Kapitel 33

 

Heute

 

»Du hast deinen Vater mitgebracht?«

Bevor er Annes Frage beantwortete, küsste Donner sie flüchtig. Die Situation war ihm peinlich, weil sein betrunkener Vater gerade die Hintertür öffnete und von der Rückbank aus dem Mitsubishi kippte.

»Ich konnte nicht zulassen, dass er eine marode Kneipe konsolidiert. Wäre ich nicht rechtzeitig gekommen, hätte sich nicht nur sein Geld verflüssigt, sondern er gleich mit.«

»Und deine Mutter?«

»Ist ein weiterer Punkt auf meiner langen Liste an Problemen.«

Als sein Vater gerade anfing, eine Gruppe Studenten anzupöbeln, wollte sich Donner von ihr lösen, aber Anne hielt ihn am Arm fest.

»Hiergeblieben! Warum bist du heute so unkonzentriert?«

»Hast du mich jemals anders erlebt?«

Sie lächelte. »Ich hoffe, ich überfordere dich nicht. Keinesfalls möchte ich, dass du denkst, ich will dich in eine Beziehung drängen.«

»Keine Angst, ich halte schon durch«, zitierte er augenzwinkernd einen Satz, den er von einer DVD kannte.

»Jerry Maguire! Ist zufällig auch einer meiner Lieblingsfilme.«

»Scheint, als hätten wir doch ein paar Gemeinsamkeiten.«

»Wie zum Beispiel die Nummer auf dem Fensterbrett des Schlafzimmers?«

»Der Pferdesex war deine Idee. Du hast gewiehert.«

»Ich habe was?«

»Die abgerissenen Vorhänge repariere ich selbstverständlich.«

»Redet ihr übers Ficken?«, rief Franz Donner so laut, dass es die gesamte Straße hören konnte.

Donner hielt ihn mit ausgestrecktem Arm auf Distanz, sodass er mit seiner Schnapsfahne von Anne fernblieb. Die Situation war so schon beschämend genug. Sicherheitshalber drückte er seinen Vater gegen das Auto.

»Ah, A Antje!«, röhrte Franz Donner, als er sie erkannte. Er hielt ihr die Hand hin, wobei er fast über die eigenen Füße stolperte. »Bist du immer noch bei der Mordkommission oder hast du schon das Handtuch geworfen?«

»Vater!«

Anne bedeutete Donner mit einer Handbewegung, dass er ihn ruhig sprechen lassen sollte. »Mach dir um mich keine Sorgen, Schwiegerpapa. Gute Leute werden bei der Polizei überall gern genommen.« Sie grinste Franz Donner frech an, was dieser mit einer todernsten Miene und dem Ringen um einen festen Stand zur Kenntnis nahm. »Und vielleicht kannst du ja ein paar Telefonate mit den wirklich wichtigen Leuten in der Direktion führen und ein gutes Wort für deine Schwiegertochter in spe einlegen.«

»Hat sie mich eben Schwiegerpapa genannt?«, fragte Franz Donner mit einiger Verzögerung.

»Halt einfach deine Klappe!«, schimpfte Donner. »Dein Auftreten ist so schon blamabel genug. Fehlt nur noch, dass du dich einnässt.«

»Du wolltest mir etwas zeigen«, sagte sie und schaute an der Fassade des Wohnblocks hinauf, zu dem Donner sie bestellt hatte. »Warum treffen wir uns vor Anton Belows Wohnung? Er ist nicht da, wie du weißt. Und weshalb sollte ich Stark überreden, beim Staatsanwalt einen Durchsuchungsbeschluss zu beantragen?«

»Hier!« Donner überreichte ihr den zerknitterten Mängelschein, den er die letzten Tage in der Manteltasche herumgeschleppt hatte. »Schau auf das Datum und die Unterschrift.«

Mit gerunzelter Stirn nahm sie das grüne Papierstück. »Das gibt es doch nicht! Den hat Zornitz ausgestellt. Einen Tag vor seinem Verschwinden.«

»Und er hat ihn Below ausgehändigt. Anscheinend war ein Scheinwerfer an Brechts Limousine defekt.«

Anne griff sich an die Nase. »Ich will lieber nicht wissen, wie du in Besitz des Mängelscheins gekommen bist. Damit steht jedenfalls fest, dass Below gelogen hat. Er und Stefan Zornitz kannten sich.«

»Ich denke, wir sollten Below auf den Zahn fühlen. Mein Ermittlerinstinkt hat mich noch nie im Stich gelassen. Deshalb müssen wir seine Wohnung durchsuchen.«

»Da gibt es ein Problem …«

»Stark hat sich geweigert, beim Staatsanwalt einen Beschluss zu erwirken«, nahm Donner die Antwort vorweg.

Sie nickte sichtlich enttäuscht.

»Damit habe ich gerechnet.« Er zog sein Handy hervor.

»Wen rufst du an?«

»Frag lieber nicht.« Er schob sie in Richtung seines Vaters. »Hier, pass auf, dass er keine Dummheiten macht!«

Mit dem Handy am Ohr stürzte er in den Hauseingang.

»Hey!«, rief Anne ihm hinterher. »Ich spiele garantiert nicht den Babysitter für deinen betrunkenen Vater! Hast du gehört, du Schuft?«

Aber er hörte längst nicht mehr zu, sondern eilte die Treppen hinauf in die Etage, in der sich Belows Wohnung befand.

»Staatsanwalt Krause«, meldete sich die ölige Stimme des Mannes, den Donner erreichen wollte.

»Hier ist Donner!«

»Sieh an! Was macht der Exkurs in die Welt der Gynäkologenstühle?«

»Hören Sie, Herr Krause, ich brauche dringend einen Beschluss für eine Wohnungsdurchsuchung.«

»Ach so, ja, kein Problem. Glücklicherweise bin ich heute in Spendierlaune. Wo soll ich ihn hinfaxen?«

»Es geht um die Wohnung eines möglichen Entführers …«

»Sind Sie noch gescheit?«, unterbrach Krause ihn. »Für wie blöd halten Sie mich eigentlich? Glauben Sie ernsthaft, ich wüsste nicht, dass man Sie beurlaubt hat?«

»Es ist eher so eine Art freiwillige Auszeit. Ich …«

»Als Sie mir die kleine Nina Richter vorbeigeschickt haben – von deren Charakterfestigkeit ich übrigens schwer angetan bin –, wollte ich Ihnen bereits sämtliche Sünden vergeben. Einschließlich des angeblichen Mordfalls mit dem schwulen Papagei. Aber so leid es mir tut, ich wittere eine faule Sache drei Meilen gegen den Wind.«

Den Aprilscherz mit dem Papagei hast du damals nicht gewittert.

»Es geht um Nina Richter. Sie wurde höchstwahrscheinlich entführt. Und je länger ich mir Ihr Gequatsche anhören muss, umso länger ist sie vermutlich tot.«

»Hängt das mit Brecht und Brandner zusammen?«

»So ist es«, bekundete Donner voller Überzeugung, obwohl er dafür keine Beweise besaß.

Eine Weile herrschte Ruhe am Telefon. Schließlich holte Krause schleifend Luft. »Da ich weiß, wie ausgebufft Sie sind, kann ich Ihnen den Gefallen trotzdem nicht tun. Ich werde mich aber mit dem Leiter der Soko abstimmen.«

»Scheiße, dann ist sie tot! Totner hat genauso wenig Arsch in der Hose wie Sie.«

»Beleidigungen können mich nicht umstimmen. Entweder Sie warten oder ich rühre keinen Finger.«

Donner kochte. Das Gespräch zwischen Krause und Totner würde niemals dazu führen, einen Durchsuchungsbeschluss zu bekommen.

Zu seinem Leidwesen stürzte Anne mit zorniger Miene die Treppe hoch. In einiger Distanz folgte ihr sein Vater.

»Okay, Sie lassen mir keine Wahl«, fauchte Donner ins Handy. »Ich erzähle allen von Ihrem kleinen Schleuserproblem von damals!«

»Ach, kommen Sie, Donner!«, zischte Krause ihm ins Ohr. »Seit acht Jahren kramen Sie diese Geschichte hervor. Immer dann, wenn es Ihnen in den Sinn kommt. Das nennt man Erpressung! Sie wissen genauso gut wie ich, dass ich keine Ahnung hatte, dass sich die Dame illegal in Deutschland aufhielt. Mein Gott, ich bin derjenige, der als Hochzeitstrottel dastand! Also sparen Sie sich die Spielchen. Damit kommen Sie niemals durch!«

»Und Sie wissen, wie unvernünftig ich bin. Ich lasse Sie hochgehen, wenn Sie Nina Richter fallen lassen.«

»Dann will ich Ihnen jetzt etwas sagen: Schieben Sie sich den Beschluss in Ihren Allerwertesten!«

Das Gespräch war beendet.

Als Donner sich umdrehte, stand Anne bereits vor ihm. Ihre Mundwinkel zuckten heftig. »Lass mich raten: Staatsanwalt Krause mag dich jetzt noch mehr als vorher?«

»Wir müssen irgendwie in die Bude«, sagte er. »Below ist der Schlüssel zu allem. Ich wette, er weiß, wo Nina Richter und Stefan Zornitz sind.«

»Was habe ich dir eigentlich beigebracht, Erik?« Franz Donner nahm auf allen vieren die letzten Stufen und deutete mit dem Daumen zur Tür. »Manöver Kuckuck!«

Beide Männer schwiegen. Die Idee gefiel Donner.

»Manöver Kuckuck?«, fragte Anne.

»Manöver Kuckuck«, wiederholte er mit einem Nicken.

Dabei handelte es sich um eine Parole, welche er in seiner gesamten Laufbahn nur einmal benutzt hatte. Und das war bei einem Notfall. Eine allerletzte Möglichkeit, um auf halblegale Weise eine Wohnung ohne Durchsuchungsbeschluss zu betreten. Gefahr im Verzug.

»Hey!« Er tippte seinen Vater an. »Hast du das gehört?«

»Klang wie ein Winseln«, antwortete Franz Donner und zeigte mit ruderndem Arm zur Tür, hinter der Below angeblich wohnte. »Das kam eindeutig aus der Wohnung da.«

»Oh nein!«, protestierte Anne und wedelte vehement mit den Händen. Sie hatte begriffen. »Der Trick funktioniert nicht bei mir. Das verbiete ich euch! Wir ziehen die Sache sauber durch oder lassen es bleiben. Ihr entscheidet.«

Donner und sein Vater sahen sich für zwei Sekunden an. Sie hatten sich entschieden.

»Da war es schon wieder!«, rief Franz Donner. Er fuchtelte in besagte Richtung und täuschte vor, einen vermeintlichen Hilfelaut gehört zu haben.

»Du hast recht«, sagte Donner. »Da drinnen braucht jemand unsere Hilfe!«

Er hob die Arme in Position und holte Anlauf.

Blut und böser Mann
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