15

»Sie berichtete mir die ganze Geschichte, und sie wurde ruhiger, während sie sprach«, sagte Martin Landau.

Es war 15 Uhr 35, und der Buchhändler saß, Manuel gegenüber, in einem Sessel des Salons. Zwischen ihnen stand ein fahrbarer Tisch, auf dem ein Ober zwei große Kannen Tee und eine kleine Platte Petits fours serviert hatte. Die Sonne schien noch immer an diesem 17. Januar 1969, schräg fielen ihre Strahlen auf eine honiggelbe Tapete, auf den honiggelben Velours und eine Chinabrücke, die bunt aufleuchtete. Aus der Tiefe drang gedämpft der Lärm des Verkehrs auf der Ringstraße durch die geschlossenen Fenster.

Landau war auf die Minute pünktlich gewesen. Manuel hatte eben (von einer Telefonzelle aus, wie ihm eingeschärft worden war) seinen verabredeten täglichen Anruf bei dem Anwalt Dr. Stein absolviert und sich solcherart als unversehrt gemeldet.

»Also doch keine Grippe, lieber Doktor …« (›Grippe‹ war das Erkennungswort für diesen Tag, das vierte Wort, das Manuel sprach.)

Sie hatten kurz geplaudert. Dann hatte sich der Anwalt verabschiedet. Das siebente Wort in seinem ersten Satz – das Kennwort für morgen – war ›Wochenende‹ gewesen.

Kaum hatte Manuel sein Appartement wieder erreicht, da meldete man ihm Landaus Eintreffen.

»Er möchte doch bitte heraufkommen …« Manuel war dem Buchhändler bis zum Lift entgegengegangen. Landau, schief die Schulter, schief der Kopf wie stets, entschuldigend lächelnd wie stets, hatte einen pelzgefütterten Mantel und einen seltsam altmodischen Hut getragen. Er war zunächst noch in Panik gewesen.

»Sie haben mich erpreßt! Das wissen Sie doch immerhin, nicht wahr? Sie sagten, wenn ich nicht komme, ziehen Sie mich in diese Spionagegeschichte hinein!«

»Das habe ich nicht gesagt. Woher wissen Sie überhaupt, daß es eine Spionagegeschichte ist?«

»Meinen Sie, ich habe grundlos solche Angst? Es ist eine Spionagegeschichte, davon sind wir überzeugt, Tilly und ich! Wer weiß, was für ein Doppelleben Valerie geführt hat. Darum wollten wir uns ja auf jeden Fall heraushalten …«

»Das ist jetzt leider nicht mehr möglich, Herr Landau. Nun müssen Sie schon vernünftig sein und tun, was ich will.«

»Ich bin ja hier! Aber das ist eine lange Geschichte. Heute kann ich Ihnen bestimmt nicht alles …«

»Sie kommen wieder. Hier sind Sie sicher. Hier werden wir uns unterhalten – bis ich alles weiß.«

»Wenn Tilly je erfährt …«

»Sie erfährt nichts, sofern Sie vernünftig sind. Was wollen Sie trinken?«

»Trinken?«

»Tee? Kaffee? Schokolade?«

»Oh. Ach so. Tee bitte.«

Nachdem der Tee gekommen war, hatte Landau sich etwas beruhigt und zu erzählen begonnen – über jenen Abend des 21. Oktober 1942, und über sich, hauptsächlich noch über sich. Er empfand das Bedürfnis, seine Haltung, sein Wesen und seine Reaktionen zu rechtfertigen, nicht als ein wirklicher Lump, als ein wirklicher Feigling dazustehen. Was er berichtete, beeindruckte Manuel. Landau wurde ihm plötzlich sympathischer. Ein Mensch. Ein armer, irrender, im Grunde anständiger Mensch. Jedenfalls sah es so aus …

»Wie spät ist es?«

»3 Uhr 37. Sie haben alle Zeit von der Welt. Nehmen Sie noch Petits fours …«

In seinem Büro stand der Graf Romath vor Adolph Menzels ›Maskensouper‹. Er hatte die Tür versperrt, danach das Leistenstückchen des Rahmens herabgedrückt und sprach nun in den Miniatursender, dessen Antenne herausgezogen war.

»Landau erzählt, was diese Steinfeld im Krieg erlebt hat – mit ihrem Sohn«, erklärte er gerade in englischer Sprache. Auf dem Schreibtisch, neben der Vase mit den Inka-Lilien und ihren gelblich-braunen Blüten, die goldgelb gefleckt waren, stand ein ganz kleiner schwarzer Lautsprecher, den man sofort in einer Anzugtasche verschwinden lassen konnte. Sein kurzes Kabel war durch eine Buchse mit dem großen Telefonapparat verbunden. Ein hochempfindliches Mikrophon in Manuels Salon befand sich über der oberen Leiste zum Schlafzimmer. Da hatte es ein Hauselektriker, der, wie Romath, für die Amerikaner arbeitete, schon am Tage vor der Ankunft von Manuels Vater installiert, ebenso den kleinen Lautsprecheranschluß im Büro des Grafen. Die Verbindung lief über einen Telefondraht. Niemand wußte davon – außer den Eingeweihten.

Eingeweiht in derlei schien auch der Hofrat Groll zu sein. Er hatte Manuel, als sie im Billardzimmer des Cafés ›Ritz‹ die Dokumente aus dem schwarzen Köfferchen nahmen, gesagt: »Sicherlich gibt es Abhöranlagen in Ihrem Appartement. Und sicherlich hat der Graf den Auftrag, Sie weiter schärfstens zu überwachen. Wenn Sie sich also oben mit jemandem unterhalten, denken Sie daran, daß der Direktor – oder jemand anderer – mithört. Dagegen läßt sich kaum etwas machen. Im ›Ritz‹ steht der Graf den Amerikanern und Russen zu Diensten – also der weitaus stärkeren Partei, die mit Ihrem Vater offensichtlich ins Geschäft gekommen ist. Ich rate Ihnen, zu bleiben. Nach dem Plan, der mir vorschwebt, wird Ihnen nichts zustoßen.«

Der Graf Romath hatte schon viele Gespräche abgehört, die im Salon des Appartements 432 geführt worden waren – Gespräche von Manuels Vater. Nun hörte er ein Gespräch des Sohnes ab …

»Okay, Able Peter«, erklang eine Stimme aus dem kleinen Sender. »Machen Sie weiter!« Die Stimme gehörte einem Mann, der seinen Wagen 1000 Meter vom Büro entfernt in einer Nebenstraße geparkt hatte. »Aber das ist doch uninteressant …«

»Sie haben Ihren Auftrag – und Sie werden ihn erfüllen, verstanden?« Die Stimme klang scharf. »Oder haben Sie genug? Wollen Sie nicht mehr? Sagen Sie nur ein Wort, Able Peter …«

»Hören Sie auf, Sunset! Ihr habt mich in der Hand, das weiß ich.«

»Melden Sie sich wieder, wenn Landau gegangen ist oder wenn Sie etwas Wichtiges hören. Wir sind immer hier. Over.«

»Over«, sagte der Graf, drückte die Antenne in den Sender zurück und versteckte ihn wieder in dem Bilderrahmen. Er schloß die Tür auf und setzte sich an den Schreibtisch. Sein Gesicht war weiß wie sein Haar, und seine Lippen zitterten. Soll das ewig so weitergehen, dachte er verzweifelt, werden die mich nie mehr in Frieden lassen? Niemals mehr? Das halte ich nicht aus. Das kann ich nicht. Das will ich nicht. Ich will aber auch nicht ins Zuchthaus. Also was tue ich? Also schalte ich das Mikrophon wieder ein …

Er tat es, und es erklang Landaus Stimme. »… Valerie war gefaßt, jedenfalls hatte ich da noch den Eindruck. Außerordentlich gefaßt, wenn Sie bedenken, wie groß immerhin stets ihre Angst um den Jungen war. Sie rief Biancas Eltern an. Der Vater machte ihr eine schreckliche Szene. Tobte herum, beschimpfte sie! Valerie behielt die Fassung – es war kaum zu glauben. Immerhin hatten wir dann aber einen kleinen Streit …«

Die Stimme Manuel Arandas: »Streit?«

Und Jimmy ging zum Regenbogen
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