Kapitel 3

 

Donner fand Lotte Andresen heute besonders weiblich. Das lag wahrscheinlich daran, dass die Polizeipräsidentin besonders schlechte Laune hatte. Wieder einmal fiel ihm auf, dass Verärgerung den Menschen hinter der Maske zum Vorschein brachte. Seit man ihn in das Büro der Kriminalpolizeilichen Erstkontaktstelle verbannt hatte, kannte er sich im Umgang mit unzufriedenen Leuten aus. Bei Andresen schien die Verstimmung auf die Figur zu schlagen. Freilich konnte es auch an dem tiefen Ausschnitt ihres Pullovers liegen, dessen freie Stellen Donner gefielen. Er machte ein Spiel daraus, der Chefin der Polizeidirektion unverblümt auf das Dekolleté zu stieren. Die Kleiderwahl hatte schließlich sie getroffen.

Was es auch war, das die Vierundfünfzigjährige in diesem Moment so attraktiv machte, sie wirkte schlanker als sonst.

»Sehen Sie mich gefälligst an, Herr Donner!«

»Glauben Sie mir, das tue ich die ganze Zeit.«

Schnaufend drehte sie sich in ihrem Sessel in eine halb schräge Position. »Warum haben Sie von Ihrem Bürocomputer aus auf den Vermisstenfall von Felix Brandner zugegriffen? Verraten Sie es mir.«

»Schnüffeln Sie mir nach?«

»Dazu habe ich ja wohl allen Grund! Oder leugnen Sie, dass Sie Ihre Nase bereits in der Vergangenheit in Fälle gesteckt haben, die Sie nicht das Geringste angehen?«

»Bin gespannt, was der Personalrat und die Datenschutzbeauftragte von derartiger Spionage halten.«

»Fein, lassen Sie uns gemeinsam hingehen. Die Sicherheit unserer Behörde liegt auch denen am Herzen. Und Sie sind alles andere als ein Ersttäter.«

Da musste er ihr recht geben. Den unbegründeten Zugriff auf polizeiliche Vorgänge konnte man ihm als Dienstvergehen auslegen. Ein Risiko, welches er geflissentlich ignoriert hatte.

Während er überlegte, wie er möglichst unbeschadet aus dieser Sache herauskam, erinnerte er sich an den seltsamen Besuch von Stefan Zornitz am Vorabend. Er fragte sich, ob man die Aktivitäten des Polizeimeisters ebenfalls überwachte. Auf einmal war Donner doppelt froh, dass er nicht auf die Bitte von Zornitz eingestiegen war. Donner hatte im Leben nicht mehr wirklich viel zu verlieren, dennoch er war vernünftig genug, um zu wissen, dass sein Kollege bald ein riesengroßes Problem bekommen würde.

»Kommen Sie, Frau Andresen, wir beide wissen ganz genau, dass es sich nicht um einen bloßen Vermisstenfall handelt. Die Fahndung hat doch längst das Kommissariat für Leben und Gesundheit eingeschaltet. Und waren das vorhin auf dem Hof nicht die LKA-Typen der Verhandlungsgruppe, die aus ihren Fahrzeugen gestiegen sind?«

»Und wenn schon, ich wüsste nicht, was Sie das interessieren sollte. Sie können froh sein, dass ich dieses Gespräch mit Ihnen führe und nicht der Referatsleiter der Personalabteilung.«

Das klang beruhigend, aber er musste bei der Gesprächsführung vorsichtig vorgehen. »Also, was werden Sie unternehmen?«

»Sehen Sie es als allerletzte Warnung.«

Allerletzte Warnungen sind mein Spezialgebiet – gleich nach dem Zerstören von Erwartungen. Ich darf jetzt bloß keine Heiterkeit zeigen. Die Sache ist noch nicht ausgestanden.

»Jeder Ihrer Schritte im Polizeinetz wird von den IT-Spezialisten des LKA aufgezeichnet und mir als Bericht vorgelegt.«

Da siehst du es. Aber es hätte schlimmer kommen können.

Andresen nahm das oberste Schriftstück von einem Stapel und legte es argwöhnisch vor sich hin. Sie schob ihre breiten Schultern zurück und richtete sich die Armbanduhr an ihrem Handgelenk, als wollte sie frisch ans Werk schreiten. Ihrer Miene nach zu urteilen, handelte es sich wohl eher um eine unerfreuliche Pflicht. Urplötzlich fing Donners Narbe im Gesicht an zu jucken. Zweifelsohne ein Anzeichen, dass Andresen als Siegerin aus dieser Unterhaltung hervorgehen könnte.

»Vor mir liegt ein Beschwerdeschreiben von Staatsanwalt Krause.« Sie tippte auf das Blatt und Donner wusste, was das bedeutete. Von seinem Platz aus konnte er sogar den Briefkopf der Staatsanwaltschaft erkennen. Krause hatte eine komplette DIN-A4-Seite vollgeschrieben.

»Stimmt es, dass Sie ihn bei Ihrer Vernehmung zu den Ereignissen auf dem Weihnachtsmarkt als dressierten Juristenaffen bezeichnet haben?«

Nein, da sind Sie falsch informiert. Meine genaue Wortwahl lautete: Er soll sich sein Gesetzbuch nehmen, es sich in den Arsch schieben und wie ein dressierter Juristenaffe für mich tanzen.

»Er ist ein dressierter Affe.«

»Als Beweis, dass ich es ernst meine, Herr Donner, gebe ich Ihnen drei Aufgaben mit auf den Weg …«

Um die Ernsthaftigkeit ihrer Drohung zu unterstreichen, hielt sie drei Finger in die Höhe.

Verdammt, es kommt schlimmer!

»Sie werden sich bei ihm entschuldigen.«

»No way.«

»Oder ich hole mir persönlich die Unterschrift von Herrn Krause unter dem Strafantrag ein.«

»Na ja, vielleicht schicke ich ihm eine Mail.«

»Außerdem werden Sie ab sofort eigene Fälle bearbeiten.«

Darauf pfiff er. »Warum beschleicht mich bloß das Gefühl, dass Sie mich damit reinlegen wollen? So sieht also der Dank für jahrelanges Engagement aus.«

»Hören Sie auf zu lamentieren! Wir beide wissen, dass Worte wie Dank und Dankbarkeit in Ihrem Wortschatz überhaupt keine Bedeutung haben. Egal wie Sie darüber denken, die Sache wurde mit dem Leiter des Revierkriminaldienstes Nordost besprochen. Sie übernehmen einen Teil der Fälle, bei denen es sich um Vandalismus im Stadtzentrum handelt.«

»Todgeburten.«

»Strengen Sie sich an, dann ermitteln Sie auch Täter. Am besten finden Sie zuerst heraus, wer eine der Pinguinskulpturen auf der Inneren Klosterstraße mit Zebrastreifen vollgesprüht hat. So überzeugt, wie Sie von sich selbst sind, dürfte der Schuldige im Handumdrehen ein Geständnis ablegen. Soweit ich mich erinnern kann, rühmen Sie sich noch heute mit Ihrer Aufklärungsquote beim K11.«

Die heitere Falte um Andresens rechten Mundwinkel gefiel Donner ganz und gar nicht. »Das ist Mobbing!«

»Das ist unser tägliches Brot.«

Donner überlegte, inwieweit er seine Lage verschlimmerte, wenn er über den Tisch und Andresen direkt an den Hals springen würde. Mit verschränkten Armen und einer spürbar pulsierenden Halsschlagader knurrte er: »Zwei.«

»Möchten Sie einen qualifizierten Beitrag vorbringen?«

»Sie sprachen von drei Aufgaben.« Diesmal hob er drei Finger. »Was ist die letzte Sache?«

Andresen rieb sich die Hände und schwang sichtlich vergnügt mit ihrem Sessel hin und her.

»Das Referat 1 hat Ihnen eine Praktikantin zugeteilt.«

Blut und böser Mann
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