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»Herr Landau, wir haben nun Ihre Aussage gehört. Sie bestehen also darauf, daß Sie der Vater des Heinz Steinfeld sind.«
»Ich bestehe darauf!« Der schwächliche Buchhändler, der einen dunklen Anzug trägt, reckt die Brust heraus und hebt den Kopf, wobei er das Kinn vorschiebt. Er redet laut, aggressiv und schnell. Noch nie hat Valerie ihren alten Freund so erlebt. Sie sitzt jetzt wieder neben Forster. Ihre Hände sind eiskalt, ihr Kopf glüht.
Landau sagt mit lauter Stimme: »Darüber hinaus verlange ich, daß ich von Gerichts wegen endlich als gesetzlicher Vater des Buben legitimiert werde!«
Gloggnigg, der schon während der Aussage dieses so streitbaren schmächtigen Mannes über die Frechheit, ja, das mußte man schon Frechheit nennen, wie dieser Kerl sich benimmt, wütend geworden ist, donnert: »Treiben Sie es nicht zu weit, Herr Landau! Sie haben überhaupt nichts zu verlangen. Sie werden hier als Zeuge einvernommen. Für Ihre Privatwünsche sind wir nicht zuständig. Es ist auch ein wenig zu früh für sie, finde ich.«
Der Kurator kichert wieder dienstbeflissen.
»Wir wollen doch lieber erst einmal den Ausgang des Prozesses abwarten, wie?«
Martin Landau wirft den Kopf zurück.
»Was ist da abzuwarten? Ich denke doch, die Sache liegt sonnenklar!«
»Sie haben hier keine Ansichten zu äußern, Herr Landau. So sonnenklar liegt die Sache wahrlich nicht. Das ist nicht der erste Prozeß dieser Art, den ich führe.« Gloggnigg überkommt mehr und mehr die Wut. »Bei den anderen Prozessen stellte sich regelmäßig heraus, daß die Geschichten, die mir aufgetischt wurden, von A bis Z erlogen waren!«
»Also, das ist …«
»Was ist das? Wie schaut denn dieser Fall aus? Ihre eigene Schwester, vom Herrn Kurator als Zeugin benannt, schickt uns ein ärztliches Attest, daß sie nicht kommen kann, weil man ihr gestern zwei Zähne gezogen hat!«
»Na und? Sie liegt mit starken Schmerzen im Bett!«
»Die Vorladung erhielt Ihre Frau Schwester bereits vor vierzehn Tagen. Da war keine Zeit, zum Zahnarzt zu gehen, was?«
»Die Vereiterung wurde ganz rasch katastrophal.«
»Behaupten Sie! Glauben Sie nur nicht, daß Ihre Schwester damit um eine Zeugenaussage herumkommt.«
»Das habe ich ihr auch gesagt!« Martin denkt: Natürlich hat Tilly sich die Zähne absichtlich erst gestern ziehen lassen und mir ein Attest mitgegeben. Sie wollte nicht herkommen. Ich habe ja gewußt, daß ihr das nichts nützen wird. Herrgott, dann soll sie halt später aussagen, daß sie keine Ahnung hatte, so wie sie es mir dauernd angedroht hat. Und schon!
»Das haben Sie ihr gesagt?« Gloggnigg legt den Kopf schief.
»Herr Vorsitzender!« Alle im Saall, selbst die fade Stenographin, zucken zusammen, denn Martin Landau hat die beiden Worte wild herausgeschrien. Er schreit weiter: »Ich bin Parteigenosse! Wollen Sie insinuieren, daß ein Parteigenosse lügt?«
Richter Gloggnigg muß sich zweimal räuspern, bevor er sprechen kann.
»Hier wird nicht geschrien, verstanden, Herr Landau?«
»Ihre Haltung erregt mich derart!« erklärt Landau. »Sie sind, so muß ich befürchten, voreingenommen …«
»Ich bin überhaupt nicht voreingenommen!«
»Das ist ja lächerlich!« kräht der Kurator hinter seinem Tisch.
»Und Sie auch!« Landau fährt zu ihm herum. Ein anderer Mensch, ein Mensch, den sie nicht kennt, steht da vor Valerie. Sie reibt sich die Augen. Dieser andere Mensch bellt: »Das fällt mir schon die ganze Zeit auf! Ich stehe hier als ein Vertreter und Schützer guten deutschen Blutes …«
»Herr Landau!« ruft der Richter. »Sie haben keine Reden zu halten!« Doch Landau ist jetzt in Rage: »… in meiner Eigenschaft als überzeugter Nationalsozialist, dem die Reinheit der Rasse über alles steht! Ihnen scheint der Ernst dieses Falles noch nicht aufgegangen zu sein …«
»Zeuge Landau, mäßigen Sie sich!«
»Ich werde mich nicht mäßigen! Ich werde an höherer Stelle in Berlin mitteilen, wie Sie beide andauernd versuchen, mich zu beeinflussen und einzuschüchtern …«
»Das hat kein Mensch getan!« Gloggnigg hebt beide Hände. (Berlin … der Kerl ist imstande und macht Stunk!)
»Natürlich haben Sie es getan!« schreit Martin Landau kriegerisch. Er fühlt, wie das Blut schneller durch seinen Körper fließt, warm und pulsierend. Er fühlt sich stark, frei und glücklich, ohne die geringste Angst – zum erstenmal in seinem Leben! »Und Sie beschuldigen einen Parteigenossen der Lüge!«
»Das tun wir nicht!«
»Doch tun Sie es!«
Forsters Mund hat sich fest geschlossen. Voll grimmiger Genugtuung sieht er, daß der Kurator Dr. Kummer plötzlich am Kragen seines schwarzen Talars zerrt. Ich kenne diesen Dreckskerl, denkt Forster, diesen Radfahrer. Dem wird es jetzt mulmig.
»Herr Landau, Sie müssen sich beruhigen, Sie sind zu aufgeregt«, säuselt Kummer. Tatsächlich, denkt Forster, an seinem Ohr zupfend, nur mit Mut und Brüllen kommt man diesen Schweinen bei! »Sie mißverstehen uns. Wir sind an der Wahrheitsfindung in diesem Fall genauso interessiert wie Sie. Seien Sie überzeugt, daß ich und der Herr Vorsitzende – ich meine: der Herr Vorsitzende und ich – keinerlei vorgefaßte Meinungen oder Vorurteile haben …« (Berlin, denkt auch Kummer. Krach mit Bonzen. Wo ich mir alles so schön aufgebaut habe …)
»Sieht mir aber gar nicht so aus!« antwortet Landau dem Kurator und gibt ihm einen gehässigen Blick. »Ich jedenfalls werde hier in einer Weise behandelt, die ich mir nicht länger gefallen lasse!«
Böse trompetet daraufhin Richter Gloggnigg: »Schluß damit! Sie haben die Würde des Gerichtes zu wahren, Herr Landau. Ich habe Sie zu Beginn Ihrer Vernehmung davon in Kenntnis gesetzt, daß Sie als Zeuge damit rechnen müssen, vereidigt zu werden, und daß Sie deshalb die reine Wahrheit zu sagen haben.«
»Jawohl, und?« kräht Landau.
»Und nach Ihrem jetzigen stürmischen Auftritt und ungebührlichen Verhalten werde ich Sie vereidigen«, sagt Gloggnigg, leise und heimtückisch, steht auf und nimmt sein Barett. »Heben Sie die rechte Hand. Ich spreche Ihnen die Eidesformel vor, Sie sprechen mir nur die letzten Worte nach.«
»Aber gerne, Herr Direktor!« Landau hebt eine Hand.
Alle sind aufgestanden.
Gloggnigg leiert: »Ich schwöre bei Gott, dem Allmächtigen und Allwissenden, daß ich nach bestem Wissen und Gewissen die reine Wahrheit gesagt, nichts hinzugefügt und nichts verschwiegen habe. Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe.«
»Ich schwöre es, so wahr mir Gott helfe«, wiederholt Martin Landau laut.