Kapitel 6
»Deine Zungenfertigkeit kommt mir äußerst gelegen«, sagte Donner zu Nina Richter.
Die Praktikantin legte einen Finger auf ihre Lippen und hauchte: »Echt?«
»Und wie!« Er sprang vom Bürostuhl auf und richtete sich den Gürtel. Dann stopfte er Handy und Schlüsselbund in seine Manteltasche und schob Nina Richter der Ausgangstür entgegen.
»Warst du schon mal bei der Staatsanwaltschaft?«
»Wen interessiert das Innenleben von irgendeiner zugeknöpften Behörde? Ich denke, da ergibt sich noch früh genug die Gelegenheit.«
»Du ahnst gar nicht, wie früh.« Er schaute auf seine Armbanduhr. »Wenn du dich beeilst, bekommst du den nächsten Bus, der direkt vor dem Gebäude abfährt.«
»Moment, Moment, ich soll den Bus nehmen?«
»Staatsanwalt Krause benötigt unbedingt das hier.« Er riss irgendeine Zeitschrift von einem Stapel und drückte sie der Praktikantin gegen die Brust.
Sichtlich verstört blätterte sie darin und sagte: »Staatsanwalt Krause braucht eine Fachzeitschrift für Gynäkologenstühle?«
Nanu, wo kommt die denn her?
Er ging nicht darauf ein, sondern drängte sie zum Flur. »Und sag ihm, dass mir die kleine Debatte zwischen ihm und mir leidtut. Auf keinen Fall darfst du das Wörtchen sehr hinzufügen, denn das würde er dir niemals abkaufen.«
Ihr Blick wurde schneidend. Die Katze wurde zur Schlange. »Denken Sie, ich bin Ihre Leibeigene, nur weil ich eine Praktikantin bin?«
Als Antwort holte er sein Portmonee hervor. Darin lächelte ihn ein einzelner 50-Euro-Schein an. Den zog er heraus und reichte ihn ihr.
»Hey, so eine bin ich garantiert nicht.«
»Erzähl keinen Blödsinn.« Jetzt wurde er ebenfalls laut. »Kennst du den Handyshop am Getreidemarkt?«
»Keine Ahnung, ich bestell mein Zeug im Internet.«
»Dort arbeitet ein gewisser Levi Hentschel. Sag ihm, ich hätte dich geschickt. Auf dem Rückweg von Staatsanwalt Krause kaufst du mir unbedingt ein neues Handy.«
»Hallo? Das sind gerade mal fünfzig Mäuse.«
»Leg den Rest halt aus, du bekommst es wieder.«
Sie zeigte ihm einen Vogel und machte Anstalten, ihm das Geld zurückzugeben.
»Traust du keinem Bullen?«
»Ich traue keinem Schlaffi, der mit dem Leben auf Kriegsfuß steht.«
Gerade als Donners inneres Höllenfeuer aufflammte, klingelte erneut das Handy. Ohne auf die Nummer zu sehen, nahm er das Gespräch an. Wahrscheinlich war es abermals Alma Reich, die sich um ihren verschwundenen Ehemann sorgte. Dabei hatte er ihr hoch und heilig versprochen, sich um diese Sache zu kümmern.
Es meldete sich eine Männerstimme.
»Etwa der Klemens Brecht?«, vergewisserte Donner sich, dass er den Namen richtig verstanden hatte. Sofort trat das Bild des Unternehmers aus der Zeitung vor seine Augen. Zeitgleich erinnerte er sich an den unerfreulichen Besuch von Polizeimeister Zornitz vor zwei Tagen.
»Sind Sie allein?«, erkundigte sich Brecht.
Donner bedeutete der Praktikantin, still zu sein, und ging zur Fensterfront, durch die man den Innenhof des Gebäudekomplexes sah. »Als wäre ich der letzte zivilisierte Mensch auf Erden.«
»Ich studiere gerade im Internet die Artikel, die es zu Ihrer Person gibt«, fing Brecht an. »Beeindruckend! Höchst beeindruckend.«
»Dass da viel Schwachsinn drinsteht, weiß ich selbst. Erzählen Sie mir was Neues.«
Er vernahm Brechts schweres Luftholen. »Stefan Zornitz versicherte mir, dass Sie absolut zuverlässig arbeiten.«
»Dann ist er ein Schwindler.«
»Hören Sie mir bitte zu, Herr Donner, ich rufe nicht zum Spaß an, sondern weil ich von Ihren Fähigkeiten überzeugt bin. Ich habe niemanden, an den ich mich sonst wenden könnte.«
»Gratuliere! Innerhalb der vergangenen Viertelstunde sind Sie bereits der Zweite, der das behauptet.«
Brecht stockte kurz. »Er meinte, Mord wäre Ihr Geschäft. Früher einmal …«
»Sicher nicht diese Art von Geschäft«, wiegelte Donner ab. Das Gespräch nahm einen Verlauf, der ihm missfiel. »Warum wenden Sie sich mit Ihrem Problem nicht an Zornitz? Jede Wette, dass mein Kollege bereits auf Ihrer Gehaltsliste steht.«
»Das ist das Problem: Zornitz ist nicht auffindbar.«
»Wiederholen Sie das!«
»Können wir uns treffen?«
Donner wusste, dass die Fahndungsabteilung nach dem Verschwinden von Brandner mit dessen Partner Brecht in Verbindung stand. Offensichtlich wollte der Firmeninhaber jedoch nicht mit denen reden. Und auf einmal machte sich Donner ernsthafte Sorgen um Zornitz.
»Okay, kommen Sie in mein Büro«, schlug er deshalb vor.
»Ungern. Ich kenne da einen abgelegenen Ort. Er ist …«
»Und ich kenne da ein wunderbares Café direkt neben dem Biendo-Hotel«, fiel ihm Donner ins Wort. »Stimmen Sie zu oder ich lasse das Treffen platzen.«
Es dauerte eine Weile, bis Brecht zustimmte. »Also gut, in einer Stunde. Hoffentlich findet mein Chauffeur in der Tiefgarage einen Parkplatz.«
Das Telefonat brach ab.
Besorgt wählte Donner eine neue Nummer.
»Wen rufen Sie an?«
Zu seiner Verwunderung stand die Praktikantin immer noch auf dem Flur.
Werde ich diese Ausgeburt einer Nymphomanin denn nie los?
»Annegret Kolka«, gab er gedankenverloren preis.
»Ist das Ihre Freundin?«
»Im weitesten Sinne.«
»Aha, Sie mögen es kompliziert. Da haben wir etwas gemeinsam.«
Er wusste nicht, ob er sich darüber freuen sollte. Das Rufzeichen lenkte ihn ab. Endlich vernahm er Kolkas erfreuliche Stimme.
»Hallo Anne!«
Statt einer netten Begrüßung fluchte sie. »Oh nein, Erik, ich kenne den Unterton! Wenn du meinen Namen so aussprichst, werde ich definitiv in irgendwelche Schwierigkeiten geraten.«
»Ich weiß. Aber du musst mir aus der Klemme helfen.«