Gezeitenspiel

Die stärksten Auswirkungen auf unsere Meere haben die Gezeiten. Jahrtausendelang wurde gerätselt, was das Steigen und Fallen des Meeresspiegels zweimal am Tag bewirkt. Galileo, begeistert von der neumodischen Vorstellung, dass sich die Erde um die Sonne dreht, war überzeugt, dass die Gezeiten ein Nebeneffekt der Erdbewegung seien. Er glaubte, aufgrund der Geschwindigkeit auf ihrer Bahn und der gleichzeitigen Rotationsbewegung würde das Wasser auf die Seite gedrückt, etwa wie ein Fahrgast von einer Seite auf die andere geschleudert wird, wenn ein Auto mit hoher Geschwindigkeit durch eine Kurve fährt. Das war eines von Galileos Hauptargumenten dafür, dass sich die Erde um die Sonne bewegen müsse. Allerdings gab es da ein kleines Problem – seine Theorie erklärte nur einen Gezeitenwechsel pro Tag, während es aber zwei gibt.

Manche von Galileos Zeitgenossen hielten den Mond für verantwortlich, bemerkten sie doch einen klaren Zusammenhang zwischen Anstieg und Fallen des Wassers und der Position des Mondes am Himmel. Ihrer Meinung nach war es das Mondlicht, das einen eigentümlichen Einfluss auf das Wasser ausübte. Aber diese Theorie musste schließlich verworfen werden, als herausgefunden wurde, dass Wolken keinen Einfluss auf die Stärke der Tiden haben. Heute wissen wir, dass die Anziehungskräfte von Sonne und Mond gemeinsam für den Gezeitenwechsel verantwortlich sind.

Lassen wir die Auswirkungen der Sonnenanziehung, der vor allem die jahreszeitlichen Schwankungen zuzuschreiben sind, einmal beiseite: Die Schwerarbeit leistet der Mond. Die Anziehungskraft der Erde zieht am Mond, und der Mond zieht an der Erde. Die Anziehungskraft wird schwächer, je weiter man von dem Objekt entfernt ist, das sie ausübt. Daher erfährt die dem Mond zugewandte Seite der Erde eine stärkere Anziehungskraft als die abgewandte.

Das bedeutet, dass sich das Meerwasser auf der dem Mond zugewandten Seite Richtung Himmel wölbt. Da die Mondanziehungskraft auf der gegenüberliegenden Seite schwächer ist, wird das Wasser dort nicht so stark angezogen, sondern wölbt sich weg vom Mond. Das Ergebnis sind zwei Hochwasser, die rund um die Uhr existieren, eines auf der Seite, die zum Mond zeigt, und eines auf der Seite, die am weitesten von ihm entfernt ist. Diese Hochwasser laufen, der Position des Mondes folgend, immer rund um die Erde.

Gäbe es Wasser auf der Mondoberfläche, wären die analogen Auswirkungen ungemein heftig. Von der Erde bewirkte Gezeiten auf dem Mond würden Tsunamis rund um die Uhr bedeuten. Die Erde hat ungefähr die achtzigfache Masse des Mondes – und die Gravitationskraft steigt mit der Masse. Verdoppelt sich die Masse, verdoppelt sich auch die Kraft. Für eine ähnliche Menge Wasser würden die Gezeiten, die die Erde auf dem Mond bewirken würde, achtzigmal so stark sein wie die, die der Mond auf der Erde verursacht.

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19. Die Gezeiten, die die Anziehungskraft des Mondes bewirken.

Das mag zu hoch erscheinen, wenn man bedenkt, dass die Gravitation auf dem Mond nur ein Sechstel von der der Erde beträgt (man muss sich nur die Bilder der auf dem Mond herumhüpfenden Astronauten vor Augen führen). Wie kann also die Anziehungskraft der Erde achtzigmal größer sein als die des Mondes, aber die Gravitationskraft auf der Erde nur sechsmal größer?

Der Grund liegt darin, dass die Gravitationskraft, der man ausgesetzt ist, sich sowohl mit der Masse des anziehenden Körpers als auch um das Quadrat der Entfernung zu seinem Massemittelpunkt ändert. Die Masse des Mondes beträgt 1/80 von der der Erde, aber sein Radius ist nur 3,6-mal kleiner als der der Erde. Auf der Mondoberfläche befindet man sich entsprechend dichter am Massemittelpunkt. Das bedeutet: Hätte der Mond dieselbe Masse wie die Erde, würde auf seiner Oberfläche eine 13-mal (3,6 × 3,6) so starke Gravitationskraft auf uns einwirken. Bei 1/80 der Masse verspürt man 13/80 der Kraft – rund ein Sechstel.

Warum Tee im Flugzeug nicht schmeckt und Wolken nicht vom Himmel fallen: Eine Flugreise in die Welt des Wissens
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