Kapitel 11
Donner realisierte endlich, was um ihn herum geschah.
Polizei!
Auf den Boden!
Genau dort fand er sich wieder. Der Zugriff war blitzschnell erfolgt. Zwei bewaffnete Männer hockten auf ihm, beide Arme hielt man ihm auf dem Rücken verdreht.
»Ihr Hirnamputierten!«, wetterte Donner, während er vom ölig staubigen Betonboden kostete. »Nehmt eure Pfoten von mir! Ich bin selbst Bulle!«
Sein Protest führte dazu, dass einer der Männer den Druck auf Donners Rückgrat mit dem Knie verstärkte.
»Erik?«, erklang es plötzlich. Und mit einiger Verzögerung folgte: »Verdammt, lasst ihn aufstehen! Das ist Monster.«
Monster! Es geht doch nichts über einen hohen Bekanntheitsgrad.
Sofort lösten die Männer den Griff. Vier Beamte mit Sturmhauben, ballistischen Schutzwesten und Maschinenpistolen umringten ihn. In ihre Mitte trat ein hochgewachsener Kollege, der sich die Haube vom Kopf riss. Hustend richtete sich Donner auf. Er klopfte Hose und Mantel ab und gab dem Nächststehenden des Mobilen Einsatzkommandos einen Stoß gegen die Brust, weil sie ihn für einen Straftäter gehalten hatten.
Donner sah in die Augen von Harry LeMark, dem MEK-Chef. Sofort erinnerte er sich an den letzten gemeinsamen Einsatz vor fünf oder sechs Jahren, als man einen Mörder nach einer spektakulären Zugstürmung dingfest gemacht hatte. LeMark wiederum verlangte in diesem Moment von Donner Aufklärung. Aber nicht mit Worten. Donner las es in dessen Gesicht.
»Wie lange oberserviert ihr Klemens Brecht schon?«, stellte Donner zuerst eine Frage.
»Was glaubst du denn, Erik?«, gab LeMark misslaunig zurück. »Du liest doch Zeitung, demnach kannst du dir vorstellen, was hier gerade für eine Scheiße passiert.« Er drehte sich zur Seite, führte einen Finger auf den Knopf im Ohr und gab über Funk Entwarnung. Zwei Kollegen wies er an, sich um Below zu kümmern, der noch immer das Taschentuch auf die Wunde am Kopf drückte. Die Hilfe lehnte der Chauffeur ab. Als wollte er beweisen, dass es ihm gut ging, stellte er sich kerzengerade auf die Beine.
»Ich hätte besser auf meinen Chef aufpassen müssen«, sagte er dabei vor sich hin und folgte den Beamten, die ihn wegbrachten.
Als sie ein paar Meter entfernt waren, wandte sich LeMark wieder Donner zu. »Also, wo ist Brecht?«
»Sag du es mir. Als ich hier ankam, lag der Chauffeur bewusstlos am Boden und das Fahrzeug stand da, leer und mit offener Tür.«
LeMark stieß einen leisen Fluch aus, ansonsten behielt er die Beherrschung. Offenbar war der Einsatz gründlich schiefgelaufen. Über Funk gab der MEK-Chef die Anweisung, die Ausgänge zu sichern und jeden zu kontrollieren, der die Tiefgarage verlassen wollte.
»Was zum Teufel ist hier eigentlich los?«, erschallte es plötzlich.
Donner wollte am liebsten unsichtbar werden, als er Kriminalhauptkommissar Henry Stark mit fünf weiteren Kripobeamten im Schlepptau anmarschieren sah. Ausgerechnet der Leiter vom K11! Schon damals konnten beide sich nicht besonders gut leiden. Ein Überbleibsel aus Zeiten, als sie gemeinsam bei der Mordkommission gearbeitet hatten.
Zu Donners Verwunderung zerrte ein Kollege die protestierende Praktikantin Nina Richter an einem Arm neben sich her.
»Sag mir, dass das Ganze ein schlechter Traum ist, Erik!« Während der Gesprächseröffnung fuhr Stark sich über seinen wulstigen Hals, als ginge ihm gleich die Puste aus. So wie er schnaufte, hatte sich der Dicke wohl ordentlich beeilt, in die Tiefgarage zu gelangen.
»Haben sie dir etwas getan?«, erkundigte sich Donner zuerst bei Nina Richter nach ihrem Befinden.
Die riss sich endlich von ihrem Bewacher los. »Hier, Ihr neues Handy.« Lieblos hielt sie ihm eine Schachtel entgegen, auf der unverkennbar das Logo im Stil eines angebissenen Apfels prangte. »Ich bekomme noch fünfhundertneunundvierzig Euro von Ihnen.«
»Fünfhun…?« Donner rang um Fassung. »Ich wollte nur ein Handy und nicht Apple aufkaufen.«
»Sie sind doch Hauptkommissar, für Sie dürfte …«
»Aufhören!«, unterbrach Stark die Praktikantin. »Sind wir hier im Kaspertheater?«
Neben ihm bewegte LeMark die Mundwinkel ebenso missgestimmt.
»Ich wollte es eigentlich nicht glauben«, redete Stark weiter, wobei er den Kopf ununterbrochen schüttelte. »Aber wie es scheint, kennt ihr euch wirklich. Wir haben die Dame in unmittelbarer Nähe der Einfahrt aufgegriffen. Angeblich wollte sie gerade zu dir. Sie hätte dich hier reingehen sehen. Ich dachte zuerst, sie will mich linken, als sie deinen Namen nannte.«
»Sie ist meine Praktikantin.«
»Deine …?« Stark sprach nicht weiter, sondern plusterte die Backen auf.
Die Kriminalbeamten an seiner Seite musterten sie ungläubig. Ein junger Kollege vom MEK stieß einen Pfiff aus und betrachtete interessiert Nina Richters Rundungen. »Warum bekommen wir nie solche Praktikantinnen?«
»Weil man uns Praktikanten nicht in die Babycopgruppe steckt«, erwiderte sie.
»Das ist doch ein Witz, oder?«, fragte Stark.
Donner zog Nina Richter wie eine Puppe neben sich. »Seit wann versteht unsere Präsidentin bei so was Spaß?«
»Hoffentlich gehen dir irgendwann die Pointen aus.«
Donner fand die Szene genauso wenig lustig wie Stark.
»Sie sagte, du wolltest dich mit jemandem in einem Café treffen, Erik. Könnte es sich bei demjenigen um Klemens Brecht handeln?«
Donner sah Nina Richter an und überlegte, ob er ihr den Hintern versohlen sollte.
Den ersten Tag da und schon fällst du mir in den Rücken.
Sie antwortete mit einem Schmollmund und spielte an ihren Haaren.
»Aha«, sagte Stark bloß. »Diesmal kommst du nicht ungeschoren aus der Sache raus, Erik. Wegen dir haben wir Brecht verloren. Genauso werde ich es in meinem Bericht niederschreiben.«
»Spinnst du? Woher hätte ich denn wissen sollen …?«
»Erspar dir die Ausflüchte!«, fuhr Stark ihn an. Sein dicker Bauch drückte wuchtig gegen Donners Magen. »Du hast dich in eine laufende Ermittlung eingemischt. Mit Brecht haben wir unsere Spur zum Entführer verloren. Diesmal bist du entschieden zu weit gegangen. Du bist nicht Superman, du bist eine Schande für jeden guten K-Beamten!«
»Hör zu, Henry, wenn Brecht entführt wurde, dann nur in einem Fahrzeug.«
»Ach, auf einmal schaltest du dein Hirn ein?«
Mittels Räuspern bat LeMark um Gehör, woraufhin sich Stark bühnenreif umwandte, als hätte er Donners Anwesenheit endgültig satt – was wohl auch stimmte.
»Bei der Ausfahrt gibt es eine Videoüberwachung. Der Entführer muss dort vorbeigekommen sein.«
»Darauf habe ich meine Leute längst angesetzt«, erwiderte Stark. »Wir werden …«
Plötzlich forderte eine Funkdurchsage seine Aufmerksamkeit. Wie alle anderen lauschte er der Durchsage im Ohr. Nur Donner und Nina Richter konnten nicht mithören.
»Wie sicher ist diese Erkenntnis?«, fragte LeMark. Als Sekunden später die Antwort kam, kommandierte er seine Leute per Funk. »Okay, dann los!«
»Die Mobile Funkaufklärung hat ein Signal«, erklärte Stark für alle Anwesenden. »Es ist in Bewegung. Innerhalb des Gebäudes.«
»Ihr überwacht Brechts Handy?«, erriet Donner.
Stark und die anderen Kripoleute belächelten ihn wie einen dummen Jungen. »Sogar mit dessen Zustimmung.«
Donner hielt Stark am Mantelärmel fest. »Gib mir ein Funkgerät!«
»Lieber hacke ich mir die Hand ab.«
»Ich trage Zivil, damit falle ich nicht auf.«
»Aber dein Gesicht.«
»Wenn sich Brechts Handy tatsächlich irgendwo da oben im Kaufhaus befindet, braucht ihr jeden Mann.« Donner deutete mit der Nasenspitze hinüber zu Nina Richter. »Und jede Frau.«
Stark riss seinen Arm los und schaute zu LeMark, der seinerseits ohne zu zögern nickte.
»Wir können nicht die Ausgänge überwachen und gleichzeitig das Objekt gründlich durchkämmen. Wir sind zu wenige.«
Nach kurzer Bedenkzeit und unzufriedener Miene schnippte Stark mit den Fingern. Donner und Nina Richter bekamen ihre Handsprechfunkgeräte.
»Das ändert nichts an der Tatsache, dass ich dich melden werde, Erik. Ich warne dich, keine Alleingänge!«
Zum ersten Mal in all den Dienstjahren beschlich Donner die Erkenntnis, dass er durch die Verabredung mit Brecht tatsächlich Mist gebaut hatte. Ein Grund mehr, alles zu geben, um den Fehler wieder auszubügeln.
Knapp neunzehn Minuten später fand er Brechts Handy in der Jackentasche einer Sechzehnjährigen.