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Zur Etage der Solos in dem Eastport-Wohnturm ging es mit dem Turbolift vierzig Sekunden abwärts, und vierzig Sekunden waren Leia noch nie so lang erschienen. Sie zog ihr Lichtschwert aus der Tasche des mit Ölflecken verschmierten Fliegeroveralls, und Han überprüfte den Energiestand seines berühmten BlasTech DL-44. Angesichts der unaufdringlichen, aber sehr wachsamen Sicherheitsabteilung des Turms war Leia sicher, auf sie würden zwei Wachdroiden und ein Aufseher mit einem Retina-Scanner warten, wenn sie aus dem Lift stiegen. Solange Han nicht gleich ein Feuergefecht begann, wäre das vermutlich sogar eine gute Sache. In Situationen wie dieser konnte es nicht schaden, ein wenig Unterstützung zu haben.

»Kann dieses Ding nicht schneller fahren?«, knurrte Han.

»Es gibt keine Beschleunigungskompensatoren in Turboliften«, erinnerte ihn Leia. »Nur Geduld, Han.«

Han schwieg einen Moment, ehe er fragte: »Hat Adarakh gesagt, sie seien unterwegs oder bereits im Gebäude?«

»Auf unserem Stockwerk«, meinte Leia. »Er sagte, sie seien bereits auf unserem Stockwerk.«

 

Mit den seltenen roten Ladalums und dem milchweißen Larmalsteinboden erschien das Atrium der Solos Viqi Shesh so verlassen und ruhig wie bei ihrem ersten Besuch. Anstatt wie ein zufälliger Passant vorbeizugehen, hielt sie diesmal direkt auf die Sackgasse zu, und die hoch aufragenden Gestalten der Yuuzhan Vong, einer ganzen Infiltrationszelle, folgten ihr auf den Fersen. In blaue Overalls des Städtischen Gesundheitsamtes gekleidet und mit ihren einander ähnlichen Ooglith-Masken vor dem Gesicht wirkten Viqis Begleiter eher wie ein Trupp Attentäter, nicht wie ein Ungezieferkontrollteam − was allerdings kaum eine Rolle spielte. Droiden waren nicht in der Lage, aus einer eigenartigen Ähnlichkeit auf eine Bedrohung zu schließen, und im Inneren würden keine Sicherheitsleute wach sein, um sie zu bemerken. Vor zehn Minuten war sie unschuldig vorbeigegangen und hatte in eine Ultraschallpfeife geblasen, damit sich ihr Sensi-Überwachungskäfer selbst zerstörte und eine unsichtbare Wolke von Sporen absonderte, die sofortigen Schlaf herbeiführten. Inzwischen würden in der Wohnung der Solos alle einschließlich von Ben Skywalker friedlich schlummern.

Viqi hatte das Atrium bereits fast betreten, als sie plötzlich ein Rascheln hinter sich hörte. Sie drehte sich um und sah, wie die Infiltratoren ihre Kragen öffneten und nach den Gnulliths griffen, die sie unter ihren Overalls verborgen hatten.

»Noch nicht, meine Herren.« Um das Sicherheitssystem nicht durch ein Stressmuster in ihrer Stimme zu warnen, sprach Viqi im Flüsterton. »Wir wollen doch keinen Alarm auslösen.«

»Aber die Sporen…«

»Werden nach fünf Minuten unwirksam, so wurde es mir erklärt.« Viqi gefiel es ganz und gar nicht, wenn ihr Urteilsvermögen von einem männlichen Untergebenen in Frage gestellt wurde. »Inzwischen sind zehn Minuten vergangen.«

»Nach fünf Minuten sinken sie zu Boden«, berichtigte der Anführer. Sein Name lautete Inko oder Eagko oder so ähnlich. »Wenn sie wieder in die Luft gewirbelt werden…«

»Wir setzen die Masken auf, wenn wir drin sind, Inkle.« Viqi schob die Hand des Anführers zurück unter den Overall und deutete mit dem Kinn auf den Serv-O-Droiden GL-7, der geduldig vor der Kristastahltür stand. »Wenn der Empfangsdroide ein Team von der Ungezieferkontrolle sieht, das in Gnulliths ankommt, sind die Sicherheitsbeamten des Turms hier, ehe wir das Atrium durchquert haben. Wir müssen ihn außer Gefecht setzen, ehe wir uns enthüllen.«

Der Anführer dachte darüber einen Moment nach, dann nickte er seinen Kriegern zu und zog die Hand ohne Gnullith zurück. »Ingo Dar«, sagte er. »Ich heiße Ingo Dar.«

»Natürlich.« Viqi verdrehte die Augen und wandte sich wieder dem Atrium zu. »Folgen Sie mir, Ingo − und tun Sie nur, was ich Ihnen befehle.«

Obwohl Viqi kurz davor stand, sich als eine der berüchtigtsten Verräterinnen in der Geschichte der Neuen Republik zu entlarven, hatte sie weder ihre Erscheinung noch ihre Stimme verändert. Eine gründliche Analyse der Sicherheitsdaten würde eine solche Tarnung sowieso durchschauen, und sie wusste von ihrem Spion im Sicherheitsministerium, dass jeder Versuch, die verborgenen Holokameras und Mikrofone zu meiden, zum Scheitern verurteilt wäre. Außerdem gehörte das einfach zu ihrem Charakter − und zwar zu einem der grundlegenden Züge −, dass sie Luke Skywalker zeigen wollte, wer seinen Sohn entführt hatte. Niemand durfte Viqi Shesh einen Strich durch die Rechnung machen und hoffen, die Folgen nicht tragen zu müssen -nicht einmal ein Meister der Jedi.

Natürlich würde es auch Folgen für Viqi geben. Sie würde zu einer Gejagten werden, einer verschmähten Verräterin, und ihr ganzer Planet würde durch ihre Untreue gebrandmarkt werden − allerdings nicht für lange Zeit, dessen war sie sicher. Seit sie ihren Sitz im NRMAK verloren hatte, war sie im Wert für den Kriegsmeister sogar noch gestiegen, da sie ein Netz von Spionen rekrutiert hatte, die lediglich glaubten, sie wolle ihr verlorenes Prestige zurückgewinnen. Nicht nur das Geheimnis der Jedi-Schattenbomben hatte sie für ihn aufdecken können, sondern auch die technischen Daten der Schwerkraftprojektoren an Bord der Mon Mothma und der Elegos A’Kla sowie die gegenwärtige Position der Hyperraumminen der Neuen Republik, die sich nun zwischen Borleias und Coruscant befanden. Tsavong Lah wusste, mit dieser Aktion, die die Jedi ablenken sollte, verlor er seinen besten Spion − und Viqi konnte sich nur einen Grund denken, weshalb er das tat.

Tsavong Lah würde nach Coruscant kommen, und zwar bald.

Während Viqi sich der Tür näherte, drehte der GL-7 ihr das lächelnde Gesicht zu und machte großes Aufhebens darum, ihre Gesichtszüge zu scannen − was er, wie sie wusste, bereits aus zwanzig Metern Entfernung getan hatte, als sie auf den verborgenen Druckschalter am Eingang zum Atrium getreten war. Sie lächelte herzlich, schob eine Hand in ihren modischen Hüftbeutel und griff nach dem ausziehbaren Zwei-Schuss-Blaster, den sie in ihrem nicht durchleuchtungssicheren Kosmetiketui versteckt hatte.

»Senatorin Shesh, wie freundlich von Ihnen vorbeizuschauen!« Der GL-7 strahlte elektronische Begeisterung aus. »C-3PO informiert mich, dass die in der Wohnung anwesenden Personen zur Zeit schlafen, aber er erwartet ihr Aufwachen in Kürze. Wenn Sie und Ihre Freunde zu warten belieben, würde er Ihnen gern Erfrischungen anbieten.«

»Erfrischungen?« Eine solche Begrüßung hatte Viqi nun überhaupt nicht erwartet, aber vielleicht war das Programm ja seit ihrer »Versetzung in den Ruhestand« als Vorsitzende von SELCORE nicht mehr aktualisiert worden. Leia Solo war so erpicht darauf gewesen, der Senatorin, die das Geld für die Flüchtlinge verwaltete, einen herzlichen Empfang zu bereiten. Viqi ließ den Blaster in ihrer Hüfttasche und sagte: »Ja, eine Erfrischung wäre sehr schön.«

»C-3PO erwartet Sie in der Wohnung.« Die Kristastahltür glitt auf. »Ich wünsche Ihnen einen angenehmen Aufenthalt.«

Nur ihre langjährige Erfahrung als Politikerin verhinderte, dass Viqi die Kinnlade herunterfiel. »Danke. Den werde ich sicherlich haben.«

In der Hoffnung, die Infiltratoren würden nichts Dummes anstellen − wie zum Beispiel unter den Overalls nach den Amphistäben greifen, die sie um die Hüften geschlungen hatten −, überschritt Viqi die Schwelle und betrat das Foyer, ein Atrium mit Kuppel, sehr ähnlich demjenigen, aus dem sie gerade gekommen waren, wenn auch wesentlich kleiner und weniger prachtvoll. Zur Linken führte eine zweiflüglige Tür zum Skywaybalkon, wo zwei Meter tiefer der Hoverschlitten eines populären Luftbettenverkäufers wartete, damit sie rasch verschwinden konnten.

Der goldene Protokolldroide der Solos erschien aus dem Inneren der Wohnung. »Ich bin C-3PO, zuständig für Mensch-Maschine-Beziehungen.«

»Die ganze Galaxis weiß, wer du bist, C-3PO«, erwiderte Viqi trocken.

»Wie freundlich von Ihnen, Senatorin Shesh.« C-3PO deutete auf eine Polstergarnitur, die um eine Ladalum in einem Topf gruppiert war, dann sagte er: »Wir haben Sie erwartet. Setzen Sie sich bitte, und ich werde in Kürze entgegennehmen, was Sie und Ihre Freunde trinken möchten.«

Der Ton des Droiden war so angenehm sachlich, dass die Bedeutung dessen, was er sagte, Viqi nicht klar wurde, bis er sich abgewandt hatte und hinter einer Ecke verschwunden war. Die Infiltratoren kramten umgehend unter den Overalls nach ihren Gnulliths, aber Viqi zog den Blaster heraus und ging dem Droiden hinterher.

»C-3PO! Ihr habt uns erwartet

»Aber ja, Senatorin Shesh.« Der Droide kehrte sofort zurück, und seine metallischen Hände hielten eine zarte Vors-Glaskugel, die im Inneren mit organischem Material bespritzt war. »Man hat mir zu verstehen gegeben, dies gehöre Ihnen.«

Während sie noch immer versuchte, die Situation zu begreifen, zielte Viqi mit ihrem kleinen Blaster auf den Kopf des Droiden. »Bleib hier.«

C-3PO stoppte. »Oh nein.« Die Glaskugel rutschte ihm aus den Händen. »Ist das wirklich notwendig?«

Viqi hatte noch genug Zeit, einmal tief Luft zu holen, ehe die Kugel auf dem Fliesenboden zerschellte, dann schob sich ein kleiner, grauhäutiger Kerl an dem Droiden vorbei. Er hielt einen T-21 Repetierblaster in der Hand und trug, wie Viqi sah, eine Atemmaske.

Viqi feuerte einmal in seine Richtung und hörte, wie der erste Infiltrator zu Boden ging. Der graue Kerl feuerte zweimal an ihr vorbei, und zwei weitere Krieger brachen zusammen. Als der vierte fiel, erkannte Viqi die Aussichtslosigkeit der Situation und wollte fliehen. Selbst wenn einer der Yuuzhan Vong lange genug bei Bewusstsein blieb, um seinen Gnullith aufzusetzen, würden sie an dem Noghri nicht vorbeikommen.

Als sie sich dem Skywaybalkon näherte, glitten die beiden Flügel der Tür automatisch auseinander, und ein zweiter Noghri sprang herein. Viqi machte noch zwei Schritte und feuerte den letzten Schuss des Blasters ab. Der Blitz verfehlte sein Ziel, aber er zwang den Noghri, zur Seite zu springen.

Diesen Moment nutzte Viqi aus. Sie rannte über den Balkon und warf sich über das Sicherheitsgeländer.

Mit ein bisschen Glück würde der Hoverschlitten noch dort sein, zwei Meter tiefer.

 

Die Beuge von Lukes Arm fühlte sich seltsam leer an ohne Ben. Zu den seltsamsten Zeiten erwischte er sich dabei, wie er die Hand vor dem Bauch hielt, den Ellbogen mit leichtem Abstand, von einem Fuß auf den anderen wippte und leise vor sich hin summte. Manchmal, so wie jetzt, fühlte er sogar die Wärme an der Stelle, wo sein Sohn ihn berühren würde, oder die Luft roch süß nach der Milch in Bens Atem.

Plötzlich spürte er eine Stille in der Luft und sah auf, und die drei Frauen im Raum − Mara, Danni, Cilghal − betrachteten ihn mit wissendem Lächeln. Er spürte, wie er errötete, und wusste, er brauchte gar nicht leugnen, dass er mit den Gedanken woanders gewesen war.

»Also, nichts scheint zu funktionieren.« Er zuckte und lächelte dümmlich, dann blickte er durch das Transparistahlsichtfenster auf die sich windende Masse von Tentakeln in dem Nährflüssigkeitstank. »Ich dachte, wir können es vielleicht mit Musik versuchen.«

»Sicher, sicher, Luke«, sagte Mara. »Bestimmt wird jeder Yammosk-Kriegskoordinator von ›Tanze, tanze, kleiner Ewok‹ hypnotisiert.«

»Warum nicht?«, fragte Cilghal. »Es wird genauso gut funktionieren wie alles, was wir schon versucht haben. Wir wissen, sie kommunizieren durch Schwerkraft-Modulation, aber in dem Wellenmuster muss sich etwas befinden, was wir übersehen. Was immer wir ausprobieren, er kann nicht antworten.«

»Kann nicht oder will nicht?«, fragte Luke und betrachtete das Wesen genauer. »Wir sprechen über Yammosks, als wären sie Tiere, aber ich bin mir da nicht so sicher. Wenn er nun einfach nicht antworten will? Wenn die klug genug sind, um eine Schlacht zu leiten…«

»Dann sind sie auch klug genug, uns nicht helfen zu wollen«, sagte Danni. Sie schüttelte müde den Kopf. »Für jeden Schritt vorwärts…«

Lukes Komlink klingelte, dann Maras.

Mara hatte ihres zuerst in der Hand. »Hier Mara.«

»Alles ist in Ordnung, aber Leia denkt, ihr solltet wissen, dass wir hier gerade ein wenig Aufregung hatten.« Hans Stimme klang blechern und kratzig, weil die Kom-Zentrale von Eclipse das Signal auf zwei Komlinks splittete. Luke beendete seine Verbindung, und nun klang er wieder wie Han. »Ihr braucht euch keine Sorgen zu machen.«

Luke und Mara sahen sich an, dann wollte Mara wissen: »Was meinst du mit: Wir brauchen uns keine Sorgen zu machen? Wenn es nichts gäbe, worüber wir uns Sorgen zu machen brauchen, würdest du dich dann bei uns melden und uns sagen, es gebe nichts, worüber wir uns Sorgen zu machen brauchen?«

»Viqi Shesh hat auf einen Besuch reingeschaut«, sagte Leia. »Sie hatte eine Gruppe Infiltratoren bei sich.«

»Und die waren hinter Ben her?«, fragte Luke.

»So sieht es aus«, meinte Han. »Adarakh und Meewalh haben sie im Foyer überwältigt. Die Yuuzhan Vong sind entweder tot oder unterwegs zur Verhöreinrichtung des Geheimdienstes der Neuen Republik.«

»Und Viqi?«, fragte Mara.

»Sie ist vom Balkon gesprungen«, sagte Leia.

»Aber tief ist sie nicht gefallen«, fügte Han hinzu. »Sie hatte einen Hoverschlitten im Stockwerk unter uns stehen. Der Geheimdienst verfolgt den gerade.«

»Aber es wird nicht lange dauern, sie zu finden«, fügte Leia hastig hinzu. »Innerhalb einer Stunde wird jede Stimmerkennung auf Coruscant mit ihren Daten ausgerüstet sein.«

Luke und Mara sahen einander an, dann zuckte Mara mit den Schultern.

»So, wer hat gesagt, ich würde mir Sorgen machen?«, fragte Mara. »Wenn irgendwer in der Galaxis weiß, wie man mit Kidnappern umzugehen hat, dann Han und Leia Solo.«

Daraufhin lachten sowohl Han und Leia, die fast schon nicht mehr nachzählen konnten, wie oft eines ihrer Kinder entführt worden war.

»Aber ihr beide bleibt jetzt, wo ihr seid«, befahl Mara. »Keine geheimen Aufklärungsmissionen mehr, wenn ihr eigentlich auf meinen Sohn aufpassen sollt!«

»Bestätige«, sagte Han. »Ich könnte mir durchaus vorstellen, eine Weile auf der Couch zu liegen.«

Nachdem das Gespräch beendet war, spürte Luke weiterhin eine Unruhe bei Mara. Er wartete, bis sie in den kalten Korridor getreten waren − das Heizsystem von Eclipse funktionierte mal wieder nicht so, wie es sollte −, dann fuhr Mara herum und zog ihren Thermoanzug bis zum Hals zu.

»Es ist nicht leicht, hier zu sein«, sagte er. »Nicht, wenn die Yuuzhan Vong auf Coruscant hinter Ben her sind.«

Mara brachte ein Lächeln zustande. »Und wo jetzt alles so ruhig ist…«

»Du könntest dir wahrscheinlich ein paar Tage freinehmen. Ben würde seine Mutter bestimmt gern sehen.«

»Und vor allem würde seine Mutter ihn gern sehen«, sagte Mara. Sie verstummte, dachte nach und schüttelte den Kopf. »Aber sie möchte ihn auch gern beschützen, und der einzige Weg, das zu erreichen, besteht darin, die Yuuzhan Vong von Coruscant fern zu halten. Und angesichts der vielen Flüchtlingskonvois, die von Ralltiir und Rhinnal verschwinden, erscheint mir die Situation ein wenig zu ruhig.«

Luke nickte. »Ich fühle es auch.« Er nahm ihre Hand, und sie gingen auf die Hangarhöhle zu, wo Corran Horn ihnen ein ergänzendes Zielsystem präsentieren wollte, das in den XJ3s installiert werden sollte. »Es ist die Dunkelheit vor der Nova.«