine Idee…«
»Tu ez«, schnarrte Tesar. »Bela wird ez eine Ehre sein.«
»Tu was?«, wollte Welk wissen und blickte von einem Jedi zum anderen. »Wie kommt es eigentlich, dass hier niemals jemand einen Satz zu Ende spricht?«
»Keine Zeit«, meinte Ganner. »Gehen wir. Die Yuuzhan Vong haben längst bemerkt, dass wir verschwunden sind.«
Jacen ignorierte ihn und fragte Krasov: »Verstehst du…«
»Sie hat ihr Leben den Jedi gewidmet«, sagte Krasov. Sie und Tesar quetschten sich an die Wand und hoben ihre Brutgefährtin zwischen sich. »Ihr Körper hat keine Bedeutung.«
Sie rieben ihre Schnauzen kurz an ihrer, dann nahmen sie Bela den Ausrüstungsgurt und den Vakuumanzug ab. Tesar stellte den Zeitschalter einer Klasse-A-Thermogranate auf vier Minuten ein, dann schob sie die Granate tief in die Reptilienkehle. Krasov befestigte das Lichtschwert ihrer Schwester mit Synthfleisch an ihrer Hand, dann tauschten sie den Platz mit Lomi und Ganner und ließen Belas Leiche in den großen Korridor schweben.
Jacen unterdrückte die Tränen, fragte sich, ob er das Gleiche mit Anakins Leiche hätte tun können, und schaute voller Schrecken zu, wie ein Dutzend wilder Voxyn ins Licht seines Glühstabs lief. Die Wesen stießen im Korridor ihre Schalldruckschreie aus, und seine Ohrstöpsel aktivierten sich. Tesar zündete mithilfe der Macht Belas Lichtschwert und schlitzte dem ersten Voxyn, das Belas Leiche erreichte, das Maul auf. Das zweite biss den Arm an der Schulter ab. Das dritte warf den Körper um und setzte sich rittlings drauf.
Auf dieses stürzten sich nun die anderen Voxyn, fauchten und schnappten nach seinen Beinen. Mehrere packten gemeinsam die erste Bestie und zerrten sie den Korridor entlang, wo der Kampf in ein bitteres Säurespucken ausartete, bei dem sich die Gegner selbst zu rauchenden Schuppenhaufen reduzierten. Der Rest hielt sich besser im Zaum; jeder versuchte, sich auf die Leiche zu setzen, während sich die anderen stets bemühten, den jeweiligen Besitzer zu entthronen und die Tote nach und nach in Richtung eines der Torbögen zu zerren.
Der Tumult verlagerte sich weiter in die Dunkelheit, und dem Kommandoteam blieb nichts anderes übrig, als dem Fauchen und Zischen zuzuhören, wie es sich entfernte und schließlich immer leiser wurde. Dann zerriss das Krachen einer Thermogranate die Stille, und ein greller Blitz leuchtete aus dem einen Torbogen. Jacen stellte mit tröstenden Gedanken Kontakt zu den Voxyn her und versuchte ihnen einzureden, das Licht werde nicht wiederkommen. Die überlebenden Kreaturen − und es schienen viele zu sein, wie es sich anfühlte − begrüßten seine Bemühungen mit Schalldruckschreien und stampfenden Klauen, doch beruhigten sie sich allmählich und kehrten zu ihren Nestern zurück.
Jacen überprüfte, ob irgendwo ein Voxyn im Hinterhalt lauerte, und führte die Jedi in den großen Korridor. Der Gestank war so stark, dass selbst die Atemmaske ihn nicht herausfiltern konnte. Er langte nach Jaina, um sie zu rufen, aber sie war bereits unterwegs, besorgt und verwirrt, allerdings nicht in Panik.
Anakin gesellte sich zu den Barabels und sprach leise mit ihnen. Obwohl eine Entschuldigung, das wusste Jacen, Tesar und Krasov mehr durcheinander bringen als beruhigen würde, hielt er sich auf Abstand. Anakin musste mit den Barabels reden; vielleicht würden sie für ihn tun, was Jacen nicht schaffen konnte.
Jaina traf ein, und auf Ganners Drängen hin zog das Team in den Korridor. Widerwillig gestattete Anakin Tesar und Krasov, ihre gewohnte Position an der Spitze wieder einzunehmen, doch nur, weil sie durch den Vorschlag beleidigt zu sein schienen, jemand anderer sei an der Reihe. Alle dreißig Meter führte ein weiterer Torbogen in die Dunkelheit. Obwohl Jacen in diesen Öffnungen keine Voxyn spürte, gingen die Barabels kein Risiko ein. Stets sprangen sie an die Wände, hielten sich mit ihren Krallen fest und spähten in die Löcher.
Jacen ging zu seiner Schwester. »War alles in Ordnung dahinten? Du wirkst so nervös.«
»Fakt«, sagte Tenel Ka und gesellte sich zu ihnen. »Du hast mehr Falten auf der Stirn als der Zahlmeister eines Hutt.«
»Danke«, antwortete Jaina. »Ich habe Vergere gesehen.«
Jacen wartete und fragte schließlich: »Und?«
Jainas Blick wurde leer. »Und nichts − sie ging vorbei.« Sie deutete mit dem Kinn nach vorn. »Wie macht sich der kleine Bruder?«
Jacen sah nach vorn, wo Anakin mit Lowbacca Schritt hielt. Ihr Bruder war so stark in der Macht, dass man kaum feststellen konnte, wie viel Schmerzen er aushalten und wie viel Kraft er aufbringen musste, aber Jacen spürte die Erschöpfung, die an den Rändern von Anakins sorgsam gewahrter Fassade knabberte.
»Schwer zu sagen«, sagte er. »Ich mache mir Sorgen um ihn.«
Jaina verstummte und überraschte Jacen dann, als sie seinen Arm ergriff. »Brauchst du nicht. Wir werden aufpassen, dass ihm nicht noch einmal etwas zustößt.«
Tenel Ka nahm Jacens anderen Arm. »Fakt.«
Anakin folgte Tesar und Krasov den großen Korridor entlang. Jedes Mal, wenn sie an die Wand sprangen und um die Ecke eines Torbogens schauten, zuckte er zusammen. Seine Bemühungen, ihnen zu erklären, wie sehr ihm Belas Tod Leid tat, hatten sie nur verwirrt und dazu veranlasst, sich bei ihm für die anderen Verluste des Kommandoteams zu entschuldigen. Am Ende hatte er sich schuldiger gefühlt als vorher, und die Barabels hatten den Eindruck erweckt, der Gedanke, sie könnten Trost brauchen, beleidige sie. Er musste die Brutgefährten nicht zur Vorsicht mahnen, doch die Macht in der riesigen Kammer jenseits der Torbögen war voller tierischer Unruhe, und er erwartete jederzeit, dass einer oder gar beide von einem Schwall brauner Galle getroffen wurden.
Stattdessen spürte er plötzlich ein Drängen primitiver Sehnsucht. Anakin zündete das Lichtschwert und schrie. Ein offenes Maul kam in Sicht. Krasov zischte und zog sich zurück − allerdings nicht schnell genug. Ein Zahn erwischte ihre Atemmaske und riss sie ihr vom Gesicht.
Anakin sprang vor, schlug dem Voxyn die Schnauze ab. Das Wesen bäumte sich auf, dann waren Tesar und Krasov da und trennten die fuchtelnden Krallen ab.
Die Überbleibsel der Voxyn-Kiefer wollten sich öffnen. Krasov zog ihre weiße Klinge quer über die Kehle und taumelte zurück, weil ihr Gesicht von zäher Säure bedeckt war. Tesar hob das Voxyn mit der Macht in die Höhe, Anakin trieb der Bestie das Lichtschwert in die Brust und durchbohrte den Körper. Das Voxyn hing schlaff in der Luft.
Krasovs Gesicht war von aufsteigendem Rauch eingehüllt, und das Zischen schmelzenden Keratins ließ keinen Zweifel, was ihr zugestoßen war. »Tesar!«, stöhnte sie. »Meine Augen…«
»Hier, Krasov.«
Tesar ließ das Voxyn fallen und zog sie aus dem Torbogen.
Lautes Getrampel war aus der Dunkelheit dahinter zu hören. Anakin nahm eine Thermogranate aus seinem Harnisch und warf sie weit in den Durchgang. Es folgten ein vertrautes Knistern und ein grelles Licht, doch keine Druckwelle und kein Hitzeschwall. Präzision war es, die Thermogranaten so nützlich machte. Alles innerhalb des Explosionsradius wurde vollständig zerstört; alles außerhalb blieb komplett unversehrt.
Als Anakin keine angreifenden Voxyn mehr spürte, sah er sich nach Tekli um, doch die führte Krasov bereits zur Wand, wo sich die Barabel setzen sollte. Die Chadra-Fan kratzte die klebrige Galle mit einem Mehrzweckmesser ab. Viele Schuppen lösten sich ebenfalls.
Anakin wandte den Blick ab und sagte nichts. Jede seiner Entscheidungen hatte fatale Folgen. Die Erfüllung ihrer Mission schien unmöglich.
»Wir kriegen Ärger!«
Er hörte Jacens Worte kaum. Anakin wollte keine Entscheidungen mehr treffen, wollte keine weiteren Verluste mehr hinnehmen.
»Anakin?«
Anakin spürte, wie Jacen ihn untersuchte und überprüfte, ob sich bei dem Kampf die Wunde geöffnet hatte. Das war nicht der Fall. Der Schmerz blieb erträglich, und die Macht verlieh Anakin Kraft.
Ein leises Rascheln kam aus beiden Richtungen des Korridors auf sie zu.
»Sith-Blut!«, fluchte Jaina.
Jemand feuerte einen Blaster ab. Jemand anderer feuerte in die andere Richtung. Die Macht war nun von triebhafter Sehnsucht durchsetzt, und die Voxyn drängten zu beiden Seiten des Kommandoteams in den großen Korridor. Das Blasterfeuer war ohrenbetäubend. Anakin zog ebenfalls seine Waffe. So fiel ihm alles leichter, denn er musste keine Entscheidungen treffen. Er brauchte nur zu zielen und abzudrücken.
Anakin setzte sich in Bewegung, doch Lowbacca packte ihn an der Schulter, zeigte auf den Torbogen hinter ihnen und knurrte eine Frage.
Anakin schüttelte den Kopf. »Tahiri kann Wache halten. Ich kämpfe mit den anderen.«
»Besser, du hältst Wache«, schnarrte Tesar. Er schob Anakin auf den Torbogen zu. »Wegen Krasov.«
»Ich bin nicht verletzt.« Anakin folgte dem Barabel auf den Gegner zu. »Ich kann immer noch kämpfen.«
»Anakin! Bleibst du jetzt hier!« Jaina zeigte mit dem Blaster in den Torbogen. »Reiß dich zusammen.«
Obwohl sie leise gesprochen hatte, trafen Anakin die Worte wie ein Schlag. Seine eigene Schwester wollte nicht mehr an seiner Seite kämpfen. Hatte er die Sache so sehr verpfuscht?
Jaina gesellte sich zu den anderen an der Kampflinie. Anakin hockte sich hinter das tote Voxyn, starrte in die rumorende Dunkelheit und achtete auf jede Veränderung der Geräusche oder der Macht, die weitere herannahende Bestien vermuten ließ. Obwohl er die Voxy nicht so gut spüren konnte wie Jacen, fühlte er, dass die meisten Gegner auf der anderen Seite des Torbogens blutgierig, aber auch defensiv waren − und sich kaum bewegten.
»Du musst dich nicht von ihnen herumschubsen lassen.« Sie musste wegen des Lärms fast schreien und ließ sich auf die Knie sinken. »Noch bist du der Anführer des Teams.«
»Aber was für ein Anführer?«, erwiderte Anakin.
Tahiri wartete fast eine ganze Sekunde, ehe sie reagierte. »Was soll das heißen?«
»Meinetwegen kommen ständig Mitglieder des Teams ums Leben.«
»Sie kommen ums Leben, ja. Wer sagt, es sei deine Schuld?«
»Ich.« Anakin blickte hinüber zum Kampfgeschehen. »Sie auch.«
»Negativ! Sie wollen uns nur hier rausbringen.« Eine Erschütterungsgranate ließ den Korridor beben und wurde mit einem Dutzend Schalldruckschreien beantwortet. »Und das will ich auch. Denk dir was aus − und zwar schnell.«
Tahiri küsste ihn und wandte sich mit gezogenem Blaster dem Kampf zu. Bisher hielt der Sturm der Blasterblitze die Voxyn auf Abstand, aber das würde sich bald ändern. Zu bald. Bei einigen Jedi waren die letzten Energiepacks schon fast entleert, und irgendwann würden die Voxyn auch durch Anakins Torbogen angreifen, falls das Kommandoteam hier nicht vorher verschwand.
Tesar schnarrte einen Fluch, schleuderte seine Minikanone einem Voxyn entgegen und zog Krasovs Waffe zu sich. Das Biest sprang auf seinen Kopf zu und holte mit den Krallen aus. Raynar Thul erwischte die Bestie mit seinem knisternden Lichtschwert, riss den Bauch auf drei Metern Länge auf und sprang zur Seite − in den Weg des peitschenden Schwanzes.
Der Stachel bohrte sich in sein Fleisch. Raynar zuckte zusammen und wich zurück, durchtrennte den Schwanz einen Meter von seinem Overall entfernt und ließ den Rest hängen. Anakin fuhr herum und wollte Tekli rufen, doch die war mit dem Gegengift bereits unterwegs.
Sie mussten abziehen, und zwar schnellstens.
Anakin drehte seinen Glühstab bis zum Maximum auf und warf ihn durch den Torbogen, fing ihn mit der Macht auf und hielt ihn hoch in die Luft. Die Voxyn spuckten Säure danach, ließen jedoch ab, nachdem sie sich an die Strahlung gewöhnt hatten. Anakin sah viele Dutzend dieser Bestien − allerdings nicht ganz hundert − auf den Tribünen eines riesigen Stadions verteilt. Die meisten kauerten über Leichen von Sklaven, die sie aus der Stadt hierher geschleppt hatten, starrten einander drohend an und sträubten die Schuppen.
Es war unmöglich, über sie hinwegzuschweben. Schließlich konnten Jedi nicht fliegen, und die Entfernung betrug über einen Kilometer. Wenn sie ihre Macht-Akrobatik einsetzen, vielleicht…
Jacen kam zu Anakin, weil er die Richtung seiner Gedanken durch das Kampfgeflecht gespürt hatte, und spähte in die Arena. »Wir sollten sie nicht aufschrecken. Ihre, äh, Nester verlassen sie nur, wenn sie sich bedroht fühlen. Möglicherweise können wir einen Angriff ganz verhindern.«
»Gut«, sagte Anakin. »Es wäre zur Abwechslung mal schön, wenn etwas klappen würde.«
Er drehte sich um und sah Ganner, der zu einem säureverätzten Voxyn-Tunnel ein Stück den Korridor hinauf zeigte und schrie, sie sollten dorthin laufen. Weil er fürchtete, im Tumult des Kampfes nicht verstanden zu werden, aktivierte Anakin sein Komlink.
»Gute Idee, Ganner, aber die falsche Richtung.« Er zeigte durch den Torbogen. »Hier entlang.«
»In die Arena?«, hakte Jaina nach. »Du kannst dich nicht heilen…«
»Die Heiltrance ist dran, wenn wir hier fertig sind«, unterbrach Anakin sie. Was er bestimmt nicht tun würde, wäre, sich in irgendeinem Voxyn-Loch zu verkriechen und dort mit dem ganzen Team stundenlang in der Falle zu sitzen. »Hier entlang.«
Tesar Sebatyne nickte als Erster. »Wenn du daz befiehlst.« Er belegte den Tunnel mit Sperrfeuer. »Zieht euch zurück!«
Lowbacca folgte seinem Beispiel, feuerte in die andere Richtung, und Jacen lief voran zur Arena und beendete das Kampfgeflecht, damit er sich darauf konzentrieren konnte, die Voxyn zu besänftigen. Diejenigen, die ihnen am nächsten waren, sträubten die Schuppen und kratzten Rillen in den Boden. Aber sie blieben in ihren Nestern sitzen und griffen nicht an.
Anakin atmete durch und drehte sich zu Krasov um. Zwar trug sie Belas Atemmaske, doch an deren Rand traten Knochen und Zähne hervor. Anakin sah Tekli an und runzelte die Stirn.
»Diesmal nicht, kleiner Bruder.« Krasov krächzte nur noch. »Erlaube dieser hier, euren… Abmarsch zu decken.«
»Nein«, meinte Anakin. »Wir werfen eine Granate…«
»Zu spät.« Krasov öffnete die Hand; darin lag eine Thermogranate, die so eingestellt war, dass sie drei Sekunden nach Loslassen des Auslösers explodieren würde. »So ist ez besser.«
Alema Rar huschte vorbei und schleppte Raynar Thul mit sich. Er war betäubt, doch nicht wegen des Giftes, sondern wegen des Gegenmittels. Anakin schickte Tekli hinter den beiden her und gab Lowbacca Deckung.
»Krasov, sichere den Auslöser«, befahl Anakin. Ein halbes Dutzend Voxyn stürmte durch den Korridor. Das vorderste schoss er mit einem Blitz zwischen die Augen nieder. »Krasov?«
»Krasov war einmal.« Tesar schleuderte eine Erschütterungsgranate auf den Rest des Rudels, und während die Explosion den Korridor erbeben ließ, kniete er sich hin und drückte seine Wange an Krasovs. So verharrte er, bis von den Resten der Säure seine eigenen Schuppen zu rauchen begannen, dann erhob er sich und zeigte auf den Daumen, der den Auslöser kaum noch halten konnte. »Dieser hier glaubt, wir sollten unz beeilen.«