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Noch ehe Jaina in die Anlage blicken konnte, die sich unten vor ihr ausbreitete, fürchtete sie, zu spät zu kommen. Eine ölige Rauchsäule stieg aus der Grube auf und sammelte sich unter einer verrußten Klappe, die sich in Abständen immer wieder öffnete und den Rauch ins Vakuum entließ. Die Luft roch nach verkohltem Fleisch und versengten Knochen, aber auch nach langsameren Arten der Zersetzung, was erklärte, warum dieser Ort so abgelegen war. Was auch immer die Yuuzhan Vong mit ihren Toten machten, sie konservierten sie jedenfalls nicht.

Obwohl der Signalsucher ihres Komlinks sie führte, entdeckte Jaina Lowbacca erst, als sich ein verstaubter Arm aus der Asche erhob und sie zu einem Beobachtungsbalkon vor dem Tunnel winkte. Sie ließ sich auf den Bauch fallen, versuchte, nicht daran zu denken, dass sie durch die verbrannten Überreste tausender Yuuzhan Vong kroch, und bewegte sich auf den Rand der Grube zu.

Was sie unten erblickte, erschien ihr eher wie ein Produktionsbetrieb, nicht wie eine Leichenhalle. Die Einrichtung, die ungefähr ein Zehntel so groß war wie der Raumhafen, bildete ein Fünfeck, in dem sich ein Dutzend großer Straßen traf, von denen die meisten aus dem düsteren Inneren des Weltschiffs kamen. Viele der unterirdischen Gänge waren dauerhaft mit Yorikkoralle verschlossen. Im Rest drängten sich trauernde Yuuzhan Vong, deren Anzahl sich durch die Maßnahmen des Kommandoteams ohne Zweifel vervielfacht hatte − ein Gedanke, der Jaina immerhin ein wenig Trost spendete. Hier wurde endlich der emotionale Panzer zerschmettert, den sie bei den Yuuzhan Vong stets erlebt hatte, seit Anni Capstan, ihre erste reguläre Fliegerkameradin im Renegaten-Geschwader, über Ithor verschwunden war. Die Yuuzhan Vong hatten es geschafft, dass ihr der Krieg wieder Qualen bereitete, und jetzt wollte sie die Feinde ebenfalls leiden lassen.

Wie im Raumhafen gelangte man durch die langen Kolonnaden am Boden der fünf Außenwände in ein Netz von Versorgungsgängen, deren Zweck Jaina höchstens vermuten konnte und der sie wenig interessierte. Die fünf Grotten, jeweils eine in jeder Ecke, erregten da schon mehr ihre Aufmerksamkeit. In jeder war ein Bildnis eines wichtigen Yuuzhan-Vong-Gottes aufgestellt, das in eine tiefe Grube starrte, die davor angelegt war. Hinter dieser Grube standen jeweils ein Priester und mehrere Diener, die Gebete sangen und die Trauernden heranwinkten, immer eine Gruppe nach der anderen, damit sie vortraten und einen Körperteil ihres Hingeschiedenen in die Grube warfen. Welche Stücke, das schien von der entsprechenden Statue abzuhängen. In eine Grube warf man die Haut, in eine andere die großen Knochen; in Yun Yammkas Grube − ihn erkannte Jaina als einzigen Gott − gossen sie Blut.

Die eigentliche Präparierung der Leichen wurde an einer der vielen Stationen, die mit unterschiedlicher Opulenz ausgestattet waren, im Inneren des Hofes durchgeführt. Die Auswahl des Präparators war offensichtlich mit einem intensiven Tauschhandel verbunden, da Jaina sah, wie die Trauernden debattierten und manchmal heftig mit den Schürzen tragenden Leichenpräparatoren stritten. Nachdem die Arbeit erledigt war, wurde zuerst am flammenden Scheiterhaufen im Zentrum der Anlage angehalten, und hier warf man Schädel und Hände in die Grube.

Jaina erkaltete innerlich. »Wenn sie das mit Anakin gemacht haben…«

Lowbacca stöhnte leise und zeigte zum Rand. Vorsichtig, um keine Asche über die Kante zu schieben, bewegte sich Jaina nach vorn und entdeckte zwanzig Meter unter sich eine Hand voll Yuuzhan-Vong-Krieger, die ein Spiel spielten, bei dem man ein fauchendes stacheliges Wesen in die nackte Brust des Gegners kicken musste, und zwar hart genug, damit es stecken blieb. Auf einer Seite stand Vergere und vollführte eine überraschend flüssige Trainingsfigur mit Anakins Lichtschwert.

»Wo ist Anakin?«, zischte Tahiri.

Lowbacca deutete auf den Gang hinter den Kriegern, dann auf eine nahe Luftschleuse, und erklärte in leisem Knurren, dass die Schleuse zu einer kleinen Andockgrube führte, wo der Shuttle von Vergere und ihren Begleitern wartete. Jaina und die anderen legten die Vakuumanzüge an, tarnten sich mit Asche und schauten während der nächsten Stunde den schauerlichen Ritualen unten zu. Hätten sie nicht beobachtet, wie zwei Yuuzhan Vong aus dem Gang kamen, den eingehüllten Körper eines Kameraden brachten und mit einem dieser kleinen Yorikkorallentransporter verschwanden, die die Yuuzhan Vong manchmal im Inneren des Weltschiffs benutzten, wäre ihnen das Warten endlos erschienen. So jedoch gab es Jaina die Gelegenheit, das Spektakel zu beobachten und zu hoffen, dass sich die Krieger, die Anakin getötet hatten, unter jenen befanden, die den Göttern geopfert wurden.

Schließlich trat ein Yuuzhan-Vong-Subalterner aus dem Gang und rief zwei Mann von der Besatzung des Shuttles zu sich. Die anderen zogen sich rasch an, streiften die dünnen Hemden über den Kopf und streichelten ihre lebenden Rüstungen, damit sie wieder angelegt werden konnten. Jaina hob vorsichtig den PowerMaster aus der Asche, säuberte Mündung und Zielsensoren, indem sie den Staub abpustete und abwischte.

»Schießt auf sie, sobald wir Anakin sehen können«, sagte Jaina über Komlink. Sie vermisste die Vertrautheit des Kampfgeflechts, doch war es vermutlich gut, dass Jacen nicht bei ihnen war, um sie miteinander zu verbinden; angesichts der Wut, die in ihr wühlte, wollte sie ihre Gefühle den anderen nicht gern offenbaren. »Wir springen runter, holen ihn, schnappen uns den Shuttle, suchen Jacen und bringen die Sache hier zu Ende.«

»Alles klar«, sagte Zekk und bestätigte damit den Befehl.

Als die anderen ebenfalls bestätigt hatten, kamen die beiden Besatzungsmitglieder in Sicht und hielten eine Hülle in Anakins Größe zwischen sich.

»Darf ich den Offizier übernehmen?«, fragte Alema und richtete den Langblaster auf den Subalternen.

»Er gehört dir«, antwortete Jaina.

Auch die anderen nannten ihre Ziele, Tahiri wählte den vorderen Träger, Zekk den hinteren. Lowbacca entschied sich für den Piloten, und Jaina richtete den Powerblaster auf Vergere.

»Ich habe den Federsack im Visier«, sagte sie. »Feuer auf…«

Vier Blasterblitze bohrten sich in die Leichengrube, doch Zekk stieß Jainas Lauf zur Seite, und ihr Schuss ging daneben und versengte den Boden neben Vergeres Füßen. Das Wesen sprang bereits zur Seite und schwenkte Anakins Lichtschwert so ruhig, als wüsste sie, wie man damit umgehen musste − ein Gedanke, der sofort absurd wirkte, als sie es fallen ließ und der Griff klappernd auf den Boden fiel.

Jaina fuhr zu Zekk herum. »Warum hast du das getan? Ich hatte sie!«

»Und wir wissen nicht, ob es gut gewesen wäre«, widersprach Zekk fast ebenso wütend. »Sie hat uns noch nie etwas getan, obwohl sie Gelegenheit gehabt hätte.«

»Die Gesellschaft, die sie sich ausgesucht hat, genügt!« Jaina schaute zurück in die Grube, doch ihr Ziel hatte sich Anakins Lichtschwert geholt und war außer Sicht in Deckung gegangen − und mit ihr waren der zweite Träger und die Leiche ihres Bruders verschwunden. »Zekk, mach das nicht noch einmal. Wage es nicht, dich mir in den Weg zu stellen!«

Inzwischen erhob sich in der Anlage erstauntes Gemurmel, da man begriff, dass man angegriffen wurde. Jaina hängte den Blaster über die Schulter, nahm das Lichtschwert vom Gürtel und warf sich kopfüber in die Grube. Während des Falls bremste sie mit der Macht, drehte sich und landete mit dem Gesicht in Richtung des Gangs zwischen Tahiri und Lowbacca. Alema stand auf der anderen Seite von Tahiri und hatte den Langblaster im Anschlag. Der Krieger, dessen Leben Zekk geschont hatte, wich unter die Mauer zurück, nutzte Anakins Leiche als Schild vor der Waffe der Twi’lek und zog den Coufee.

»Ihr zwei sichert den Shuttle«, befahl Jaina Lowie und Tahiri. »Alema und ich holen Anakin.«

Der Yuuzhan Vong stieß seinen Coufee in die Hülle und schnitt sie nahe des Kopfes auf. »Sie wollen ihren Jeedai?« Er schob die Klinge durch eine Schicht klaren, gelatineartigen Schleims und hielt sie Anakin an die Wange. »Bleiben Sie zurück, oder Sie bekommen ihn in Einzelteilen.«

Der Langblaster röhrte, verfehlte den Yuuzhan Vong, traf jedoch den Pfeiler des Bogens hinter dem Krieger. Der zuckte zusammen, blickte über die Schulter, während hinter ihm tonnenweise Schutt zusammenbrach, wandte sich wieder Jaina zu und bewegte das Messer auf Anakins Auge zu.

Der Zorn brodelte in ihr wie Magma, und sie nutzte die Macht, um Anakins Leiche einen heftigen Stoß zu geben. Der Yuuzhan Vong schrie überrascht auf, taumelte rückwärts in den einstürzenden Torbogen und zog den Coufee vom Auge fort. Jaina zerrte ihren Bruder aus dem Griff des Kriegers und ließ ihn zu Alema schweben.

»Nimm Anakin«, sagte sie.

Während sie sprach, öffnete sie sich ihrem Zorn und nutzte die Kraft dieser Emotion, um die Macht in sich zu konzentrieren. Vor langer Zeit hatten sie die Dunklen Meister Brakiss und Tamith Kai dazu zwingen wollen, als sie und Jacen zusammen mit Lowbacca in der Schattenakademie gefangen gehalten worden war. Die Kraft durchströmte sie in kalten Wellen, nährte den Hass auf die Yuuzhan Vong und verdoppelte ihn.

Mit einer Bewegung, welche Jaina kaum bemerkte, richtete sich der Krieger auf und warf seinen Coufee nach ihrer Kehle. Sie hätte sich ducken oder ihn mit dem Lichtschwert abblocken können, was sie jedoch unterließ. Stattdessen schlug sie ihn mit der freien Hand zur Seite, während glühende Energie in ihr knisterte, dann hob sie die Hand in Richtung des Angreifers und entlud die dunkle Kraft. Ein gegabelter Blitz erwachte knisternd wenige Zentimeter vor den Spitzen ihrer Handschuhe zum Leben, brannte ein Loch durch die Brust des Yuuzhan Vong und wirbelte ihn rauchend und reglos auf den Schutthaufen.

Jaina spürte, wie jemand sie beobachtete, und entdeckte Vergere, die sie aus dem Schutz eines nahen Torbogens anstarrte. Sie hielt Anakins Lichtschwert in der einen Hand, und ihre Augen strahlten einen eigenartigen Abscheu aus. Jaina grinste das Wesen höhnisch an, hob die Hand und schickte einen weiteren Machtblitz los.

Anakins Lichtschwert erwachte in Vergeres Hand zum Leben. Sie wollte den Angriff abwehren, riss jedoch plötzlich die Augen auf, drehte sich um und floh ins Labyrinth, wobei die gezündete Klinge hinter ihr her wedelte wie ein Schwanz.

Alema trat zu Jaina und packte sie irgendwie zögerlich am Arm: »Wir sollten besser verschwinden.«

Jaina wurde sich eines Gebrülls auf der anderen Seite des Shuttles bewusst, wo die erzürnten Priester die Trauernden zum Angriff drängten. »Der Shuttle?«

»Ist gesichert«, berichtete Alema. »Außer uns sind alle eingestiegen.«

»Gut.« Jaina nahm Anakin der Twi’lek ab und ging in die Luftschleuse. Als sich die äußere Klappe öffnete, stellte sie den Zünder ihrer letzten Thermogranate auf zehn Sekunden und warf sie mitten in die Schleuse. »Das Loch zum Vakuum sollte die Lungen von ein paar Narbenköpfen platzen lassen.«