Kapitel 4

 

Schlechtes Wetter machte Polizeimeister Stefan Zornitz nichts aus, schlechte Neuigkeiten dagegen schon.

»Ist es das, was ich denke?«, fragte er Klemens Brecht und betrachtete in seiner Handfläche das abgerissene Stück Stoff, welches ihm der Unternehmer Sekunden zuvor gegeben hatte.

»Eine Warnung«, antwortete Brecht.

Auf dem Stoff befand sich ein Symbol, welches aus Eichenblättern gebildet den Buchstaben S und daneben die Zahl 65 zeigte. S65. Mit einem Finger malte Zornitz die Umrisse des darüber befindlichen Wolfskopfes nach.

Ein weißer Wolf.

Zu S65 fand man im Internet nur spärliche oder widersprüchliche Informationen. Hauptsächlich auf Seiten, die sich bei genauerer Betrachtung bestenfalls als Nährboden für Verschwörungstheorien herausstellten.

»Woher stammt der Stoff?«

Der Miteigentümer von CORWEX druckste merklich herum. »Von einer Jacke, die ich vor sechs Jahren getragen habe.« Er nahm den Gegenstand wieder an sich und ließ ihn in seiner Manteltasche verschwinden. »Es ist das, was uns in diese Situation geführt hat. Das kam mit der Firmenpost am Tag, als mein Partner verschwand. Es war an mich persönlich adressiert.«

»Weiß die Kripo davon?«

»Damit ich mir unbequeme Fragen anhören muss?« Er schüttelte auffällig lange den Kopf. »Schaffen Sie das Problem einfach so diskret wie möglich aus der Welt.«

Zornitz musterte den Geschäftsmann von oben bis unten. Trotz der Klamotten von Brioni, den Wildlederhandschuhen und den sauber geschnittenen Haaren sah Brecht heute wie ein bettelarmer Student aus. Dabei war der Mann einer der reichsten der Stadt und nur drei Jahre jünger als Zornitz. Wie ein frierender Student trat Brecht auf der Stelle. Vom Stress der letzten Tage wuchsen ihm Pickel auf Wangen, Kinn und Stirn. Kein Wunder! Nach dem Verschwinden des Unternehmenspartners fürchtete er um sein eigenes Leben.

»Hat sich der Russe gemeldet?«, wollte Zornitz wissen.

»Bisher keine Nachricht. Er ist wie vom Erdboden verschwunden.«

»Oder tot.«

Brecht machte Lippenbewegungen, ohne etwas zu entgegnen. Die Schluckbewegung am Hals entging Zornitz nicht.

»Sie leben noch, Herr Brecht«, versuchte Zornitz den Mann aufzumuntern. »Darüber sollten Sie sich freuen.«

»Das Wohl meiner Familie liegt mir mehr als alles andere am Herzen.«

»Sind Ihre Frau und Ihre Tochter Emma in Sicherheit?«

Der Unternehmer bejahte. Nach einer Weile versuchte er fester zu klingen: »Ist es unbedingt notwendig, so viele Polizisten für den Fall einzusetzen? Kann man den Kräfteaufwand nicht im kleineren Rahmen halten? Es fällt mir zunehmend schwerer, den Unwissenden zu spielen. Jetzt sind auch noch Leute vom Landeskriminalamt bei mir aufgetaucht, um mich zu instruieren. Nein, sie nannten es Coaching.«

»Damit müssen Sie leben«, erwiderte Zornitz. »Ihr Mitinhaber Brandner ist nicht irgendwer. CORWEX ist eine der umsatzstärksten Firmen im Freistaat. Diese Stadt ist stolz auf das Unternehmen, auch wenn man dafür Waffenlobbyismus betreiben muss.«

»Wir stellen ausschließlich Jagdwaffen her.«

»Nichtsdestotrotz verschießen Sie scharfe Munition.«

»Sie werden es nicht glauben, aber die meisten unserer Waffen sind Sammlerstücke, begehrt bei Bewunderern rund um den Globus.«

Zornitz zuckte mit den Schultern und trat seine Zigarette aus. »Sie wissen das sicher besser als ich, schließlich sind Sie es, dem die Welt den Arsch küsst. Ich bin nur ein unwichtiger Bulle.«

Mit einem leichten Kopfschütteln zog Brecht einen blütenweißen Umschlag aus seiner Mantelinnentasche.

»Zwanzigtausend als Anzahlung.«

Zornitz zählte nicht nach. Er steckte das Geld in die Oberschenkeltasche seiner Hose. Bisher hatten Brandner und Brecht stets die vereinbarten Summen bezahlt. Dass es sich um ungesetzliche Geschäfte handelte, hatte Zornitz bereits vor Jahren verdrängt. Er brauchte das Geld, um seine Freundin endlich aus dem Rotlichtmilieu rauszuholen.

Er tat es für sie. Und für den Kick, den er spürte, wenn er auf der anderen Seite des Gesetzes balancierte. Und weil er dem Kasino am Markt noch eine vierstellige Summe schuldete.

»Sie haben uns schon etliche Male geholfen«, lobte Brecht. »Ich fürchte, diesmal steuern wir auf eine Katastrophe zu. Gott, wie ich die Vergangenheit hasse! Es hätte nie dazu kommen dürfen, ich hätte damals einfach nicht mitmachen sollen. Aber meine Neugier war stärker.« Er packte Zornitz am Arm. Ein fester Griff. »Erledigen Sie den Scheißkerl für mich! Falls Sie Brandner und seine Familie retten, umso besser. Nur bringen Sie den Hurensohn zur Strecke!«

»Ich kriege das hin.«

»Was ist mit dem Kommissar, von dem Sie mir erzählt haben, dieser Erik Donner? Ist er dabei?«

»Monster?« Zornitz kam der Spitzname spielend leicht über die Lippen. Nach Donners Dachsturz, bei dem dieser nur durch ein Wunder überlebt hatte, war der Mann sogar äußerlich zu einem Monster geworden. Geradezu bildlich offenbarten die Narben und Entstellungen die hässlichen Charakterzüge des Kommissars. Was für ein elendes Leben! Zornitz schüttelte den Kopf und versuchte gleichzeitig Optimismus auszustrahlen. Der Unternehmer brauchte nicht wissen, dass er von Donners Entscheidung enttäuscht war.

»Ich hoffe, Sie haben ihm meinen Namen verschwiegen.«

»Für wen halten Sie mich?« Die Frage beinhaltete bereits die Lüge, aber Zornitz vertraute darauf, dass Donner die Sache für sich behielt. Exakt aus diesem Grund hatte er ihn dabeihaben wollen.

Brecht schlug seinen Mantelkragen hoch und drehte sich in Richtung der Limousine, hinter deren Steuer sein Fahrer an den Knöpfen des Radios spielte. Der Chauffeur war loyal. Zornitz hatte ihn damals selbst überprüft. Selbstverständlich für ein kleines Handgeld.

»Im Übrigen wäre es mir lieber, Herr Zornitz, wir würden uns nächstes Mal an einem diskreteren Ort treffen.«

Zornitz zündete sich eine zweite Zigarette an und schaute über das Land. Hier am Rand der Stadt gab es nur Felder, Sträucher, Hügel und das entfernte Dröhnen der Bundesstraße. Er liebte die windige Frühlingsluft.

Brecht wischte ein paar Wassertropfen vom Ärmel. »Verdammt, bei diesem Nieselregen holt man sich den Tod.«

Zornitz stand nur im Polohemd da. »Was beklagen Sie sich, Herr Brecht? Es ist bald April. Alle lieben den April.« Gemütlich strich er die Regenspritzer vom Aufdruck Polizei. Er liebte seine Uniform. Zeit seines Berufslebens hatte er als Streifenbeamter auf der Straße zugebracht. Und selbst nach Dienstschluss zog er gern durch die Gassen der Stadt. Schließlich hatte er noch ein paar andere Geschäfte laufen.

Als sie die Limousine erreichten, zupfte Zornitz einen grünen Block mit polizeilichen Mängelscheinen aus seiner Brusttasche. Er machte darauf zwei Kreuze, schrieb einen Satz auf eine vorgedruckte Zeile und setzte Datum und Unterschrift darunter. Anschließend klopfte er auf das Fahrzeugdach.

Der Chauffeur Anton Below ließ die Seitenscheibe runter.

Zornitz riss das oberste Blatt vom Block und reichte es dem Fahrer. »Ihr linker Scheinwerfer ist defekt. Ich muss Sie auffordern, das Licht umgehend reparieren zu lassen. Ich belasse es bei einer mündlichen Verwarnung.«

Während sich der sechzigjährige Chauffeur die Schirmmütze zurechtrückte und sich den Mängelschein durchlas, zischelte Brecht: »Finden Sie das nicht albern?«

Zornitz schnippte mit den Fingern. »Ich mache nur meinen Job. Wir beide wissen, dass Sie mich genau deshalb bezahlen.«

Kurz bevor Brecht einsteigen wollte, hielt Zornitz ihn am Jackenärmel fest. »Sie wollten mir noch den Namen nennen.«

»Tarassow«, kam es zögerlich aus Brechts Kehle. »Jegor Tarassow. Der Mann verfolgt mich in meinen Träumen. Irgendwie habe ich gewusst, dass er eines Tages zurückkehren und Rache nehmen würde.«

Blut und böser Mann
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