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»… also das war die Hölle, Herr Direktor, die reinste Hölle, ich schwör es Ihnen! Krach bei Tag und Krach bei Nacht, wenn er zu Hause war, der Herr Steinfeld! Er ist nämlich oft wochenlang weggeblieben, auch wenn er nicht verreist gewesen ist … Andere Frauen hat der gehabt, immer andere Frauen, das kann ich beschwören!«

Die Agnes trägt ihr feinstes schwarzes Kleid, einen Kapotthut auf dem Haar, den Mantel hat sie ausgezogen, sie ist hochgradig erregt, munter, sie möchte am liebsten andauernd reden.

»Warum sind Sie denn in einem solchen Haushalt geblieben, Zeugin?«

»No, wegen der guten gnä’ Frau und wegen dem Heinzi, dem Kleinen. Die haben mich doch gebraucht. Haben doch sonst niemanden gehabt als mich und den lieben Herrn Landau. Wenn wir nicht gewesen wären, meiner Seel, ich glaub, das Leben hätt die gnä’ Frau sich genommen vor Gram, so verzweifelt war die manchmal, das kann ich beschwören, Herr Direktor.«

»Wußten Sie, daß es eine intime Beziehung zwischen Frau Steinfeld und Herrn Landau gab?«

»Ja, das kann ich auch beschwören!«

»Hören Sie endlich mit diesem ewigen Beschwören auf. Was soll denn das? Beantworten Sie meine Frage!«

»Ich sag doch, ich kann es beschwören …«

»Zeugin Peintinger!«

»… weil es mir die gnä’ Frau anvertraut hat in ihrer Verzweiflung …«

»Wann hat sie sich Ihnen anvertraut, Zeugin?«

»Gleich nach der Geburt, wie der Herr Steinfeld angefangen hat, sie zu beschimpfen, daß es nicht sein Bub ist und daß sie was hat mit dem Herrn Landau. Also, meine Herren, ich schwöre Ihnen, damals hat die gnä’ Frau es mir gesagt!«

Ich lasse mich doch nicht hochnehmen von dieser Gesellschaft, denkt Doktor Gloggnigg und poltert los: »Schon wieder wollen Sie schwören, Zeugin!«

»Ja, Herr Direktor! Entschuldigen bitte … aber ich will wirklich …«

»Aha. Und weshalb?«

»No, damit Sie mir glauben, Herr Direktor! Es ist doch wichtig, daß Sie mir glauben! Ich erzähl Ihnen von den ganzen Krachs und Zerwürfnissen und wie froh die gnä’ Frau war, daß das Dritte Reich gekommen ist und der Herr Steinfeld hat flüchten müssen … Mich hat er auch immer behandelt wie den letzten Dreck. Arbeiter und Angestellte, die waren einfach Dreck für ihn, kein soziales Gefühl, verstehen Sie, Herr Direktor, Herr Rechtsanwalt? Ich schwör Ihnen, jüdisch, echt jüdisch …«

»Zeugin Peintinger!«

»… während der Herr Landau … so lieb und gut … ein wirklicher Herr … und immer freundlich! Und wie hat der Bub ihn gern gehabt, schon als ganz kleines Kind … und die gnä’ Frau, wie hat sie sich immer gefreut, wenn der Herr Landau gekommen ist, und er ist oft gekommen, der einzige Trost in ihrer unglücklichen Ehe war er für die gnä’ Frau, das schwöre ich gerne …«

»Fräulein Peintinger, ich …«

»Sie lassen mich schwören, ja?«

»Nein«, sagt Gloggnigg langsam.

»Was?«

»Ich lasse Sie nicht schwören.«

»Warum mußte sie auch so übertreiben?« flüstert Forster Valerie ins Ohr. »Was ist los mit ihr?«

Valerie flüstert: »Ihr Pfarrer, Sie wissen doch …«

Forster nickt.

»Na ja, und jetzt will sie eben unbedingt!»

»Unangenehm. Sehr unangenehm. Und als nächste diese Lippowski … Nicht, gnädige Frau, bleiben Sie ruhig! Alles wird gutgehen. Ich sehe doch, daß der Kummer schon kalte Füße hat. Der stellt bestimmt seine Anträge, und wir sind einen Riesenschritt weiter …«

Indessen haben sich die Agnes und Richter Gloggnigg unterhalten, gereizt, alle beide.

»Aber ich verstehe nicht, warum Sie mich nicht vereidigen wollen, Herr Direktor! Nur so können Sie doch sicher sein, daß ich wirklich die Wahrheit sag! Und die Wahrheit müssen Sie doch kennen, nicht?«

»Ja, die muß ich kennen! Aber die erfahre ich nicht, wenn ich Sie vereidige! Sie sind doch imstande und schwören einen Meineid!«

»Ich einen Meineid? Niemals! Warum sollte ich …«

»Um Ihrer lieben gnädigen Frau zu helfen und dem lieben Heinzi.« Es ist stärker als der Landgerichtsdirektor Gloggnigg, heiße Wut flackert in ihm hoch. »Das ist doch alles abgesprochen und ausgedacht und ausgetüftelt und Theater!«

»Wenn ich mir gestatten dürfte, Herr Vorsitzender …«

»Unterbrechen Sie mich nicht, Herr Doktor Kummer!«

»Verzeihung …«

»Ich sehe doch, ob einer lügt oder nicht! Und hier wird nur gelogen! Nur!«

»Herr Direktor, das verbitte ich mir! Ich als Parteigenosse …«

Martin Landau ist aufgesprungen.

Gloggnigg winkt ab.

»Sie meine ich nicht …«

»Wen denn, Herr Direktor?«

Jetzt ist Forster aufgesprungen.

»Sie wissen genau, wen, Herr Rechtsanwalt! Treiben Sie es nicht zu weit! Ich warne Sie! Es ist in ganz Wien bekannt, daß gerade Sie es auf das peinlichste vermeiden sollten, derartige Lügenprozesse zu führen!«

»Herr Vorsitzender!« ruft Forster. »Das ist eine unglaubliche Äußerung! Ich werde mich beim Herrn Präsidenten beschweren!«

»Beschweren Sie sich meinetwegen! Weit werden Sie nicht kommen. Himmeldonnerwetter noch einmal, ich will doch da sehen …«

»Aber zum Schluß darf ich schwören, ja?« ruft die Agnes.

»Gar nichts dürfen Sie!«

»Doch! Ich will! Ich muß! Sie werden mir die Worte vorsprechen, Herr Direktor, und ich …«

Gloggnigg gerät außer sich: »Nein! Nein! Nein! Eine Zeugin wie Sie vereidige ich nicht, haben Sie verstanden?«

»Herr Vorsitzender, ich gebe zu bedenken …«

»Herr Doktor Kummer, bitte!«

»Pardon!«

»Schwören … beschwören …«

»Zeugin, nehmen Sie sich gefälligst zusammen!«

Tja, das ist leicht gesagt! Wo der Geistliche Herr der Agnes doch das Lügen erlaubt hat! Nach all den Alpträumen, den Bedenken, der Angst besitzt sie die Erlaubnis zu lügen, und nun will man sie nicht lügen lassen – nein, das ist zu ungerecht!

Die Agnes beruhigt sich nur langsam. Sie sagt weiter aus. Und lügt und lügt und lügt und hofft, daß der Richter ein Herz haben und sie ihre Lügen doch noch beschwören lassen wird.

Aber der denkt nicht daran.

Die Zeugin Agnes Peintinger bleibt unvereidigt.

Und Jimmy ging zum Regenbogen
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