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Vor dem Sichtfenster des Medicenters zog eine Sichel aus weiß funkelnden Punkten, die gemeinhin als Dralls Hut bekannt war, über den violetten Himmel, und ihre untere Spitze schnitt durch den Ronto und berührte einen roten Stern namens »Auge des Piraten«. Die Konstellationen über Corellia hatten sich nicht verändert, seit Han Solo ein Kind gewesen war, nächtelang die Tiefen der Galaxis betrachtet und davon geträumt hatte, ein Sternenschiffkapitän zu werden. Damals hatte er geglaubt, die Sterne seien unveränderlich und würden in immer gleicher Gesellschaft jedes Jahr durch dasselbe Stück Himmel wandern. Inzwischen wusste er es besser. Wie alles in der Galaxis wurden Sterne geboren, sie alterten und sie starben. Sie schwollen zu roten Riesen an oder fielen zu weißen Zwergen zusammen, sie explodierten als Nova und Supernova oder verschwanden einfach in Schwarzen Löchern.

Und allzu oft wechselten sie den Besitzer.

Seit dem Fall des Duro-Systems waren nahezu drei Wochen vergangen, und noch immer konnte Han es kaum fassen, dass die Yuuzhan Vong jetzt einen Vorposten im Kern besaßen. Von dort aus konnten sie gegen Commenor, Balmorra, Kuat und − an vorderster Front − Corellia losschlagen. Sogar Coruscant war nicht mehr sicher, da es am anderen Ende der corellianischen Handelsstraße lag.

Schwerer zu verkraften als der Verlust von Duro − wenngleich leichter zu glauben − war der Enthusiasmus, mit dem die Feiglinge in der Galaxis auf das Friedensangebot des Feindes reagiert hatten: Frieden im Austausch gegen Jedi. Auf Ando hatte ein Lynchmob bereits Dorsk 82 ermordet, und auf Cujicor hatten die Friedensbrigaden Swilja Fenn gefangen genommen. Hans Sohn Jacen galt als meistverfolgter Jedi der Galaxis, und seine Frau Leia sowie seine anderen Kinder Anakin und Jaina wurden mit ähnlich großem Eifer gejagt. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätten die Jedi diese Kollaborateure einfach ihrem Schicksal überlassen und sich eine sichere Zuflucht irgendwo in den Unbekannten Regionen suchen sollen.

Aber diese Entscheidung lag nicht bei Han, und Luke Skywalker hörte nicht auf ihn.

Er hörte ein gereiztes Murmeln vom Lift her, das die elektronische Stille des Terminals vor Leias Tür störte. Han stellte das Transparistahl-Sichtfenster so ein, dass es undurchsichtig wurde, dann trat er um das Bett, in dem seine Frau im künstlichen Koma lag. Ihre Augen waren dunkel gerändert, ihre Haut so bleich wie Wampa-Fell. Obwohl man ihm versichert hatte, Leia würde diese Behandlung überleben, bereitete ihm ihr Anblick Qualen. Während des Falls von Duro hätte er sie beinahe verloren, da eine hartnäckige Folge nekrotischer Infektionen immer wieder ihre verletzten Beine bedroht hatte. Noch größere Zweifel hegte er wegen ihrer gemeinsamen Zukunft. Sie hatte ihn durchaus herzlich begrüßt, als sie sich wiedergefunden hatten, aber seit Chewbaccas Tod hatte sich bei ihm zu vieles verändert, als dass er ihre Ehe so hätte weiterführen können wie bisher. Han fühlte sich zerbrechlich, älter und seines Platzes in der Galaxis weniger sicher. Und in den wenigen Stunden, in denen sie zum Sprechen fähig gewesen war, hatte Leia zögerlich gewirkt, zaghaft und nicht bereit, ihre Meinung klar auszudrücken.

Durch die Tür spähte Han aus dem abgedunkelten Raum hinaus und entdeckte vier menschliche Krankenpfleger, die den MD-Droiden am Terminal umringten. Obwohl sie eine abgedeckte Repulsortrage bei sich hatten und offensichtlich frische weiße Kleidung trugen, fehlten ihnen die Gesichtsmasken und die sterilen Handschuhe, die in der Isolierstation für Besucher vorgeschrieben waren.

»… sehen für mich nicht aus wie Krankenpfleger«, sagte der MD-Droide gerade. »Ihre Fingernägel sind Brutstätten für Bakterien.«

»Wir haben die Müllschlucker gereinigt«, sagte die Anführerin der Gruppe, eine Frau mit Schlitzaugen, schwarzem Haar und einer Stimme, die an das Fauchen eines hungrigen Rancors erinnerte. »Aber keine Sorge, wir sind durch die Dekon gegangen.«

Während sie sprach, schob sich einer der Männer um den Tresen hinter den Droiden. Han ging zurück ins Zimmer und holte seinen Blaster aus einer Tasche unter Leias Bett. Obwohl er diesen Augenblick seit drei Wochen mit Anspannung erwartet hatte, fühlte er sich fast erleichtert, als es nun endlich so weit war. Der Feind kam nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem Han schlief oder nicht in Leias Zimmer war, und sie waren nur zu viert.

Han kehrte an die Tür zurück und sah den MD-Droiden, dessen Photorezeptoren nicht mehr leuchteten und dem der Vokabulator auf die Brust gesunken war. Der Krankenpfleger hinter dem Tresen betrachtete den Datenbildschirm.

»In der Patientenliste steht sie nicht, Roxi«, sagte er zu der Frau.

»Natürlich nicht«, knurrte Roxi. »Slug, glaubst du vielleicht, eine Jedi würde ihren richtigen Namen benutzen? Sieh nach weiblichen Menschen mit Wunden von Amphistäben.«

Slug, ein Kerl mit Mondgesicht, Glatze und einem Stoppelbart, der wenigstens eine Woche alt war, scrollte die Liste und las verschiedene Symptome ab. »Parietale Schwellung… Thoraxverletzung… doppelt durchtrennter Musculus sartorius…« Er stockte. »Versteht ihr dieses Zeug?«

Roxi starrte den Mann an, als sei die Frage allein schon eine Beleidigung, dann fragte sie: »Was war das Zweite?«

Slug schaute wieder auf den Bildschirm. »Thoraxverletzung?«

»Das könnte es sein.« Roxi sah ihre anderen Begleiter an, und da die anscheinend keine bessere Vorstellung davon hatten, was Thorax bedeutete, fuhr sie fort: »Zumindest Verletzung klingt richtig. Welches Zimmer?«

Slug nannte ihr die Nummer, und die vier falschen Krankenpfleger machten sich zum Gang gegenüber auf. Han ließ ihnen einige Momente Zeit, damit sie den Bereich verlassen konnten, dann schlich er zum Monitor-Terminal und versiegelte das Zimmer seiner Frau mit, einem Quarantänekode. Der Gedanke, sie allein zu lassen, bereitete ihm Bauchschmerzen, doch musste er dieses Problem eigenhändig und in aller Stille aus der Welt schaffen. Obwohl der Arzt, ein Freund der Jedi, Leia unter falschem Namen aufgenommen hatte und Han die berühmten Solo-Kinder mit Luke und Mara heimgeschickt hatte, würde die Tarnung einer genaueren Untersuchung durch CorSec nicht standhalten. Angesichts der neuen Yuuzhan-Vong-Basis am Rand des Sektors würde niemand, der mit den Jedi in Verbindung gebracht wurde, seine Sicherheit Corellias unberechenbarer Regierung anvertrauen. Hätte Leias Zustand sie nicht gezwungen, nach der Flucht von Duro hier Halt zu machen, hätte Han sich hier niemals blicken lassen.

Er spähte um die Ecke des Terminals und sah die falschen Krankenpfleger, die im schwachen Licht der nächtlichen Station in einem Bacta-Raum verschwanden. Han nahm sich einen Datenblock vom Tresen, dazu eine Atemmaske, eine sterile Mütze, Handschuhe und einen Laborkittel aus einem Schrank und tarnte sich so gut wie möglich als Angestellter des Medicenters, ehe er ihnen folgte.

Die Eindringlinge hatten sich in der gegenüberliegenden Ecke vor Tank Drei versammelt und betrachteten eine schlanke menschliche Frau mit frisch vernähten Wunden auf der Brust. Wie Leias Verletzungen waren die Schnitte atypisch entzündet und fast schwarz an den Rändern, ein Zeichen dafür, dass irgendein Gift eine starke Herausforderung für das Bacta darstellte. Der einzige andere belegte Tank enthielt eine Frau aus Selonia, deren Schwanzstummel von fellfreier Haut bedeckt war.

»Ich dachte, sie hätten ihr den Kopf rasiert«, beschwerte sich Roxi und starrte auf das lange Haar der Patientin in Tank Drei. »Sogar im Bacta würde das Haar nicht so schnell nachwachsen.«

»Vielleicht nicht, aber die Schnitte stammen eindeutig von einem Amphistab«, erwiderte Slug. Er stand neben einem deaktivierten Dienstdroiden und studierte den Datenbildschirm. »Und hier steht nichts darüber, wie ihr die Verletzungen zugefügt wurden.«

Roxi zog die Augenbrauen hoch, dachte einen Moment lang nach und sagte dann: »Wir sollten sie lieber mitnehmen. Lass das Bacta ab. Wir holen sie ab, wenn wir die anderen Zimmer überprüft haben.«

Han zog sich zurück, schob den Blaster unter den Laborkittel und rückte seine Atemmaske zurecht. Als er die falschen Krankenpfleger kommen hörte, bog er mit dem Datenblock in der Hand um die Ecke. Dabei stieß er mit dem stämmigsten der vier zusammen und wurde beinahe zu Boden geworfen.

»Äh, Entschuldigung«, sagte Han und sah auf. »Ganz meine…« Er ließ den Satz unvollendet und sah von einem der Eindringlinge zum anderen. »Sie tragen keine Atemmaske!«

Der Mann runzelte die Stirn. »Was für eine Atemmaske?«

»Ihre Schutzmaske.« Han tippte an die Atemmaske auf seinem Gesicht. »Keiner von Ihnen. Haben Sie die Risikoanzeige nicht beachtet?«

»Risikoanzeige?«, fragte Roxi und schob sich nach vorn. »Ich sehe keine Anzeige.«

»In der Dekontaminationsschleuse«, erklärte Han. »Rot bedeutet: Kein Zugang. Orange heißt: kompletter Bioanzug. Gelb schreibt Atemmaske und Handschuhe vor. Das Licht war gelb. Wir haben einen Leuma-Ausbruch.«

»Leuma?«, fragte Slug.

»Das wird schon wieder«, sagte Han und traf genau den richtigen Ton unaufrichtiger Beruhigung. Er winkte Roxi zum Terminal. »Aber wir sollten Ihnen jetzt Atemmasken holen. Dann brauchen Sie die Impfung…«

Roxi machte keine Anstalten, den Bacta-Raum zu verlassen. »Von einer Krankheit namens Leuma habe ich noch nie gehört.«

»Ein Virus, das sich durch die Luft verbreitet«, erklärte Han. »Ein ganz neues − vielleicht ist es auch eine Spore. Wir wissen es bisher nicht genau, aber manche Kollegen meinen, es sei eine Waffe der Yuuzhan Vong.«

Das genügte, um Slug und den stämmigen Kerl in den Korridor zu locken.

»Wartet mal, ihr zwei!«, rief Roxi.

Die beiden blieben stehen, dann runzelte Slug die Stirn und sagte: »Aber wir brauchen die Atemmasken.«

»Und zwar schnellstens«, drängte Han, der sich Slug zuwandte. »Noch kann man Sie vermutlich retten, doch die Chancen sinken mit jedem Atemzug.«

Drei der Eindringlinge − die drei Männer − hielten die Hände vor den Mund. Roxi starrte Han bloß finster an.

»Und woher wissen Sie das alles?« Sie trat durch die Tür und baute sich vor ihm auf. Ihre Nase befand sich in Höhe seines Kinns. »Weil Sie Arzt sind?«

Han bekam ein flaues Gefühl im Magen. »Das stimmt.« Er musste dem Drang widerstehen, seine Erscheinung zu betrachten. »Ich bin der Oberxenoepidemiologe, um es genau zu sagen.« Er gab vor, ihre weiße Kleidung zu mustern. »Und Sie sind?«

»Verwundert, warum der Oberxenoepidemiologe seine Runde in den Pantoffeln für Patienten macht.« Roxi betrachtete seine Füße. »Ohne Socken.«

Sie spannte die Finger, und ein Blaster fiel aus einem Holster im Ärmel. Han fluchte und schlug ihr den Datenblock auf die Hand. Ihre Waffe landete scheppernd auf dem Boden, und er stieß sie mit dem Fuß zur Seite, wich zurück und kramte nach seinem eigenen Blaster. Roxi rannte in den Bacta-Raum zurück, brüllte Befehle und schob ihre Begleiter zur Tür. Lediglich Slug setzte sich in Bewegung. Er ignorierte Han und rannte den Korridor entlang.

»Slug!«, schrie Roxi.

»M-masken!«, rief Slug. »Ich brauche…«

Han hatte seinen Blaster gefunden und platzierte einen Betäubungsblitz zwischen Slugs Schulterblättern. Der falsche Krankenpfleger brach zusammen.

Waffen blitzten im Bacta-Raum auf. Han warf sich über eine halbhohe Wand in den kleinen Wartebereich gegenüber der Tür.

Seine Angreifer feuerten unaufhörlich; das dünne Plasteel begann zu rauchen und löste sich langsam auf. Mit dem Daumen stellte er seinen Blaster auf hohe Intensität, steckte ihn durch ein geschmolzenes Loch und erwiderte das Feuer.

Das Blitzgewitter verstummte. Han legte sich auf den Bauch und spähte um die Ecke. Die Eindringlinge waren nirgends zu sehen, doch im hinteren Raum stand die Repulsortrage. Die Frau in Tank Drei hatte die Augen aufgeschlagen und blickte sich um. Angesichts der Tatsache, dass sie unversehens mitten in ein Feuergefecht geraten war, wirkte ihr Gesicht überraschend ruhig. Vielleicht war sie zu stark sediert, um zu begreifen, was los war. Han hoffte es jedenfalls. Wenn sie das Mikrofon in ihrer Atemmaske nicht benutzte, um Hilfe zu rufen, bestand die Chance − eine winzige Chance −, dass er die Sache regeln konnte, ohne dass CorSec, der corellianische Sicherheitsdienst, den Vorfall mit Leias Zimmer in Verbindung brachte.

Der Blick der Frau bewegte sich, und dann hörte Han Roxis Stimme: »Los!«

Die männlichen Eindringlinge sprangen aus der Deckung und schossen wild um sich. Han brannte dem einen ein Loch in die Brust. Roxi zog etwas Langes unter dem Laken auf der Trage hervor, und als Han sich ein neues Ziel suchte, fand sie hinter Tank Drei Deckung. Er hörte auf zu schießen. Die Frau im Tank schien ihm dankbar zuzulächeln.

»Auf zwei, Dex«, rief Roxi. »Eins…«

Roxi trat vor, und das »Zwei« ging im Lärm ihres Repetierblasters unter. Han konzentrierte sein Feuer auf sie. Irgendwo in den Tiefen des Bacta-Raums gab es ein leises Zischen, und Dex’ Blaster verstummte.

Roxis Blitze brannten sich quer über den Flur auf Hans Kopf zu. Er zog sich zurück, kam in der Ecke hoch und richtete den Blaster auf die Tür. Roxi schoss in den Korridor, blieb jedoch außer Sicht, bis sie die Tür erreicht hatte. Jetzt nahm sie sich Hans kärgliche Deckung vor.

Han erwiderte das Feuer, allerdings mit wenig Erfolg. Von Dex war nichts zu sehen, und das machte ihm ebenfalls Sorgen. Da er einsah, dass er aus diesem Winkel nichts ausrichten konnte, stellte er das Feuer ein und spähte kurz in den hinteren Teil des Bacta-Raums.

»Jetzt!«, schrie er.

Nichts geschah, nur Roxi blickte lange genug zur Seite, damit Han sich quer durch den Wartebereich werfen konnte. Sie zielte neu und brannte weitere Löcher in die halbhohe Wand. Han erwiderte das Feuer. Nun war sein Schusswinkel besser, und zumindest musste sie sich ducken.

Dann glitt die Repulsortrage in Sicht und bewegte sich seitlich, obwohl niemand sie schob.

Roxi grinste höhnisch, schüttelte den Kopf und hätte Han, da sie sich nicht ein zweites Mal zum Narren halten lassen wollte, beinahe den Kopf abgeschossen.

Die Trage traf sie an der Hüfte. Die Strahlen bohrten Krater in die Decke, und Roxi taumelte aus der Tür. Han schoss Roxi in Brust und Schulter, wodurch sie herumgewirbelt wurde und auf der Trage zusammenbrach. Der Repetierblaster krachte auf den Boden im Bacta-Raum, wo Dex ihn sich holen konnte. Han verfluchte sein Pech, feuerte durch die Tür und griff an.

Dex lag tot zwischen Tank Eins und Zwei; ein letzter Rauchfaden stieg von dem runden Loch in seiner Brust auf. Für eine Blasterwunde war das Loch zu klein und perfekt, wenigstens für eine normale. Han blickte sich nach der Ursache um und durchsuchte den Raum nach dem geheimnisvollen Helfer.

Die Frau in Tank Drei schaute ihn aufmerksam an.

»Sie?«, fragte er.

Die Trage bewegte sich erneut − das konnte durch den Repulsor ausgelöst worden sein, aber Han glaubte es eigentlich nicht.

Draußen am Terminal öffnete sich zischend die Tür der Dekontaminationsschleuse, und Stiefelschritte kamen über den Korridor näher. Han ignorierte sie und deutete auf den Eindringling auf dem Boden.

»Ihn auch?«

Die Frau schloss die Augen, öffnete sie erneut, schloss sie wieder.

»Okay − muss ein Querschläger gewesen sein.« Han war nicht sicher, ob er das glauben wollte, aber er beabsichtigte, das immerhin den Beamten von CorSec zu erzählen. »Ich stehe in Ihrer Schuld − wer immer Sie sind.«

Dann stürmten die Sicherheitsleute durch den Gang und schrien Han zu, er solle die Waffe fallen lassen und sie auf den Boden werfen. Er legte den Blaster auf die Trage, drehte sich um und sah zwei rotbackige Jungs vor sich, die ihm Blastergewehre aus der Ära des Imperiums vor die Nase hielten.

»Hey, immer mit der Ruhe.« Widerstrebend hob Han die Hände. »Ich kann das alles erklären.«