27. Juni 1992, Hansestadt
Kollwitz
Mecklenburg-Vorpommern, Deutschland
Uwe parkte den Iltis direkt vor dem Ladengeschäft von Nordhaus Immobilien mit der Kompassrose auf der Scheibe, in der Altstadt von Kollwitz. Er fand das Logo von Nordhaus aufgesetzt, typisch Westen. Man wollte jemandem ein Haus verkaufen und tat so, als wäre das ein Pfadfinderspiel. Es war ihm peinlich, dass der Schriftzug auch an der Seite und auf dem Heck seines Geländewagens prangte, aber zum Glück sah er sich ja nicht selbst vorbeifahren. Und was die Peltzower sagten, das war ihm immer schon schnuppe gewesen. Im Kapitalismus brauchte es eben Werbung. Wat mutt, dat mutt.
Er öffnete die Beifahrertür und überprüfte Sitz und Fußraum. Ein einzelner Gast an diesem Wochenende, also würde er vorne sitzen. Er pflegte den Wagen selbst, da durfte niemand ran. Seine Frau hatte den alten Lada, mit dem sie jeden Morgen in den Konsum tuckerte. Da saß sie dann an der Kasse und fror, weil die neuen Eigentümer es sich angeblich nicht leisten konnten zu heizen. Unrentabel war das Wort des Jahres.
Der fast neue VW Iltis, Baujahr ’88, aus aufgelösten Bundeswehrbeständen war Teil des Vertrags, den ihm Wedemeier vor einem knappen halben Jahr angeboten hatte: »Hiermit stelle ich, Uwe Jahn, als Pächter der Agentur für Jagdreisen GmbH unentgeltlich meine Jagd zur Verfügung. Als Gegenleistung erhalte ich Flinte, Zielfernrohr, Geländefahrzeug mit Allradantrieb usw., diese verbleiben jedoch im Eigentum der Agentur.« Bis zu fünfundachtzig Prozent seiner genehmigten Abschüsse musste er abtreten. Dafür bekam er eine Prämie von fünfzig Mark aufwärts pro Abschuss, den die Gäste unter seiner Führung machten. Je nach erlegtem Wild und Gewicht. Und Prämien musste er mit der Frührente nicht verrechnen. Da kam ganz schön was zusammen.
Er wusste nicht, was die Jagdgäste aus dem Westen für so ein Wochenende in Vorpommern bezahlten, wollte es auch gar nicht wissen. Sollten doch die Kapitalisten sich gegenseitig das Fell über die Ohren ziehen, um mal im Jargon zu bleiben. Bisher hatte er den Chef noch nie enttäuscht. Und das hatte er auch heute nicht vor, Wedemeiers Worte im Ohr, als wäre es gestern gewesen: »Da stehen hundert andere Jagdpächter Schlange, um diesen Job zu bekommen. Nur damit das klar ist.«
Er schloss die Tür sorgfältig ab, auch wenn der Iltis in Sichtweite stand. Im Außenspiegel sah er eine Gruppe Frauen mit langen Röcken vorbeilaufen. Fetzen einer fremden Sprache drangen an sein Ohr. Er konnte es nicht lassen, drehte sich um, ein weißer Rock wehte gerade noch durch sein Blickfeld. Als er zum Laden ging, sah er, dass im Fenster neben den Immobilienangeboten ein Reisigbesen lehnte, als hätte ihn jemand aus Versehen verkehrt herum da stehen lassen. Ja, die wussten sich zu helfen, die Kollwitzer. Da merkten die Zigeuner gleich, wo sie nicht erwünscht waren, wie in alten Zeiten.
Bevor er hineinging, blieb er kurz stehen. Drinnen saßen sie und pafften Zigarren, die Kapitalisten. Wedemeier wie immer im Dreiteiler, der andere ein großer, schlanker Mann mit – wie sagte man: silbernen Schläfen. Er trug Polohemd und Jeans, billig waren die sicher nicht. Ob der auf dem Hochsitz die Nerven behielt, das würde sich noch herausstellen. Da wehte ein anderer Wind als auf dem Tennisplatz. Uwe setzte sein grimmiges Dorfbullengesicht auf und öffnete die Tür.