Flügelarbeit

Die Triebwerke allein würden Sie nicht in die Luft befördern – die Flügel sind es, denen Sie danken müssen. Sich nur mit großer Geschwindigkeit vorwärtszubewegen, würde nicht verhindern, dass Sie wieder auf die Erde fallen. Stellen Sie sich kurz vor, Sie stünden auf der Erde und hätten in der einen Hand ein Gewehr und in der anderen eine Kugel, die mit einer Kugel im Lauf identisch ist. Nun lassen Sie gleichzeitig die Kugel in ihrer Hand fallen und feuern das Gewehr waagerecht ab. Welche der beiden Kugeln fällt zuerst zu Boden? Die natürliche Annahme ist: die Kugel aus Ihrer Hand, doch in Wahrheit schlagen beide gleichzeitig auf der Erde auf. Die abgeschossene Kugel fällt mit genau demselben Tempo wie die ortsfeste Kugel.

Schnelligkeit allein reicht also nicht. Sie benötigen Auftrieb – eine aufwärts gerichtete Kraft, die der Gravitation entgegenwirkt und das Flugzeug vom Boden abheben lässt. Das ist die Aufgabe der Flügel. Beim Flattern eines Vogelflügels ist leicht zu verstehen, woher der nach oben gerichtete Schub kommt. Der flatternde Flügel drückt die Luft nach unten, und wie beim Triebwerk ist das Ergebnis – wie im dritten Newtonschen Gesetz postuliert – ein nach oben gerichteter Druck auf den Flügel, der den Vogel anhebt. Doch was geschieht, wenn der Vogel gleitet oder ein Flugzeug angehoben wird, dessen Flügel starr sind und nicht flattern, um auf die Luft zu drücken? Diesen Effekt empfindet man anfangs als das genaue Gegenteil dessen, was man erwartet.


Experiment – Geben Sie sich Auftrieb

Es ist ziemlich einfach, den Effekt, der Ihr Flugzeug in den Himmel hebt, in Aktion zu bringen. Sie benötigen nur einen Streifen Papier. Ideal ist ein DIN A4-Blatt, das Sie in Längsrichtung halbieren und dann vierteln. Reißen Sie den Streifen an der Falzkante ab und nehmen Sie ihn an der Schmalseite so in die Hand, dass das Papier weg von ihnen herabhängt. Halten Sie nun Ihre Hand dicht unter Ihre Lippen und blasen Sie dann lange und gleichmäßig über die Oberseite des Papiers.

6.jpg

6. Auftrieb bei einem Blatt Papier erzielen.

Ihr Papierstreifen wird sich aufrichten, nicht mehr hängen. Sie haben bei ihm Auftrieb erzeugt, genau wie ein Flugzeugflügel Auftrieb erzeugt. Dieser Auftrieb entsteht, wie wir sehen werden, weil sich die Luft oben auf der Auftriebsfläche – in Ihrem Fall dem Papierstreifen – anders bewegt als die Luft an der Unterseite. Bei Ihrem Papiermodell bewegt sich die Luft überhaupt nicht über die Unterseite, aber das unterscheidet sich ja auch stark von einem Flugzeugflügel.


Die Oberseite des Flügels hat eine nach unten weisende Krümmung. Ähnlich wie bei Ihrem Papierstreifen entsteht eine Auftriebskraft, wenn die Luft über dieses gewölbte Profil streicht und der Flügel angehoben wird. Folgendes geschieht: Der Flügel mit dieser Form, der deshalb auch als Tragfläche bezeichnet wird, durchschneidet die Atmosphäre und lenkt den Luftstrom in eine andere Richtung. Da die Tragfläche eine Kraft auf die Luft ausübt (wieder geht es um Newtons drittes Gesetz), wird der Flügel in die entgegengesetzte Richtung gedrückt. Wir erfahren gleich, warum das geschieht, doch erst einmal geht es um die peinliche Tatsache, dass lange Zeit die gängige Erklärung, wie der Auftrieb beim Flugzeug funktioniert, grundlegend falsch war.

Vielleicht haben Sie davon gehört, dass die Flügel eine spezifische Form haben, durch die die Strecke, die die Luft auf der Oberseite zurücklegt, länger ist als die an der Unterseite. Da die Luft oben einen längeren Weg hat, so die Argumentation, bewegen sich diese Luftmoleküle schneller, um mit den Molekülen unter dem Flügel Schritt zu halten. Dadurch werde die Luft über dem Flügel dünner, und wenn irgendwo weniger Luft ist, geht auch der Druck auf die Oberseite zurück. Das bedeutet, der Flügel erfährt eine Auftriebskraft.

Es ist zwar richtig, dass man Auftrieb bekommt, wenn sich die Luft auf der Oberseite der Flügel schneller bewegt, aber die unterschiedlichen Längen der beiden möglichen Strecken haben nichts damit zu tun. Es gibt keinen Grund, warum die Luft oberhalb der Flügel mit jener unterhalb davon Schritt halten sollte. In Wirklichkeit ist die Geschwindigkeit, mit der die Luft über die Oberseite des spezifisch geformten Flügels streicht, sogar viel größer als das Tempo, das zum Schritthalten mit der Luft unter dem Flügel nötig wäre. Dieser Effekt hat überhaupt nichts mit den verschieden langen Strecken auf und unter der Tragfläche zu tun. Stattdessen resultiert er aus der komplexen Art, wie sich ein Fluid wie Luft bewegt.

Um zu begreifen, was wirklich geschieht, müssen wir noch einmal kurz auf das zweite Newtonsche Gesetz zurückgreifen. Das besagt, dass Kraft gleich Masse mal Beschleunigung ist. Wenn eine Beschleunigung vorhanden ist, muss eine Kraft einwirken. Aber was ist Beschleunigung? Wir sind daran gewöhnt, sie als eine Änderung des Tempos zu betrachten – beispielsweise in sechs Sekunden von 0 auf 100 km/h zu kommen. Aber eigentlich ist Beschleunigung eine Änderung der Geschwindigkeit, nicht des Tempos. Der Unterschied zwischen Tempo (oder Betrag der Geschwindigkeit) und (vektorieller) Geschwindigkeit ist, dass Letztere Tempo und Richtung hat. Sie ist ein Vektor. Jede Änderung der Geschwindigkeit ist eine Beschleunigung, selbst wenn das Tempo gleich bleibt und sich nur die Richtung ändert. Wenn sich ein Objekt mit konstantem Tempo auf einer Kreisbahn bewegt, beschleunigt es, und damit diese Beschleunigung möglich wird, ist eine Kraft nötig.

Stellen Sie sich also die Luft um den Flügel vor. Sie verändert ihre Richtung, weil sie über die gebogene Oberseite streicht. Das bedeutet, die Luft beschleunigt, und wenn sie mit der Wölbung nach unten fließt, erfolgt diese Beschleunigung nach unten. Durch den Flügel wird eine nach unten gerichtete Kraft auf die Luft ausgeübt, und die Luft übt eine gleiche, entgegengerichtete Kraft auf den Flügel aus.

Warum Tee im Flugzeug nicht schmeckt und Wolken nicht vom Himmel fallen: Eine Flugreise in die Welt des Wissens
titlepage.xhtml
part0000.html
part0001.html
part0002.html
part0003.html
part0004.html
part0005_split_000.html
part0005_split_001.html
part0005_split_002.html
part0005_split_003.html
part0005_split_004.html
part0005_split_005.html
part0005_split_006.html
part0005_split_007.html
part0006_split_000.html
part0006_split_001.html
part0006_split_002.html
part0006_split_003.html
part0006_split_004.html
part0006_split_005.html
part0006_split_006.html
part0006_split_007.html
part0006_split_008.html
part0006_split_009.html
part0006_split_010.html
part0006_split_011.html
part0006_split_012.html
part0006_split_013.html
part0006_split_014.html
part0006_split_015.html
part0007_split_000.html
part0007_split_001.html
part0007_split_002.html
part0007_split_003.html
part0007_split_004.html
part0007_split_005.html
part0007_split_006.html
part0007_split_007.html
part0007_split_008.html
part0007_split_009.html
part0007_split_010.html
part0007_split_011.html
part0007_split_012.html
part0007_split_013.html
part0007_split_014.html
part0008_split_000.html
part0008_split_001.html
part0008_split_002.html
part0008_split_003.html
part0008_split_004.html
part0008_split_005.html
part0008_split_006.html
part0008_split_007.html
part0008_split_008.html
part0008_split_009.html
part0008_split_010.html
part0008_split_011.html
part0008_split_012.html
part0008_split_013.html
part0008_split_014.html
part0008_split_015.html
part0008_split_016.html
part0008_split_017.html
part0008_split_018.html
part0008_split_019.html
part0008_split_020.html
part0008_split_021.html
part0008_split_022.html
part0008_split_023.html
part0008_split_024.html
part0009_split_000.html
part0009_split_001.html
part0009_split_002.html
part0009_split_003.html
part0009_split_004.html
part0009_split_005.html
part0009_split_006.html
part0009_split_007.html
part0009_split_008.html
part0009_split_009.html
part0009_split_010.html
part0009_split_011.html
part0009_split_012.html
part0009_split_013.html
part0009_split_014.html
part0010_split_000.html
part0010_split_001.html
part0010_split_002.html
part0010_split_003.html
part0010_split_004.html
part0010_split_005.html
part0010_split_006.html
part0010_split_007.html
part0010_split_008.html
part0010_split_009.html
part0010_split_010.html
part0010_split_011.html
part0010_split_012.html
part0011_split_000.html
part0011_split_001.html
part0011_split_002.html
part0011_split_003.html
part0011_split_004.html
part0011_split_005.html
part0011_split_006.html
part0011_split_007.html
part0011_split_008.html
part0011_split_009.html
part0011_split_010.html
part0011_split_011.html
part0011_split_012.html
part0011_split_013.html
part0011_split_014.html
part0011_split_015.html
part0011_split_016.html
part0012_split_000.html
part0012_split_001.html
part0012_split_002.html