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»… dir doch erzählt, zu Mittag.« Valerie strich über ihre Bluse. Sie sah zu dem bullernden Ofen in der Ecke des Teekammerls.

»Ach so! Hm. Immerhin. Ja, natürlich, das muß hier auch noch mit hinein …« Martin Landau stand auf, nahm ein Wasserglas vom Wandregal und füllte es mit dem schlechten Weinbrand. Er trank, schüttelte sich. Dann legte er Valerie eine Hand auf die Schulter.

»Wir müssen es tun. Sonst hat das alles keinen Sinn. Aber es sind Lügen, Valerie, Lügen! Es hat nichts zu bedeuten für deine Liebe zu Paul, für meine Freundschaft zu ihm, überhaupt nichts. Er würde dasselbe sagen. Also, schreib: Mein Eheleben litt zudem schwer darunter, daß Paul Steinfeld und ich uns nicht nur in geistiger, sondern auch in geschlechtlicher Beziehung nicht verstanden …«

Valerie nahm Landau das Glas aus der Hand, trank hastig und diktierte sich selber dann laut: »Abgesehen von der allerersten Zeit unserer Intimität vor der Eheschließung und danach, zwang mich Paul Steinfeld …«

»Unsinn. Was heißt zwingen? Dazu kann man keine Frau zwingen. Du hast das über dich ergehen lassen, weil du ohnedies schon so verzweifelt warst und geglaubt hast, dein Leben ist verpfuscht. Und du bist ihm ja auch deshalb so schnell nach Dresden ausgerückt.«

»Also, wie formuliert man so etwas? Wirklich, Martin, das ist schrecklich …«

»Sachlich. Ganz sachlich bleiben. Es berührt dich überhaupt nicht. Es ist eine Lüge, die dich nicht berührt, Schatz. Trink noch einen Schluck. So ist es brav. Das formuliert man so: Abgesehen von der allerersten Zeit und so weiter und so weiter … bevorzugte – verstehst du? Bevorzugte! Das ist wichtig. Er muß auch normal mit dir verkehrt haben, sonst hätte er nicht eine Minute lang geglaubt, daß Heinz sein Sohn ist …«

»Ja. Ja, natürlich. Weiter, Martin, weiter!«

»Bevorzugte Paul Steinfeld eine besondere Art von Verkehr, die …« Landau kam ins Stottern. »… die … die mich nur … nur quälte und … und nicht … nicht befriedigte … und mich schwer abstieß … puh!« Er ließ sich auf den alten Diwan fallen. »Muß sein«, sagte er. »Muß einfach sein, Schatz, es hilft nichts.«

»Das sage ich ja selber.« Valerie schrieb. Sie hob den Kopf: »Aber ich schäme mich so, ich …«

»Natürlich schämst du dich! Und das muß auch noch hinein! … Scham, Verzweiflung, meine jugendliche Unerfahrenheit und die Erkenntnis, daß ich die Liebe meiner Eltern zu mir schwer verletzt, wenn nicht zunichte gemacht hatte, als ich Paul Steinfeld … gegen ihren so eindringlichen Wunsch … heiratete – ah, und noch etwas! –, sowie im Zusammenhang mit der damaligen allgemeinen Zügellosigkeit und dem Verfall von Sitte und Moral ließen mich selber haltlos werden und Trost bei Martin Landau suchen.«

»Pfui Teufel«, sagte Valerie. »Wenn man das liest, kann einem schlecht werden.«

»Wenn dir nicht schlecht würde, hätten wir es schlecht geschrieben«, antwortete Landau, absichtlich grob.

… denken Sie daran: Es kommt der Tag! …

Wenn er nur kommt, wenn er nur wirklich kommt, bald kommt, wenn wir ihn nur alle erleben, diesen Tag, wenn wir ihn überleben, oh!, dachte Valerie.

»Weiter!« Landau neigte sich vor. »In dieser Zeit habe ich den Weg zu Martin Landau gewählt und, ich gestehe es – obwohl mir diese Erklärung und dieses Eingeständnis als das Schwerste erscheinen, was ich in meinem Leben ertragen hatte –, häufige geschlechtliche Kontakte mit ihm gehabt. Jetzt einen Moment. Wann wurde Heinz geboren?«

»Am 27. Mai 1926.«

»Neun Monate zurück. April. März. Februar. Januar. Dezember … August 1925.«

»Mein Gott, August 1925. Da war Paul mit mir auf Ischia in Urlaub! Furchtbar heiß war es, aber schön, so schön …«

»Valerie!« Er hatte die Stimme ärgerlich gehoben. »Bitte, immerhin muß das hier stimmen. Er kann nicht mit dir zu dieser Zeit auf Ischia gewesen sein. Sonst hätten wir beide doch nicht … Im Gegenteil, er war wieder dauernd verreist und nur ein-, zweimal in Wien, kurze Zeit – denn wenn er gar nicht dagewesen wäre, hätte er doch auch nie geglaubt, daß es sein Sohn ist!«

»O Gott.«

»Nichts da, o Gott! Schreib: Besonders häufig war mein Mann in den Jahren 1924 und 1925 verreist. In dieser Zeit kam es daher zu zahlreichen intimen Vereinigungen mit Martin Landau. Schau nicht so, schreib!«

Sie schrieb.

»Paul Steinfeld und ich lebten damals …«

… denn England greift an – und mit uns die jungen Völker!

»Wohnungsnot, Martin!« rief Valerie.

»Ich denke schon daran … Lebten damals, als die Wohnungsnot in Wien noch sehr groß war, am Stadtrand, in Dornbach, bei einer gewissen Hermine Lippowski zur Miete in einer kleinen Villenetage, wo Martin Landau und ich uns unauffällig – warum schreibst du denn nicht weiter?«

Valerie sagte kaum hörbar: »Die Lippowski …«

»Wir müssen sie erwähnen. Ganz bestimmt wird man sie als Zeugin vernehmen.«

Valerie ließ sich in dem alten Lehnsessel zurücksinken und starrte ins Leere.

»Ich habe Angst, Martin«, flüsterte sie. »Ich habe solche entsetzliche Angst …«

Und Jimmy ging zum Regenbogen
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