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»Auf keinen Fall kommen sie nach Eclipse, nicht mit der Armada, die Borleias verlassen hat«, sagte Kenth Hamner. Der offizielle Verbindungsmann zwischen den Jedi und der Neuen Republik war vor einer Stunde eingetroffen, um alarmierende Nachrichten von Flottenbewegungen der Yuuzhan Vong zu überbringen. »Selbst wenn sie so viele Schiffe hierher bringen könnten, würde es ein Standardjahr dauern, sie durch den Hyperraum-Engpass zubringen.«

Die besten Strategen der Jedi hatten sich im Strategieraum auf Eclipse versammelt und studierten die drei Displays, die Luke eingeschaltet hatte. Ein Hologramm zeigte die Anordnung der Hyperraumrouten, die von dem Planeten Borleias ausgingen. Auf dem nächsten war die umständliche Route nach Eclipse zu sehen, dazu der Schirm aus Asteroidengürtel und den Nachbarn, mehreren Gasriesen. Das dritte Hologramm stellte das Coruscant-System in seiner Ganzheit dar, und diese Karte zog die Blicke besonders auf sich − vor allem ein unauffälliger Cluster von Kometen auf der Seite des Hauptplaneten.

Mara zeigte auf die wirbelnde Masse von Kometenschweifen. »Und das dort sind nicht kartografierte Asteroiden auf der gleichen Umlaufbahn wie die OboRins?«

»Wir behalten sie im Auge«, sagte Kenth. »Wir können sie jederzeit herausnehmen.«

Jeder vermutete, dass es sich bei den Asteroiden um Aufklärungsschiffe handelte. Corran Horn, einer der Jedi, die den Schirm betrachteten, hatte vor kurzem erst bestätigt, dass Raumfelsen eine beliebte Tarnung für Yuuzhan-Vong-Aufklärungsschiffe waren.

»Das ist es dann«, sagte Luke.

Er löschte die Anzeigen von Borleias Hyperraumrouten und des Eclipse-Systems am Holoprojektor − und als er die Karte von Coruscant vergrößern wollte, wurde seine Verbindung zu Anakin plötzlich sehr stark. Vor seinem inneren Auge flackerte ein Bild von einem Yuuzhan Vong auf, der an einem Gewirr brennender Ranken vorbeistürmte und angriff, während eine purpurne Klinge vor und zurück zuckte und ein goldenes Licht an einem dunklen Ort leuchtete. Luke fühlte die Ruhe und Konzentration seines Neffen, der in Harmonie mit der Macht und sich selbst war − aber schwach und immer schwächer wurde.

»Meister Skywalker?«, fragte Corran. »Was ist denn los?«

Luke wandte sich ab und antwortete nicht. Er wusste, dass Saba Sebatyne den Tod der Hara-Schwestern gefühlt hatte, und andere waren auch bereits gestorben − er konnte nicht spüren, wer, sondern fühlte lediglich die wachsende Abwesenheit der Jedi in der Macht. Jetzt verlor das Kommandoteam auch Anakin − und Luke hatte ihn, hatte alle auf diese Mission geschickt.

»Luke?« Mara stand hinter ihm und griff nach seiner Hand.

Luke ließ sie gewähren, doch suchte er nach Jacen und Jaina und fand sie voller Trauer und Schrecken, Furcht und Wut, aber lebendig und stark.

Dann war Anakin verschwunden.

Luke fühlte sich, als hätten die Yuuzhan Vong in sein Innerstes gegriffen und seinen Neffen aus seinem Körper gerissen. In seinem Herzen entstand eine schwarze Leere, ein heftiger, kalter Sturm, und er begann unkontrolliert zu zittern.

»Luke, hör auf!« Mara riss ihn zu sich herum. »Du musst die Gefühle von dir fern halten. Ben wird sie bei dir spüren. Vergiss nicht, was du ihm damit antun würdest!«

»Ben…«

Luke legte seine Hand auf Maras und zog sich in sich zurück, dämpfte seine Präsenz in der Macht − und verlor die Verbindung zu den Zwillingen. Er war nicht fähig, die Wut aufzuhalten, die in ihm aufstieg, und wollte doch seinen Sohn nicht mit hineinziehen, also drehte er sich um und legte die Hand auf den Holoprojektor.

»Meister Skywalker!« Kenth stockte der Atem.

»Es ist wegen Anakin«, sagte Mara.

»Anakin? Oh…« Die Anwesenden brachen in Stöhnen und entsetzte Aufschreie aus, und dann fragte Corran mit Mühe: »Meister Skywalker… was können wir tun?«

Was, fragte sich auch Luke. Er blickte Mara an, rang damit, seine Fassung zurückzuerlangen und sich wieder zu konzentrieren. Die Frage war nicht, was sie tun konnten, sondern was sie tun mussten.

»Anakin…« Luke würgte an dem Wort und setzte von neuem an. »Anakin ist nicht ohne Grund gestorben.«

Corran und die anderen warteten schweigend und sahen ihn erwartungsvoll an.

»Was wir tun müssen, ist, unsere Kampfjäger vorzubereiten«, sagte Mara und sprang für ihn ein. Sie wandte sich an Kenth. »Und nehmen Sie Kontakt mit Admiral Sow auf. Wir brauchen einen Platz zum Andocken, wenn wir nach Coruscant kommen.«

 

Mit Ringen unter den Augen, die fast so dunkel waren wie die glasigen sullustanischen Pupillen selbst, wirkte General Yeels Vidbild wie das eines pausbäckigen Yuuzhan-Vong-Kindes − eines verwöhnten pausbäckigen Yuuzhan-Vong-Kindes. Han schlug mit der Hand auf seinen Kom-Tisch − außerhalb des Bereichs der Vidkamera − und setzte ein nachsichtiges Lächeln auf.

»Ich sage ja nicht, die Sicherheitsmaßnahmen wären lax, General Yeel«, sagte Han. Er befand sich mit Lando im Arbeitszimmer seiner Eastport-Wohnung, versuchte, der Neuen Republik einen Gefallen zu tun, und fand das wie immer unmöglich. »Aber Viqi Shesh war im NRMAK. Sie könnte während der letzten beiden Jahre jederzeit einen Spion in die Schildmannschaften geschmuggelt haben. Warum sollen wir ein Risiko eingehen?«

»Haben Sie einen Beweis, Solo?« Nicht General Solo oder General a. D. Solo, nicht einmal Han, sondern einfach Solo. »Wenn Sie einen Beweis haben, werde ich die Sache sofort überprüfen lassen.«

»Ich habe keinen Beweis. Da ist ja genau der springende Punkt.« Han fuhr sich über die Stirn. »Sehen Sie, was würde dagegen sprechen, ein paar YVHs auf jeder Generatorstation einzusetzen? Das bringt eine Menge.«

»Ja, umsonst ist das eine Menge«, erwiderte Yeel. »Was stimmt mit den Droiden nicht?«

Lando schob sich in den Aufnahmebereich der Vidkamera. »Mit denen stimmt alles, General, das kann ich Ihnen versichern. Ich bin ein treuer Bürger der Neuen Republik und tue alles, um zu helfen.«

Yeel wirkte misstrauisch. »War es nicht ein YVH-Droide, dem es nicht gelungen ist, Staatschef Fey’la zu beschützen, als die Infiltratoren ihr Attentat durchgeführt haben.«

»Das war eine Panne im Demonstrationsprogramm«, erklärte Lando geduldig. »Die Droiden, die ich der Neuen Republik schenke, werden kampfbereit sein − vollständig kampfbereit.«

»Das ist es ja, was mir Sorgen macht, Calrissian.« Yeel zwinkerte zweimal, dann legte er die Arme auf den Tisch und beugte sich zu der Kamera vor. »Staatschef Fey’la hat mich gebeten, Ihren Anruf entgegenzunehmen, und das habe ich getan. Aber ich werde keine neue Technologie in meine Generatorstationen ohne eine Kompatibilitätsevaluierung aufnehmen − und wir werden keine Evaluierung durchführen, ehe wir nicht wissen, wohin die Flotte von Borleias gezogen ist. Tut mir Leid, Calrissian…«

Ein gequältes Klagen hallte durch den Korridor, so schrill und außer sich, dass Han die Stimme nicht als menschlich erkannte − und schon gar nicht als die von Leia, bis er aufgesprungen war und seinen Blasterholster vom Tisch gerissen hatte.

»Leia!«

Das Klagen wurde lauter und noch weniger menschlich. Han rannte durch den Korridor zu Leias privatem Arbeitszimmer, wo er Adarakh und Meewalh rechts und links des Schreibtisches sah, ungewöhnlich verwirrt und hilflos. Das pelzige Gesicht eines Bothan-Generals von der Orbitalen Verteidigung starrte aus dem Vidschirm, ebenfalls verwirrt und immer wieder dümmlich wiederholend: »Prinzessin Leia? Prinzessin Leia?« Leia selbst lag auf dem Boden, in fötaler Haltung zusammengekauert, und schrie.

Als Han keine Bedrohung in dem Raum entdeckte, kniete er neben Leia und fasste sie am Arm. »Leia?«

Sie schien ihn überhaupt nicht zu bemerken. Ihre Augen waren rot gerändert, und Tränen rannen auf den Boden, und das Einzige, was Han aus ihr herausbekommen konnte, war ein langes »Aaaaaaa«.

Der Bothan-General wiederholte: »Prinzessin Leia? Prinzessin Leia?«

Lando kam herein, ignorierte die Kom-Einheit und legte Han die Hand auf die Schulter. »Was ist los?«

Han schüttelte den Kopf und sah die Noghri an.

»Lady Vader hat mit General Ba’tra gesprochen«, erklärte Meewalh. »Sie erklärte ihm gerade, dass Lady Risant Calrissian schon mit tausend YVH-1 unterwegs sei, dann plötzlich hörte sie auf zu sprechen…«

Leia packte Hans Arm und stotterte. »Aa… aaaa…«

Und Han wusste Bescheid. Anakin war tot.

Und Leia hatte gespürt, wie er starb.

»Prinzessin Leia?«, dröhnte Ba’tra. »Prinzessin, sind Sie…«

Han betrachtete den DL-44, den er immer noch in der Hand hielt, und brachte die Kom-Einheit mit einem Blitz zum Schweigen. Es fühlte sich so gut an, dass er die Waffe auch auf das Holopad richtete und es ebenfalls wegblies − und dann die Vidbank vom Sicherheitssystem, die knisterte und Funken sprühte, als ein komprimierter Partikelstrahl ein Loch hindurchbrannte.

»Han!«, schrie Lando. »Han? Was machst du?«

»Er ist tot.« Han schoss einen Datenblock von Leias Schreibtisch, dann musste sich Lando in Deckung werfen, weil der Blaster herumkam und auf ein holografisches Wandelement zielte. »Die haben unseren Jungen umgebracht.«

Han drückte ab und sah zu, wie die Spitzen von Terrarium City in einem Funkensturm aufgingen, dann war Adarakh bei ihm, sicherte den Blasterarm mit einem Kontrollgriff und rang ihm die Waffe aus der Hand. Han setzte sich auf die Hacken und begann zu schluchzen, zu erschöpft, um wütend zu sein, zu sicher, was Leias Blick bedeutete, um die Wahrheit zu bezweifeln.

Leia schien von all dem nichts mitzubekommen. Sie klagte gequält, erhob sich und rannte aus dem Zimmer. Han sah ihr hinterher und begriff irgendwo im Hinterkopf, dass Ben weinte. Lando hockte sich neben ihm hin. Den Blasterarm noch immer in Adarakhs Griff, sah er seinen alten Freund an.

»Anakin ist tot.«

»Han, das ist schrecklich. Mein Beileid.« Lando setzte sich zu Han, bemerkte Adarakhs Blick und deutete mit dem Kopf zur Tür. »Zuerst Chewie und jetzt er. Ich kann es nicht fassen.«

»Ich auch nicht. Diese schrecklichen Sachen, die ich ihm vorgeworfen habe…«, sagte Han. Im hinteren Teil der Wohnung schrie Ben lauter als je zuvor, und Leia übertönte ihn sogar noch mit ihrem Schluchzen. »Ich habe ihn da hineingetrieben. Er musste beweisen…«

»Nein.« Lando beugte sich vor und sah ihm in die Augen. »Hör mir zu, alter Freund. Anakin starb, weil er ein Jedi-Ritter war, der tat, was Jedi-Ritter tun − nicht wegen irgendetwas, das Chewbacca zugestoßen ist, nicht, weil er dir irgendetwas beweisen wollte.«

»Woher willst du das wissen?«, schnappte Han. Er wurde nicht aggressiv, weil Lando etwas Falsches gesagt hatte, sondern weil die Wut zurückkehrte und er jemanden anschreien musste. »Schließlich war er nicht dein Sohn.«

»Nein, war er nicht.« Ein schmerzlicher − vielleicht sogar schuldbewusster − Zug erschien in Landos Blick. »Aber ich war derjenige, der ihn den Yuuzhan Vong übergeben hat. Er hat sich keine Schuld mehr an dem gegeben, was Chewbacca passiert ist… und er wusste, wie sehr du ihn liebst. Das konnte jeder sehen.«

Die Sanftheit von Landos Stimme raubte Hans Zorn die Basis, und stattdessen stellte sich Verzweiflung ein. Er wusste, sein Freund versuchte nur, ihn zu trösten, ihn daran zu hindern, abermals so zusammenzubrechen wie nach Chewbaccas Tod − dennoch klangen die Worte hohl in seinen Ohren. Han wusste, wie er sich nach Chewies Tod benommen hatte, wie er seinen Zorn an Anakin ausgelassen und nicht verhindert hatte, dass der Rest der Familie auseinander driftete, während er sich in seinem Gram wälzte. Er hätte sie beinahe alle verloren, und nun ging es wieder von vorn los − und diesmal würde Leia nicht mehr da sein, um sie alle zusammenzubringen. Diesmal würde Leia selbst jemanden brauchen, der für sie da war.

C-3PO kam ins Zimmer geklappert, und seine elektronische Stimme klang schrill vor Aufregung. »Bitte, Hilfe! Mistress Leia hat Nana abgeschaltet, und jetzt wird sie ihn erdrücken!«

Lando ließ die Hand auf Hans Schulter liegen und erhob sich. »Wen erdrücken, C-3PO?«

C-3PO warf die goldenen Arme in die Luft. »Ben! Sie lässt ihn nicht mehr los.«

»Ich werde sehen, was ich tun kann.« Lando schob C-3PO in Richtung Han und trat zur Tür. »Pass auf ihn auf.«

»Nein, Lando − ich gehe zu ihr.« Han packte C-3POs Arm und zog sich hoch. »Das ist meine Aufgabe.«

Lando zog eine Augenbraue hoch. »Kriegst du das auch hin?«

Han nickte. »Es muss sein.«

Er ging voraus zum Kinderzimmer im hinteren Teil der Wohnung. Leia stand vor dem Transparistahlfenster, drückte Ben an die Schulter, und während sie hinaus auf den vorbeifahrenden Schweberverkehr starrte, klopfte sie dem Kleinen leicht auf den Rücken und wiegte ihn sanft. Wenn sie überhaupt begriff, dass der Säugling weinte, dann war ihr sicherlich nicht klar, dass dies von ihren eigenen Klagen ausgelöst wurde.

Han trat zu ihr, scheuchte den Noghri hinaus und schob die Hand sachte zwischen Leia und das Baby.

»Lass los, Leia.« Vorsichtig nahm er ihr Ben ab. »Du musst ihn mir geben.«

Ihr Blick suchte sein Gesicht, und dennoch schien sie durch ihn hindurchzusehen, ohne etwas von ihm wahrzunehmen. »Han?«

»Richtig.« Han sah zu Lando hinüber und reichte ihm Ben, dann schlang er die Arme um sie und hielt sie fest − hielt sie einfach nur fest. »Ich bin hier, Prinzessin. Ich werde immer für dich da sein.«