55

»Ihr Gesicht war richtig verklärt bei dem Schwur, sagte mir Valerie später«, berichtete Ottilie Landau. Sie saß mit Manuel an einem Fenster des großen, runden Espressos auf dem Cobenzl und erzählte seit einer halben Stunde.

Manuel, noch sehr erschüttert durch den plötzlichen Tod Forsters, hörte die Frau mit dem harten Gesicht und den schmalen Lippen, die elegant, aber unmodern gekleidet war, wie aus einiger Entfernung sprechen. Er war benommen, und er hatte Kopfweh. Forster ist tot, dachte er. Die Stadt, die er verlassen wollte, hat ihn nicht freigegeben.

Manuel hatte Tilly Landau von Forsters Ende erzählt. Sie war sehr erschrocken gewesen. Ihre Stimme klang – zum erstenmal, seit Manuel sie kannte – nun weich, warm und fraulich …

»Es ging also alles gut. Jetzt sollte ein neues Gutachten erstellt werden. Wir hatten wieder eine Runde gewonnen. Und Zeit, Zeit! Nach der Verhandlung machte Valerie der Agnes natürlich Vorwürfe. Die sagte, mein Gott, war sie vergnügt: ›Ja, ich hab was getrunken! Ich hab mir gesagt, diesmal muß der Richter mich schwören lassen! Ohne den Schnaps hätte ich solche Sachen über die gnä’ Frau nie herausgebracht. So war mir alles wurscht. Und hat es nicht gewirkt? Ich hab schwören dürfen! Schwören dürfen hab ich!‹« Tilly Landau sagte: »Das hat sie sich doch so gewünscht, nicht wahr?«

Manuel nickte.

»Und also«, fuhr Tilly fort, »schleppte der Prozeß sich weiter. Bis Ende Oktober schon hätte Valerie den großen Ariernachweis für Orwin erbringen und alle Fotos von ihm, die sie sammeln konnte, dem Gericht vorlegen sollen. Fotos gab es eine Menge – Orwin war ein ziemlich berühmter Mann gewesen –, nur ein paar Dokumente ließen und ließen sich nicht auftreiben. Erst im Januar 44 hatte sie endlich alles beisammen. Dann ging das ganze Material an das Anthropologische Institut. Und erst im Mai gab es wieder eine Verhandlung.«

»Mit dem katastrophalen Gutachten«, sagte Manuel.

»Woher wissen – ach so, Doktor Forster! Mein Gott, der arme Kerl. Schrecklich ist das. Aber so einen Tod wünsche ich mir auch«, sagte Tilly. »Er kann doch überhaupt nicht gelitten haben, oder?«

»Nein«, sagte Manuel und dachte: Im Sterben nicht, im Leben schon, viel und lange.

»Ja«, fuhr Tilly fort, »das Gutachten war verheerend. Vermutlich haben die SS-Ärzte sich gesagt: Unser so positives erstes Gutachten war ausschlaggebend dafür, daß dieser Prozeß überhaupt weitergeführt wird. Das wollen wir jetzt verhindern.«

»Und es gelang ihnen?«

»Es gab zwei weitere Verhandlungen. Ich war bei beiden, als Zuhörerin. Die arme Valerie! Es sah sehr schlecht für sie aus, was der Doktor Forster auch anfing. Ich habe sogar das Gefühl, daß der Richter ihr gern geholfen hätte, aber er traute sich nicht. Er hatte Angst vor diesem SS-Bonzen, dem Leiter des Instituts, er hieß, warten Sie …«

»Kratochwil«, sagte Manuel.

»Ja, Kratochwil, richtig! Den ließ der Richter auf Verlangen Forsters zur zweiten Verhandlung persönlich erscheinen. Forster verwickelte Kratochwil in wilde Streitgespräche – bis der SS-Kerl richtig heimtückisch wurde und die ganze Geschichte lebensgefährlich für den guten Doktor Forster. Der Richter schloß die Verhandlung. Das Urteil sollte schriftlich ergehen«, sagte Tilly.

»Der Richter ließ sich Zeit damit – vielleicht auch, um zu helfen. Die Zeit, nicht wahr, die Zeit …«

»Ja«, sagte Manuel.

»So kam das Urteil erst Anfang Juni. Es war ein paar Schreibmaschinenseiten lang. Die Klage wurde darin abgewiesen. Valerie brach uns fast zusammen, aber der Doktor Forster sagte: ›Jetzt gehen wir in die Revision vor das Reichsgericht in Leipzig!‹«

»In Leipzig …« Manuel fiel ein, daß Forster bei ihrem ersten Telefonat gesagt hatte, die Akten des Gerichts befänden sich, wenn sie überhaupt noch existierten, in Leipzig.

»Das war das höchste deutsche Gericht. Und die Revisionsanträge aller Abstammungsprozesse mußten dort eingereicht werden – nach einer Verordnung von Anfang 44. Zuerst war ein solcher Revisionsantrag vom örtlichen Gericht zu genehmigen. In Valeries Fall geschah das Ende Juni. Ich sagte, der Richter wollte uns helfen! Danach mußte Forster innerhalb von vierzehn Tagen Revision einlegen. Er hat sicherlich seine Unterlagen darüber für heute vorbereitet gehabt …« Tilly sah in die Schneewirbel hinaus. »Da liegen sie nun in seinem Zimmer … Und er ist tot … Ich erinnere mich auch noch an das Revisionsbegehren. Valerie war dabei, als Forster es aufsetzte, und sie erzählte Martin und mir davon. Es war unglaublich, was Forster da noch einmal riskierte …«

Und Jimmy ging zum Regenbogen
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