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Die Bauernstube hatte einen Boden aus breiten Dielen. Bunt bemalte große Möbel standen im Raum, am Fenster hingen karierte Vorhänge, an den Wänden zwei Bilder – das eine zeigte einen röhrenden Hirsch, das andere hohe Berge im Alpenglühen.
In der Mitte des Zimmers stand Yvonne Werra. Sie trug ein Hüftmieder, grobe Wollstrümpfe und Holzpantinen. In der rechten Hand hielt sie einen dicken Strick. Neben ihr stand eine Ziege, einen großen Eimer vor sich, aus dem das Tier von Zeit zu Zeit durstig trank. Und hinter der Ziege, halb über sie geneigt, stand ein schlanker, kräftiger Mann, der nur einen Tirolerhut trug. Seine nackte Haut war sehr weiß. Der Mann hatte dunkles Haar, dunkle Augen, und sein Gesicht war vor Erregung verzerrt. Er coitierte die Ziege, die sich das ruhig gefallen ließ und von Zeit zu Zeit vergnügt meckerte.
Der Mann keuchte.
Yvonne schlug mit großer Heftigkeit den Strick über seinen Rücken. Das war keine Nylonpeitsche. Die Schläge taten weh, sollten weh tun. Dunkle Striemen bildeten sich auf der weißen Haut des Mannes.
In der Ecke des Raums gab es einen Kachelofen und eine Bank. Auf ihr stand ein Tonbandgerät. Es lief. Ein gemischtes Quartett sang und jodelte.
»Auf der Alm, da gibt’s ka Sünd …«
Die Ziege neigte den Kopf und trank aus dem Eimer.
Yvonne schlug wieder.
»Fest!« keuchte der Mann. »Noch fester! Ja, so … so …«
Sein Leib flog. Das Tier ließ alles ungerührt mit sich geschehen.
Yvonne schrie den Mann an: »Schamst du dich gar nicht, du Saubazi, du elendiger? Gestern erst hab ich dich mit der Ente erwischt! Wirst aufhören jetzt?«
»Nein … nein … ich höre nicht auf«, stammelte der Mann.
»Du Scheißkerl! Die arme Ziege! Aber das sag ich dem Herrn Pfarrer! Eingesperrt gehörst, du Lump! Du gehst mir ja noch auf die Rösser!« Das Quartett jodelte fröhlich.
Die Ziege meckerte fröhlich.
Der Mann ächzte: »Rösser … ah, was, Rösser! So eine Ziege ist mir das Liebste von der Welt …«
»Du verkommener Sauhund! Da hast du! Und da! Und da!«
Der Strick klatschte wieder auf den kräftigen, weißen Rücken. Der Mann mit dem Tirolerhut jaulte auf und starrte gierig Yvonnes nackten Unterleib an.
»Ich denke, das genügt«, sagte Nora Hill. Sie schaltete den in die Bücherwand ihres Wohnzimmers eingebauten Fernsehapparat ab. Das Bild der Bauernstube verschwand, die Jodler verstummten. »Ich bin wirklich immer bereit, Ihnen etwas Kurzweiliges zu bieten. Und ich wollte, daß Sie sich den Herrn ansehen. Wer weiß, ob es für Sie nicht noch einmal wichtig sein wird, ihn zu kennen.«
Manuel hatte Irene nach dem Abendessen im ›Ritz‹ heimgebracht und war dann hier heraus zu Nora Hill gefahren. Sie trug an diesem Abend ein fußlanges Kleid aus Goldbrokat mit aufgedruckten Blumen und Blättern und einen Ring mit einem großen Solitär. Ihr schwarzes Haar war an einer Seite hochgekämmt, man sah das rechte kleine Ohr. In ihm steckte ein zweiter Solitär des gleichen Umfangs.
Auf den Leichtmetallkrücken schwang die Frau mit den gelähmten Beinen zu ihrem Sessel bei dem offenen Kamin zurück, der mitten im großen Wohnzimmer ihres Appartements stand. Mächtige Holzscheite brannten.
»Was heißt, wer weiß, ob es für mich nicht noch einmal wichtig sein wird? Wer ist dieser Mann?« fragte Manuel.
»Immer mit der Ruhe. Ich sagte Ihnen doch, ich hätte eine Überraschung. Machen Sie uns zuerst zwei neue Drinks, lieber Freund.«
Nora Hill sah Manuel aufmerksam zu, wie dieser die Gläser an der Bar auf Rädern, welche neben ihm stand, mit Whisky, Eiswürfeln und Sodawasser füllte. Das Feuer prasselte im Kamin.
»Danke.« Nora Hill nahm ihr Glas. Heute abend hatte sie eine überlange goldene Zigarettenspitze. Sie blies ein paar Rauchringe. »Arme Yvonne«, sagte sie mit ihrer tiefen Stimme. »Sie kommt wirklich ein bißchen oft an solche Herren. Sind alle ganz verrückt nach ihr. Heute kann sie nicht nackt arbeiten. Ein kleiner Unfall vor zwei Tagen. Und noch blaue Flecken am Leib. Deshalb das Korsett.«
»Unfall?«
»Berufsrisiko! Passiert immer wieder etwas. Nichts Interessantes. Interessant ist der Mann, den ich Ihnen zeigte. Ein alter Stammkunde. Seit drei Jahren. So lange haben wir Emma.«
»Wen?«
»Die Ziege. Sie heißt Emma. Hinter der Villa gibt es einen Stall in einem der kleinen Häuser. Wir besitzen auch Gänse und Kaninchen und Hühner. Sogar einen Esel, Hugo. Man braucht einiges in diesem Gewerbe. Emma haben wir gekauft, als dieser Herr den Wunsch nach einer Ziege äußerte. Er sagte, er würde immer wiederkommen, und er bezahlt phantastisch. Was wollen Sie? Er ist – vielleicht haben Sie es gesehen – sehr zart gebaut. Darum … Wenn ihn also nur Emma glücklich machen kann, nicht wahr?«
»Gewiß, gewiß.«
»Alle sind glücklich – der Herr, wir, sogar Emma.«
»Die auch?«
»Die auch. Emma trinkt so gerne Bier. Es gibt nichts Schöneres für sie! Immer, wenn sie benützt wird, stellen wir einen ganzen Eimer voll Bier vor sie hin. Sie sahen es ja gerade.«
»Wird sie nicht betrunken?« erkundigte sich Manuel höflich.
»Total betrunken zuletzt. Aber sie ist dann besonders fröhlich und guter Dinge und läßt Herrn Penkovic praktisch alles tun, was der mit ihr tun will.«
»Wie heißt der Kerl?«
»Vasiliu Penkovic. So nennt er sich jedenfalls. Angeblich Rumäne. Aus Temesvar. Verdient viel Geld.«
»Womit?«
»Spezialaufträge. Er arbeitet für Ost und West. Eine Art Privatdetektiv. Beschäftigt sich hauptsächlich mit der Beobachtung und Bespitzelung von Menschen. Herr Penkovic ist ein Künstler auf seinem Gebiet. Bei mir verkehrt doch wirklich die große Welt. Viele Herren haben sich, wenn Not am Mann war, schon an Vasiliu Penkovic gewandt. Er hat sie alle hervorragend bedient.
Im Moment allerdings scheint es ihm schlecht zu gehen.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Er bot mir etwas zum Kauf an, was jemand bei ihm bestellt hatte. Es ist sonst nicht seine Art, solche Doppelgeschäfte zu machen. Er muß also ziemlich dringend Geld brauchen. Und er ist gut informiert, wie immer. Er wußte, als er mich besuchte, zum Beispiel, daß ich Sie kenne. Er zeigte mir, was er zu verkaufen hatte, weil er der Ansicht war, daß es für Sie wertvoll ist. Ich war der gleichen Ansicht, und also kaufte ich. Deshalb bat ich Sie, Traveller-Schecks über einen Betrag von fünftausend Dollar mitzubringen. Sie haben sie doch mitgebracht, mein Freund?«
»Ja. Aber ich weiß nicht, ob das, was Sie da liebenswürdigerweise gleich für mich gekauft haben – warum eigentlich?«
»Weil Penkovic nicht mit Ihnen persönlich verhandeln will.«
»Da sind Sie aber ein Risiko eingegangen.«
»Das glaube ich nicht, mein Freund.«
»Fünftausend Dollar sind eine Menge Geld. Dafür kann man schon etwas verlangen!«
»Sie bekommen auch etwas! Ich bin sicher, daß ich nicht voreilig gehandelt habe. Penkovic ist teuer. Aber er liefert gute Ware.«
»Kann ich sie sehen?« Nora erhob sich, turnte auf den Krücken zu einem kleine Sekretär, entnahm ihm einen Umschlag und kam zu Manuel zurück. »Hier, bitte.«
Er öffnete das Kuvert.
Sechs Farbfotos fielen heraus.
Sie zeigten stets die gleichen drei Menschen – auf der Straße, in einem einsamen Steinbruch, am Rande eines Waldes, immer in eifrige Gespräche vertieft. Die Fotos mußten im Sommer aufgenommen worden sein, in hellem Sonnenschein. Die drei trugen leichte Kleidung. Zwei von ihnen kannte Manuel, den dritten nicht. Der dritte war untersetzt, hatte eine Glatze und Basedow-Augen. Von den anderen beiden war der eine ein Mann, der zweite eine Frau.
Der zweite Mann hatte einen olivenfarbenen Teint, schwarz behaarte Hände und schwarzes Kraushaar. Es war jener kleine Ernesto Gomez, Mitglied der argentinischen Botschaft, der Manuel im ›Ritz‹ besucht und fast drohend aufgefordert hatte, seine Nachforschungen in Wien unverzüglich einzustellen und nach Buenos Aires heimzukehren.
Die Frau endlich – Manuel erkannte auch sie sofort, er hatte genügend Aufnahmen von ihr in der vergangenen Nacht gesehen – war Valerie Steinfeld.