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Der Geruch war eher süß als widerlich, jedenfalls für Tsavong Lah, um dessen verwesende Gliedmaße es sich handelte. Das Radank-Bein, durch das die Gestalter seinen Arm ersetzt hatten, reichte bis zu seinem Ellbogen, und die aggressiven Verbindungszellen, die sein eigenes Gewebe angriffen und töteten, waren schon weit über den Amputationspunkt hinaus vorgedrungen. Schuppen und Stacheln reichten bis zu seinem angeschwollenen Bizeps, und darüber krabbelten die Dipteramaden, die Gestalter ausgesetzt hatten, damit sie das sterbende Fleisch fraßen.

Wenn diese Veränderung an der Schulter aufhörte, würde ihm der Respekt des einen gewährt werden, der viel geopfert und mehr riskiert hatte, um die Götter zu ehren. Wenn die Veränderung sich jedoch fortsetzte bis in seinen Oberkörper oder er gar den Arm verlor, würde man ihn von seinen Pflichten entbinden und als Beschämten aus seiner Kaste verstoßen, von den Göttern zum Zeichen ihres Missfallens entstellt. Doch wo die Veränderung zum Stillstand kommen würde, hing vermutlich davon ab, wie lange der Verlust seiner Reecee-Flotte die Eroberung von Coruscant verzögern würde − und das wiederum hing davon ab, wie lange Nom Anor und Vergere benötigten, um die Solo-Zwillinge gefangen zu nehmen. Da er die Hälfte seiner Angriffsstreitmacht verloren hatte und die Möglichkeit − nein, die Wahrscheinlichkeit −, dass die Jeedai einen lebenden Yammosk in den Händen hatten, gestiegen war, wagte er keinen weiteren Angriff mehr, ehe er sich nicht des Segens der Götter versichert hatte.

Mit diesem Entschluss griff der Kriegsmeister zu einem Villip, der neben ihm ruhte, und kitzelte ihn wach. Obwohl er nackt in den reinigenden Dämpfen seiner privaten Säuberungszelle saß, machte sich Tsavong Lah nicht die Mühe, sich zu bedecken. Der Villip im Besitz seines Dieners zeigte nur den Kopf.

Nachdem er gereizt fast eine Minute gewartet hatte, stülpte sich der Villip um und zeigte einen schnaufenden Nom Anor. Er ließ dem Exekutor keine Gelegenheit, sich zu entschuldigen, weil der Kriegsmeister hatte warten müssen, sondern starrte ihn böse an.

»Ich nehme an, Sie jagen die Jeedai, Nom Anor, und fliehen nicht vor ihnen.«

»Niemals«, versicherte der Exekutor ihm. »Im Augenblick führe ich die Peitsche Zwei der Ksstarr bei der Verfolgung an.«

»Werden Sie die Flüchtlinge erwischen?«

»Ja«, sagte Nom Anor. »Wir haben zwar Verluste erlitten, aber Peitsche Drei wartet am Ende dieses Durchgangs und liegt dort im Hinterhalt. Diesmal können sie uns nicht entkommen.«

Die Verluste interessierten Tsavong Lah nicht. Er hatte bereits gehört, wie viele Schiffe die Jeedai über Myrkr zerstört hatten und wie sie die erste Kompanie der Ksstarr die Peitsche Eins − bis zum letzten Krieger niedergemetzelt hatten. Doch selbst die doppelte Zahl an Verlusten hätte er nicht für bedeutend gehalten.

»Sie werden den Solo-Zwillingen kein Haar krümmen.« Zum vierten oder fünften Mal erteilte Tsavong Lah diesen Befehl, aber diesmal sollte Nom Anor es endlich begreifen. »Ihre Krieger wissen doch, welches Schicksal denjenigen erwartet, der einen von beiden tötet.«

»Ebenso wie ich, Kriegsmeister«, sagte Nom Anor. »Die Zwillinge müssen am Leben bleiben. Ich habe außerdem Yal Phaath befohlen, seine Soldaten abzuziehen − obwohl er sich sträubt. Es wäre weise, wenn Sie diesen Befehl unterstützen würden.«

»Wenn Sie meinen«, stimmte Tsavong Lah zu und ignorierte für den Augenblick, dass sein Diener die Kühnheit hatte, ihm Empfehlungen zu geben, was er tun sollte. »Ich brauche diese Opfer, Nom Anor. Unsere Lage verschlechtert sich ständig, während ich auf Sie warte.«

»Sie werden nicht mehr lange warten müssen, Kriegsmeister«, versprach Nom Anor. »Mein Plan ist exzellent.«

»Das wäre ausgesprochen gut für Sie«, warnte Tsavong Lah. »Ich erwarte, bald von Ihnen zu hören.«

Er drückte dem Villip den Daumen in die Wange, woraufhin dieser den Kontakt abbrach und sich umstülpte. Der Kriegsmeister stellte diesen zur Seite, nahm den von Viqi Shesh und überlegte, ob der Zeitpunkt gekommen war, diesen besonderen Trumpf auszuspielen. Seit ihrer Entlassung aus dem Kontrollausschuss der Neuen Republik hatte sie doppelt gearbeitet, um ihren Nutzen für die Yuuzhan Vong unter Beweis zu stellen − weniger aus Gier oder Machthunger, dachte Tsavong Lah, sondern aus einem simplen Durst nach Rache. Solche Waffen neigten zu hoher Explosivität − was gut oder schlecht war, je nachdem, wann sie detonierten.

Die Tür der Dampfzelle öffnete sich spiralförmig und ließ einen kühlen Luftzug ein, der ihm angenehm über den nackten Rücken wehte. Ohne sich umzudrehen, brüllte er: »Habe ich nicht gesagt, ich würde mich reinigen? Wie können Sie es wagen, mich zu stören?«

»Mein Leben als Begleichung, Kriegsmeister.« Die Stimme gehörte Seef, seiner weiblichen Kommunikationsdienerin. »Aber die Wahl lag nicht bei mir. Lord Shimrras Villip hat sich umgestülpt.«

Ohne sich zu bedecken, erhob sich Tsavong Lah, drehte sich um und griff nach dem Coufee, den Seef ihm hinhielt. Außer in Situationen, die Fortpflanzung zum Ziel hatten, war es jedem Untergebenen verboten, den nackten Körper des Kriegsmeisters zu erblicken, ohne sein Leben zu verwirken −, aber als er sah, wie sie den Blick von dem eiternden Fleisch über der aufgepfropften Gliedmaße abwandte, ließ er die Waffe in ihrer Hand. Wenn er sie jetzt tötete, würden die Götter möglicherweise glauben, er wolle lediglich den Zustand seines Arms geheim halten.

Tsavong Lah betrachtete die Kommunikationsoffizierin kurz, dann schob er den Coufee zur Seite und kniff die Augen zusammen, sodass kein Zweifel an seinen Absichten blieb. »Machen Sie sich bereit.«

»Ja, Kriegsmeister.« Ihr Gesicht zeigte keinen Hinweis darauf, ob sie dieses Schicksal dem Tod vorzog. Seef schob den Coufee in die Scheide zurück und neigte den Kopf. »lch werde Sie in Ihrem Zimmer erwarten.«

Nachdem sie zur Seite getreten war, verließ Tsavong Lah seine Dampfzelle, hängte einen Mantel über die Schulterhaken und achtete sorgsam darauf, dass der Ärmel weit über dem Ellbogen endete, damit der Zustand seines Pfropfs für jeden zu sehen war. Er fand Lord Shimrras Villip auf dem Tisch; seine Gesichtszüge waren unleserlich unter der kapuzenartigen Vorwölbung seiner Epidermalmähne. Der Kriegsmeister berührte die Brust zum Salut und legte die Hand und die neue Klaue vor dem Villip auf den Tisch, dann drückte er die Stirn auf die Rückseiten der Hände.

»Höchster«, sagte er. »Vergeben Sie mir die Verzögerung. Ich habe mich gereinigt.«

»Die Götter schätzen den Reinen.« Shimrras Stimme klang wie ein dünnes Grollen. »Aber auch den Siegreichen. Was ist mit dieser Flotte, die Sie verloren haben?«

»Die Götter haben Grund, unzufrieden zu sein. Der Verlust war ein totaler − sechs Schwärme.«

»Eine teure Finte, mein Diener.«

Tsavongs Kehle wurde trocken. »Höchster, es war keine…«

»Ich bin sicher, Ihr Plan rechtfertigt das Opfer«, unterbrach ihn Shimrra. »Doch deshalb reden wir nicht.«

»Tatsächlich?« Tsavong Lah berichtigte Shimrra nicht; wenn der Höchste Oberlord den Verlust der Flotte zu einer Finte erklärte, dann war es so. Sofort wandten sich die Gedanken des Kriegsmeisters dem Problem zu, wie er mit einem einzigen Schlag die beachtlichen Verteidigungsstellungen von Coruscant zerschmettern könnte − vielleicht mit einer Variante des Minen sammelnden Mondes, der ursprünglichen Taktik bei Borleias, oder irgendwie durch den Einsatz von Flüchtlingsschiffen. Flüchtlingsschiffe waren gut − der Aufruhr wegen der Geiseln von Talfaglio hatte gezeigt, wie verletzlich die Neue Republik in dieser Hinsicht war. Als sich die groben Umrisse einer Idee im Kopf des Kriegsmeisters abzeichneten, sagte er: »Ich versichere Ihnen, mein Plan ist exzellent, Höchster, aber ich fühle mich geehrt, mit Ihnen über jedes andere Thema zu sprechen.«

Ehe er fortfuhr, zögerte Shimrra gerade lange genug, um sein Missfallen auszudrücken, ohne es auszusprechen, dann sagte er: »Der Erfolg Ihrer neuen Aufpfropfung steht in Frage?«

»Das stimmt«, antwortete Tsavong Lah. Er fragte nicht − nicht einmal sich selbst −, woher Lord Shimrra von seinen Schwierigkeiten mit dem Radank-Bein wusste. »Ich fürchte, mein Arm könnte die Götter beleidigt haben.«

»Es ist nicht Ihr Arm, mein Diener. Davon habe ich nichts gesehen.«

Tsavong Lah schwieg und versuchte verzweifelt herauszufinden, ob Shimrras Vision der Grund war, weshalb sie sich unterhielten, oder nur der Vorwand.

»Es sind die Zwillinge, mein Diener«, sagte Shimrra. »Die Götter werden uns Coruscant schenken, und Sie schenken ihnen diese Zwillinge.«

»So wird es sein, Höchster«, sagte Tsavong Lah. »Gerade in diesem Moment bringen meine Diener sie zur Strecke.«

»Sind Sie sicher?«, fragte Shimrra. »Die Götter möchten nicht noch einmal enttäuscht werden.«

»Meine Diener versichern mir, sie hätten einen exzellenten Plan entwickelt.« Es entging Tsavong Lahs Aufmerksamkeit nicht, dass Nom Anors Worte sehr ähnlich geklungen hatten wie seine eigenen Lord Shimrra gegenüber. »Sie werden nicht entkommen.«

»So möge es sein.« Shimrra schwieg einen Moment lang, dann sagte er: »Sehen Sie, und werden Sie gesehen, mein Diener.«

Tsavong hob den Kopf, erwiderte jedoch nichts. Er war aufgefordert worden zu sehen, nicht zu sprechen.

»Hören Sie Folgendes, Tsavong Lah«, sagte Shimrra. »Indem Sie Ihrer Villip-Dienerin erlaubt haben zu leben, haben Sie eine für sich behalten, die eigentlich den Göttern gehört.«

Tsavong Lah wurde kalt. »Höchster, das stimmt, aber es war nicht meine Absicht…«

»Es gefällt den Göttern, dass sie bei Ihnen bleibt. Beleidigen Sie die Götter nicht, indem Sie ihnen erklären, was sie längst wissen.« Shimrras Villip begann, sich umzustülpen. »Behandeln Sie sie gut, mein Diener. Mit dem Sieg wird alles vergeben.«