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»Auf den Schreibtisch!«
»Carl, du bist verrückt …«
»Total! Total verrückt nach dir! Zwei Monate habe ich dich nicht gesehen. Mach die Beine breit! Los, die Beine sollst du breit machen!«
»Aber mir ist das schrecklich … deine Leute … das ganze Sekretariat …«
»Die können mich doch alle! Die denken sich sowieso ihren Teil. Soll einer wagen, eine Miene zu verziehen! Nun komm schon, komm …« Der Leiter des ›Arbeitsstabes Flemming‹ ließ sich in einen Sessel fallen. Er packte Nora Hills Unterschenkel und preßte die Füße gegen die Lehnen. Sie saß jetzt vor ihm auf einem großen Schreibtisch, und sie trug noch Strümpfe, Halter, den schwarzen Turban und ihren Schmuck. Der Baby-Leopardenmantel, die Schuhe, das graue Wollkleid, die Krokodilledertasche und die Unterwäsche lagen wild verstreut in Flemmings Büro. Er hatte sie ihr fast vom Leib gerissen.
»Nicht … bitte nicht!«
»Sei ruhig … Du riechst herrlich … herrlich! Was ist das?«
Nora mußte gegen ihren Willen lachen.
»›Fleurs de Rocaille‹ … von Caron …« Wenigstens erfrischen dürfen hatte sie sich in Flemmings Waschraum, als sie angekommen war. Das hatte er gestattet.
»Ein neues Parfüm … hattest du noch nie …«, keuchte er, während er seinen Kopf zwischen ihren Schenkeln vergrub. Ein neues Parfüm, stimmt, dachte Nora. Jack Cardiff hat es mir geschenkt. »Ja … ja, das ist wunderbar … gleich wird es auch für dich wunderbar sein …«
Nora fühlte, wie die Situation und das, was er tat, sie zu erregen begannen.
Ich bin eine Hure, dachte sie. Eine Hure bin ich. Gestern nachmittag lag ich noch in Jack Cardiffs Bett und jetzt … Eine Hure, na schön. Auch eine Hure hat einen Mann, den sie wirklich liebt. Ich liebe Jack. Den da, diesen Stier von einem Nazi, brauche ich, von ihm bin ich abhängig, er schützt mich, ich brauche Schutz. Natürlich ist er davon überzeugt, daß ich mit Jack schlafe. Er spricht nie davon. Vielleicht regt der Gedanke ihn auf. Auch Jack hat mich nie gefragt, was ich mit Flemming treibe. Ein schweigendes Übereinkommen ist das zwischen uns dreien. Moralisch? Aaaaahhh – Moral! Überleben, gut überleben, darauf kommt es jetzt an. Und dann bleibe ich bei Jack und bin ihm treu, für immer. Er ist schon ein Kerl, dieser Carl Flemming …
»Gut so?«
»Ja … ja … ein … bißchen … weiter oben …« Nora Hill atmete schneller. Flemmings Büro lag im dritten Stock eines alten Hauses Am Hof, schräg gegenüber dem Gebäude der Länderbank. Man hatte das Haus beschlagnahmt. Unten gab es noch ein paar Geschäfte. Der Aufgang zum Halbstock und zu einem Lift war mit hohem Drahtgitter gesichert. Kein Unbefugter kam durch diese Sperre.
Der ›Arbeitsstab Flemming‹ hatte drei Dutzend Angestellte verschiedener Rangstufen, die im Hause arbeiteten, und sehr viel mehr Agenten im Außendienst. Eine moderne Telefonanlage war installiert worden, als Flemming einzog, eine große Funkstation. Auf dem Dach reckten sich hohe Antennen. Die Funker saßen im obersten Stockwerk. Spezialisten werteten einlaufende Berichte aus, hielten Kontakt mit Berlin, hörten rund um die Uhr ausländische und geheime Sender ab, setzten Funksprüche an Kuriere unterwegs auf, die in der Chiffrierabteilung verschlüsselt und danach von einem starken Kurzwellensender ausgestrahlt wurden. Schreibmaschinen klapperten, Fernschreiber ratterten, auf den Gängen eilten Männer und Mädchen in Zivil hin und her …
»Mach so weiter … ja … so …« Nora Hill starrte über Flemming die Wand hinter dem Schreibtisch an. Eine große Fotografie Hitlers hing dort. Des Führers ›stählerne‹ Augen blickten Nora entgegen. Sie stemmte die Füße gegen die Sessellehnen und die Handflächen hinter dem Oberkörper gegen die Schreibtischplatte. Dabei berührte sie Jacks Pistole, die sie Flemming gleich nach ihrer Ankunft gezeigt hatte, als sie ihr Alibi für diesen Morgen etablierte.
Das war vor einer Viertelstunde gewesen …
»… Cardiff hat mir diese Smith and Wesson gegeben … ein Erkennungszeichen für einen britischen Überläufer, der mit uns arbeiten will, wie Cardiff …«
»Herrgott, wo geht denn dieses Ding auf …« Flemming hörte kaum hin, er riß an dem durchlaufend geknöpften Wollkleid herum, bis sie ihm half. Sofort nach ihrem Eintreffen hatte er die schwere Doppeltür seines Büros versperrt und der Telefonzentrale mitgeteilt, daß er bis auf weiteres nicht zu sprechen sei.
»Jeden Montagmorgen zwischen neun und zehn soll ich im Café ›Pöchhacker‹ warten … da will der Mann hinkommen …« Gezerre an der Gürtelschnalle. »Oder er wird mich irgendwann auf der Straße ansprechen.« Mit zitternden Händen und gerötetem Gesicht öffnete der große, starke und gut aussehende Flemming einen Knopf des Kleides nach dem andern. Er war wie von Sinnen. »Darum habe ich mich von Albert auch nur bis zum Ring fahren lassen und ihn gebeten, dir zu sagen, daß ich später komme. Ich ging ins ›Pöchhacker‹ … Albert hat es dir doch gesagt, wie?« Er murmelte atemlos etwas Unverständliches.
»Was?«
Das Kleid fiel zu Boden. Nora trat einen Schritt zur Seite. Flemming küßte sie wild, während seine Hände ihre Brüste hielten, die Warzen unter dem Seidenhemdchen streichelten. Sie trug keinen Büstenhalter.
»Hat mich angerufen, ja …«
»Wo ist er? Paß doch auf, du machst das Hemd kaputt!«
»Na und! Albert? Wartet unten, nehme ich an … fuhr noch tanken und Öl wechseln, weil er Zeit hatte …« Flemming lachte. »Eine Menge Zeit hat der noch, bis er dich heimbringt … Daß du keinen Büstenhalter brauchst … Ich habe nie eine Frau mit so schönen Brüsten gesehen, nie … Ich liebe dich, Nora, ich liebe dich …«
Ich liebe dich! Die drei von gemeinem Mißbrauch am meisten entleerten Worte der Welt, dachte sie.
»Ich habe bis zehn Uhr fünfzehn gewartet … aber der Mann kam nicht … vielleicht kommt er nächsten Montag … oder irgendwann, irgendwo, ganz plötzlich …«
»Ja, vielleicht … Was ist das für ein Höschen? Lissabon, wie?«
»Ja.«
»So etwas können sie bei uns nicht machen … Herrgott, sieht das geil aus …« Er zog seine Jacke aus und warf sie auf einen Stuhl, er zerrte die Krawatte herunter, öffnete die Hose. »Schau her! Schau dir das an! Er hat auf dich gewartet. Alles für dich aufgehoben. Er war dir treu.« Wie treu? dachte Nora. So treu wie ich dir? Weniger? Noch weniger? »Du wirst es gleich merken … aber zuerst komm auf den Schreibtisch … zuerst das andere …«
»Carl …«
»Ich bin doch kein boche! Ich weiß, was man tun muß … In Frankreich hat einmal ein Mädchen gesagt, ich mache ›mi-mi comme un Parisien‹!« So war Nora Hill auf der Schreibtischplatte gelandet …
»Gut? Ist es gut?« Flemmings Atem flog.
»Ja … ja …«
»Noch? Soll ich noch, oder willst du jetzt …«
»Nein! Hör auf, sonst … komm … jetzt will ich …«
Er sprang auf, seine Hose glitt herab. Er drang in sie ein. Sie schlangen die Arme umeinander, Noras Schenkel schlossen sich hinter seinem Rücken. Sie wurde auf dem Schreibtisch hin und her gestoßen. Er hielt sie eisern fest, küßte ihre Schultern, ihre Brüste, sog an den Warzen.
»Jetzt!« stöhnte sie wild. »Jetzt … oh … oh …« Sie spielte nun kein Theater mehr. Schon ein Mann, dieser Carl Flemming, o ja, ein Mann war er, dieses Nazischwein.
Eineinhalb Stunden später fuhr Nora Hill heim. Sie wohnte in Flemmings Villa. Er hatte angekündigt, daß er schnellstens, sobald er aus dem Büro fort könne, nachkommen würde. Nora Hill saß im Fond von Flemmings Dienstwagen. Albert Carlson, sein Chauffeur, saß am Steuer. Er fuhr vorsichtig und gut, war vorbildlich höflich und redete nur, wenn Nora das Wort an ihn richtete. Sie verließen die Stadt und erreichten die Peripherie im Westen, beim Lainzer Tiergarten. Hier, in einem Park, lag die Villa, die Flemming bewohnte – ein mächtiger Rundbau, der aussah wie ein breiter Turm, mit gewundenen Steinornamenten im Jugendstil, aber auch mit blauen, roten und gelben Mosaikmustern verziert. Dieses Haus, das an ein Gebäude aus den Geschichten E. T. A. Hoffmanns erinnerte, hatte in den zwanziger Jahren ein exzentrischer Wiener Bankier bauen lassen. Der Bankier war schon 1937 emigriert, das Haus hatte von da an dauernd die Besitzer gewechselt, zuletzt war es vom Auswärtigen Amt gekauft worden. Für Flemming allein wäre es viel zu groß gewesen. Man hatte es ihm zugewiesen – und auch zahlreiches Personal –, denn hier übernachteten oder wohnten kürzere Zeit Kuriere, Agenten, Spitzel, Besucher aus Berlin und zwielichtige Gestalten verschiedener Nationalitäten.
Mit der größten Höflichkeit half Albert Carlson, der den ›Wanderer‹ auf der Kiesrampe vor dem Haupteingang zum Halten gebracht hatte, Nora Hill beim Aussteigen. Er trug eine graue Uniform mit Schirmkappe. »Ich bringe sofort das Gepäck!«
Nora nickte und ging die drei Stufen zum Eingang empor. Sie brauchte nicht zu warten, die Tür öffnete sich sofort. Ein Diener verneigte sich – er war von dem Wachposten, der im Gärtnerhaus bei der Parkeinfahrt Dienst tat, telefonisch verständigt worden.
»Oh, ich freue mich, Sie wiederzusehen, Fräulein Hill!«
»Ich mich auch, Konrad.« Nora ging an ihm vorbei in die große kreisförmige Halle des Hauses hinein, in der antike Möbel standen. In der Mitte sprudelte ein Springbrunnen. Das Bassin beherbergte seltene Fische. Tageslicht fiel durch ein Glasdach.
Nora Hill stieg die ebenfalls runde Treppe zum ersten Stock empor. Hier lag ihr Appartement. Ein Bad, dachte sie, ein heißes langes Bad jetzt. Sie blieb einen Moment auf der Treppe stehen.
»Ist etwas, gnädiges Fräulein?« fragte der Diener, der ihr folgte.
»Nein, gar nichts«, antwortete Nora, weitergehend. Sie hatte gedacht: Ob diese Valerie Steinfeld sich doch noch entschließt, den Prozeß zu führen? Und wenn nicht? Wenn ihrem Sohn dann etwas geschieht? Und wenn sie den Prozeß führt, und es geschieht ihm auch etwas? Herrgott, dachte Nora nun, während sie über einen runden Gang auf ihr Appartement zuging, es ist schlimm für Valerie Steinfeld. Nur mit sehr viel Glück wird sie sich und ihren Jungen durchbringen. Ach, aber wer braucht nicht sehr viel Glück, dachte sie, plötzlich wieder gleichgültig.
Vor der Villa hatte der grau uniformierte Chauffeur zwei schwarze Krokodillederkoffer aus dem Gepäckraum des Wagens genommen. Ein blauer Mantel und ein blauer Homburg lagen im Kofferraum. Chauffeur Albert Carlson, ein Mann mit hagerem, hungrig wirkendem Gesicht, stechenden Augen und zusammengewachsenen Brauen, legte eine Decke über Hut und Mantel, dann sperrte er den Kofferraum ab. Schon gut, daß ich das immer dabei habe, wenn der Alte mich losschickt, um Nora Hill zu holen, dachte er. Ich habe ja gewußt, einmal erwische ich sie bei etwas. Nun ist es soweit. Noch nicht weit genug. Ich muß noch mehr wissen. Und dann …