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»Und so ging diese Verhandlung zu Ende«, sagte Dr. Otto Forster nun, sechsundzwanzig Jahre später, im Bastelzimmer der tiefverschneiten Villa an der Sternwartestraße und reichte Manuel einige weitere Seiten. Er wies auf das letzte Blatt. »Hier, bitte.«
Manuel las:
›Beschluß:
1.) Zu einer neuen Verhandlung, die für den 10. November 1943, 9 Uhr 30, in Saal 29 des Justizpalastes anberaumt wird, sind als Zeugen zu laden: Hermine Lippowski, Agnes Peintinger und Ottilie Landau;
2.) Der klagenden Partei wird aufgetragen, Lichtbilder von und alle Dokumente zur Erstellung eines großen Ariernachweises für Ludwig Orwin dem Gericht ehebaldigst, jedoch nicht später als bis zum 30. Oktober 1943, zur Verfügung zu stellen;
3.) Die Lichtbilder werden dem Anthropologischen Institut übermittelt, und SS-Sturmbannführer Privatdoz. Dr. Kratochwil wird mit einer neuerlichen Untersuchung beauftragt; diese soll ein Gutachten darüber erbringen, inwieweit es wahrscheinlich ist, daß der verstorbene Ludwig Orwin als Erzeuger des Klägers Heinz Steinfeld in Frage kommt …‹ Manuel reichte Forster die Papiere zurück.
»Frau Steinfeld hatte also erreicht, daß der Prozeß weiterging«, sagte er.
»Das hatte sie erreicht.« Forster nickte. »Bei der Vernehmung der Zeugen lief alles ebenfalls glatt. Mit dem Fräulein Peintinger passierte beinahe etwas – das muß ich Ihnen noch erzählen, ich erinnere mich dunkel daran. Mein Sohn hat angerufen, er ist heute nachmittag in der Kanzlei und sucht persönlich nach den letzten Akten. Er meint, er findet sie gewiß. Wenn Sie morgen zu mir kommen wollen … Ich meine, Sie möchten doch schnell Bescheid wissen, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Manuel. »Und Sie, Sie werden schon am Montag losziehen wollen und Ihre Abreise vorbereiten, denke ich.«
Forster lächelte.
»Was ich mich freue – Sie können es sich nicht vorstellen! Also sagen wir: Morgen um halb elf?«
»Sehr gut.«
»Dann erzähle ich Ihnen das Ende der Geschichte – soweit ich es erlebt habe. Ich erlebte es nicht ganz, denn im Juli 44 wurde ich ja verhaftet, und da lief der Prozeß immer noch.«
»Immer noch?«
»Das weiß ich bestimmt! Und noch etwas weiß ich: Er lief, obwohl das zweite anthropologische Gutachten verheerend, absolut negativ ausfiel …«