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Silbern prangte das Abzeichen des NSRB, des ›Nationalsozialistischen Rechtswahrerbundes‹, auf der braunen Amtswalter-Uniform Peter Klevers: ein senkrechtes Schwert, oben mit dem Hakenkreuz als Herzstück eines stilisierten Adlers; seine Schwingen bildeten gleichzeitig die Parierstange des Schwertes, unter ihnen, an den Krallen, hingen je eine Waagschale, und über dem Hakenkreuz befand sich der Adlerkopf. Parteigenosse Ministerialrat Dr. Peter Klever, ein großer Mann mit breitem Gesicht, kurzgeschnittenem, drahtigem Haar und buschigen Augenbrauen, sah in der Uniform mit dem schweren Koppel, der roten Hakenkreuzbinde am linken Ärmel, der wie für einen Reiter geschnittenen Hose und den schwarzen Schaftstiefeln noch mächtiger aus, als er ohnehin war.
»Otto!«
»Peter!«
Forster eilte durch den getäfelten Konferenzraum seiner Kanzlei, in dem ein langer Tisch und viele Stühle standen, auf den Besucher zu, der seine Tellerkappe abgenommen hatte, und schüttelte ihm herzlich die Hand. Danach klopften sie einander auf die Schultern. Klever – er sprach ein sehr preußisch gefärbtes Deutsch – strahlte.
»Mensch, was ich mich freue, dich wiederzusehen!«
»Und ich mich, Peter, und ich mich! Komm, setz dich …«
»Keine Zeit. Sagte ich doch schon im Sekretariat. Ein Wagen wartet unten auf mich. Ich komme direkt von der Bahn. Und in ihrer Dienststelle warten schon ein paar Brüder von der Wiener Anwaltskammer auf mich. Große Sitzung.«
Peter Klever war Anwalt gewesen wie Forster. Er hatte in Berlin, dann in Wien studiert. Als Mitglied des deutschen ›Sozialistischen Akademiker-Verbandes‹ war er gastweise in den österreichischen Verband gleichen Namens eingetreten und hatte da Forster kennengelernt. Sie waren gute Freunde geworden. 1933 wurde die deutsche, 1938 die österreichische Vereinigung verboten und aufgelöst. Doch im geheimen blieben die Kontakte bestehen, die Freundschaften der ehemaligen Verbandsmitglieder waren stärker und enger denn je. Einige von ihnen nahmen in voller Kenntnis der Folgen für die Zukunft wichtige Positionen in der Partei, Wirtschaft und Politik an, um ›drinnen‹ und stets über alles unterrichtet zu sein, um denen ›draußen‹ helfen zu können – schnell, sicher, so gut wie möglich. Unter jenen, die dies gewagt hatten, befand sich auch Peter Klever, der eine hohe Stelle in der Zentrale des ›Nationalsozialistischen Deutschen Rechtswahrerbundes‹ in Berlin besetzt hielt.
Der Ministerialrat sprach zynisch: »Deine Kollegen hier sind schon feine Schweine, Mensch! Ich gratuliere!«
»Sie lassen also nicht locker?«
»Locker?« Klever lachte böse. »Die Anwaltskammer Wien schickt uns dauernd Anzeigen, Denunziationen, Ansuchen auf Eröffnung eines Verfahrens gegen dich – mehr denn je!«
»Was ist jetzt los? Große Aufregung, weil ich diese Abstammungsprozesse führe?«
»Das ist der neueste Zirkus! Du wirst immer verdächtiger. Aber in der Hauptsache geht es natürlich immer noch um die Prozesse, die du vor 1938 geführt hast.«
Vor 1938 hatte Forster Kommunisten und Sozialisten verteidigt, die, noch in der Ära Schuschnigg, hochverräterischer und staatsfeindlicher Umtriebe angeklagt worden waren.
»Ich tue in Berlin, was ich kann, das darfst du mir glauben, mein Alter. Aber die sind nun natürlich auch schon auf Hundert wegen der dauernden Hetze!« Klever schwitzte und wischte sich mit dem Handrücken die Stirn trocken. »Du hast eine Frau und einen Sohn, Otto! Du darfst es einfach nicht so weitertreiben hier. Du bist doch das rote Tuch für die ganzen Scheißer! Vaterschaftsprozesse! Laß es sein, ich flehe dich an! Sei still und leise, vertritt auch mal ein paar Nazis in ungefährlichen Sachen! Du mußt es tun! Du bist in Gefahr, Mensch! Versprichst du mir, vernünftig zu sein und wenigstens die Prozesse nicht mehr zu führen?«
Forster zupfte an seinem rechten Ohr, sah den alten Freund an und sagte lächelnd: »Ich verspreche es dir …«
»Zum Verzweifeln!« Der Berliner stöhnte.
»Wieso? Ich habe es doch versprochen!«
»Aber du hast gelächelt dabei! Und geblinzelt!«
»Wirklich? Ein Reflex«, sagte Forster. »Mir ist gar nicht zum Lächeln und Blinzeln zumute …«
Fünf Minuten später stand er allein im Konferenzraum. Klever hatte ihn verlassen. Er werde ihn auf dem laufenden halten und rechtzeitig warnen, hatte er versprochen. Und war, tief besorgt über die Halsstarrigkeit Forsters, fortgeeilt.
Der Anwalt verweilte ein paar Minuten in dem Raum mit dem großen Tisch und den vielen Stühlen. Ich habe eine Frau und einen Sohn, dachte er. Ich trage die Verantwortung für sie. Wenn mir etwas passiert, sind sie schutzlos. Ich solle diese Vaterschaftsprozesse sein lassen, sagt Peter, wenigstens die. Nicht immer wieder auffallen. Ruhig sein, bescheiden, sich ducken, nichts tun gegen die Barbarei. Wenn die Gestapo einmal eingreift – und eine Anzeige genügt da! –, dann bedeutet das die Vernichtung, das Ende von allem …
Großer Gott, ein Held bin ich auch nicht!
Diese Frau Steinfeld, die hat mir gerade noch gefehlt mit ihrem schiefen, wackeligen, natürlich erlogenen Fall. Wenn das alles wenigstens gut erlogen wäre. Aber die arme Frau hat doch keine Ahnung. Hilflos ist sie, ganz hilflos. Kann man, darf man einen solchen Menschen wegjagen, wenn er um Hilfe bittet?
Langsam ging Forster in sein Büro zurück.
Valerie blickte auf, als er eintrat. Sie hielt das zerrissene Taschentuch in der Hand.
»Nun«, sagte der Anwalt, plötzlich sehr müde und erschöpft, »haben Sie sich entschieden, gnädige Frau?«
Valerie antwortete mit zitternder Stimme: »Ich will den Prozeß führen. Unter allen Umständen. Warum sehen Sie mich so an? Wollen Sie die Sache nun doch nicht übernehmen?«
Der Anwalt setzte sich hinter den Schreibtisch.
Man kann einen solchen Menschen nicht wegjagen, dachte er. Man darf es nicht.
»Selbstverständlich übernehme ich die Sache«, sagte Dr. Otto Forster.