Kapitel 60

 

Heute

 

Zwei Männer drückten Donner mit ihren kräftigen Armen gegen den Betonboden. Einen von ihnen kannte er. Es handelte sich um den Türsteher, der ihn und Nina Richter Einlass ins Atmosfera gewährt hatte. Pavel, so hatte die Praktikantin ihn genannt.

Unter dem Befehl von Igor zog ein dritte Angreifer Donner die Schuhe aus. Anschließend machte er sich daran, Donners Jeansstoff an beiden Hosenbeinen in Streifen zu schneiden. Ein paar Mal ritzte er ihm mit der Klinge in die Haut.

Donner spuckte und brüllte, als man ihn entkleidete. Ein Faustschlag gegen das Kinn ließ ihn kurzzeitig verstummen. Die Schmerzen im Kiefer schwollen sekündlich an – genau wie sein Stöhnen.

Halb benommen bekam er mit, wie jemand die Unterhose von seiner Hüfte löste. Während Igor gewaltig wie ein Bär auf ihn herabblickte, entkleidete man Donner vollständig.

Weil er sich am Boden liegend noch immer wehrte, stützte sich der Schmächtigste der Vierergruppe mit dem gesamten Körpergewicht auf Donners Brustkorb. Zusätzlich näherte er sich mit der Messerspitze dicht an Donners Gesicht. Er ließ die Klinge wie das Pendel einer Standuhr hin und her wandern.

»Hast du mein Geschenk bekommen?« Der Schmächtige fuhr sich mit seiner schnapsgrauen Zunge über die lückenhaften Vorderzähne. »Zu schade, dass deine orangehaarige Freundin bereits ein hässlich blutendes Loch in der Brust hatte, als ich ihr das Ohr abgeschnitten habe.«

»Dreckschwein!«

In einer fließenden Bewegung, von oben nach unten, teilte die Klingenspitze Donners Kinn. Der Schmerz kam urplötzlich. Er merkte, wie das Blut warm aus der Wunde trat.

»Das reicht!«, gebot Igor.

Der Schmächtige gab ein abschließendes Zischen von sich und räumte den Platz für seinen Chef.

»Du hättest mich nicht schlagen dürfen«, sagte Igor, wobei er dem Schmächtigen das Messer aus der Hand zupfte. »Ich bin der Scheißprophet dieser Stadt, denn ich habe dir vorhergesagt, dass ich dir beim nächsten Aufeinandertreffen sehr, sehr wehtun werde. Bisher habe ich stets Wort gehalten.«

Inständig flehte Donner, dass Kolka endlich im Türrahmen auftauchen würde und dem Russen einen Kopfschuss verpasste. Doch sie kam nicht. Sie hatte ihn im Stich gelassen. Von Below brauchte er ebenfalls keine Hilfe erwarten. Der vermeintliche Killer kauerte stumm blutend auf seinem Stuhl und starrte auf die Nägel, die ihn an Ort und Stelle hielten.

Offensichtlich hatte Igor Donners kurzen Seitenblick zum Tisch bemerkt.

»Spar dir die Hoffnungen lieber dafür auf, dass dein Tod schnell eintritt.« Er deutete mit der Messerspitze in Belows Richtung. »Der da kann dich nicht mehr retten.« Er lachte dreckig, wie ein Mann nach zu vielen Gläsern Wodka. Die drei Lakaien amüsierten sich ebenso. »Was für eine Ironie! Du und mein stinkender Landsmann, ihr hattet mich beide in eurer Gewalt – und doch bin ich es nun, der eure Köpfe in der Schlinge hält. Das Schicksal schlägt sich am Ende immer auf die Seite des Mächtigen.« Den letzten Satz sagte er in Russisch, um dann auf Deutsch weiterzusprechen: »Altes sowjetisches Sprichwort. Du, Bulle, bist genauso neugierig wie zuvor dein Kollege. Wusstest du, dass er auf diesem Gelände gestorben ist? Na ja, vermutlich hast du es geahnt. Wir haben alle unsere Gegner in die Falle gelockt.«

Donner sah erneut hinüber zu Below, doch dessen Augenlider fielen mittlerweile sekündlich zu.

Wer weiß, wie lange sie ihn so dasitzen lassen haben? Und was sie mit mir vorhaben …

»Nachdem bei CORWEX ein Brief mit dem Stoffabzeichen von S65 ankam, dachten wir zuerst, eines der Opfer, Jegor Tarassow, wäre zurückgekehrt«, erklärte Igor. »Der Name wird dir nichts sagen und ist im Grunde unbedeutend, doch dank deiner Hilfe kamen wir Anton Below auf die Schliche. Du hörst richtig, die Explosion in seiner Wohnung, von der man überall in den Nachrichten hören konnte, brachte uns auf den Namen. Auf die Spur des Killers, den Russland auf unsere Köpfe angesetzt hat.«

Auf uns? Also steckt noch jemand dahinter? Und ich weiß auch, wer.

Igor gab keinerlei Antwort auf die stumme Frage. »Die ganze Zeit trug ich einen versteckten Sender unter dem großen Zehennagel, mit dem man mich orten konnte. Zehennagel, verstehst du die Ironie? In einer alten KFZ-Werkstatt überraschten meine Leute Below und brachten ihn hierher, wo er Beute ist. Beute, genau wie du! Die Fangzähne des Weißen Wolfes warten da draußen. Bin gespannt, ob du tatsächlich so hart bist, wie du tust, denn ich halte dich lediglich für einen dummen Bullen, der zufällig in eine große Sache hineingeraten ist. Hast du Angst?«

Donner biss die Zähne aufeinander und zeigte ihm mit seinem Blick, was er von der Frage hielt. Obwohl ihm die Panik in die Eingeweide kroch, wollte er nicht um Gnade betteln.

Igor rieb sich mit der flachen Hand über den rasierten Schädel. Das Messer fasste er am äußersten Griffende, sodass die Spitze an die Decke zeigte. »Achtzehn Zentimeter Stahl. Weil du so gut zu mir warst, ramme ich ihn dir vorher in den Arsch. Auf den Tisch mit ihm!«

Auf das Kommando hin rissen die drei Helfer an Donners Gliedern.

»Nein!«, flehte er jetzt doch noch und überkreuzte die Beine.

Seine Peiniger quetschten ihm die Rippen und droschen ihm gegen den Kehlkopf. Sie schleiften ihn zum Tisch und drückten seinen Brustkorb auf die Platte. Dabei kam sein Kopf so dicht zwischen Belows Armen zum Liegen, dass er den metallischen Duft des Blutes geradezu abstoßend tief inhalierte. Hinter sich vernahm er, wie Igors Stiefelsohlen auf dem Boden hallten. Der Russe packte Donner an einer Pobacke. Die drei anderen grunzten zufrieden.

»Hübscher Arsch!«, gackerte der Schmächtige, der ihn zuvor entkleidet hatte.

»Mal sehen, wie weit ich es reinbekomme«, hauchte Igor.

Schon spürte Donner, wie die kalte Klinge an seinem Hintern die Haut aufriss.

»Oh Gott!«, quetschte er durch die Zähne in Erwartung unendlicher Qual.

Schließlich entschloss er sich, den Widerstand aufzugeben.

Blut und böser Mann
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