Kapitel 41

 

Die Fliege saß an der Wand wie festgeklebt.

Na los, schwirr ab!

Mit einer Wischbewegung half Donner nach.

Die Fliege sauste in den Raum, wo die beiden Folterknechte den Vietnamesen misshandelten.

Geht doch!

Er nahm das Startsignal zum Anlass, um vorsichtig um die Ecke zu spähen. Er konnte sein Glück nicht fassen: Die beiden Russen standen mit dem Rücken zu ihm. Sie waren zu sehr auf ihr Opfer fixiert und vermutlich wähnten sie sich im Pfandhaus unbeobachtet.

An jedem anderen Tag wäre er einfach losgestürmt und hätte wild drauflos geprügelt, doch inzwischen schwebte eine Bedrohung über der Stadt, die ihn wie einen eiskalten Killer denken ließ.

Wer hat mich hierher bestellt?

Mit einem unguten Gefühl im Magen schlich er sich an. Den Schläger hielt er seitlich, bereit, ihn als Waffe einzusetzen. Der Raum war überraschend weitläufig. Regale und Schränke füllten ihn zu zwei Dritteln aus. Sogar ein kleiner Kühlschrank mit verrostetem Griff brummte leise in einer Ecke. Die Schäbigkeit des Zimmers erfasste Donner innerhalb von Sekunden. Die Männer redeten lautstark auf Lu ein, als wären sie unbesiegbar. Die vermeintlichen Herrscher über die Situation.

Sie täuschten sich. Donner würde die Machtverhältnisse gleich klarstellen. Bereit wie eine vergeltende Faust schlich er sich an. Heimtückisch. Leise.

»Solange du nicht redest, wird dich niemand finden.«

Der Kerl, der die Drohung gegenüber Lu aussprach, stand da wie ein Grizzlybär, der seine Beute jederzeit mit der Pranke niederstrecken könnte. Beherrscht, gefährlich, kompromisslos.

Iljanow, sein Handlanger, stach gerade einen neuen Nagel in den blutigen Unterarmen des Vietnamesen. Den Hammer in der rechten Hand, holte der Ex-Boxer aus.

Lu bemerkte Donners Eintreten als Erster. Für einen Augenblick verstummte das Wimmern. Sein Wechsel der Blickrichtung verriet den beiden Schlächtern, dass etwas hinter ihnen vorging. Zeitgleich und mit ungläubigen Mienen drehten die Russen sich um.

Donner zögerte nicht. Der erste Hieb fällte den Bären in der Magengegend. Der Grizzly krümmte sich zusammen. Ein weiterer Schlag traf ihn im Kreuz, wodurch er zu Boden rollte.

Vollkommen überrascht von Donners blitzschneller Attacke, hielt Iljanow den Hammer noch immer dicht am Oberschenkel. Tatenlos sah er zu, wie sein Chef zusammenbrach. Als der Ex-Boxer die Starre überwunden hatte, stürmte er los mit Gebrüll.

Geistesgegenwärtig hob Donner den Baseballschläger auf Augenhöhe, wobei er ihn wie ein Schwert nach vorn gestreckt hielt. Im richtigen Moment stieß er zu. Der Schlägerkopf traf den Anstürmenden brachial am Kinn. Iljanow knallte vom Holz gestoppt und vom Schwung der eigenen Beine überholt nieder. Ein Knochen knackte, als er auf dem Rücken krachte.

Für das, was die beiden Russen Lu – und vermutlich auch Nina Richter – angetan hatten, fehlte Donner jegliches Erbarmen. Wutspeichel tropfte ihm von den Zähnen. Angefüllt von Raserei schlug er erneut zu und erwischte Iljanow mitten am Bauch. Winselnd rollte sich Iljanow zusammen.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Donner, wie sich der andere wieder aufrappelte und am Rücken, direkt im Gürtelbereich der Hose, nestelte. Eine Klinge blitzte auf. Der Bär fluchte in russischer Gossensprache. Das Messer voran, stürzte er nach vorn.

Donner ließ den Schläger durch die Luft kreisen. Er traf die waffenführende Hand. Das Holz krachte gegen Haut und Knochen, hinterließ Blutergüsse und Schmerzen. Das Messer flog davon und klirrte an die Kühlschranktür.

Doch der Bär war längst nicht kampfunfähig. Unter Einsatz seiner Körperfülle rammte er Donner mit dem Gewicht einer Tonne. Als bizarres Paar taumelten beide durch den Raum. Erst die Wand stoppte die Kämpfer. Donner keuchte, als mit dem Rücken dagegenkrachte und ihm die Atemluft auf einen Schlag entwich. Für Sekunden fühlten sich seine Lungenflügel an wie zwei leere Schläuche.

Er riss die Augen weit auf. Er sammelte die letzten Kräfte. Die zweite Luft, wie sein Trainer früher im Boxring immer gesagt hatte. Glas zerbrach. Ein herumstehender Eimer fiel um. Ein Regal wackelte. Der Bär packte mit Händen, so groß wie Schaufeln, zu. Aufgepeitscht vom Drang, überleben zu wollen, hämmerte Donner dem Bären seine Stirn auf die Nase. Der schrie auf und lockerte den Griff. Donner ließ eine Faust folgen. Dann noch eine.

Der Russe blutete im gesamten Gesicht. Als er danach tastete, färbten sich die Fingerkuppen dunkelrot. Das düstere Glühbirnenlicht machte den Kerl hässlich wie einen zusammengenähten Fleischberg. Er fluchte und wollte sich trotz gebrochener Nase auf Donner stürzen. Donner schlug weiter zu, um seinen Gegner zur Aufgabe zu zwingen.

Plötzlich tauchte Iljanow neben ihm auf. Der Hammer rauschte heran. Im letzten Moment konnte Donner sich wegducken. Das Werkzeug riss Betonstückchen aus der Wand. Iljanow holte zu einem neuen Schlag aus, aber Donner trat ihm mit aller Wucht in die Weichteile. Der Hammer fiel als Erstes.

Gleichzeitig hatte sich der Bär gefangen. Mit einem Wutschrei, der Donner sekundenlang taub machte, stürmte er heran. Die Schultermuskeln des Bären schienen die gesamte Breite des Raumes auszufüllen und die Wände mit einem tiefschwarzen Schatten zu färben.

Ohne nachzudenken warf Donner dem Gegner den Schläger auf Kopfhöhe entgegen. Der fing ihn wie erwartet in der Luft, doch Donner sprang ihm zeitgleich mit der Schulter voran in die Magengrube. Der Zusammenprall kam der Kraft eines Lasters gleich. Ein solcher Angriff hätte sogar einem echten Grizzly sämtliche Luftreserven geraubt.

Der Russe kippte. Widerstandslos blieb er auf dem Rücken liegen. Donner wischte sich Blut vom Mundwinkel und hob sicherheitshalber den Baseballschläger auf.

Selbst gezeichnet von etlichen Schürfwunden und schmerzenden Knochen machte er sich daran, beide Gegner zu fesseln. Iljanow kettete er mit seinen Handschellen an ein Eisenrohr, das an der Wand verlief. Für den anderen fand er zwei Kabel, an denen sich ein Elefant hätte aufhängen können.

Als beide gefesselt waren, rutschte Donner völlig ausgepumpt am Mauerwerk nieder. Er hustete sich den Staub aus der Lunge. Schweiß lief ihm in den Nacken und tropfte ihm vom Kinn und den Haarspitzen. Die Finger der rechten Hand ließen sich kaum zu einer Faust formen. Jede Bewegung schmerzte und an mehreren Hautstellen schimmerte Blut.

Lu hatte den gesamten Kampf stumm beobachtet. Noch immer saß er auf dem Stuhl, beide Unterarme mit Nägeln gespickt. Drei Nägel, die ihn an der Tischplatte hielten. Während Iljanow nicht redete, schimpfte der andere ununterbrochen in seiner Muttersprache. Dabei spuckte er rot gefärbten Speichel.

Donner verstand so gut wie jedes Wort.

Er betrachtete die blutigen Nägel in Lus Armen und sagte an den Bären gerichtet: »Ich hoffe für dich, dass du eine Zange mitgebracht hast.«

Blut und böser Mann
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