30
»Halt! Moment!«
Manuel hatte sich aus seinem tiefen Sessel neben dem Kamin in Nora Hills Wohnzimmer erhoben. »Jetzt verstehe ich überhaupt nichts mehr! Carl Flemming? Sie haben Frau Steinfeld gesagt, daß Sie damals ausgerechnet mit Flemming, Ihrem Chef, diesem Nazi, über einen Ausweg nachdenken wollten?«
»Ja.«
»Aber wie konnten … Ich meine, das war doch Irrsinn …«
»Gar kein Irrsinn, lieber Freund.« Nora Hill trug einen cremefarbenen Abend-Hosenanzug aus leichter Seide, mit großen Blumen und Blättern in Grün und Rosa bedruckt und tief dekolletiert. Die Hosen waren, besonders unten, sehr weit geschnitten. Nora hatte ihren Smaragdschmuck angelegt.
Eine alte Uhr an der Wand zeigte die Zeit: 22 Uhr 35. Nach seinem so jäh unterbrochenen Gespräch mit Martin Landau war Manuel zuerst in die Möven-Apotheke gefahren, um Irene zu sehen. Von ihr aus hatte er Nora Hill angerufen und sie gebeten, noch am gleichen Abend kommen zu dürfen. Sie war einverstanden gewesen.
»Ich freue mich immer, Sie zu sehen, lieber Freund …«
Manuel hatte anschließend den Hofrat Groll im Sicherheitsbüro besucht. Nach einem späten Abendessen im ›Ritz‹ war er zu Nora Hills Villa hinausgefahren. Viele Autos parkten vor dem phantastischen Rundbau. Es herrschte großer Betrieb an diesem Abend. Nora Hill war mit Manuel in ihr Appartement gegangen und hatte, da er gleich vom negativen Ausgang der Blutgruppenuntersuchung sprach, auch sofort über ihr Treffen mit der ratlosen Valerie Steinfeld berichtet, bis er sie unterbrach.
Nun meinte die schöne Frau mit den gelähmten Beinen sanft: »Als Sie das letzte Mal hier waren – wir mußten unser Gespräch unterbrechen, der Steuerprüfer wartete, Sie erinnern sich …«
»Ja, ja …«
»… da sagte ich Ihnen doch, daß Flemmings Chauffeur mich hier, in diesem Zimmer, vergewaltigte und daß ich, als Flemming dann heimkam, ihm in meiner Angst alles erzählte – das von Valerie Steinfeld und das, was Carlson gemacht hatte, nicht wahr?«
»Ja, das sagten Sie mir.«
»Sie waren entsetzt über meinen Verrat, lieber Freund. Sie konnten mich nicht begreifen.« Nora lächelte. »Ich hatte mir das alles wohl überlegt. Ich kannte Flemming. Er war ein Nazi, ein Karrierist, aber er war kein Narr. Nein, wahrhaftig nicht.«
»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Manuel.
»Setzen Sie sich zuerst wieder, Sie machen mich ganz nervös.«
»Madame, bitte!«
»Ich erzähle ja schon weiter, lieber Freund. Nun, an jenem Januarabend hörte Carl Flemming sich alles, was ich ihm berichtete, schweigend an. Er trank, und ich trank – so wie wir beide heute trinken, in demselben Zimmer, sechsundzwanzig Jahre später. Und als ich endlich fertig war, stand er auf …«