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»… Erreger Mikroben …«

»Einen Moment, Herr Landau.« Manuel mußte schlucken, bevor er weitersprechen konnte. Der schmächtige, zarte Buchhändler saß ihm im Salon seines Hotelappartements gegenüber. Er war, wie vereinbart, pünktlich um 15 Uhr wieder erschienen. Man schrieb Montag, den 20. Januar. Landau hatte fließend erzählt, bis er von Manuel heftig unterbrochen worden war.

»›Erreger Mikroben‹. Das stand auf dem Papier?«

»So ähnlich jedenfalls, ja. Etwas über Pasteur und Viren und Bakterien bestimmt! Kann sein, daß es anders formuliert war. Ich erinnere mich an den Text noch ziemlich gut, ich las ihn nämlich noch einmal, weil Valerie sich so aufregte und das Papier sofort zurückhaben wollte und mir nicht sagte, woher sie es hatte und was es bedeutete. Eine richtige Szene gab es, sie war ganz hysterisch! Also, ich verstand kein Wort. Heute noch nicht … Was haben Sie? Sie sind ja ganz außer sich!«

»Alles in Ordnung.« Manuel bekam zu wenig Luft. Er versuchte, richtig durchzuatmen. Es gelang ihm nicht. »Das ist lange her … siebenundzwanzig Jahre … würden Sie das Papier wiedererkennen … das Papier … und die Schrift?«

»Das Papier vielleicht nicht, immerhin, siebenundzwanzig Jahre, Sie sagen es selber … Aber den Text sicherlich … Pasteur … Mikroben … so komische Sätze … Und dann die Schrift! Die Schrift …«

»Was war mit der?«

»An die erinnere ich mich noch ganz genau! Ganz sonderbar war die! So eigenwillig! Die H’s … und die M’s … mit den Rundungen nach unten und den Spitzen nach oben …« Landau fuhr zurück, denn Manuel hatte seine Brieftasche aus der Jacke gezogen und blitzschnell einen zusammengelegten Bogen Papier entfaltet. Es war jenes Papier, welches er seit dieser Nacht besaß – gefunden in Valerie Steinfelds Fotoschatulle. Er fragte heiser: »Ist es das?« Daraufhin kam etwa so lange keine Antwort, wie man braucht, um bis zehn zu zählen. Landau saß da, als sei er hypnotisiert, untl als sei er hypnotisiert, so starrte er das alte Papier an.

Schließlich stotterte er: »Woher haben Sie … wo ist das her? Wie … wie kommen Sie … zu dem da?«

»Das erkläre ich Ihnen später. Ist das der gleiche Bogen, der damals, vor siebenundzwanzig Jahren, Frau Steinfeld aus der Jackentasche fiel? Ist es die gleiche Schrift?«

Martin Landau flüsterte: »Ja, das ist die gleiche Schrift … Das ist das gleiche Papier …«

»Sind Sie sicher?«

»Absolut!«

»Können Sie sich erklären, wie dieses Papier in den Besitz von Frau Steinfeld kam?«

»Nein, natürlich nicht. Sie hat es mir ja auch damals nicht gesagt …«

»Oder wieso sie es gerade an diesem Tag bei sich trug?«

»Keine Ahnung. Keine Ahnung, Herr Aranda! Ich erzähle Ihnen von einer Geschichte, die so lange her ist, vergangen und vorbei, und da halten Sie mir plötzlich dieses Papier hin …«

Manuel sagte leidenschaftlich: »Es ist eben nichts vergangen und vorbei. Jetzt gibt es keinen Zweifel mehr! Hier, dieser Bogen ist der Beweis dafür, daß Valerie Steinfeld …« Er brach ab. Das war unmöglich. Er konnte so nicht reden mit diesem Martin Landau, der ja nicht wußte, was geschehen war, worum es ging. Wild schlug Manuels Herz. Die Spur! Er war der richtigen Spur gefolgt von Anbeginn! Und diese Spur führte zu Valerie Steinfeld, immer wieder, immer wieder zu ihr, so phantastisch das alles auch schien.

»Beweis wofür, Herr Aranda?« flüsterte Landau. Er war erschrocken, aber er war auch neugierig.

»Das kann ich Ihnen nicht sagen, leider.«

»Hängt es … mit Ihrem Vater zusammen?«

»Ja.«

»Oh. Und dieses Papier? Woher haben Sie dieses Papier?«

Manuel erklärte es dem nervösen Buchhändler. Während er sprach, dachte er: Cayetano müßte längst da sein. Ich habe in Schwechat angerufen. Verspätung, hieß es. Ankunftszeit ungewiß. Der Schnee. Was mache ich? So wie die Dinge jetzt aussehen, muß ich doch in Wien bleiben! Kann ich doch nicht einfach die Suche hier abbrechen, die ganz bestimmt die Lösung bringt. Immer näher rückt sie, immer näher! Aber darf ich hierbleiben? Ja. Nein. Doch, ja! Verbirgt sich die größte Gefahr nicht tatsächlich in Wien anstatt in Argentinien? Es sieht so aus, es sieht verflucht so aus. Ja, ich muß hierbleiben. Wenn ich bloß wüßte …

In diesem Moment fiel Manuel etwas ganz anderes ein.

Warum ist mir das nicht früher eingefallen? dachte er erbittert. Warum habe ich Landau nicht längst danach gefragt? Ich bin zu jung, zu jung für das alles. Ich überblicke es nicht …

Aber ich muß Klarheit finden! Ich muß die Situation beherrschen! Meine Jugend darf keine Rolle spielen! Wenn ich das Rätsel um die Verbrechen meines Vaters nicht löse, wer wird es dann tun?

Manuel fragte: »Herr Landau, wissen Sie, ob Herr Steinfeld einen Bruder hatte?«

Landau nickte. »Natürlich weiß ich das. Er hatte einen Bruder, ja, den Daniel.«

»Sie kannten ihn persönlich?«

»Kaum. Wir haben uns zwei-, dreimal getroffen. Paul und er mochten sich nicht.«

»Warum nicht?«

»Das kann ich nicht sagen. Ich weiß es nicht. Die Brüder sahen sich nur selten, obwohl Daniel in Wien lebte.«

»Hier in Wien?«

»Ja. Er ist allerdings schon 1937 emigriert …«

»Wohin?«

»Nach Prag. Er hat einen Lehrauftrag bekommen an der Universität dort.«

»Universität …« Manuel hörte seine eigene Stimme wie die eines anderen, eines lallenden Idioten.

»Er hat doch auch hier an der Universität gearbeitet. Professor war er.«

»Wo?«

»Am Chemischen Institut.«

Manuels Finger verkrampften sich in die Lehnen seines Sessels.

»Wo?«

»Am Chemischen Institut in der Währingerstraße«, antwortete Martin Landau, sein Gegenüber erschrocken betrachtend. »Was ist mit Ihnen, Herr Aranda? Was haben Sie bloß?«

»Nichts … nichts … Paul Steinfelds Bruder war Chemiker?«

»Ja, Professor für Chemie. Das hat er …«

Und Jimmy ging zum Regenbogen
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