Kapitel 57
»Anton Below!«, stieß Donner aus.
Obwohl er den Mann aus Fleisch und Blut vor sich sitzen sah und obwohl er den Schweiß riechen, die Angst spüren und die mitleiderregenden Stoßseufzer vernehmen konnte, wollte er es nicht glauben. Der ehemalige Chauffeur von CORWEX hockte wie eingerostet auf einem Stuhl und stierte stumpfsinnig auf die Tischplatte. Seine Mundwinkel und die Nasenflügel zuckten leicht.
Langsam näherte Donner sich. Es hatte den Anschein, als traute sich Below nicht einmal zu blinzeln – aus Furcht, die nachfolgenden Schmerzen könnten ihm den Verstand rauben. Die Arme lagen ausgestreckt auf dem Tisch, in zwei großen Lachen Blut. Im eigenen Blut.
»Man schickt ein Monster, das mich auf dem Weg in die Hölle begleitet«, stichelte Below.
Aber der Galgenhumor prallte an Donner ab.
Tod ist ein humorloses Geschäft. Die Rechnung zahlen immer die Lebenden.
Andererseits musste er sich eingestehen, dass er früher bei der Mordkommission auch Spaß gekannt hatte. Zumindest mehr Spaß als sein Gegenüber im Augenblick, denn in Belows Gesicht zeigten sich ein Farbspektakel aus lilafarbenen bis tief dunkelblauen Hämatomen. Unter dem linken Auge war die Haut aufgeplatzt. Der nackte Körper des alten Mannes wirkte blass und geschunden wie bei einer übel zugerichteten Leiche.
Doch Below lebte noch.
Mit einem Mal kam sich Donner einfältig vor, dass er den wehrlosen Mann mit einem abgebrochenen Stock bedrohte. Er ließ die zweifelhafte Waffe sinken und betrachtete die Unterarme genauer. Nägel! Sofort erinnerte sich Donner an die blutige Szene und die Jammerlaute im Pfandhaus, als Igor und sein Helfer dem Vietnamesen handlange Zimmermannsnägel durch Haut und Fleisch getrieben hatten.
»Was wird hier gespielt?«
»Klopfspiele.« Jetzt blinzelte Below doch. Es war ein unheimlich langer Augenlidschlag. »Ich habe nicht aufgepasst. Man hat mich in die Todeszone gebracht und nun darf ich mir selbst beim Verbluten zusehen.«
Donner wunderte sich über das Wort Todeszone, ging aber nicht darauf ein. »Sie haben mehr als eine Handvoll Menschen entführt und umgebracht und sind zu feige, Ihre Arme zu befreien? Ich verachte Sie.«
»Da treffen Sie den Nagel auf den Kopf.« Beide sahen gleichzeitig auf die aus dem blutigen Fleisch hervorstehenden Metallstifte. Below lachte leidvoll. »Blöde Ironie! Ja, ich bin zu feige, weil es scheißweh tun wird! Und ja, ich habe Leute entführt und ermordet, jedoch anders, als Sie denken. Es waren Dutzende. Meine Geschichte begann vor Jahrzehnten, als blutjunger Genosse. Zu schade, dass uns die Zeit fehlt, um uns über Anekdoten auszutauschen. Ich möchte Sie warnen, Herr Donner, das tue ich bereits zum dritten Mal. Sie schweben in höchster Gefahr.« Er hustete, was Donner nutzte, um Zweifel anzumelden.
»Das soll ich Ihnen glauben?«
»Erinnern Sie sich an die Botschaft, die ich Ihnen schrieb: Misch dich nicht ein oder es sterben weitere Unschuldige.«
»Der Zettel! Sie haben den unter meiner Wohnungstür durchgeschoben?«
Below deutete ein Nicken an. »Fünf Jahre lang habe ich diesen Ort gesucht, nun hat man mich hergebracht. Auf diesem Gelände wurden schon etliche Menschen umgebracht. Wollen Sie der Nächste sein? Jede Sekunde, die Sie sich in meiner Nähe aufhalten, nimmt Ihnen ein Stück von Ihrer Chance, sich zu retten.«
»Schwachsinn! Sie denken doch nicht ernsthaft, dass ich ohne Sie gehe?« Er stemmte eine Faust auf die Tischplatte, um bedrohlicher zu wirken. »Ihr Pech, dass Sie mich damals in Ihrer Wohnung gewarnt haben.«
»Eigentlich habe ich Sie angezählt wie einen angeschlagenen Boxer.«
»Derzeit stehe ich und Sie hängen ganz schön in den Seilen.«
»Vielleicht sterben Sie in den nächsten fünf Sekunden.«
»Provozieren Sie mich weiter, dann leben Sie gleich nicht mehr.«
»Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich Ihnen den Arsch gerettet habe.« Below biss die Zähne aufeinander. Die Schmerzen mussten unerträglich sein. Er holte Luft für die folgenden Sätze. »Dass ich Sie in dem Pfandhaus k.o. gesetzt habe, tut mir jetzt nur geringfügig leid.«
»Das waren auch Sie?«
»Sehen Sie es als gerechten Ausgleich dafür, dass Sie meine Wohnung in Schutt und Asche gelegt haben. Ich war noch nicht fertig mit ausräumen. Wissen Sie, wie schwer es ist, an neue Papiere zu kommen?«
Donner hob Belows sinkendes Kinn mit dem Stock an und schaute ihm tief in die Augen. »Im Gefängnis geht das ganz schnell.«
»Sie sollten jetzt gehen.« Er verdrehte die Augen wie vor einem Schwächeanfall.
Schweiß lief Below von der Stirn. Der eiskalte Blick, den Donner von dem Killer erwartet hatte, fehlte vollständig. Vielmehr lag Trübsinn darin. Und ein erheblicher Anteil Erbärmlichkeit.
Für einen Ex-KGB-Agenten siehst du ziemlich abgefuckt aus, mein Lieber.
»Wo ist Felix Brandner?«
»Sie haben es noch nicht kapiert, oder? Er und Lilly sind Teil einer Jagd. Ebenso wie Brechts Tochter und ich.«
Donner verstand nicht, was genau Below damit meinte. Er fragte weiter. »Und was ist mit Klemens Brecht? Ist der auch Teil einer Jagd?«
Zu beiden Mundwinkeln von Below wuchs ein Grinsen. Das Wangenspiel kostete ihn Kraft, weshalb er vor Anstrengung die Augenlider zusammenkniff. Sein bizarr gefärbtes Gesicht verzerrte sich zu einer wilden Fratze.
»Reden Sie!«, forderte Donner und packte ihn an den Haaren.
Below riss die Augen auf. Sein Blick wurde gespenstisch. Dann murmelte er leise. »Sie hätten gehen sollen.«
Im selben Moment stürmten drei Männer den Raum. Der erste Hieb traf Donner auf den Arm, den er abwehrend in die Höhe reckte. Der nächste folgte in die Nierengegend. Mit einem organzerreißenden Keuchen entwich ihm die Luft aus den Lungenflügeln. Donners linkes Knie knickte ein. Er stürzte. Die dritte Attacke verletzte ihn an der Schläfe und für längere Zeit tanzten schwarz-rote Punkte in seinem Sichtfeld.
Noch immer droschen die Angreifer mit Rohren auf ihn ein. Schützend warf sich Donner zu Boden und umklammerte mit Armen und Händen seinen Kopf. Zu spät für einen Gegenschlag. Man hatte ihn überrascht.
Anne, wo bist du nur?
Die erlösenden Schüsse aus ihrem Pistolenlauf blieben aus.
Dafür prasselten die Schläge und Tritte wie Maschinengewehrsalven auf ihn ein. Bald vergingen der Geschmack von Blut, das Toben der Horde und der Schmerz im Körper. Sie schlugen ihn tot.
Erst kurz bevor er die Sinne vollends verlor, vernahm er eine ihm wohlbekannte Stimme. Es war die des russischen Bären. Igor betrat als Letzter den Raum.
Zieht ihn aus!