52

Das Telefon läutete.

Martin Landau zuckte in seinem Sessel zusammen, ein verängstigter, kranker, alter Mann. Er machte eine hilflose Gebärde, als wollte er sagen: Sehen Sie, mich kann schon ein Telefon halb zu Tode erschrecken.

Manuel erhob sich und ging über den honiggelben Velours und die Chinabrücken zu einem Tischchen, auf dem das Telefon stand. »Hallo?«

»Sie werden aus Paris verlangt, Herr Aranda, einen Augenblick, bitte«, sagte eine Mädchenstimme. Es knisterte und knatterte in der Leitung. Als die Verbindung gleich darauf zustande kam, war sie sehr schlecht. Manuel verstand nur mit Anstrengung. Aber er erkannte sogleich die Männerstimme, die spanisch sprach.

»Cayetano!«

»Endlich! Fast fünf Stunden warte ich schon auf dieses Gespräch.« Der Erste Direktor und Vertreter von Manuels Vater in der QUIMICA ARANDA hatte eine laute, nervöse Art zu reden. »Mein lieber Manuel« – er kannte den Sohn seines Chefs seit dessen Kindheit –, »wir sitzen hier fest.«

»Wo hier?«

»Orly. Ein Schneesturm. Du machst dir keine Vorstellung. Es schneite schon, als wir zwischenlandeten – und gleich darauf ging die Welt unter! Der Flughafen ist geschlossen. Keine Maschine kann starten oder landen. Du solltest sehen, wie das hier ausschaut – die wissen nicht, wohin mit den Passagieren! Ich rufe an, damit du dir keine Sorgen machst. Wir sind okay – die Anwälte und ich. Aber wir müssen warten, bis der Sturm vorüber ist und man die Pisten geräumt hat.«

»Wie lange wird es dauern?« Manuel fühlte ein Ziehen in der Herzgegend. Cayetano und die Anwälte in Paris festgehalten. Die Entdeckung des Papiers mit den Notizen in der Handschrift seines Vaters. Streichung aller Buchungen für diese Nacht. War das schon eine Ahnung gewesen? Sollte, mußte, würde er nun doch in Wien bleiben? Er mußte! Mit jeder Stunde erfuhr er hier mehr, was Valerie und seinen Vater so geheimnisvoll verband. Hätte er heute nachmittag nicht diesen schmalbrüstigen Buchhändler angehört, der für kurze Zeit seines Lebens ein Mann, tapfer und ohne Furcht gewesen war, bevor er sich wieder in das zurückverwandelt hatte, was seine wirkliche Wesensart war, er hätte nicht erfahren, daß dieser Martin Landau das Papier mit den Viren- und Toxin-Vermutungen seines Vaters in Valerie Steinfelds Besitz gesehen hatte – 1942 …

»Sie sagen, es wird bis morgen früh dauern. Die Aussichten sind ungünstig. Der Sturm wird mit jeder Minute ärger. So etwas haben sie angeblich in Paris noch nie erlebt.«

»Machen Sie sich keine Sorgen. Wenn Sie hier sind, sind Sie hier.«

»Hast du wegen der Ermordung deines Vaters schon etwas …«

»Ja. Nicht am Telefon. Ich erwarte Sie also irgendwann morgen.« Manuel verabschiedete sich und legte den Hörer nieder.

»Entschuldigen Sie …«

»Keine Ursache. Es ist spät geworden. Ich muß ohnedies gehen. Natürlich komme ich wieder, aber immerhin, Sie verstehen, Tilly …«

»Herr Landau, sagen Sie mir bitte noch eines: Hat sich jemals herausgestellt, weshalb dieser Direktor Friedjung derartig brutal und niederträchtig mit Valerie Steinfeld sprach?«

»Nie, nein.«

»Sie hat auch keine Erklärung dafür gegeben?«

»Sie hatte keine. Ich meine: Sie sagte, sie hätte keine.«

»Sie glauben, sie verschwieg etwas?«

»Ich weiß es nicht. Immerhin, sehen Sie, es gab furchtbar rabiate Nazis. Vielleicht war dieser Friedjung einer von ihnen. Valerie behauptete es jedenfalls.«

»Vor Ihnen und Doktor Forster?«

»Ja. Wir fragten sie ein paarmal im Lauf der Zeit. Immer dasselbe. Sie war maßlos erbittert über Friedjung. Aber mir scheint heute, wenn ich zurückdenke, daß sie es war, weil er nicht grundlos so bösartig reagierte. Nein, nicht grundlos.«

Wieder läutete das Telefon.

Manuel zuckte die Schultern und ging an den Apparat. Er erkannte die tiefe, fast heisere Frauenstimme sofort.

»Guten Tag, gnädige Frau.«

»Sie sind nicht allein?« fragte Nora Hill.

»Nein. Was kann ich für Sie tun?«

Er hörte ihr dunkles Lachen.

»Ich habe seit Tagen nichts von Ihnen gehört, mein Freund. Da macht man sich Sorgen. Geht es Ihnen gut!«

»Danke, ja.«

»Sie haben viel erfahren mittlerweile, nehme ich an.«

»Das kann man behaupten.«

»Meine Prophezeiung war also richtig. Ich habe Ihnen nun etwas Interessantes zu zeigen. Eine Überraschung.«

»Sie haben eine Überraschung?«

»Ja, bin ich nicht die gewesen, die den Anfang gemacht hat? Wollen Sie mich besuchen?«

»Natürlich! Wann darf ich …«

»Einen Moment. Haben Sie Traveller-Schecks?«

»Traveller-Schecks?«

»Traveller-Schecks.«

»Ja«, sagte er verblüfft.

»Über größere Beträge?«

»Ja«, sagte er zum zweitenmal.

»Bringen Sie mit, was Sie haben. Die Überraschung kostete nämlich Geld. Fünftausend Dollar. Aber ich denke, sie ist ihr Geld wert.«

»Fünftausend Dollar?«

»Heute abend zehn Uhr?«

»Gut. Aber hören Sie …«

»Ich freue mich. Also bis dann, mein Freund«, sagte Nora Hill. Die Verbindung war unterbrochen.

Nora Hill …

Manuel stand versunken beim Fenster.

Zufall, daß sie gerade jetzt anrief? Absicht? Geplant? Sie war doch auch in diese Sache verstrickt. Lockte sie ihn in eine Falle? Unsinn, alle Beteiligten wußten ja vom Manuskript seines Vaters im Tresor des Anwalts. Was für eine Überraschung?

Und Jimmy ging zum Regenbogen
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