Einsteins beschleunigende Entdeckung

Das grundlegende Prinzip der allgemeinen Relativität fiel Einstein ein, als er bei seiner Arbeit im Berner Patentamt Tagträumen nachhing. Er erkannte plötzlich, dass eine Person, die sich im freien Fall befindet, ihr Gewicht nicht spürt. Vielleicht haben Sie Videos von Parabelflügen gesehen, bei denen die Maschine absichtlich absackt, damit die Insassen einen kurzen Moment der Schwerelosigkeit (0 g) verspüren. Für eine länger anhaltende Schwerelosigkeit können Sie jemanden im Orbit beobachten – beispielsweise in der International Space Station (ISS). Dort treibt man schwerelos im Raum.

Vielleicht meinen Sie, das sei kein gutes Beispiel, weil sich die ISS nicht im freien Fall befindet – aber das stimmt nicht. Alles, was sich in einer Erdumlaufbahn befindet, fällt ständig, aber es trifft die Erde nicht. Die Gravitationskraft der Erde ist in 300 bis 400 Kilometer Höhe, wo die ISS kreist, geringer, aber sie ist gewiss nicht null. (Wäre sie das, könnte der Mond, der viel weiter entfernt ist, nicht in der Umlaufbahn bleiben.) Tatsächlich vollführen Satelliten wie die ISS in der Umlaufbahn einen ausgeklügelten Balanceakt. Einerseits befinden sie sich im freien Fall Richtung Erde und andererseits bewegen sie sich so schnell seitwärts (auf einer Tangente zur Erde), dass sie die Erde ständig verfehlen. Würde sich die ISS schneller seitwärts bewegen, würde sie ins All rasen. Würde sie sich langsamer bewegen, würde sie auf die Erde stürzen. Doch mit dem richtigen Tempo – der Kreisgeschwindigkeit – bleibt sie auf ihrem Rundkurs um den Erdball.


Experiment – Umlaufbahnsimulator

Für dieses Experiment benötigen Sie Kopfhörer. (Falls Sie keine haben, tut es auch ein kleines Objekt, das etwas Gewicht aufweist und an einer Schnur befestigt ist.) Fassen Sie die Kabel der Kopfhörer so, dass diese sich etwa zwei Handbreit von Ihren Fingern entfernt befinden. Schleudern Sie das Kabel herum, damit die Kopfhörer einen Kreis beschreiben.

Das Gleiche geschieht mit der Raumstation, allerdings ist beim Experiment die Anziehungskraft in Form des Kabels sichtbar. Die Kopfhörer (Raumstation) wollen im rechten Winkel zum Kabel in einer geraden Linie davonfliegen. Aber die Kraft entlang dem Kabel Richtung Mitte (Gravitation) zieht sie von der geraden Linie weg und hält sie auf der Kreisbahn. Beachten Sie, dass es im Orbit nichts gibt, das sie nach außen zieht (also keine sogenannte Zentrifugalkraft) – die sogenannte Zentripetalkraft aber zieht sie nach innen und verhindert, dass sie davonfliegen.


Als Einstein in seinem Büro saß und über Gravitation nachdachte, erkannte er, dass die Auswirkungen von Beschleunigung – im freien Fall schneller und schneller zu werden – und diejenigen der Gravitation auf ein Objekt vollkommen gleichwertig sind. Dieses »Äquivalenzprinzip« funktioniert in beide Richtungen. Unter dem Einfluss von Gravitation zu sein hat dieselbe Wirkung wie zu beschleunigen und Beschleunigen dieselbe Wirkung wie die Gravitation. Die wichtigste Schlussfolgerung, die Einstein in Bezug auf die allgemeine Relativitätstheorie zog, ist, dass Gravitation deshalb einen Lichtstrahl beugt. Stellen Sie sich vor, dass Sie von außen einen Lichtstrahl auf ein Raumschiff werfen, das beschleunigt.

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32. Licht, das durch ein Raumschiff fällt, das beschleunigt, wird gebeugt.

Während der Lichtstrahl durch das Innere des Raumschiffs geht, beschleunigen die Wände nach oben, also trifft der Lichtstrahl die gegenüberliegende Seite des Raumschiffs ein wenig tiefer, als es der Fall wäre, wenn es sich nicht bewegen würde. Betrachtet man das im Innern des Raumschiffs, wird der Lichtstrahl gebeugt. Und wenn Beschleunigung diese Beugung verursacht, sollte das auch die Gravitation tun, folgerte Einstein.

Als einzige Erklärungsmöglichkeit dafür sah Einstein, dass die Gravitation das Weltall selbst krümmt – er leitete daher ab, dass Gravitation eine Krümmung im Raum ist, die von Objekten verursacht wird, die Masse haben, was zu den Auswirkungen der Gravitation führt. Für den Beschleunigungssensor bedeutet das Äquivalenzprinzip: Wird eine Veränderung der Anziehungskraft gemessen, dann ist die Ursache dafür wahrscheinlich eine Beschleunigung. (Theoretisch ist es möglich, dass ein zweiter Körper mit der Größe der Erde unversehens am Himmel aufgetaucht ist und die Anziehungskraft verändert hat, aber wahrscheinlicher ist schon eine Beschleunigung.)

Am einfachsten können Sie sich einen Beschleunigungssensor als Gewicht vorstellen, das an einer Feder hängt, die Sie in der Hand halten. Wenn Sie die Hand plötzlich nach oben oder unten bewegen, wird die Feder ein wenig länger oder kürzer, was scheinbar zu einer Gewichtsveränderung führt. Diese Veränderung der Feder misst die Beschleunigung. Tatsächlich messen Beschleunigungssensoren die Wirkung der Gravitation eher auf ausgeklügeltere Weise als eine Feder, beispielsweise mit einem Gerät, das seine elektrischen Eigenschaften verändert, wenn es gedehnt oder gedreht wird. Es reagiert wie die Feder, wackelt aber nicht herum, wenn sich der Sensor bewegt, sondern ändert den Strom, so dass dadurch die Beschleunigung gemessen werden kann.

Warum Tee im Flugzeug nicht schmeckt und Wolken nicht vom Himmel fallen: Eine Flugreise in die Welt des Wissens
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