18
Die Tür öffnete sich mit einem ungewöhnlichen Rauschen, und Cilghals Haut wurde trocken. Die Voxyn waren tot.
Der Millennium Falke hatte sich von der Sweet Surprise gelöst, als die Notluke noch offen gestanden hatte, und der hintere Frachtraum war dem kalten Raum ausgesetzt worden. Die Wesen hatten sich in Schuppenkokons eingerollt und den entstandenen Unterdruck überlebt. Sie hatten auch das Vakuum überstanden -zumindest eine Weile −, indem sie in tiefen Schlaf verfielen. Aber die Kälte hatte sie am Ende getötet. Han hatte im Frachtraum den ganzen Weg über eine Temperatur nahe dem absoluten Nullpunkt beibehalten, und bei der Ankunft auf Eclipse waren die Voxyn starr gefroren. Cilghal hatte die Molekularstrukturen mithilfe der Macht erkundet; jede Zelle in ihren Körpern war geplatzt. Ihre Ergebnisse hatte sie mit Ultraschall und Thermoscans überprüft, dann hatte sie ein Dutzend verschiedene Thermoscans an den gefrorenen Kadavern durchgeführt, um nach irgendeinem verbliebenen Zeichen von Leben zu suchen. Erst nach dieser sorgfältigen Überprüfung hatte sie die Krallen aus dem Durastahldeck des Falken geschnitten. Sie mussten tot sein.
Trotzdem ging Cilghal kein Risiko ein − nicht bei Kreaturen, die Fleisch zersetzende Säure spuckten und ihre Opfer mit Schalldruckwellen betäubten, Kreaturen, deren Blut sich in den meisten Luftatmosphären in ein Nervengift verwandelte und deren Zehenpolster hundert tödliche Retroviren enthielt. Sie war zu erschöpft, um die Situation zu analysieren, war sich zu sehr der Fehler bewusst, die in letzter Zeit begangen worden waren, um mit dem Leben aller Anwesenden auf Eclipse zu spielen. Still trat Cilghal aus der Tür, holte ihr Komlink aus der Tasche und hob es an die Lippen.
Ein klagendes Wookiee-Stöhnen kam aus dem Raum, und sie wurde sich einer eigentümlichen Schwere in der Macht bewusst. Plötzlich wurde ihr klar, dass es sich bei dem Laut um Weinen handelte.
Das Weinen eines Menschen.
Cilghal spähte durch die Tür und sah eine Reihe junger Jedi, die auf der anderen Seite des Raums standen und durch ein Transparistahl-Beobachtungsfenster in den Schrank mit dem gefrorenen Gewebe starrten. Auf der einen Seite der Gruppe stand Anakin, groß, schlaksig und breit in den Schultern, wie eben männliche Menschen während des Übergangs von der Jugend zum Erwachsenen aussahen. Von hinten war er an seinem sandbraunen Haarschopf zu erkennen. Neben ihm stand wie immer Tahiri, klein und grazil, das blonde Haar kurz geschoren, die Füße nackt, die Evakuierungsschuhe in der einen Hand und Anakins Arm in der anderen. Das Wookiee-Klagen stammte von der anderen Seite der Gruppe, wo Lowbacca mit seinem rotbraunen Fell den haarigen Arm um Jaina Solo geschlungen hatte. Neben ihm standen Zekk und Tenel Ka. Zekk war ein drahtiger junger Mann mit wuscheligem, schwarzem Haar, das ihm über den Kragen hing, Tenel Ka eine große und schlanke Schönheit mit rostfarbenem Haar und oberhalb dem Ellbogen amputiertem Arm. Und mehr oder weniger in der Mitte stand derjenige, dessen Klagen Cilghal gehört hatte, der blonde Raynar Thul, der die Fäuste gegen den Transparistahl drückte und dessen Schultern sich hoben und senkten, während er schluchzte.
Cilghal blieb zunächst draußen und überlegte, ob es gerechtfertigt war, die jungen Jedi wegen einer weiteren Gewebeprobe zu stören. Sie waren eine verschworene Gemeinschaft, hatten viele der formenden Jahre zusammen beim Studium in Lukes Jedi-Akademie auf Yavin 4 verbracht. Zusammen hatten sie gegen Imperiale Kidnapper, Dunkle Jedi, skrupellose Verbrecherorganisationen und andere Gefahren, die die Mon-Calamari-Heilerin nicht kannte, gekämpft. Was immer sie in solche Trauer versetzte, es erschien ihr fast Unrecht, sich jetzt in ihre Versammlung zu drängen.
Sie wollte gerade fortgehen, aber ihre Anwesenheit war bemerkt worden. Tenel Ka drehte sich um und sah sie aus rot geränderten Augen an.
»Bitte, sei uns nicht böse«, sagte sie. »Wir wollten dich nicht bei deiner Arbeit stören.«
Da sie das Leid der Gefährten in der Macht spürte, jedoch unsicher war, was sie tun sollte, betrat Cilghal den Raum und ging zu dem Schrank, wo sie ihren Kryoanzug aufbewahrte. Den musste sie anziehen, um die Proben zu holen.
»Ist jemand gestorben?«, fragte sie und fürchtete die Wahrheit.
»Lusa«, sagte Anakin mit gebrochener Stimme. Lusa war eine enge Freundin von der Akademie auf Yavin 4, eine naturliebende Chironianerin. Anakin deutete vage auf die gefrorenen Kadaver im Gewebeschrank. »Ein Rudel Voxyn hat sie erwischt.«
»Wir haben es gerade über Subraum gehört«, fügte Tahiri hinzu. »Sie war zu Hause und lief einfach über eine Wiese.«
»Eigentlich befand sie sich in Sicherheit«, fügte Jaina hinzu und zog nun das Gesicht aus Lowbaccas Fell. »Chiron ist weit von den Yuuzhan Vong entfernt.«
Cilghal verspürte einen Stich, ausgelöst von Schuldgefühl. »Tut mir Leid, dass ich so langsam bin. Ich habe viel über diese Wesen herausfinden können, aber nichts, was uns weiterhilft.«
Raynar murmelte den Vorschlag, sie. solle härter arbeiten. Aus Respekt vor seiner Trauer tat Cilghal so, als habe sie ihn überhört, und stieg in ihren Kryoanzug.
Lowbacca gab sich nicht so großzügig, er stöhnte leise und tadelte den jungen Jedi für seine Unhöflichkeit. Raynar wollte etwas erwidern, doch brachte er kein Wort heraus, und er wandte sich wieder dem Gewebeschrank zu.
Jaina löste sich von Lowbacca, tätschelte Raynars Arm und sagte zu Cilghal: »Vergib Raynar, Cilghal. Er und Lusa waren sehr eng befreundet.« Obwohl Jainas Augen vom Weinen verschwollen waren, spürte Cilghal, dass das Rot darin von ihrer Wut kam. »Niemand ist böse auf dich. Jedi sterben, und der Senat gibt uns die Schuld, weil der Krieg verloren geht. Manchmal denke ich, wir sollten in die Unbekannten Regionen gehen und die Republik den Yuuzhan Vong überlassen.«
»Ich verstehe«, sagte Cilghal. Trauer − und vor allem junge Trauer − brauchte ein Ventil, oder sie fraß den Trauernden auf. »Aber was sollen wir tun, wenn die Yuuzhan Vong uns dorthin folgen?«
Jainas Augen wurden hart, doch sie nickte. »Ich weiß − und vermutlich würden uns die Chiss auch nicht willkommen heißen.«
»Dann müssen wir einen Weg finden, diesen Teil der Galaxis zu verteidigen.« Cilghal wäre beinahe umgekippt, als sie ein Bein in den Kryoanzug steckte. »Wenn wir können.«
»Haben diese Wesen eine Schwäche?«, fragte Tahiri. »Die Sandleute sagen, jeder habe eine Schwäche − jeder außer ihnen.«
»Bisher habe ich keine Schwäche bei ihnen gefunden«, antwortete Cilghal. »Wie wir vermutet haben, stammen sie zum Teil aus dieser Galaxis und zum Teil aus jener der Yuuzhan Vong, aber darüber hinaus habe ich nichts entdeckt. Vieles ergibt keinen Sinn.«
»Du bist müde.« Tenel Ka kam herüber und hielt ihr einen der unförmigen Ärmel. »Ich werde dir helfen.«
»Vielleicht sollte sie sich ausruhen.« Anakin drehte sich um, und seine Augen waren ebenso rot wie die von Tenel Ka. »Es ist schwierig, klar zu denken, wenn man sich kaum mehr auf den Beinen halten kann.«
Cilghal lächelte angesichts seiner Besorgnis. »Du hast natürlich Recht, aber ich kann mich einfach nicht überwinden zu schlafen, während andere sterben.« Sie schob den Arm durch den zweiten Ärmel. »Ich kann genauso gut auch arbeiten.«
»Können wir irgendwie helfen?«, fragte Tenel Ka. »Wir haben in einer Stunde Wachdienst, aber…«
»Ihr könnt aufpassen«, sagte Cilghal. »Ihr könnt mir sagen, wie es mir gelingt, die Proben immer wieder zu verunreinigen.«
»Verunreinigen?«, fragte Tahiri. »Inwiefern?«
»Die Genkodes sind ständig die gleichen«, sagte Cilghal. »Es liegt nicht an den Instrumenten − das habe ich überprüft −, also muss ich es sein, die die Proben verunreinigt.«
Tenel Ka wechselte einen Blick mit ihren Freunden, dann legte sie Cilghal eine Hand auf den Arm. »Wie oft hast du es probiert?«
»Viermal«, antwortete Cilghal.
»Und es sind ständig die gleichen Kodes?«, wollte Jaina wissen. »Exakt die gleichen?«
Cilghal nickte und versuchte zu erkennen, worauf die junge Jedi hinaus wollte. »Auch wenn Tekli die Proben nimmt.« Tekli war ihre Schülerin, eine junge Chadra-Fan, nicht älter als Jaina. »Es scheint ein systematischer Fehler zu sein.«
»Und wenn es gar kein Fehler ist?«, fragte Tenel Ka.
Eine Welle der Erschöpfung überfiel Cilghal, und sie schüttelte den Kopf. »Doch. Keine zwei genetischen Sequenzen sind identisch. Es gibt immer Unterschiede.«
»Nicht immer«, sagte Jaina.
Cilghal runzelte die Stirn, dann spürte sie, wie ihre Haut zu blassem Grün aufhellte. »Klone?«, stieß sie hervor. »Sie klonen die Voxyn!«
»Warum sollten sie das tun?«, wollte Tenel Ka wissen. »Wäre es nicht logischer, sie zu züchten?«
»Vielleicht.« Plötzlich war Cilghal wieder hellwach, und ihre Gedanken bewegten sich mit Lichtgeschwindigkeit. »Es sei denn, sie hätten nur einen.«
Anakins Augen leuchteten vor Aufregung auf, vielleicht auch vor Entschlossenheit. »Das wäre allerdings definitiv eine Schwäche.«
»Aber diese Voxyn, die wir hier haben, kamen alle vom gleichen Schiff«, merkte Tenel Ka an. »Können wir sicher sein, dass die von einem anderen Rudel nicht von einem anderen Exemplar abstammen?«
Cilghal dachte darüber kurz nach und ging die verschiedenen Tests durch, sowohl die wissenschaftlichen als auch diejenigen, die sie mithilfe der Macht zu dieser Frage durchführen konnte. Sie kam immer wieder zum gleichen Ergebnis.
»Ganz sicher können wir es nicht wissen«, sagte sie. »Nicht allein von einer Gruppe.«
»Dann brauchen wir mehr Proben.« Anakin war schon halb aus der Tür, als ihm auffiel, dass nur Taliiri folgte. Er sah die anderen finster an. »Wir brauchen sie sofort.«